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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 02.07.2013, RV/0531-W/13

Familienbeihilfe und Verordnung (EG) 883/2004

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., Polen, gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel betreffend Differenzzahlung an Familienbeihilfe für die Monate Mai, Juni, Juli und Oktober 2011 entschieden:

Der Berufung wird insofern teilweise stattgegeben, als die Differenzzahlung an Familienbeihilfe für den Monat Oktober 2011 gewährt wird. Im Übrigen, somit die Monate Mai, Juni und Juli 2011 betreffend, wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw) besitzt die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft. Er ist verheiratet und stellte im März 2012 einen Antrag auf Gewährung der Differenzzahlung zur Familienbeihilfe für seine Töchter B., geb 1996, und A., geb 1998. Beide befinden sich in Schulausbildung.

Das Finanzamt gewährte dem Bw mit Ausgleichszahlungsbescheid vom nur für die Monate Jänner bis April, August und September sowie November und Dezember 2011 die Ausgleichszahlung inkl Kinderabsetzbetrag; dies mit der Begründung, dass für die restlichen Monate keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt worden sei bzw keine Geldleistungen bezogen worden seien.

Der Bw erhob gegen den Ausgleichszahlungsbescheid insofern Berufung, als er die Ausgleichszahlung auch für die Monate Mai, Juni, Juli und Oktober 2011 begehrt.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (dh arbeitet ein Elternteil im EU/EWR-Raum) sind bezüglich der Familienleistungen nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten sondern die Verordnung 883/2004 (des Europäischen Parlaments und Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) bzw. die DVO 987/2009 (des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO 883/2004 (gültig seit )) zur Koordinierung der Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbständige, welche innerhalb der EU-EWR zu- und abwandern.

Die Verordnung regelt bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, welcher Staat vorrangig zur Zahlung der Familienleistungen zuständig ist.

Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Familienbeihilfe richtet sich grundsätzlich nach dem anwendbaren Recht der VO, bestimmt in den Art. 11 bis 16. Vorrangig ist jener Mitgliedsstaat zuständig, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Gemäß Artikel 59 der DVO hat im Fall eines Zuständigkeitswechsels während eines Kalendermonats der zu Beginn dieses Kalendermonats zuständige Staat seine Familienleistungen bis zum Monatsende zu erbringen. Dabei ist es unbeachtlich, ob die nationalen Regelungen gegebenenfalls eigentlich andere Zahlungsfristen, wie zB Tagesbeträge, vorsehen. Der bisher zuständige Staat zahlt daher seine Leistungen bis zum Monatsende weiter. Es ist so vorzugehen, als ob die Zuständigkeit bis zum Ende des Monats andauert.

Ihre Gattin, Frau S.D., geht lt. vorgelegten E411 in Polen keiner Beschäftigung nach. Der gemeinsame Familienwohnsitz befindet sich lt. E401 in Polen. Ihre beiden Kinder besuchen die Schule in Polen.

Lt. Sozialversicherungsauszug waren Sie in Österreich im Jahr 2011 wie folgt beschäftigt:


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von
bis
Arbeitgeber
Arbeiter DP GmbH
Arbeiter DP GmbH
Arbeiter DP GmbH
Winterfeiertagsentschädigung Bauarbeiter-Urlaubs und Abfertigungskasse
Arbeiter O. GmbH
Arbeiter XX GmbH

Im Monat Jänner, Februar, März, Mai, Juli und Oktober war am Beginn des Monats Polen für die Zahlung der Familienleistungen zuständig, da ihre unselbständige Erwerbstätigkeit erst nach dem Monatsersten (im Laufe des Monats) aufgenommen wurde. Am Beginn des Monats war Polen aufgrund des Familienwohnsitzes (da kein Elternteil in einem anderen EU/EWR Staat selbständig oder unselbständig tätig war) zuständig.

Im Juni wurde in Österreich keine selbständige bzw. unselbständige Tätigkeit ausgeübt. Gemäß Artikel 59 der DVO ist der am Beginn des Monats zuständige Staat bis zum Monatsende weiterhin zuständig. In Österreich besteht daher für diese Monate kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Ausgleichszahlung."

Der Bw führt in seinem dagegen eingebrachten Vorlageantrag im Wesentlichen aus, dass er der Meinung sei, dass laut der entsprechenden EU Verordnungen das Land, in welchem die Beschäftigung ausgeübt wird, für die Familienleistungen zuständig sei. Er habe uA in den Monaten Mai, Juli und Oktober in Österreich die Erwerbstätigkeit ausgeübt, weshalb ihm die Ausgleichszahlung zustehe. Aus den vom Finanzamt zitierten Art 59 DVO sei nicht ersichtlich, dass das Arbeitsverhältnis ab Anfang des Monats beginnen müsse, um jegliche Familienleistungen bekommen zu können. Er und seine Ehefrau würden in Polen wegen der Überschreitung der Einkommensgrenze (504 PLN pro Person) kein Kindergeld erhalten. Auch wenn er jetzt den Antrag stellen würde, gäbe es keine rückwirkende Bearbeitung, weil das bei der polnischen Stelle nicht vorgesehen sei.

Über die Berufung wurde erwogen:

Folgender Sachverhalt steht fest:

Der Bw, seine beiden mj Kinder und die Ehegattin sind polnische Staatsbürger und haben ihren ständigen Aufenthalt am Familienwohnsitz in Polen. Der Bw ist auch deutscher Staatsbürger.

Die beiden Kinder befinden sich in Schulausbildung.

Der Bw war in Österreich und Deutschland als Hilfsarbeiter (Baubranche) bei Personalleasingfirmen beschäftigt und unterlag als solcher der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung.

Der Bw hatte vom bis einen Hauptwohnsitz in Wien und ist seit mit einem Nebenwohnsitz in L gemeldet. Im Jahr 2011 hatte er auch einen Wohnsitz in Frankfurt, Deutschland.

Die Gattin des Bw übte im Jahr 2011 in Polen keine Beschäftigung aus. Sie stellte in Polen keinen Antrag auf Familienleistungen.

Weder der Bw noch die Ehegattin bezogen in Polen im Jahr 2011 Familienleistungen. Es bestand auch kein Anspruch auf polnische Familienbeihilfe.

Der Bw war in Österreich wie folgt beschäftigt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
Arbeiter
-
Arbeiter
-
Arbeiter
-
Arbeiter DP GmbH
-
Winterfeiertagsentschädigung Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse
-
Arbeiter O. GmbH
-
Vorläufige Schwerarbeit gem. § 1 Abs. 1 Z 4
-
Arbeiter XX GmbH
-
Arbeitslosengeldbezug
-
Arbeiter XX GmbH
-
Winterfeiertagsentschädigung Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse
-
Arbeiter
-
Arbeiter O. GmbH

In den Monaten April, Mai, Juni und Juli des Jahres 2011 war der Bw auch in Deutschland nichtselbständig erwerbstätig. Er war vom bis als Hilfsarbeiter (Vollzeitarbeitskraft) bei der P Bau GmbH (Bau- und Zeitarbeitsunternehmen) mit Sitz in Deutschland, in der Baubranche gemäß Arbeitsvertrag vom beschäftigt und unterlag in Deutschland der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Pensions-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die entsprechenden Beiträge wurden entrichtet. Der Bw war im Personalleasing(Zeitarbeits) bereich der P Bau GmbH eingesetzt.

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:

Die persönlichen Verhältnisse des Bw und seiner Familienangehörigen sind unbestritten. Die Schulausbildung der Kinder wurde durch geeignete Unterlagen im Verfahren vor dem Finanzamt (FA) nachgewiesen. Dass die Gattin in Polen nicht erwerbstätig war und keinen Antrag auf Familienleistungen stellte, ist durch das im FA-Akt befindliche Formular E 411 vom erwiesen. Dass in Polen keine Familienleistungen bezogen wurden, ist unbestritten.

Dass in Polen kein Anspruch besteht, ergibt sich aus den vom UFS durchgeführten Ermittlungen. Demnach besteht in Polen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe (Kindergeld), wenn die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschritten wird. Diese beträgt nach den Ermittlungen des Unabhängigen Finanzsenats (http://www.missoc.org/MISSOC/INFORMATIONBASE/COMPARATIVETABLES/MISSOCDATABASE/comparativeTablesSearchResult_de.jsp) pro Kopf im Monat PLN 504,-- (€ 119) und wurde nach den vorliegenden Lohnzetteln sowohl im Jahresdurchschnitt 2011 als auch im Monat Oktober 2011 auf Grund der Einkünfte des Bw überschritten. Die Feststellungen über die Wohnsitze des Bw in Österreich beruhen auf einer vom FA durchgeführten Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister. Der deutsche Wohnsitz des Bw ergibt sich schlüssig aus dem vorliegenden Arbeitsvertrag des Bw mit der P Bau GmbH, der deutschen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2011, den Entgeltabrechnungen für 5,6, und 7/2011 und der Anmeldebescheinigung des Bw zur deutschen Sozialversicherung; in sämtlichen dieser Unterlagen ist eine deutsche Adresse des Bw in Frankfurt angegeben. Darüber hinaus hatte der Bw in der Zeit von bis keinen inländischen Wohnsitz gemeldet, sodass auch aus diesem Grund die Existenz eines deutschen Wohnsitzes nachvollziehbar ist.

Dass der Bw im Bereich Personalleasing beschäftigt war, ist aus den vorliegenden Dienst- und Arbeitsverträgen ersichtlich. Die Beschäftigungsverhältnisse des Bw in Österreich sowie die auf diesen Beschäftigungen beruhenden Zahlungen wie Arbeitslosengelder und Winterfeiertagsentschädigungen sind durch den Versicherungsdatenauszug vom und durch vorliegende Dienstverträge erwiesen. Die während der Beschäftigten- und Arbeitslosenzeiten bestehende Pflichtversicherung des Bw in der inländischen gesetzlichen Sozialversicherung ist unbestritten. Das Beschäftigungsverhältnis des Bw in Deutschland und die in dieser Zeit dort bestehende Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung ist durch die oben erwähnten Unterlagen (Arbeitsvertrag, Anmeldebescheinigung bei der deutschen Sozialversicherung, Lohnsteuerbescheinigung mit Ausweis der abgeführten Sozialversicherungsbeiträge) erwiesen.

Rechtlich folgt aus dem festgestellten Sachverhalt:

Nach § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe. Nach Abs 2 leg cit hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben gemäß § 3 Abs 1 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I Nr 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten. Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 3 Abs 2 leg cit für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

§ 4 Abs 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe haben.

In § 4 Abs 2 FLAG 1967 ist vorgesehen, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs 1 und § 5 Abs 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

Nach § 4 Abs 6 FLAG 1967 gilt die Ausgleichszahlung, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe, als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes.

Gemäß § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs 1 FLAG 1967, dass § 5 Abs 3 FLAG 1967 in Bezug auf EWR-Staatsbürger grs nicht gilt; diese sind in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Dabei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des EWR nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Im Berufungsfall sind nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten. Vielmehr ist die Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (idF VO), die ab gilt, anzuwenden. Diese hat allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ("Durchgriffswirkung"). Die VO geht dem nationalen Recht in ihrer Anwendung vor ("Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts").

Die VO gilt nach ihrem Art 91 ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung.

Die Durchführungsverordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: DVO) trat nach ihrem Art 97 am in Kraft.

Somit gilt die VO ab und ist für den Streitzeitraum anzuwenden.

Gemäß Artikel 1 der VO bezeichnet der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt. Voraussetzung ist die Ausübung einer erlaubten Tätigkeit gegen Arbeitsentgelt. Dabei ist auf das nationale Recht abzustellen. Zu den Beschäftigungen gehören auch geringfügige Beschäftigungen. Erforderlich ist aber, dass eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt wird, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich "als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen". (S EuGH, C-357/89, Rs Raulin). Davon kann zB ausgegangen werden, wenn eine Beschäftigung nicht regelmäßig, sondern nur sporadisch ausgeübt wird. Bloße Gelegenheits- oder Gefälligkeitsarbeiten fallen daher nicht unter den Begriff "Beschäftigung". Familienangehöriger ist gemäß Art 1 lit i) Z 1 sublit i) der VO jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Nach Art 1 lt j) der VO bezeichnet der Ausdruck "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.

Nach Art 1 lit z) der VO bezeichnet der Ausdruck "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen.

Die VO gilt nach ihrem Art 2 Nr 1 uA für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Die VO gilt nach ihrem Art 3 Abs 1 lit j auch für die Familienleistungen.

Nach Art 4 der VO haben Personen, für die diese VO gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aG der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wie die Staatsangehörigen dieses Staats.

Sofern in der VO nichts anderes bestimmt ist, dürfen gemäß ihres Art 7 Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser VO zu zahlen sind, nicht aG der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt oder wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Nach Art 67 der VO hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten die in Art 68 der VO ausgeführten Prioritätsregeln.

Da der Bw polnischer und deutscher Staatsangehöriger, somit Staatsangehöriger von zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist und ein grenzüberschreitender Sachverhalt zu beurteilen ist, unterliegen er und seine Familienangehörigen, seine beiden Kinder und seine Ehegattin dem persönlichen Anwendungsbereich der VO.

Da die in Streit stehende Familienbeihilfe unter die Familienleistungen iSd VO zu subsumieren ist, ist die VO im vorliegenden Fall auch sachlich anwendbar.

Daher finden die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs 1 FLAG, des § 2 Abs 8 FLAG und des § 5 Abs 3 FLAG zufolge des im Art 7 der VO normierten Anwendungsvorrangs im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Auch die Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG finden wegen des in Art 4 der VO normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese VO gilt, auf den Bw und seine Familienangehörigen keine Anwendung.

Art 11 der VO lautet:

"Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

...

e) Jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anderslautender Bestimmungen dieser VO, nach denen ihr Leistungen auf Grund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."

Nach Art 11 Abs 1 der VO gelten die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Dies ist entsprechend dem Grundsatz des Art 11 Abs 3 lit a der VO der Staat, in dem die Person abhängig beschäftigt ist oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unabhängig davon, ob sie in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Für den Bw ist daher festzustellen, welcher Mitgliedstaat (ausschließlich) zur Erbringung vom Familienleistungen zuständig ist.

Dies bedeutet für die Monate Mai und Juni 2011: Der Bw war in diesen Monaten in Deutschland als Hilfsarbeiter (Vollzeitarbeitskraft) nichtselbständig erwerbstätig, unterlag dort der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Pensions-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und hat aG dieser Tätigkeit eine Geldleistung bezogen. Er hat in Deutschland eine Beschäftigung ausgeübt und es besteht daher kein Zweifel daran, dass er in diesen Monaten nach den Art 11 und 12 der VO ausschließlich den Rechtsvorschriften Deutschlands unterlag. In Österreich war er in diesen Monaten nicht beschäftigt, sondern bekam nur die Winterfeiertagsentschädigung aus der Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungskasse nachträglich ausbezahlt, was mit der Ausübung einer Beschäftigung nicht gleichgesetzt werden kann. Da es sich nicht um denselben Arbeitgeber handelt, liegt eine Entsendung iSd Art 12 der VO nicht vor, sodass diese Bestimmung nicht zur Anwendung gelangt. Da der Bw in diesen Monaten ausschließlich den Rechtsvorschriften Deutschlands unterlag, ist, dieser Mitgliedstaat für die Gewährung von Familienleistungen zuständig. Die Ehegattin des Bw ist polnische Staatsangehörige, wohnt in Polen und ist nicht erwerbstätig. Eine Zuständigkeit Österreichs kann an diesen Sachverhalt nicht geknüpft werden. Bemerkt wird, dass die Ausführungen in der Berufung, wonach der Bw uA in den Monaten Mai und Juli in Österreich die Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, nicht mit dem Akteninhalt übereinstimmen. Für die Monate Mai und Juni 2011 hat der Bw keinen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung).

Monat Juli 2011: In diesem Monat war der Bw vom 1.7. - 18.7. als Hilfsarbeiter (Vollzeitarbeitskraft) bei der P Bau GmbH (Bau- und Zeitarbeitsunternehmen) mit Sitz in Deutschland, in der Baubranche beschäftigt. Von 18.7. - 31.7. war er als Hilfsarbeiter bei der Arbeiter O. GmbH (Zeitarbeitsunternehmen) mit Sitz in Österreich in der Baubranche beschäftigt. Der Bw unterläge daher bis 18.7. den Rechtsvorschriften Deutschlands und ab 18.7. den Rechtsvorschriften Österreichs. In diesem Fall, nämlich wenn sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und damit die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ändern, bestimmt jedoch Art 59 der DVO, dass der Mitgliedstaat, der zu Beginn des Monats zuständig war, die Leistungen bis zum Ende dieses Monats weiterhin erbringt. Daher ist Deutschland im Monat Juli 2011 der für die Gewährung von Familienleistungen ausschließlich zuständige Mitgliedstaat. Für den Monat Juli 2011 hat der Bw keinen Anspruch auf Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung)

Monat Oktober 2011: Der Bw war in diesem Monat vom 3.10. - 31.10. (und nachher) als Arbeiter in Österreich in der Baubranche bei X GmbH (Personalleasing) nichtselbständig beschäftigt. Vorher war er vom - ebenfalls in Österreich nichtselbständig erwerbstätig. Der Bw unterliegt daher vom 3.10. - 31.10 ausschließlich den Rechtsvorschriften Österreichs, was die inländische Zuständigkeit zur Erbringung von Familienleistungen begründet. Das FA meint, zu Beginn des Monats Oktober sei Polen als Familienwohnsitz für die Zahlung der Familienleistungen zuständig gewesen, da die unselbständige Erwerbstätigkeit erst nach dem Monatsersten aufgenommen worden wäre und beruft sich dabei auf Art 59 DVO, dessen Absatz 1 wie folgt lautet:

"(1) Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriftengezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monatsgewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort."

Nach Ansicht des UFS liegt im Monat Oktober 2011 kein Anwendungsfall der Änderung der Rechtsvorschriften während eines Kalendermonats vor. Grundsätzlich sollen die Betroffenen nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. (Siehe und C 612/10 Waldemar Hudzinski und Jaroslaw Wawrzyniak). Dies ist entsprechend dem Grundsatz des Art 11 Abs 3 lit a der VO der Staat, in dem die Person abhängig beschäftigt ist. Seit bis zumindest ist der Bw in Österreich nichtselbständig beschäftigt. Die Unterbrechung vom bis beruht darauf, dass der Bw den Arbeitgeber gewechselt hat. Der war ein Donnerstag und der ein Montag. Es lag also nur 1 Tag (Freitag) und das Wochenende zwischen den Beschäftigungsverhältnissen des Bw. Von einer Zuständigkeitsänderung kann hier nicht gesprochen werden. Dies wäre eine überzogene und dem Sinn der VO nicht entsprechende Auslegung. Es ist von einer durchgehenden inländischen Beschäftigung auszugehen. In diesem Zusammenhang ist auf das Erkenntnis des Zl 2012/16/0066 zu verweisen. Demnach wird eine selbständige Tätigkeit nach der VO nicht nur dann ausgeübt, wenn nach außen hin ersichtliche Handlungen gesetzt werden, sondern auch dann, wenn eine nach außen hin nicht unmittelbar erkennbare Tätigkeit im engen Zusammenhang mit diesen Handlungen entfaltet wird. So liegt bei einer Betreuungsperson ("24-Stunden Pflege") bei einer mehr zweimonatigen Unterbrechung der tatsächlichen Tätigkeit bei durchgehender Pflichtversicherung und aufrecht gemeldetem Gewerbe eine durchgehende Ausübung der selbständigen Tätigkeit vor. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten, wenn der Bw den Dienstgeber wechselt und drei Tage (wovon zwei Tage auf das Wochenende entfallen) nicht beschäftigt ist.

Darüber hinaus besteht in Polen kein Anspruch auf Familienleistungen für den Bw und seine Gattin, da sie über den maßgeblichen Einkommensgrenzen liegen. Der UFS geht von dem Grundsatz aus, dass die europarechtlichen Konkurrenzvorschriften der VO nur dann zur Anwendung gelangen, wenn zuvor festgestellt wird, dass ein Familienbeihilfenanspruch nicht nur nach nationalem österreichischen Recht, sondern auch nach dem Recht eines weiteren Mitgliedstaates der EU besteht. Erst dann ist zu klären, welcher der beiden Ansprüche auf Familienleistungen nach den überstaatlichen Konkurrenzregeln vorrangig ist. Arg: Art 59 Abs 1 DVO "Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen ..." Im Kalendermonat Oktober 2011 hat sich die Zuständigkeit nicht geändert, da Polen wegen Überschreitung der Einkommensgrenzen nicht zuständig war. Hätte die Ehegattin des Bw einen Antrag auf Familienleistungen in Polen gestellt, wäre dieser abgewiesen worden. Es besteht daher eine ausschließliche Zuständigkeit Österreichs. (Siehe auch GZ RV/2989-W/10 vom ; Niedersächsisches FG , 3 K 155/11).

Die Familienbeihilfe (Differenzzahlung) steht daher auch aus diesem Grund für den Monat Oktober 2011 zu.

Der Bescheid war daher insoweit abzuändern.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 3 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 59 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1

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