Berufungsentscheidung - Steuer (Senat), UFSW vom 10.07.2013, RV/1737-W/11

Keine Wiederaufnahme des Verfahrens wegen verabsäumter Geltendmachung von Betriebsausgaben.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat durch die Vorsitzende Mag. Eva Woracsek und die weiteren Mitglieder Mag. Margit Mayr, Gregor Ableidinger und Dr. Franz Kandlhofer im Beisein der Schriftführerin Monika Holub, über die Berufung der Bw., vertreten durch Stb., gegen die Bescheide des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln, vertreten durch Mag. Alexandra Graf, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2003 bis 2008 nach der am in 1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 7, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung, entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Hinweis

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.) ist eine GmbH & Co KG. Mit Schriftsatz vom wurde beim zuständigen Finanzamt (FA) ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2003 bis 2008 eingebracht. In der Begründung wurde dargelegt, dass Herr Mag. Werner M. im Jahr 2003 sein bereits seit längerem bestehendes Einzelunternehmen im Rahmen eines Zusammenschlusses gemäß Art. IV UmgrStG rückwirkend zum auf die Bw. übertragen habe. Die Erstellung der Buchhaltung und der Jahresabschlüsse sowohl des Einzelunternehmens als auch in weiterer Folge der Bw. führe die L., Zweigstelle S., durch.

Um nach der Übertragung seines Betriebes auf die Bw. eine klare Trennung zwischen seinen persönlichen Aufwendungen und den Betriebsausgaben der Bw. (an der Herr M. gemeinsam mit einem Partner beteiligt sei) zu bewirken, habe Herr M. ab 2003 seine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft von seinem privaten Bankkonto überwiesen. Diese Pflichtbeiträge wären als Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der Gewinnermittlung der Bw. vom Gewinnanteil von Mag. M. abzuziehen gewesen. Es handle sich um folgende Beträge:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Jahr
GSVG-Beiträge
2003
1.848,92
2004
25.826,03
2005
10.659,38
2006
12.515,52
2007
8.117,30
2008
14.721,33

Leider sei es Herrn M. entgangen, dass sich diese vom privaten Bankkonto bezahlten Ausgaben nicht in dem Konvolut von Unterlagen befunden hatten, die er der L. für die Erstellung der Buchhaltung und des Jahresabschlusses übergeben habe. Auch der zuständigen Sachbearbeiterin der L. sei durch die Umstellung der Buchhaltung vom Einzelunternehmen auf die KG das Fehlen der Belege nicht aufgefallen. Der im ersten Jahr 2003 aufgetretene Fehler habe sich dann als Folgefehler in den nächsten Jahren fortgesetzt.

Entdeckt worden sei das Fehlen der Ausgaben im Zuge der Kontrolle des letzten Einkommensteuerbescheids 2009. Die L. habe Herrn M. diesen Bescheid mit Schreiben vom übermittelt. Am habe Herr M. den Zweigstellenleiter der L. in einem E-Mail darüber informiert, dass die angeführten Sozialversicherungsbeträge offenbar nicht in der Buchhaltung bzw. Gewinnermittlung/-verteilung der Bw. berücksichtigt worden seien. Die Rechtzeitigkeit des Antrags gemäß § 303a BAO (Einbringung der Wiederaufnahme binnen drei Monaten ab Erlangung der Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund) sei somit gegeben.

Insgesamt sei hier ein Fehler unterlaufen, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begehe. Es liege keinesfalls grobes Verschulden vor.

Herr M. habe die Sozialversicherungsbeiträge - da sie nur ihn selbst und nicht die Bw. betroffen hätten - stets von seinem privaten Bankkonto überwiesen, jedoch durch diese Trennung, die zur Transparenz gegenüber seinem Partner beitragen sollte, übersehen, die gegenständlichen Zahlungsbelege bei der Jahresabschlusserstellung den betrieblichen Belegen hinzuzufügen und der L. zu übergeben. Die L. treffe insbesondere kein grobes Auswahl- oder Kontrollverschulden, da sie sich bei der Betreuung der Bw. einer langjährigen, sehr verlässlichen, gut ausgebildeten und umsichtigen Mitarbeiterin bedient habe. Die zuständige Sachbearbeiterin sei im Jahr 1998 in die L. eingetreten und habe 2002 erfolgreich die Prüfung zur Bilanzbuchhalterin absolviert.

Das (grobe) Verschulden von Arbeitnehmern der Partei oder des Parteienvertreters sei nicht schädlich (Ritz, Kommentar zur BAO, § 303 Rz 26). Entscheidend sei nur, ob der Partei oder dem Parteienvertreter selbst grobes Verschulden anzulasten sei.

Als Beilage werden die korrigierten Steuererklärungen samt Beilagen für die Jahre 2003 bis 2009 übermittelt. In diesen Erklärungen seien entsprechend der jeweiligen Formularvorgaben die oben angeführten GSVG-Beiträge entweder im Gewinnanteil enthalten (2003 bis 2005) bzw. in der KZ 9925 der Beilage E 6a-1 offen ausgewiesen.

Gemäß § 304 BAO betrage die Verjährungsfrist im Bereich der Wiederaufnahme sieben Jahre, wobei dies nur für die abgeleiteten Einkommensteuerbescheide von Belang sei, da Feststellungsbescheide selbst nicht der Verjährung unterliegen.

Es werde daher die Wiederaufnahme des Verfahrens der oben angeführten Feststellungsbescheide aufgrund des Hervorkommens neuer Tatsachen gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO beantragt. Dabei werde auf den BAO-Erlass zur Wiederaufnahme verwiesen, wonach dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben sei, dies auch zu Gunsten der Partei. In weiterer Folge seien die Einkommensteuerbescheide von Herrn M. gemäß § 295 BAO zu ändern.

Mit Bescheid vom wies das FA den Antrag auf Wiederaufnahme ab. Laut dem Schreiben der Bw. vom , eingelangt am , habe Herr M. seit der Umgründung im Kalenderjahr 2003 seine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft von seinem privaten Bankkonto überwiesen. Dies sei von Herrn M. bewusst so veranlasst worden, um eine klare Trennung zwischen seinen persönlichen Ausgaben und den Betriebsausgaben der Bw. zu bewirken. Es sei also bereits seit dem Kalenderjahr 2003 bekannt, dass die Pflichtbeiträge an die SVA der Gewerblichen Wirtschaft vom privaten Bankkonto des Herrn M. überwiesen werden. Daher sei das FA der Ansicht, dass im Zuge der Kontrolle des letzten Einkommensteuerbescheides 2009 am keine Tatsachen neu hervorgekommen seien.

Gegen diesen Bescheid brachte die Bw. Berufung ein. Im vorliegenden Fall seien die Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit b BAO unstreitig zum Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses vorhanden gewesen. Sie seien im Verfahren jeweils ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden, da Herrn M. bis zum Zeitpunkt des gegenständlichen Antrags nicht bewusst gewesen sei, dass er die Sozialversicherungsbeiträge, die er vom privaten Bankkonto überwiesen hatte, steuerlich im Zuge der einheitlichen Gewinnermittlung der Bw. als Sonderbetriebsausgaben geltend machen müsse. Für die zuständige Sachbearbeiterin der L. seien die Überweisungsbelege neu hervorgekommene Tatsachen, da sie bis zum gegenständlichen Antragszeitpunkt überhaupt keine Kenntnis über die Existenz dieser Unterlagen gehabt habe.

Schlussendlich seien jedenfalls dem FA gegenüber diese Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen. Auch bei der Wiederaufnahme auf Antrag sei für die Frage des Neuhervorkommens der Kenntnisstand der Abgabenbehörde (im jeweiligen Verfahren) maßgebend, nicht jedoch, ob diese Umstände im Zeitpunkt des abgeschlossenen Verfahrens der Partei bekannt gewesen seien (vgl. Punkt 2.1.). Erforderlich sei nur, dass diese Umstände von der Partei ohne grobes Verschulden nicht geltend gemacht wurden, was für den konkreten Fall bereits mehrfach nachgewiesen worden sei.

Laut VwGH sei entscheidend, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie bereits in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der im wiederaufgenommenen Verfahren zu erlassenden Entscheidung hätte gelangen können (z. B. ). Sei dies nicht der Fall, so habe die Behörde gemäß § 303 BAO das Verfahren von Amts wegen wiederaufzunehmen, was hiermit angeregt werde.

Abschließend werde nochmals auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen (z. B. ; , 99/14/0067; ) und auf den zur Wiederaufnahme des Verfahrens (Punkt 3.2), wonach dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit zu geben sei, dies auch zu Gunsten der Partei.

In der am abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde von der steuerlichen Vertreterin der Bw. ergänzend vorgebracht, dass zum Zeitpunkt der Umgründungsmaßnahme im Jahr 2002 bzw. 2003 geplant war, dass auf dem Betriebskonto ausschließlich die die KG betreffenden Ausgaben erfasst werden sollen. Aus diesem Grund seien die Sozialversicherungsbeiträge über ein Privatkonto des Mag. M. bezahlt worden und zwar über ein E-Banking-Modul, welches das Konto vorgeschlagen habe. Bei der Erstellung des ersten Jahresabschlusses der KG sei dies in Vergessenheit geraten, vor allem deswegen, weil es für die Steuerberatungskanzlei auch keine Vergleichsmöglichkeit mit einem Vorjahresabschluss gegeben habe.

Im Jahr 2010 sei Herr M. im Zuge eines Gespräches mit einem Kollegen zum Ergebnis gekommen, dass verabsäumt worden sei, die Sozialversicherungsbeiträge steuerlich geltend zu machen. Es handle sich lediglich um ein Versehen, das auch ordentlichen Menschen passieren könne. Keinesfalls liege schweres Verschulden vor, und zwar weder aus Sicht des Gesellschafters noch aus Sicht der Steuerberatungskanzlei. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Berufung bzw. im Wiederaufnahmeantrag werde verwiesen. Aus Sicht des Finanzamtes handle es sich jedenfalls um das Neuhervorkommen von Tatsachen. Auf die Ausführungen von Ritz, Rz 27 zu § 303 BAO, werde verwiesen, wonach in einem derartigen Fall auch eine antragsgemäße Wiederaufnahme zulässig wäre.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 303 Abs. 2 BAO ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, zu stellen.

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Auf die im Berufungsverfahren angeregte Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen besteht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein subjektives öffentliches Recht (vgl. und ).

Ein Wiederaufnahmeantrag nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber erst nachträglich möglich wurde. Es müssen also neu hervorgekommene Tatsachen bzw. neu hervorgekommene Beweismittel vorliegen, von denen aber nur dann die Rede sein kann, wenn die Tatsachen oder Beweismittel zur Zeit des nunmehr abgeschlossenen Verfahrens bereits existent waren, aber im Verfahren nicht berücksichtigt worden sind (vgl. ).

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neue Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen (vgl. , sowie Ritz, BAO4, § 303 Tz 7 und 9, mwN).

Unbestritten hatte Herr M. die Möglichkeit, seine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft im Zuge der einheitlichen und gesonderten Gewinnermittlung der Bw. als Sonderbetriebsausgaben geltend zu machen. Eine solche Geltendmachung hat Herr M. nach eigenen Angaben vergessen bzw. hat er es verabsäumt, die entsprechenden Unterlagen dem steuerlichen Vertreter zu übergeben. Das Fehlen dieser Ausgaben ist auch dem steuerlichen Vertreter bzw. der zuständigen Sachbearbeiterin - zumindest bis zur Kontrolle des Einkommensteuerbescheides für 2009 - nicht aufgefallen.

Mit diesem Vorbringen wird das Neuhervorkommen einer zum Zeitpunkt des Abschlusses der wiederaufzunehmenden Verfahren bereits existenten Tatsache nicht aufgezeigt. Die Bestimmung des § 303 BAO sieht eine Durchbrechung der Rechtskraft im Falle des Neuhervorkommens von entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen vor, dient aber nicht dazu, fehlende formale Tatbestandselemente nachträglich zu erfüllen oder allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann daher "die Beseitigung der Folgen einer Unterlassung der Geltendmachung von Betriebsausgaben, sei es auf Grund Unkenntnis gesetzlicher Vorschriften oder auf Grund unzutreffender rechtlicher Würdigung", nicht durch die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgen. "Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen." ().

Da die im abgeschlossenen Verfahren verabsäumte Geltendmachung der in Rede stehenden Sonderbetriebsausgaben keine neu hervorgekommene Tatsache darstellt, womit sich auch eine Erörterung der Verschuldensfrage erübrigt, ist die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu Recht erfolgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at