Vorliegen eines haftungsbegründenden Sachverhaltes
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Berufungswerber (Bw) als Haftungspflichtigen gemäß § 9 Abs. 1 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der A-GmbH im Ausmaß von € 211.886,91 in Anspruch.
In der dagegen eingebrachten Berufung führte der Bw aus, dass der vorliegende Bescheid in seinem gesamten Umfang angefochten werde.
Der vorliegende Bescheid sei unmittelbar nach Aufhebung des Konkursverfahrens über das Vermögen der A-GmbH erlassen worden, ohne dem Bw Gelegenheit an der Mitwirkung im Verfahren zu geben. Damit sei einerseits das gesetzlich vorgeschriebene Recht auf Parteiengehör verletzt worden, andererseits hätte bereits im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren dargestellt werden können, dass unter den beiden Geschäftsführern der Gesellschaft eine Kompetenzaufteilung bestanden habe, der zufolge ausschließlich KS für das gesamte Finanzwesen und insbesondere die steuerlichen Belange zuständig gewesen sei.
Die A-GmbH sei mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet worden und habe ihren Sitz in der politischen Gemeinde Wien. Die Gesellschaft wird ab Gründung von zwei selbstständig vertretungsbefugten Geschäftsführern, dem Bw und S., vertreten.
Während der in Graz lebende Bw sich um den Vertrieb und den Außendienst habe kümmern sollen, sei der am Sitz der Gesellschaft lebende KS für sämtliche finanzielle Belange, insbesondere für die Abgabe von Steuererklärungen und die Entrichtung von Abgaben zuständig gewesen.
Der Bw habe Anfang des Jahres 2006 in Erfahrung bringen müssen, dass KS entgegen der internen Kompetenzverteilung und entgegen anders lautender ausdrücklicher Zusagen und Versicherungen weder Buchhaltungstätigkeiten durchgeführt habe, noch entsprechende Zahlungen an die Gebietskrankenkasse, das Finanzamt und andere Gläubiger veranlasst habe.
Unmittelbar nach Erkennen dieser Verfehlungen habe der Bw nach dem Scheitern persönlicher Interventionen anwaltliche Hilfe gesucht und bereits am die Kündigung der Gesellschaft bekanntgegeben. KS habe die Stammanteile des Bw an der Gesellschaft übernehmen wollen und hätte der Bw gleichzeitig als Geschäftsführer abberufen werden sollen. Nur vor dem Hintergrund dieser Zusicherungen habe er eine formale Zurücklegung der Geschäftsführung unterlassen.
Die anwaltlichen Schreiben vom 13. März, 20. März und seien unberücksichtigt geblieben.
Auf Grund der Verfehlungen des KS sei es in weiterer Folge am April 2006 zur Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen der A-GmbH gekommen. Damit seien sämtliche Bemühungen um eine Abtretung der Anteile bzw. eine Beendigung der Geschäftsführerfunktion für den Bw hinfällig gewesen.
Seien mehrere potenziell Haftende vorhanden, richte sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut sei. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer sei in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dies treffe auf den Bw zu. Er sei nicht mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut und von den steuerlichen Angelegenheiten sowohl aufgrund der herrschenden Kompetenzverteilung als auch aufgrund der räumlichen Entfernung zum Büro der Gesellschaft ausgeschlossen gewesen.
Der Bw wäre nur dann haftbar, wenn er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten bestellten Geschäftsführers nichts unternehme, um Abhilfe zu schaffen. Im gegenständlichen Fall hätten ihm triftige Gründe die Erfüllung der Überwachungspflicht unmöglich gemacht. Er habe sich regelmäßig bei seinem Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer KS nach den wirtschaftlichen Angelegenheiten und insbesondere auch nach der Erfüllung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen erkundigt. Dabei sei ihm stets versichert worden, dass sämtliche Erklärungen fristgerecht abgegeben und sämtliche Zahlungen geleistet würden. Er habe keinen Anlass an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung seines Partners zu zweifeln gehabt. Er habe den Auskünften des weiteren Geschäftsführers über dessen Zuständigkeitsbereich vertrauen dürfen, da die Überwachungspflichten im Rahmen einer Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführern nicht mit denjenigen der Betrauung Dritter gleichgesetzt werden dürften.
Sobald der Bw die Verfehlungen seines Mitgeschäftsführers in dessen Zuständigkeitsbereich erkannt habe, habe er versucht, die Angelegenheit an sich zu ziehen, die Unterlagen aufbuchen zu lassen und die abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft zu erfüllen. Dies sei jedoch Anfang des Jahres 2006 faktisch und wirtschaftlich nicht mehr möglich gewesen, sodass er sich zur Aufkündigung der Gesellschaft entschlossen habe. Die Zurücklegung seiner Funktion als Geschäftsführer sei nur aufgrund der Zusagen des KS unterblieben, die Gesellschaftsanteile des Bw übernehmen und gleichzeitig seine Abberufung veranlassen zu wollen. Bereits vorbereitete entsprechende Urkunden seien von KS jedoch nicht unterfertigt worden.
Die Gläubiger der A-GmbH hätten durch den Masseverwalter eine Quote von 15,8954% erhalten. Diese Quotenausschüttung werde im gegenständlichen Haftungsbescheid nicht berücksichtigt. Tatsächlich wäre sie allerdings in Anrechnung zu bringen.
Aus den Forderungsanmeldungen im Konkursverfahren über das Vermögen der A-GmbH ergebe sich, dass auch sämtliche übrige Gläubiger im relevanten Zeitraum keinerlei Zahlungen erhalten hätten. Damit sei das Finanzamt nicht schlechter gestellt als die übrigen Gläubiger. Eine schuldhafte Benachteiligung des Finanzamtes liege aus diesem Grund nicht vor.
Der Bw sei nicht in der Lage, Zahlungen auf die Haftungssumme zu leisten. Mit sei ein Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Bw mangels Kostendeckung nicht eröffnet worden.
Der Berufungswerber stelle den Antrag, den Haftungsbescheid vom zu beheben und das Verfahren einzustellen.
Mit Eingabe vom legte der Bw zwei Bestätigungen von ehemaligen Steuerberatern der A-GmbH vor, durch welche die vom Bw in der Berufung dargelegte interne Geschäftsaufteilung bestätigt wird.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Unbestritten ist, dass dem Bw als selbstständig vertretungsbefugtem Geschäftsführer der Abgabepflichtigen laut Eintragung im Firmenbuch von (bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens über deren Vermögen mit Beschluss des Gs vom April 2006) neben einem weiteren Geschäftsführer die Vertretung der Gesellschaft oblag.
Aufgrund des Vorbringens in der Berufung, wonach unter den beiden Geschäftsführern der Gesellschaft eine Kompetenzaufteilung bestanden habe, der zufolge ausschließlich KS für das gesamte Finanzwesen und insbesondere die steuerlichen Belange zuständig gewesen sei, das durch ehemalige Steuerberater der A-GmbH bestätigt wird, ist davon auszugehen, dass primär der andere Geschäftsführer und nicht der Bw mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut war.
Sind mehrere potentiell Haftende vorhanden, richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (, 0038) danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Verletzt der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, so ist auch er haftbar, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hierfür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln.
Konkrete Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu begründen vermögen, lagen laut Vorbringen des Bw Anfang des Jahres 2006 vor, als er in Erfahrung habe bringen müssen, dass KS weder Buchhaltungstätigkeiten durchgeführt habe, noch entsprechende Zahlungen an die Gebietskrankenkasse, das Finanzamt und andere Gläubiger veranlasst habe.
Danach versuchte der Bw nach seinem Vorbringen, die Angelegenheit an sich zu ziehen, die Unterlagen aufbuchen zu lassen und die abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft zu erfüllen, was jedoch Anfang des Jahres 2006 faktisch und wirtschaftlich nicht mehr möglich gewesen sei.
Laut Schreiben des Vertreters des Bw vom an KS wurde daher im Sinne der Bestimmung fünftens des Gesellschaftsvertrages die Kündigung der Gesellschaft bekanntgegeben, wobei auch die Bereitschaft zur Abtretung der Anteile ausgesprochen wurde, um die Auseinandersetzung der Gesellschaft raschest möglich durchführen zu können.
Laut Schreiben des Vertreters des Bw vom wurden daraufhin die Abtretungserklärungen bzw. Geschäftsführerabberufungsurkunden KS übermittelt, welcher diese trotz ursprünglicher Inaussichtstellung nicht unterfertigte. Der Umstand, dass der Bw aufgrund der Zusicherung der Unterfertigung die formale Zurücklegung der Geschäftsführung unterließ, erscheint in Hinblick auf die am April 2006 folgende Eröffnung des Konkursverfahrens und die damit gegebene gesetzliche Vertretung durch den Masseverwalter als unerheblich, zumal ihm jedenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er trotz der Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternahm, um Abhilfe zu schaffen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass mit Haftungsbescheid vom auch KS gemäß § 9 BAO für die haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten der A-GmbH in Anspruch genommen wurde.
Kommen mehrere Vertreter des Primärschuldners als Haftungspflichtige in Betracht, so ist die Ermessensentscheidung, wer von ihnen in Anspruch genommen wird, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () entsprechend zu begründen
Haften für eine Abgabenschuld zwei oder mehrere Gesamtschuldner, so wird sich die Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Rahmen ihrer Ermessensübung nicht ohne sachgerechten Grund an jene Partei halten dürfen, die nach dem vertraglichen Innenverhältnis die Steuerlast nicht tragen sollte.
Bei der Ermessensübung ist vor allem der Zweck der Haftungsbestimmung zu berücksichtigen (vgl. Ritz, BAO4, § 7 Tz 6). Die Haftung nach § 9 BAO ist ihrem Wesen nach eine Haftung für die von den Haftenden zugefügten Schäden (schadenersatzähnliche Haftung). Die Vertreter haben im Ergebnis für den Schaden des Gläubigers einzustehen, den sie verschuldet haben (vgl. Stoll, BAO, 115). Aufgrund des Ausmaßes der Verantwortlichkeit des KS wegen der vereinbarten Kompetenzaufteilung erscheint somit die Inanspruchnahme des Bw auch als ermessenswidrig, zumal die Haftungsschuld beim Bw ohnehin uneinbringlich ist (vgl. Ritz, ÖStZ 72), da nach dem Vorbringen des Bw mit ein Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Bw mangels Kostendeckung nicht eröffnet worden ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Geschäftsführer Kompetenzaufteilung Ermessensentscheidung |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at