Umdeutung einer Berufungsergänzung in einen Wiederaufnahmsantrag ist unzulässig
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des LP, vom in der Fassung des ergänzenden Schriftsatzes vom gegen den (auch) die Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich Umsatzsteuer für das Jahr 2002 abweisenden Sammelbescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg vom entschieden:
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er einen Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO auf Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich Umsatzsteuer für das Jahr 2002 abweist, aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw) brachte bei der Amtspartei sechs inhaltsgleiche Schriftsätze ein, und zwar 1.) den Wiederaufnahmsantrag vom bezüglich Umsatzsteuer 2000, 2.) den Wiederaufnahmsantrag vom bezüglich Umsatzsteuer 2001, 3.) die Ergänzung vom zur Berufung vom bezüglich Umsatzsteuer für das Jahr 2002, 4.) den Wiederaufnahmsantrag vom bezüglich Einkommensteuer 2002, 5.) den Wiederaufnahmsantrag vom bezüglich Umsatzsteuer 2003 und 6.) den Wiederaufnahmsantrag vom bezüglich Einkommensteuer für das Jahr 2003.
Die Berufungsergänzung trägt den Vermerk des Teamleiters "wird als Antrag § 303 gewertet".
Mit Sammelbescheid vom wies die Amtspartei die Wiederaufnahmsanträge und die in einen Wiederaufnahmsantrag umgedeutete Berufungsergänzung ab, wogegen der Bw sechs Berufungen erhob. Verfahrensgegenständlich wird ausschließlich über die Berufung bezüglich der Abweisung der umgedeuteten Berufungsergänzung abgesprochen. Über die gegen die dem Parteiwillen entsprechenden Wiederaufnahmsanträge von der Amtspartei ausgesprochene Abweisung erging der ha. Bescheid vom , RV/3181-W/08.
In der im Spruch dargestellten Berufung brachte der Bw vor, dass die Abweisung seiner Berufung vom rechtswidrig sei, da eine Abweisung nur von der Abgabenbehörde II. Instanz erfolgen könnte. Seine Berufung vom sei kein Wiederaufnahmsantrag.
Die Umsatzsteuer für das Jahr 2002 betreffend, wird auf die ha. Berufungsentscheidungen vom , RV/4468-W/02, mit welcher die Zurückweisung der gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide Jänner bis August 2002 gerichteten Berufungen ausgesprochen worden war, und vom , RV/0347-W/04, mit welcher über die gegen den Umsatzsteuerveranlagungsbescheid 2002 erhobene Berufung abgesprochen worden war, verwiesen, über die der VwGH mit Erkenntnissen vom , 2004/13/0124 und 2006/13/0102, entschieden hat. Der VwGH hat in den genannten Erkenntnissen zu Recht erkannt, dass § 274 BAO idF AbgRmRefG auch im Verhältnis Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide und Umsatzsteuerveranlagungsbescheide gemäß § 21 Abs. 3 und 4 UStG 1994 anwendbar ist, der Umsatzsteuerveranlagungsbescheid iSd § 274 BAO also trotz fehlender zeitlicher Kongruenz an die Stelle vorangegangener Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide tritt, und daher beide Berufungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Am langten die oben genannten aufhebenden Erkenntnisse vom neben zahleichen anderen ha. ein.
Am wurde der für den Bw zuständige Teamleiter zum Betreff "U 2002" per Mail um Vorlage der Berufungen UF 1-6/2002, 7/2002 und 8/2002 ersucht. Die Amtspartei übermittelte die Unterlagen am , wobei die Kurzmitteilung vom Teamleiter verfasst wurde.
Mit Vorhalt vom erging an den Bw folgende Aufforderung:
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"Betrifft : | Bescheid betreffend
Umsatzsteuer 2002 |
Bezug : | Erkenntnisse 2004/13/0124 und
2006/13/0102 |
Bezugnehmend auf obiges Berufungsverfahren werden Sie ersucht, die Umsatzsteuervoranmeldungen Jänner bis August 2002, die vom Finanzamt erlassenen USt-Festsetzungsbescheide Jänner bis Juni 2002, Juli 2002 und August 2002 sowie Ihre gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen bis längstens vorzulegen. ..."
Der Bw entsprach dem Vorhalt mit Schriftsatz vom und legte die entsprechenden Unterlagen dem UFS vor.
Beiden Parteien war daher seit Anfang August 2008 bekannt, dass beim unabhängigen Finanzsenat das Rechtsmittelverfahren Umsatzsteuer für das Jahr 2002 wiederum "offen" ist. Dennoch deutete die Amtspartei den Ergänzungsschriftsatz zur Berufung in einen Wiederaufnahmsantrag um und dennoch brachte der Bw den Ergänzungsschriftsatz bei der Amtspartei, und nicht bei der mit der Rechtssache befassten Behörde ein.
Am brachte der Bw sohin in Kenntnis der Bescheidaufhebungen durch den VwGH die Ergänzung selbigen Tages zur Berufung vom bezüglich Umsatzsteuer für das Jahr 2002 ein, was angesichts der genannten Erkenntnisse jedoch nicht mehr zutrifft, denn die gegen den Umsatzsteuerveranlagungsbescheid gerichtet gewesene Berufung von ist aufgrund der Weitergeltungsfiktion des § 274 BAO ebenfalls nur mehr als ein Ergänzungsschriftsatz zu den drei vorangegangenen Berufungen zu beurteilen.
Die gegen den Sammelbescheid vom gerichteten sechs Berufungsschriftsätze wurden mit Vorlagebericht vom 6. Oktober vorgelegt und langten ha. am ein.
Im bezüglich Umsatzsteuer 2002 unter den ha. GZ RV/1946-W/08 und RV/1948-W/08 fortgesetzten Berufungsverfahren erging am die Berufungsentscheidung, die mit Zustellung vom in Rechtskraft erwuchs.
Über die Berufung wurde erwogen:
1. Rechtsgrundlagen: Gegen Bescheide, die Abgabenbehörden in erster Instanz erlassen, sind gemäß § 243 BAO Berufungen zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist. Die Berufungsfrist beträgt gemäß § 245 Abs. 1 erster Satz BAO einen Monat.
Gemäß § 273 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde eine Berufung durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung a) nicht zulässig ist oder b) nicht fristgerecht eingebracht wurde.
Gemäß § 276 Abs. 6 BAO hat die Abgabenbehörde erster Instanz die Berufung, über die eine Berufungsvorentscheidung nicht erlassen wurde oder über die infolge eines zeitgerechten Vorlageantrages von der Abgabenbehörde zweiter Instanz zu entscheiden ist, nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen ohne unnötigen Aufschub der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen. Die Abgabenbehörde erster Instanz hat die Parteien (§ 78) vom Zeitpunkt der Vorlage unter Anschluss einer Ausfertigung des Vorlageberichtes zu verständigen.
Gemäß § 276 Abs. 8 letzter Satz BAO umfasst diese Pflicht zur Verständigung weiters Änderungen aller für die Entscheidung über die Berufung bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse.
Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist gemäß § 303 Abs. 1 BAO stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und die in den lit. a oder lit. b oder lit. c normierten Voraussetzungen erfüllt sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
2. rechtliche Würdigung: Wie der unabhängige Finanzsenat in den Bw und seine Lebensgefährtin EK betreffenden Rechtsangelegenheiten wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, löst ein ein Anbringen lediglich ergänzender Schriftsatz keine gesonderte Entscheidungspflicht aus (s. ha. Bescheide vom , RD/0006-W/05; vom , RD/0077-W/05; vom , RV/0609-W/06; vom , RD/0025-W/08). Vielmehr ist die Entscheidung auch über einen Ergänzungsschriftsatz in der Rechtssache zu fällen, in der das Anbringen gestellt wurde. Bereits aus diesem Grund hätte die Amtspartei die Abweisung, betreffend die Ergänzung der Berufung bezüglich Umsatzsteuer 2002, nicht aussprechend dürfen.
Aber auch dem Bw kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, dass er sein Berufungsvorbringen nicht jener Abgabenbehörde vorgetragen hat, die die betreffende Berufung in Bearbeitung hatte, obgleich ihm dieses bekannt war, wie aus der Aktenlage hervorgeht.
Dass die Berufungsergänzung vom aussichtslos ist, ändert nichts daran, dass es an der Amtspartei gelegen wäre, diesen Ergänzungsschriftsatz dem UFS vorzulegen. Berufungsergänzungen werden von der Verständigungspflicht des § 276 Abs. 6 und 8 BAO mitumfasst. Die Umdeutung einer Berufungsergänzung in einen Wiederaufnahmsantrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO - und umgekehrt, wenn ein solcher z. B. bei noch offener Rechtsmittelfrist eingebracht wird - ist unzulässig, denn beide Rechtsschutzinstrumente gehen von völlig verschiedenen Voraussetzungen aus und schließen einander wechselseitig aus.
Nunmehr kann über die zum Umsatzsteuerberufungsverfahren 2002 erstattete Berufungsergänzung aufgrund der zwischenzeitig ergangenen Berufungsentscheidung vom , RV/1946-W/08 und RV/1948-W/08, wegen bereits entschiedener Sache wiederum nicht mehr entschieden werden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 243 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Rechtsschutz Berufung Wiederaufnahme Parteiwille |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
UAAAD-15507