Familienbeihilfenanspruch im unionsrechtlichen Kontext bei Beschäftigung der Mutter in Österreich und des Vaters in Liechtenstein
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Miterledigte GZ: |
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RV/0244-F/13 |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen der Bw, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Feldkirch vom betreffend A) Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum August 2012 bis Jänner 2013 (K1) sowie betreffend B) Abweisung eines Antrages auf Familienbeihilfe ab Dezember 2012 (K2) entschieden:
A) Der Berufung wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass zu Unrecht bezogene Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für K1 für die Monate August 2012 bis November 2012 gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 4 Z 3 lit. a EStG 1988 zurückgefordert werden.
B) Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 289 Abs. 2 BAO aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin war ab 2002 als Pädagogin bei der Lebenshilfe X beschäftigt. Am wurde ihr erstes Kind K1 geboren. Von bis und von bis befand sie sich im gesetzlichen Karenzurlaub. Für die dazwischenliegende Zeit ( bis ) vereinbarte sie eine vertragliche Karenz unter Entfall von Bezügen. Auch für die Zeit nach Ablauf der gesetzlichen Karenz, dh von bis , erfolgte nach Aktenlage eine vertragliche Karenzregelung in Form eines unbezahlten Urlaubes. Infolge einer zweiten Schwangerschaft begann am neuerlich die Mutterschutzfrist - beruhend auf dem ärztlicherseits errechneten Geburtstermin - zu laufen. Am wurde K2, das zweite Kind der Berufungswerberin, geboren.
Der Lebensgefährte der Berufungswerberin und Vater ihrer Kinder, AB, ist seit beim HZ in Liechtenstein beschäftigt.
A) Seitens des Finanzamtes wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für K1 für den Zeitraum August 2012 bis Jänner 2013 zurückgefordert.
B) Für K2 wurde ein Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Dezember 2012 abgewiesen.
In beiden Bescheiden führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, unter Bedachtnahme auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 habe aufgrund seiner Beschäftigung vorrangig der Kindesvater Anspruch auf Familienleistungen in Liechtenstein.
In ihren Berufungen erläuterte die Berufungswerberin:
A) Es treffe zu, dass sie für ihre zweite Schwangerschaft kein Wochengeld erhalten habe. Sie habe sich aber ab in einem absoluten Beschäftigungsverbot befunden. Ein solches sei einer Erwerbstätigkeit gleichzusetzen. Das Beschäftigungsverbot habe laut Gesetz bis gedauert. Ab habe die Berufungswerberin wieder den gesetzlichen Karenzurlaub in Anspruch genommen. Zeiten eines Mutterschutzes sowie Zeiten einer gesetzlichen Karenz seien einer Erwerbstätigkeit gleichzusetzen. Es bestehe daher ein Familienbeihilfenanspruch für K1 jedenfalls ab November 2012.
B) Betreffend die am geborene K2 habe sich das absolute Beschäftigungsverbot bis erstreckt. Für das Kind bestehe Familienbeihilfenanspruch ab seiner Geburt. Überdies sei der Arbeitgeber der Berufungswerberin gemäß § 8 Abs. 4 AngG verpflichtet gewesen, das Entgelt von bis weiter zu bezahlen, weil sie keinen Anspruch auf Wochengeld hatte. Auch deshalb sei die Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe zu Unrecht erfolgt.
In abweisenden Berufungsvorentscheidungen wurde seitens des Finanzamtes auf die auf EU-Verordnungen beruhenden Regelungsinhalte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten hingewiesen. Demnach seien vertraglich vereinbarte unbezahlte Sonderurlaube nach dem 2. Geburtstag des Kindes nicht einer Beschäftigung in Österreich gleichgestellt - es erfolgte der Hinweis auf die entsprechende Vereinbarung der Berufungswerberin von bis . Der Geburt des zweiten Kindes K2 sei eine vertragliche Karenz (Sonderurlaub) vorausgegangen. Da eine solche bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht einer Beschäftigung in Österreich gleichzuhalten sei, sei gegenständlich vielmehr ausschließlich das Fürstentum Liechtenstein als einziger Beschäftigungsstaat für die familienbezogenen Leistungen zuständig.
Das Finanzamt schloss den Rat an, der Kindesvater möge bei seinem liechtensteinischen Arbeitgeber den Antrag auf Kinderzulagen einbringen und wies auf die Möglichkeit einer Ausgleichszahlung hin.
Die Berufungswerberin brachte Anträge auf Vorlage ihrer Berufungen an die Abgabenbehörde II. Instanz ein. Hinsichtlich K1 führte sie aus: Sie habe von bis Entgelt von ihrem Arbeitgeber ausbezahlt erhalten und sei bei der AKK versichert gewesen. Familienbeihilfe für K1 stehe jedenfalls von November 2012 bis Jänner 2013 zu.
Hinsichtlich K2 erläuterte sie: Maßgeblich sei die Situation ab Dezember 2012. Vor dem Geburtsdatum habe sie sich in einer Situation befunden, die einer Beschäftigung gleichgestellt sei. Anschließend habe sie den gesetzlichen Karenzurlaub bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres des Kindes in Anspruch genommen, in dem sie sich derzeit noch befinde. Es handle sich auch hier um eine einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Tätigkeit. Daher stehe die Familienbeihilfe für K2 zu.
Über die Berufung wurde erwogen:
Nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.
Die Berufungswerberin war bis zur Geburt ihres ersten Kindes stets in Österreich berufstätig, wo sich auch der Wohnsitz der Familie samt heute zwei minderjährigen Kindern befindet. Ihr Lebensgefährte und Vater der Kinder übt seit eine Berufstätigkeit in Liechtenstein aus.
Die Freizügigkeit von Personen stellt eine der Grundfreiheiten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dar. Zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört auch Liechtenstein (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 3 Rz 43). Im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Personen steht die Unionsgesetzgebung zur sozialen Sicherheit, getragen von dem Gedanken, dass Personen, die in einem Mitgliedstaat wohnen und in einem anderen arbeiten, dadurch keine Nachteile erleiden sollen.
Familienleistungen, und damit insbesondere Familienbeihilfen, sind unionsrechtlich dem Bereich der sozialen Sicherheit zugeordnet.
Die VO (EG) Nr. 883/2004 ist vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit erlassen worden und gelangt grundsätzlich in Österreich zur Anwendung. Als Kernleistung ist in dieser VO (EG) die Familienbeihilfe vereinbart worden. Zur VO (EG) gehört die Durchführungsverordnung (EWG) 574/72.
Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel. Abs. 2 leg. cit. legt fest: "Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrerBeschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben."
Die VO (EG) Nr. 883/2004 knüpft nicht an den Arbeitnehmerbegriff der alten Verordnung (EG) 1408/71 an, sondern an die Ausübung einer Beschäftigung. Darunter ist eine rechtmäßige, erlaubte Tätigkeit gegen Arbeitsentgelt zu verstehen. Nach nationalem, österreichischem Recht erfüllen alle beschäftigten ASVG-Versicherten über der Geringfügigkeitsgrenze das Begriffserfordernis. Gemäß Art. 1 der in Geltung stehenden VO (EG) bezeichnet der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt (vgl. ).
Als eine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation gilt der Bezug einer Geldleistung aufgrund oder infolge einer Beschäftigung. Dazu gehören etwa der Bezug von Krankengeld, Wochengeld und anderen Leistungen, die aus einer unselbständigen Tätigkeit gebühren. Nicht darunter fallen freiwillige Versicherungen, Familienbeihilfen- oder Kinderbetreuungsgeldbezug sowie Sozialhilfebezug. Der Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Weiterbildungsgeld) ist im Bereich des anwendbaren Rechts (Art. 11) einer Beschäftigung gleichgestellt, aber es bestehen dort Sonderregelungen.
Unter Karenz versteht man die arbeitsrechtliche Freistellung von der Arbeitsleistung anlässlich der Geburt eines Kindes gegen Entfall der Bezüge ohne Sozialversicherung. Die österreichische gesetzliche Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz ist der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt. Vereinbarungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer über zusätzliche Freistellungen, die über die Dauer der gesetzlichen Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz (bis maximal zum 2. Geburtstag) hinausgehen, sind Sonderurlaube, die nicht unter die Gleichstellung mit der Ausübung einer Beschäftigung fallen (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967, BGBl. Nr. 376/1967 idF BGBl. Nr. 131/2008, 4.1.1.1., 4.1.1.2.).
Für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen hat die VO (EG) in ihrem Art. 68 festgelegt: "(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln: a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: An erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche,.............b)Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien: i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung......."
Strittig ist: Gilt die Berufungswerberin ab August 2012 als in Österreich beschäftigt im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004?
A) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag betreffend K1, geb. : Die österreichische gesetzliche Karenz, die der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt ist, endet spätestens am 2. Geburtstag des Kindes. Der 2. Geburtstag von K1 fiel auf den . Bis Juli 2012 gebührten daher Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Recht. Laut Versicherungsdatenauszug war die Berufungswerberin von " bis laufend" selbstversichert. Innerhalb dieses Zeitraumes wurde von bis eine vertragliche Karenz vereinbart. Ein solcher "Sonderurlaub" ist nicht der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt (siehe oben). Für die Monate August, September und Oktober 2012 stehen daher Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für K1 nicht zu. Ab befand sich die Berufungswerberin im Mutterschutz vor der Geburt ihres zweiten Kindes, jedoch laut Aktenlage ohne Anspruch auf Wochengeld. Im Art. 11 Abs. 2 der VO (EU) heißt es: ".....wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung ....eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben." Da die Berufungswerberin im November 2012 keine Geldleistung aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung bezog, stehen ihr auch für diesen Monat Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht zu (allfällige, nicht in der Auszahlung von Geldleistungen bestehenden Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber vermögen daran nichts zu ändern). Für die Zeit von bis erhielt die Berufungswerberin laut Vorbringen und Belegen im Akt, die auch in ihrem Versicherungsdatenauszug Bestätigung finden, ein Entgelt gemäß § 8 Abs. 4 Angestelltengesetz aufgrund ihrer Beschäftigung für die Lebenshilfe X. Für Dezember 2012 und Jänner 2013 gebühren daher Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für K1.
Im Sinne der Prioritätsregeln gemäß Art. 68 Abs. 1 lit. a VO (EG) ist für die Monate, in denen bei der Berufungswerberin keine Beschäftigung und keine einer Beschäftigung gleichgestellte Situation vorliegt, der in einem Mitgliedstaat beschäftigte Kindesvater aufgerufen, dort seine Ansprüche geltend zu machen.
Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Rückzahlungsverpflichtung gemäß §§ 26 Abs. 1 FLAG und 33 Abs. 3 EStG 1988, die demnach für die Monate August 2012 bis November 2012 seitens des Finanzamtes zu Recht geltend gemacht wurde, wird auf die erschöpfenden Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung verwiesen.
B) Familienbeihilfe betreffend K2, geb. : Ab der Geburt ihres zweiten Kindes erhielt die Berufungswerberin, wie oben ausgeführt, ein Entgelt aufgrund ihrer Beschäftigung für die Lebenshilfe X ( bis ). Für diese beiden Monate steht ihr daher Familienbeihilfe für K2 zu. Ab dem am endenden Mutterschutz befand (und befindet) sich die Berufungswerberin laut Aktenlage in der gesetzlichen Karenz. Da die österreichische gesetzliche Karenz, wie schon ausgeführt, der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt ist, gebührt der Berufungswerberin auch ab Februar 2013 bis jedenfalls zum zweiten Geburtstag K2´s die Familienbeihilfe für sie.
Der Bescheid, mit dem der Antrag auf Familienbeihilfe für K2 ab Dezember 2012 abgewiesen wurde, war daher gemäß § 289 Abs. 2 BAO aufzuheben.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
Feldkirch, am
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Materie | |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 4 AngG, Angestelltengesetz, BGBl. Nr. 292/1921 § 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 289 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 11 Abs. 1 und 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 |
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