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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSL vom 15.02.2007, RV/0985-L/06

Nachsicht von Dienstgeberbeiträgen für in EU/EWR/Staaten eingesetzte Dienstnehmer

Beachte

VwGH-Beschwerde zur Zl. 2007/15/0082 eingebracht. Mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
§ 3 Zif. 1 und 2 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO, BGBl II 435/2005, schützt Vertrauen auf Rechtsauslegungen. Ein derartiges Vertrauen ist nur schutzwürdig, wenn sich die Rechtslage nicht geändert hat. Auch Rechtsauslegungen in Erlässen beziehen sich auf die hiefür maßgebliche Rechtslage.
Durch den Beitritt Österreichs zum EWR bzw. zur EU kam es mit der Übernahme des Gemeinschaftsrechtes zu einer umfassenden Änderung der Rechtslage. Vor diesem Zeitpunkten ergangene Erkenntnisse des VfGH und VwGH sowie Erlässe (im gegenständlichen Fall die im AÖF 1975/75 veröffentlichen FLAG-DR) enthalten keine Rechtsauslegungen zur Frage, ob und in welchen Fällen unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechtes, insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, bei Auslandsentsendungen von Dienstnehmern ein Dienstgeberbeitrag zu entrichten ist.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der M, vertreten durch I, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Linz vom zu StNr. 000/0000 betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Im Zuge einer Lohnsteuerprüfung betreffend die Jahre 1994 bis 1999 wurde unter anderem die DB-Pflicht von im Ausland tätigen Dienstnehmern der Berufungswerberin festgestellt.

Gegen den Haftungs- und Abgabenbescheid vom wurde Berufung erhoben, der mit Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0383-L/04, teilweise stattgegeben wurde. Auf die darin getroffenen Sachverhaltsfeststellungen und rechtlichen Erwägungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Gegen diese Entscheidung ist eine beim Verwaltungsgerichthof unter der Zl. 2006/15/0115 protokollierte Beschwerde anhängig.

Mit Eingabe vom wurde um Nachsicht jener Dienstgeberbeiträge 1994 bis 1999 in Höhe von 163.611,69 € ersucht, hinsichtlich der die Berufung abgewiesen worden war. Ferner wurde auch um Nachsicht der in diesem Zusammenhang angefallenen Aussetzungszinsen in Höhe von insgesamt 29.376,15 € ersucht. Gemäß der Verordnung betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO, BGBl II 435/2005, liege eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches von den Rechtsauslegungen des VfGH oder VwGH abweiche oder in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen stehe, die vom BMF im AÖF veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen darauf für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden. Im gegenständlichen Fall sei einerseits eine Abweichung von der Rechtsauslegung des VwGH und VfGH (; ) erfolgt, andererseits stehe die UFS-Entscheidung im Widerspruch zu den Aussagen der "1999 gültigen" Durchführungsrichtlinien zum FLAG. Die Einarbeitung des BMSG-Erlasses betreffend die europarechtlichen Überlegungen vom (AÖF 52/2003) sei erst am (AÖF 2003/150) vollzogen worden. Die Berufungswerberin habe darauf vertraut, dass kein DB in Österreich erhoben werde. Ansonsten hätte sie die Mitarbeiter bewogen, die Dienstverhältnisse mit einer ausländischen Gesellschaft abzuschließen, zumal beispielsweise in Deutschland keine derartigen Abgaben erhoben würden.

Das Finanzamt wies dieses Nachsichtsansuchen mit Bescheid vom ab.

In der offenkundig irrtümlich als "Vorlageantrag" bezeichneten Berufung vom beantragte die Berufungswerberin die Einbeziehung eines Säumniszuschlages in Höhe von 2.419,35 € in den nachzusehenden Abgabenbetrag. Der UFS habe in seiner Entscheidung festgehalten, dass im Falle der Entsendung ins Ausland zu unterscheiden sei, ob der Einsatz in einem EWR-Staat oder einem Nicht-EWR-Staat erfolgt sei. Für Entsendungen in Nicht-EWR-Staaten habe der UFS die DB-Pflicht zu Recht aufgehoben, nicht jedoch für Entsendungen in EWR-Staaten, obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt derselbe gewesen sei. In den Durchführungsrichtlinien zum FLAG (FLAG-DR) sei eine differenzierte Behandlung der Entsendungen in den EWR erst am eingefügt worden. Es stehe sogar wörtlich in den FLAG-DR unter 41.01 Z 4, dass "nach der jüngsten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes" (vom und ) im Gegensatz zu den allgemeinen Grundsätzen eine andere Betrachtung bei Entsendungen in den EWR zu erfolgen habe. Somit werde selbst in den FLAG-DR eingeräumt, dass erst aufgrund der EuGH-Judikatur aus dem Jahr 2000 bzw. 2002, welche nach dem Prüfungszeitraum 1994 bis 1999 ergangen sei, eine differenzierte Behandlung der Entsendungen in den EWR erfolgt sei. Daher seien alle vor der Änderung der FLAG-DR im Jahr 2003 erfolgten Entsendungen nach den (noch jetzt gültigen) Grundsätzen der Entsendung in Nicht-EWR-Staaten zu beurteilen. Da der UFS bei Einsätzen in Nicht-EWR-Staaten die DB-Pflicht verneint habe, könne auch für die Entsendung in EWR-Staaten vor Änderung der FLAG-DR nichts anderes gelten. Somit stelle eine unterschiedliche Beurteilung der Entsendungen in EWR- und Nicht-EWR-Staaten vor Änderung der FLAG-DR bzw. dem Ergehen der EuGH-Urteile eine sachliche Unbilligkeit im Sinne der Verordnung betreffend die Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO dar, da die Rechtsauslegung des BMF in den FLAG-DR vor 2003 nicht offensichtlich unrichtig gewesen sei.

Die nachsichtsgegenständlichen Abgaben wurden bereits zur Gänze entrichtet.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Diese Bestimmung findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung (§ 236 Abs. 2 BAO).

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.

Die Unbilligkeit kann persönlicher oder sachlicher Natur sein. Eine sachliche Unbilligkeit ist dabei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintreten würde, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen würde (z.B. ).

Nach § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl II 435/2005, liegt eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

1) von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

2) in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die

a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz geäußert oder

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Im Erkenntnis vom , B 324/61 hatte der VfGH ausgeführt, dass der Dienstgeberbeitrag nicht für bestimmte Dienstnehmer geleistet, sondern nur von der Summe der von einem Dienstgeber ausgezahlten Löhne berechnet werde. Der Umstand, dass demnach auch die Löhne von Dienstnehmern in die Beitragsgrundlage einzubeziehen seien, die potenziell für einen Anspruch auf die Kinderbeihilfe (Familienbeihilfe) nicht in Frage kämen, vermöge keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung zu begründen.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte im Erkenntnis vom , 2564/59 fest, es treffe nicht zu, dass die Beitragsleistungen nur vom Arbeitslohn jener Dienstnehmer zu erbringen wären, bei denen die Möglichkeit bestünde, in den Genuss einer Kinderbeihilfe zu kommen. Die Anspruchsberechtigung auf Kinderbeihilfe unterliege vielmehr gänzlich anderen Voraussetzungen als die zur Aufbringung der Mittel eingeführte Beitragspflicht der Dienstgeber.

Im Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom (Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967 - FLAG-DR), veröffentlicht im AÖF 1975/75 finden sich zum Dienstgeberbeitrag unter Punkt 41.01 folgende Ausführungen:

"1) Die Verpflichtung zur Entrichtung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen obliegt allen Dienstgebern, die im Inland Dienstnehmer beschäftigen. Es ist nicht erforderlich, dass im Inland eine Betriebsstätte (§ 81 EStG 1972) vorhanden ist, wie sich auch aus der Zuständigkeitsregelung des § 43 Abs. 1 ergibt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Arbeitslohn im Inland gezahlt wird.

2) Als im Inland beschäftigt gilt ein Dienstnehmer auch dann, wenn er zur Dienstleistung ins Ausland entsendet ist. Dies wird nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (549 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP) dann der Fall sein, wenn das Dienstverhältnis im Inland eingegangen worden ist und darauf inländische Rechtsvorschriften anwendbar sind.

3) Der Dienstgeberbeitrag wird nicht für bestimmte Dienstnehmer geleistet, sondern es bildet die Summe der ausgezahlten Arbeitslöhne den Maßstab, nach dem der Dienstgeberbeitrag zu berechnen ist. Es besteht daher kein Zusammenhang zwischen dem Kreis der Personen, die potentiell für einen Anspruch auf Leistungen aus dem Familienlastenausgleich in Frage kommen, und dem Kreis der Personen, deren Lohnsumme die Bemessungsgrundlage für den Dienstgeberbeitrag bildet (Verfassungsgerichtshof vom , Z. B 324/61; Verwaltungsgerichtshof vom , Z. 2564/59)."

Mit dem im AÖF 1989/65 veröffentlichen Erlass wurde in Punkt 1) der Klammerausdruck "(§ 81 EStG 1972)" durch "(§ 81 EStG 1988)" ersetzt. Ansonsten blieben die zitierten Bestimmungen bis zum Erlass des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom , AÖF 2003/150, unverändert.

Mit diesem Erlass vom erhielt Punkt 41.01 der FLAG-DR folgende Fassung:

"1) Die Verpflichtung zur Entrichtung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen obliegt allen Dienstgebern, die im Inland Dienstnehmer beschäftigen. Es ist nicht erforderlich, dass im Inland eine Betriebsstätte (§ 81 EStG 1988) vorhanden ist, wie sich auch aus der Zuständigkeitsregelung des § 43 Abs. 1 ergibt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Arbeitslohn im Inland gezahlt wird.

2) Als im Inland beschäftigt gilt ein Dienstnehmer auch dann, wenn er zur Dienstleistung ins Ausland entsendet ist. Dies wird nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (549 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP) dann der Fall sein, wenn das Dienstverhältnis im Inland eingegangen worden ist und darauf inländische Rechtsvorschriften anwendbar sind. Maßgeblich ist in allen Fällen, dass die Dienstgebereigenschaft in Österreich aufrecht bleibt und sich nicht in den Beschäftigungsstaat verschiebt. Dienstgeber ist dabei grundsätzlich, wer für den Arbeitslohn aufkommt und die grundsätzlichen Weisungen an den Dienstnehmer erteilt. In Fällen einer Weiterbelastung der Lohnkosten (bei Arbeitskräftegestellung) wird hingegen auch zu prüfen sein, wo (im In- oder im Ausland) die organisatorische Eingliederung des Dienstnehmers schwerpunktmäßig gegeben ist. Bezüge der ins Ausland entsendeten Dienstnehmer sind gegebenenfalls auch dann beitragspflichtig, wenn die Dienstnehmer im Ausland einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt haben. Beitragspflichtig sind auch die Bezüge, die an im Inland beschäftigte, jedoch im Ausland ansässige Dienstnehmer (Grenzgänger) gezahlt werden.

3) Der Dienstgeberbeitrag wird nicht für bestimmte Dienstnehmer geleistet, sondern es bildet die Summe der ausgezahlten Arbeitslöhne den Maßstab, nach dem der Dienstgeberbeitrag zu berechnen ist. Es besteht daher kein Zusammenhang zwischen dem Kreis der Personen, die potentiell für einen Anspruch auf Leistungen aus dem Familienlastenausgleich in Frage kommen, und dem Kreis der Personen, deren Lohnsumme die Bemessungsgrundlage für den Dienstgeberbeitrag bildet (VfGH-Erkenntnis vom , Zl. B 324/61; VwGH-Erkenntnis vom , Zl. 2564/59).

4) Im Gegensatz dazu ist nach der jüngsten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes, nach der auch die Finanzierungsvorschriften für alle von der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erfassten Zweige der sozialen Sicherheit (so auch der Familienleistungen/beihilfen) in den Anwendungsbereich der Verordnung und folglich unter das Verbot einer unzulässigen doppelten Beitragsleistung fallen, eine Leistung bereits dann beitrags/abhängig/finanziert, wenn sie auch nur mittelbar durch den Personenkreis aufgebracht wird, dem sie sodann in der Gesamtheit zu Gute kommt. Hiebei ist es unerheblich, ob die angesprochene (Familien)Leistung durch eine Abgabe finanziert wird, die innerstaatlich als Steuer geregelt ist (z.B. in Österreich der Dienstgeberbeitrag) bzw. ob der Abgabe Gegenleistungen gegenüberstehen. Europarechtlich ist nämlich kein Zusammenhang zwischen der Person, aus deren Sphäre die Finanzierung stammt, und der Person, die die Leistung erhält, erforderlich. (vgl. im Einzelnen , vom , Rs C-215/99, und vom , Rs C-393/99 und C-394/99.)

Daraus folgt, dass der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen innerstaatlich sowie im Verhältnis zu so genannten Drittstaaten (außerhalb der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71) im Einklang mit der Judikatur des EuGH weiterhin als Steuer zu behandeln ist, im Verhältnis zu EU/EWR/Staaten sowie ab auch gegenüber der Schweiz (im Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71) jedoch als Beitrag.

Dem trägt der Erlass des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen vom , GZ. 51 0802/8-V/1/03, veröffentlicht im AÖFV Nr. 56 vom , Rechnung. Demnach besteht einerseits hinsichtlich im Bundesgebiet beschäftigter Dienstnehmer, die auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit einschließlich Familienbeihilfe eines anderen EU/EWR/Staates/der Schweiz samt den hiefür zu leistenden "Beiträgen" unterliegen und daher schon dem Grunde nach vom österreichischen Familienbeihilfenanspruch ausgeschlossen sind, keine Dienstgeberbeitragspflicht zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen. Andererseits ist für im Ausland eingesetzte Dienstnehmer, die auf Grund der genannten Verordnung den bezughabenden österreichischen Rechtsvorschriften unterliegen, der Dienstgeberbeitrag, allenfalls auch durch einen ausländischen Dienstgeber, abzuführen. Es kommt somit (auch) auf die Zuordnung zu den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit eines Staates an, weshalb der Begriff "Entsendung" im weiten Sinn, d.h. im Sinne von "Abordnung" zu verstehen ist. Außerhalb der Geltung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ist hingegen die Zuordnung eines Dienstnehmers bezüglich soziale Sicherheit nach wie vor irrelevant. (Die gegenständlichen Ausführungen gelten im Übrigen auch bezüglich der Dienstgeberbeitragspflicht für an Kapitalgesellschaften beteiligte Personen; vgl. Abschnitt 41.02.)

Für § 42a FLAG 1967 (Dienstgeberbeitragsbefreiung im Einzelfall für entsendete, vom österreichischen Familienbeihilfenanspruch wegen eines zumindest grundsätzlichen gleichartigen ausländischen Anspruchs ausgeschlossene Dienstnehmer) ergibt sich Folgendes: Da sich im EU/EWR/Bereich (gegenüber der Schweiz) ein Familienbeihilfenausschluss in Österreich wie so eben dargestellt aus der Zuordnung des Dienstnehmers zu den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit eines anderen Staates ergibt und in diesen Fällen eine Dienstgeberbeitragbeitragspflicht ohnehin von vornherein ausgeschlossen ist, gelangt § 42a leg. cit. in diesem Bereich nicht (mehr) zur Anwendung. Bezughabende Anträge sind daher als unzulässig zurückzuweisen. Außerhalb der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt § 42a FLAG 1967 wie bisher."

§ 3 Z 1 und 2 der VO zu § 236 BAO schützt Vertrauen auf Rechtsauslegungen. Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob ein schutzwürdiges Vertrauen der Berufungswerberin in die von ihr ins Treffen geführten Rechtsauslegungen des VfGH und VwGH sowie der FLAG-DR vorlag. Ein derartiges Vertrauen ist nur schutzwürdig, wenn sich die Rechtslage nicht geändert hat. § 3 Z 2 lit. b der VO verallgemeinert die zu Rechtsauskünften der zuständigen Abgabenbehörde, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende herrschende Auffassung (vgl. z.B. ), weil ein Vertrauen auf im AÖF veröffentlichte Rechtsauslegungen des Bundesministeriums für Finanzen gleichermaßen schutzwürdig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun aber schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber einer nachträglichen Änderung der Gesetzeslage nicht durchzuschlagen vermag (vgl. z.B. ; ). Auch Rechtsauslegungen in Erlässen beziehen sich auf die hiefür maßgebliche Rechtslage.

Durch den Beitritt Österreichs zum EWR mit bzw. zur EU mit kam es mit der "Übernahme" des Gemeinschaftsrechtes zu einer umfassenden Änderung der Rechtslage. Wie bereits in der Berufungsentscheidung vom ausgeführt wurde, haben EG-Verordnungen "allgemeine Geltung", sind in all ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat, ohne dass es einer gesonderten Transformation in innerstaatliches Recht bedürfte. So trat auch die auf Basis des Art. 42 EGV erlassene Verordnung Nr. 1408/71 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeiter unmittelbar mit dem Beitritt Österreichs innerstaatlich in Geltung.

Im Zeitpunkt des Ergehens der Erkenntnisse des und des existierte weder die EG-Verordnung 1408/71, noch war Österreich Mitglied der EG. Die Berufungswerberin konnte daher schon aus diesem Grund nicht darauf vertrauen, dass die in diesen Erkenntnissen vorgenommenen Rechtsauslegungen auch nach der Übernahme des Gemeinschaftsrechts weiterhin Gültigkeit haben würden. Auch konnten diese Erkenntnisse naturgemäß keine Aufschlüsse zur Frage geben, ob allenfalls eine differenzierte Behandlung von Entsendungen in EWR-Staaten und Nicht-EWR-Staaten erforderlich wäre.

Gleiches gilt für die FLAG-DR. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese im vorliegenden Fall nur in der Fassung zu betrachten sind, in der sie während der Zeit des Entstehens der nachsichtsgegenständlichen Abgabenansprüche in Geltung standen. Nur auf diese Fassung konnte die Berufungswerberin tatsächlich vertraut haben.

Wie bereits oben ausgeführt, stammen die FLAG-DR aus dem Jahr 1975 und wurden in diesem Jahr auch im AÖF veröffentlicht. Punkt 41.01 betreffend den Dienstgeberbeitrag blieb bis zum Jahr 2003 praktisch unverändert (lediglich im Jahr 1989 wurde zur Betriebsstätte der Hinweis auf § 81 EStG 1988 eingefügt).

Auch dieser Erlass erging lange vor dem Beitritt Österreichs zum EWR bzw. zur EU. Auf gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen wurde aus diesem Grund kein Bezug genommen. Der Erlass enthielt auch keine Aussage, ob es hinsichtlich des Dienstgeberbeitrages durch den Beitritt Österreichs zum EWR bzw. zur EU und der damit verbundenen Übernahme des Gemeinschaftsrechtes bei Entsendungen von Arbeitskräften ins Ausland zu einer Änderung der Rechtslage gekommen ist. Diese Rechtsfrage war nicht Gegenstand der Regelung durch den Erlass, dieser enthält daher insofern auch keine Rechtsauslegung. Es kann daher diesbezüglich auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Berufungswerberin bestehen.

Es enthielten somit weder die angeführten Erkenntnisse des VfGH und VwGH, noch die FLAG-DR im hier maßgeblichen Zeitraum "Rechtsauslegungen" im Sinne der VO zu § 236 BAO zu der Frage, ob und in welchen Fällen unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, bei Auslandsentsendungen von Dienstnehmern ein Dienstgeberbeitrag zu entrichten sei. Eine derartige Rechtsauslegung erfolgte erst im Jahr 2003 durch die oben wiedergegebene umfangreiche Ergänzung der Ausführungen in Punkt 41.01 der FLAG-DR.

Zusammenfassend lag daher mangels entsprechender Rechtsauslegungen kein schutzwürdiges Vertrauen der Berufungswerberin im Sinne der VO zu § 236 BAO und damit keine sachliche Unbilligkeit der Einhebung der nachsichtsgegenständlichen Abgaben vor.

Zur "Ausdehnung" des Nachsichtsansuchens in der Berufung um den angeführten Säumniszuschlag wird der Vollständigkeit halber noch bemerkt, dass eine solche nicht zulässig ist. Gegenstand eines Berufungsverfahrens kann immer nur die Angelegenheit sein, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (vgl. Ritz, BAO³, § 289 Tz. 38 mit Judikaturnachweisen). Mit der begehrten Ausdehnung würde über das Nachsichtsansuchen betreffend den Säumniszuschlag erstmalig im Rahmen der Berufungsentscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz entschieden und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Der Berufungswerberin steht es aber selbstverständlich frei, ein gesondertes Nachsichtsansuchen betreffend den Säumniszuschlag einzubringen, über welches erstinstanzlich abzusprechen ist, sofern das Finanzamt nicht bereits in der "Ausdehnung" ein solches erblickt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Dienstgeberbeitrag
sachliche Unbilligkeit
Vertrauen auf Rechtsauslegungen
Gemeinschaftsrecht
Verweise
Zitiert/besprochen in
taxlex 2007, 622
UFS Newsletter 2007/03

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
IAAAD-19127