Rechtswirksame Verzichtserklärung gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., Landwirtin, G., vertreten durch SBT Steuerberatungs GmbH & Co KG, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei, 8020 Graz, Metahofgasse 30, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Oststeiermark vom 2. und betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2005 bis 2008, vertreten durch Hofrat Mag. Hermann Bratl nach der am in 8018 Graz, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18, im Beisein der Schriftführerin Anita Eberhardt durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Das Finanzamt hat im Rahmen einer die Jahre 2005 bis 2008 umfassenden Außenprüfung festgestellt, dass für den Prüfungszeitraum kein Antrag gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 vorliege, weshalb die bisher beanspruchten Vorsteuern zu kürzen und die bisher erklärten und versteuerten Umsätze aus dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht der Besteuerung zu unterwerfen seien (vgl. Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom , Tz 1).
Gegen die auf dieser Basis im Wege der Wiederaufnahme der Verfahren bzw. bezüglich des Jahres 2008 im Wege der Erstveranlagung erlassenen Umsatzsteuerbescheide hat die Berufungswerberin (Bw.) mit folgender Begründung das Rechtsmittel der Berufung erhoben:
Sie betreibe seit dem Jahr 2005 eine Landwirtschaft mit dem Nebenbetrieb einer Direktvermarktung. Auf Grund geplanter Investitionen in den Stallbereich sowie in kleinerem Ausmaß in die Direktvermarktung habe sie rückwirkend mit die Regelbesteuerung gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 beantragen wollen. Ihr Sohn habe am beim Finanzamt Feldbach diesbezüglich die undifferenzierte Auskunft erhalten, dass dafür ein Regelbesteuerungsantrag einzubringen sei. Die mit der steuerlichen Vertretung betraute Selbständige Buchhalterin habe in dem noch am selben Tag ausgefüllten Fragebogen für natürliche Personen (Verf 24) die Betriebseröffnung eines Gewerbebetriebes (offensichtlich der Direktvermarktung) und eines landwirtschaftlichen Betriebes per bekannt gegeben. Darin sei auch die Vergabe einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beantragt worden. Ebenfalls am sei die Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 (Verzicht auf die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer) [U 12] ausgefüllt worden. Des Weiteren sei von der Selbständigen Buchhalterin der Regelbesteuerungsantrag gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 gestellt worden. Diese Formulare seien in ein Kuvert gesteckt worden und - wie immer - von einer Kanzleimitarbeiterin - Frau S. - in den Briefkasten des Finanzamtes Feldbach geworfen worden.
Im Zuge der auf Grund des Prüfungsauftrages vom durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung habe der damit betraute Beamte gegenüber einer Kanzleimitarbeiterin gemeint, dass ein Regelbesteuerungsantrag nicht aktenkundig sei. Beim nächsten Termin am sei von der steuerlichen Vertretung der mit datierte Regelbesteuerungsantrag vorgelegt worden, wobei es auf Grund der nicht bescheinigten Einreichung beim Finanzamt - wie es in dieser Kanzlei üblicherweise gemacht werde - keinen Nachweis des Einlangens gegeben habe. Ende Juli habe das Prüfungsorgan der steuerlichen Vertretung mitgeteilt, dass der vorgelegte Regelbesteuerungsantrag nicht anerkannt werde und die Prüfung auf die Jahre 2005 bis 2007 ausgedehnt werde.
1. Postweg
Ein Parteienvertreter mit einem ordnungsgemäßen Kanzleibetrieb könne sich, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht und zu Kontrollmaßnahmen genötigt werde, darauf verlassen, dass sein Kanzleipersonal eine ihm aufgetragene Weisung auch befolge. Daher müsse er eine ausdrücklich angeordnete Postaufgabe nicht auf ihr tatsächliches Stattfinden kontrollieren; eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verlässliche Kanzleikraft sei nicht zumutbar. Im vorliegenden Fall sei der betroffenen Kanzleikraft noch nie ein diesbezügliches Verschulden passiert, wodurch auch der Vorwurf eines groben Auswahlverschuldens nicht ins Treffen geführt werden könne (vgl. UFS RV/2005-W/04).
2. Treu und Glauben
Ein beträchtlicher Schaden sei insbesondere auch dadurch entstanden, dass die gegenständliche Vorgangsweise vom Finanzamt jahrelang im Zuge der Prüfung der Abgabenerklärungen nicht beanstandet worden sei, weshalb die Bw. keine entsprechenden Dispositionen treffen hätte können. Hätte nämlich das Finanzamt weder Umsatzsteuerzahllasten noch Umsatzsteuergutschriften verbucht bzw. zurückgezahlt, wäre kein Schaden bzw. ein geringerer Schaden entstanden, da man auf diese eventuelle Fristversäumnis von Beginn an aufmerksam geworden wäre. Auch das Argument, dass eine gewerbliche Direktvermarktung integriert sei und daher das Finanzamt nicht wissen hätte können, dass die Vorsteuern nicht aus der Direktvermarktung stammten, gehe insoweit ins Leere, als die Bw. mehrmals die "größeren" Rechnungen persönlich beim Finanzamt eingereicht habe und daraus die Investitionen in Stallgebäude ersichtlich seien bzw. von ihr auch darauf hingewiesen worden sei. Auch der Verwaltungsgerichtshof verneine im Erkenntnis vom , 2002/14/0106 keinesfalls die Prüfungspflicht der Abgabenbehörde nach den Bestimmungen §§ 161ff BAO, sondern betone lediglich, dass diese erst mit der Abgabe und Gutschrift der ersten Umsatzsteuervoranmeldung vollzogen werden könne. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass im vorliegenden Fall lediglich das erste Veranlagungsjahr 2005 nicht "regelbesteuert" sei, denn ab Anfang des Jahres 2006 seien laufend Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen abgegeben worden.
Inwieweit könne die Finanzverwaltung "ungeschoren" davon kommen, wenn die Bw. vor der Bevollmächtigung einer steuerlichen Vertretung das Finanzamt persönlich (vertreten durch ihren Sohn) um Aufklärung ersucht habe und dort mitgeteilt habe, dass sie einen Stall bauen werde und die Vorsteuer rückerstattet haben möchte ? Die Finanzverwaltung habe den eindeutigen Hinweis, dass dazu ein Regelbesteuerungsantrag gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 notwendig sei, verabsäumt.
Außerdem sei auf die Anmerkung 123a in Kranich-Siegl-Waba, Kommentar zur Mehrwertsteuer, Band IV zu verweisen, wonach eine Erklärung gemäß § 21 Abs. 8 UStG 1972 - nunmehr § 6 Abs. 3 UStG 1994 - die innerhalb der Frist zur Abgabe einer Erklärung gemäß § 22 Abs. 6 abgegeben werde, auch als Erklärung nach § 22 Abs. 6 zu werten sei, da in beiden Fällen die Umsatzbesteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes begehrt werde. Dies sei insbesondere auch damit zu begründen, dass der pauschalierte Landwirt zuerst eine Option gemäß § 22 Abs. 6 ausüben müsse, um dann auf Grund der Anwendung der allgemeinen Vorschriften des UStG nach § 6 Abs. 3 aus der Kleinunternehmerregelung optieren zu können. Eine bloße Abgabe des Regelbesteuerungsantrages gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 mache bei einem pauschalierten Landwirt überhaupt keinen Sinn. Der Antrag eines nichtbuchführungspflichtigen Land- und Forstwirtes nach § 6 Abs. 3 UStG 1994 könne damit sinnvoll nur so verstanden werden, dass er damit gleichzeitig auch den im Schritt vorher notwendigen Antrag nach § 22 Abs. 6 UStG 1994 stelle. Damit enthalte der Antrag gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 zwei Erklärungen.
Die Bestimmung des § 22 Abs. 6 UStG 1994 enthalte keine Aussagen darüber, dass die Erklärung nach § 22 Abs. 6 UStG 1994 nicht in einer anderen Erklärung enthalten sein könne. Einem Steuerpflichtigen stehe es grundsätzlich frei, sofern er die ihm auferlegten Formvorschriften, wie im gegebenen Zusammenhang das Erfordernis der Schriftlichkeit erfülle, wie er seine Erklärungen und Anträge im Detail formuliere. Selbst der gegenständliche Antrag gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994, der nach dem wahren Willen auch als solcher nach § 22 Abs. 6 UStG 1994 zu werten sei, erfülle das Erfordernis der Schriftlichkeit und sei noch vor dem Ende des Veranlagungszeitraumes dem Finanzamt übermittelt worden.
3. Gemeinschaftsrecht
Gemäß Art. 25 Abs. 10 der 6. EG-RL habe jeder Pauschallandwirt nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten und Voraussetzungen das Recht, für die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Regelung nach Art. 24 Abs. 1 zu optieren.
Der österreichische Gesetzgeber habe in Umsetzung der Richtlinie in der Bestimmung des § 22 Abs. 6 UStG 1994 ein Optionsrecht für land- und forstwirtschaftliche Unternehmer geschaffen. Materiellrechtliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieses Rechtes sei eine fristgerechte Abgabe der Verzichtserklärung. Diese Bestimmung sei allerdings derart auszulegen, dass sie in richtlinienkonformer Interpretation dem Sinn und Zweck des Gemeinschaftsrechts entspreche.
Mit der Frage der Ablehnung dieses Optionsrechtes durch nationale Behörden habe sich der EuGH - soweit ersichtlich - bis dato noch nicht konkret auseinandergesetzt. Allerdings sehe die 6. EG-RL im Art. 13 Teil C für bestimmte Umsätze (ua. für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken) ebenfalls eine Möglichkeit der Optionseinräumung vor, zu der sich der EuGH bereits mehrfach geäußert habe. Diese Rechtsprechung sei von grundsätzlicher Bedeutung für das Optionsrecht nach Art. 25 Abs. 10.
Zu beachten seien in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Zielvorgaben der 6. EG-RL. Während Art. 13 Teil C den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Optionseinräumung ein Ermessen zugestehe ("Die Mitgliedstaaten können ..."), räume Art. 25 Abs. 10 hingegen jedem Pauschallandwirt das "Recht auf Besteuerung nach den allgemeinen Regeln" ein und stelle dies nicht in das Ermessen der Mitgliedstaaten. Die Behörden der Mitgliedstaaten hätten daher bei Vorliegen der geforderten Voraussetzungen die Entscheidung des landwirtschaftlichen Unternehmers anzunehmen, wobei diese Voraussetzungen in richtlinienkonformer Interpretation nicht dazu führen dürften, die Ausübung der Option unnötig zu erschweren und damit den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zu gefährden.
Auch der EuGH erkenne in Bezug auf die Einführung von Optionsrechten allgemein ein weites Ermessen der Mitgliedstaaten an. Im Urteil vom , C-184/04, "Uudenkaupungin kaupunki", habe der EuGH hinsichtlich einer nicht innerhalb von sechs Monaten ab Ingebrauchnahme der betreffenden Immobilie ausgeübten Option befunden, dass es den Mitgliedstaaten frei stehe die Verfahrensbestimmungen unter denen ein Optionsrecht ausgeübt werden könne, festzulegen, was die Möglichkeit einschließe, vorzusehen, dass die Besteuerung erst nach der Einreichung des Antrages erfolge und dass der Abzug der entrichteten Steuern erst nach diesem Zeitpunkt möglich sei. Allerdings dürften solche Bestimmungen nicht dazu führen, dass das Recht auf Vornahme der mit den besteuerten Umsätzen verbundenen Abzüge beschränkt werde, wenn das Optionsrecht gemäß diesen Bestimmungen wirksam ausgeübt worden sei.
Im Urteil vom , C-246/04, "Turn- und Sportunion Waldburg und Barris" habe der EuGH ausgesprochen, dass Optionseinschränkungen nicht dazu führen dürften, dass der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gefährdet sei. Obwohl die 6. EG-RL den Mitgliedstaaten im Rahmen der Bestimmungen des Art. 13 Teil C ein weites Ermessen zugestehe, müssten die Mitgliedstaaten, wenn sie von der Befugnis Gebrauch machten, den Umfang des Optionsrechtes zu beschränken und die Modalitäten seiner Ausübung festzulegen, die Ziele und die allgemeinen Grundsätze der 6. EG-RL, insbesondere den Grundsatz der steuerlichen Neutralität und das Erfordernis einer korrekten, einfachen und einheitlichen Anwendung der vorgesehenen Befreiungen beachten. Der EuGH stelle diesen Grundsatz über alles. Er leite daraus sogar etwas ab, was es in der 6. EG-RL gar nicht gebe, wodurch er rechtsbegründend und nicht rechtsauslegend sei.
Vor diesem Hintergrund widerspreche eine Versagung des Vorsteuerabzuges dann dem Gemeinschaftsrecht, wenn der gegenständliche Antrag nach § 6 Abs. 3 UStG 1994 nicht gleichzeitig auch als Willenserklärung gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 verstanden werde bzw. die stattgefundenen Handlungen (Abgabe von Erklärungen, Prüfungspflicht gemäß § 161ff BAO, mündliche Aussagen der Bw. und ihres Sohnes, laufende Einsicht der Behörde in die Rechnungen usw.) den Vorsteuerabzug behindern würden.
Auch im Urteil vom , C-25/03, "HE", habe der EuGH bezüglich der Missachtung von Formerfordernissen von Rechnungen gemeint, dass das für ihn unerheblich sei, solange der Wille nach außen in Erscheinung trete und kein Missbrauch vorliege. Dann sei der Grundsatz der Neutralität darüber zu stellen und damit der Vorsteuerabzug zu gewähren.
Daneben sei auch auf den gemeinschaftsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzgrundsatz hinzuweisen, der dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgend, gebiete, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sein müssten. Damit solle auch die Vorhersehbarkeit der unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen gewährleistet sein. Im Vordergrund stehe die erworbene Rechtsposition, die für den einzelnen jede Unsicherheit im Hinblick auf die Wahrnehmung dieser Rechte beseitige, sodass sein Vertrauen auf ihren Bestand besondere Beachtung und besonderen Schutz verdiene. Die Erwartung auf den Fortbestand geschaffener Handlungsspielräume erlange durch die getroffenen Dispositionen rechtlichen Wert. Daher schütze der Vertrauensschutzgrundsatz die Wirtschaftsteilnehmer vor einer nachträglichen Umbewertung ihrer im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage erworbene Rechtsposition oder getroffenen Dispositionen. Wenn jemand investiere, seine Dispositionen treffe und nur im Wissen eines Vorsteuerabzuges baue, dann müsse er das so kalkulieren, ansonsten würde er natürlich anders kalkulieren oder die Investition gar nicht tätigen.
Der EuGH habe einmal in einer Rechtssache, bei der ein Steuerpflichtiger zu Unrecht eine Beihilfe bezogen habe, weil sich die Behörde geirrt habe, entschieden, dass diese nicht zurückzuzahlen sei, weil der Bezug auf gutem Vertrauen erwachsen sei. Grundsätzlich sei der EuGH hier sehr streng, obwohl er den Vertrauensschutz nicht sehr oft anwende und eher versuche die Rechtssache anhand der jeweiligen Bestimmungen der 6. EG-RL zu lösen, weil sich natürlich eine Ausweitung des Vertrauensschutzes immer als sehr problematisch darstelle.
Die Forderung nach Schutz des berechtigten Vertrauens stelle sich grundsätzlich gegenüber der verwaltenden, rechtsetzenden und rechtsprechenden Gemeinschaftsgewalt. Der Vertrauensschutzgrundsatz werde vom EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft gerechnet. Im Urteil vom , C-31/91, "Lageder", habe der Gerichtshof die Ansicht vertreten, "die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts seien von jeder innerstaatlichen mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrauen Behörde zu beachten", vorausgesetzt, dass "der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung angeführt werden könne." Natürlich könnten nicht nur die Gemeinschaftsrechtsorgane, sondern auch die jeweiligen nationalen Behörden am Vertrauensschutz gemessen werden. Es könnten nicht nur die Kommission oder das Parlament usw. das Vertrauen verletzen, sondern auch die jeweilige nationale Behörde in der Rechtssache.
Im gegenständlichen Streitfall habe die Bw. klar zum Ausdruck gebracht nach den allgemeinen Regeln des Umsatzsteuergesetzes versteuern zu wollen. Diese Absicht sei nicht nur mündlich beim "Erstgespräch" im Finanzamt am geäußert worden, sondern gehe auch aus allen danach erfolgten Handlungen (Abgabe von Erklärungen, antragsgemäße Veranlagung durch die Behörde, unterlassene Prüfungspflichten gemäß §§ 161ff BAO, laufende Einsicht der Behörde in die Rechnungen) eindeutig hervor. Selbst der UFS Linz sei in einem ähnlich gelagerten Fall zur Erkenntnis gekommen, dass der Wortsinn des § 22 Abs. 6 UStG 1994 in richtlinienkonformer Auslegung dahingehend zu verstehen sei, dass das Recht zur Optionsausübung nicht dadurch verloren gehen könne, wenn eine rechtzeitig vorgelegte Erklärung nicht ausdrücklich auf den Verzicht der Pauschalierungsbestimmung des § 22 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 hinweise. Es genüge vielmehr, wenn dem Inhalt der Erklärung - so wie im vorliegenden Fall - keine andere Bedeutung beigemessen werden könne, als nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes versteuern und von der Pauschalierung Abstand nehmen zu wollen.
4. Eventualbetrachtung Gewerbeanteil - Direktvermarktung
Selbst für den Fall, dass der Unabhängige Finanzsenat der Berufung nicht stattgeben sollte, seien die angefochtenen Bescheide insoweit abzuändern, als die von der Bw. getätigten Investitionen nicht ausschließlich im land- und forstwirtschaftlichen Bereich stattgefunden hätten. Da rund 15 % der Investitionen im gewerblichen Direktvermarktungsbereich getätigt worden seien, stünden die Vorsteuern für diesen Bereich in jedem Fall zu.
In der am abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde vom bevollmächtigten Vertreter ergänzend Nachstehendes ausgeführt:
Er sei der Meinung, dass die EuGH-Rechtsprechung auf die in zwei erst kürzlich ergangenen UFS-Entscheidungen der Außenstellen Linz und Wien Bezug genommen werde, auch für den vorliegenden Fall Gültigkeit habe. Im vorliegenden Fall sei auch der persönliche Besuch des Sohnes der Bw. beim Finanzamt am , bei dem er bekannt gegeben habe, dass größere Stallinvestitionen geplant seien, in die Beurteilung einzubeziehen.
Der Vertreter der Amtspartei entgegnete Folgendes:
Ob der Sohn der Bw. tatsächlich beim Finanzamt vorstellig geworden sei, könne naturgemäß nicht beurteilt werden, da es keine diesbezüglichen Aufzeichnungen im Infocenterbereich gebe. Daher sei auch nicht aktenkundig, welche Auskunft er tatsächlich erhalten habe. Beide UFS-Entscheidungen seien ihm bekannt, bisher sei aber die offizielle Ansicht der Finanzverwaltung (UStR 2000) den Entscheidungen nicht angepasst worden.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß Art. 25 Abs. 10 der 6. EG-RL bzw. nach Art. 296 Abs. 3 der mit in Kraft getretenen RL 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hat jeder Pauschallandwirt nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten und Voraussetzungen das Recht, für die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Regelung nach Art. 24 Abs. 1 bzw. Art. 281 zu optieren.
Gemäß § 22 Abs. 6 UStG 1994 kann der Unternehmer bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraumes gegenüber dem Finanzamt schriftlich erklären, dass seine Umsätze vom Beginn dieses Kalenderjahres an nicht nach den Abs. 1 bis 5, sondern nach den allgemeinen Vorschriften dieses Bundesgesetzes besteuert werden sollen. Diese Erklärung bindet den Unternehmer für mindestens fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zum Ablauf des ersten Kalendermonates nach Beginn dieses Kalenderjahres zu erklären.
Diese Bestimmung ist in richtlinienkonformer Interpretation dahingehend zu verstehen, dass das Recht zur Optionsausübung nicht dadurch verloren gehen kann, wenn eine rechtzeitig vorgelegte Erklärung nicht ausdrücklich auf den Verzicht der Pauschalierungsbestimmungen des § 22 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 hinweist. Es genügt vielmehr, wenn dem Inhalt der Erklärung keine andere Bedeutung beigemessen werden kann, als nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes versteuern und von einer Pauschalierung Abstand nehmen zu wollen.
Darüber hinaus sind aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität und der Vertrauensschutzgrundsatz zu beachten (vgl. und die dort zitierte Judikatur des EuGH sowie ).
Unter Bedachtnahme auf die vorhin dargelegte Rechtslage war der Berufung aus nachstehenden Erwägungen ein Erfolg beschieden:
Der mit datierte "Fragebogen für natürliche Personen" (Verf 24) und die ebenfalls mit datierte "Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG) (Verzicht auf die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer)" [U 12] sind am nachweislich beim Finanzamt Oststeiermark in Feldbach eingelangt.
Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnungen von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist - Im Hinblick auf § 115 - die Absicht der Partei zu erforschen (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Wien 2005, § 85, Tz 1).
Nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates ist der unter Bedachtnahme auf die Frist des § 22 Abs. 6 UStG 1994 rechtzeitig eingebrachten, aktenkundigen Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 auch der Inhalt beizumessen, dass die Bw. damit jedenfalls auch eine Erklärung im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1994 abgeben wollte. Die Bw. hat im Vertrauen auf die Rechtswirksamkeit der von ihr abgegebenen Erklärung in weiterer Folge in den Streitjahren die sich aus einer derartigen Erklärung ergebenden umsatzsteuerlichen Konsequenzen - Versteuerung der Umsätze aus dem landwirtschaftlichen Betrieb und Geltendmachung der Vorsteuern im Zusammenhang mit den Investitionen in den Stallbereich - gezogen, wobei von Seiten des Finanzamtes dagegen kein Einwand erhoben worden ist.
Hinzu kommt, dass auf dem Formular U 12 in den Erläuterungen die konkreten Rechtsfolgen - Versteuerung der Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des UStG 1994 - angeführt werden und damit dasselbe Ergebnis aufgezeigt wird, wie es eine eigenständige Erklärung nach § 22 Abs. 6 UStG 1994 bewirken würde.
Überdies ist im vorliegenden Fall auch die Tatsache bedeutsam, dass die im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes erzielten Umsätze in allen Streitjahren (2005: € 38.045,56; 2006: € 66.991,72; 2007: € 335.561,35 und 2008: € 381.378,42) die nach § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 maßgebliche Umsatzgrenze in Höhe von € 22.000,00 bzw. ab in Höhe von € 30.000,00 bei weitem überschritten haben, sodass die aktenkundige Verzichtserklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 auf Grund der Umsatzhöhen jedenfalls ins Leere gegangen ist - die Bw. war demnach überhaupt nie Kleinunternehmer im Sinne des UStG 1994 - und somit keine rechtliche Wirkung entfaltet hat. Auch bezüglich der im Rahmen der Direktvermarktung (Umsätze aus Gewerbebetrieb) erzielten Umsätze konnte die Verzichtserklärung keine rechtliche Wirksamkeit entfalten, da die diesbezüglichen Umsätze (2005: € 69.188,02; 2006: € 50.600,62; 2007: € 48.681,13 und 2008: € 44.921,73) in allen Streitjahren weit über der für Kleinunternehmer maßgeblichen Umsatzgrenze gelegen sind. Somit muss die Verzichtserklärung nach ihrem objektiven Erklärungswert wohl jedenfalls dahingehend verstanden werden, dass die Bw. als pauschalierte Landwirtin mit der "Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz 1994 (Verzicht auf die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer)" von ihrem Recht auf Geltendmachung des Vorsteuerabzuges nach Maßgabe des § 22 Abs. 6 UStG 1994 Gebrauch machen wollte. Denn es kann ihr angesichts der erwiesenen Absicht, die Vorsteuern aus den Investitionen in den Stallbereich zu beanspruchen, doch nicht unterstellt werden, dass sie durch die Verwendung des Formulars U 12 eine im gegebenen Sachzusammenhang völlig wirkungslose Erklärung abgeben wollte.
Da demnach dem Berufungsbegehren im eigentlichen Streitpunkt zu entsprechen war, erübrigt sich jedoch die Entscheidung über den Eventualantrag.
Es war daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.
Beilage : 4 Berechnungsblätter
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 22 Abs. 6 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Schlagworte | Optionserklärung Verzichtserklärung Kleinunternehmer Durchschnittssatzbesteuerung |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at