Anregung auf amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO unterliegt nicht der Entscheidungspflicht des § 311 Abs. 1 BAO
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der EK, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO bezüglich der Einkommensteuer für das Jahr 1996, entschieden:
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom in der gemäß § 293 BAO berichtigten Fassung vom setzte die Amtspartei für die Berufungswerberin (Bw) erstmals die Einkommensteuer für das Jahr 1996 fest. Unterbrechungshandlungen waren davor keine gesetzt worden. Aus hier nicht interessierenden Gründen erwuchs dieser Einkommensteuerbescheid unangefochten in Rechtskraft. Zum Verlust der Orientierung im selbst errichteten Verfahrenslabyrinth sei auf das Erkenntnis des , verwiesen.
Mit Datum stellt die Bw den Antrag, die Abgabenbehörde möge die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erstellung eines Festsetzungsbescheides über die EINKOMMENSTEUER 1996 gemäß § 303 Abs. 4 BAO von Amts wegen veranlassen, und führt als Begründung aus, dass die Einkommensteuerfestsetzung für 1996 mit Datum bei der Festsetzung bereits verjährt, die Festsetzung daher rechtswidrig und nach gängiger Judikatur vollkommen ausgeschlossen gewesen sei. Der Eintritt der Verjährung sei im Abgabenverfahren von Amts wegen zu beachten (; 18.10.198887/14/0173). Die Verjährung führe zur sachlichen Unzuständigkeit der Behörde (). Die Verjährung führe zum Verlust des Rechts, den Abgabenanspruch geltend zu machen (Stoll, BAO, 2159, Ellinger ua. BAO3).
Die Amtspartei weist diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom wegen Verjährung gemäß § 209 Abs. 3 BAO zurück. In der form- und fristgerecht eingebrachten Berufung vom wird ausgeführt, dass die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides frühestens am eingetreten sei. Gemäß § 304 BAO sei nach Eintritt der Verjährung eine Wiederaufnahme des Verfahrens gestattet, wenn der Wiederaufnahme ein vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides eingebrachter Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO zu Grunde liegt. Eine Wiederaufnahme sei daher zumindest bis möglich. Die Verjährung könne ja im wiederaufgenommenen Verfahren festgestellt werden. Der angefochtene Bescheid sei mangelhaft, da er nicht angebe, wann die behauptete Verjährung der gegenständlichen Abgabe gemäß § 209 Abs. 3 BAO eingetreten sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
1. Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens unter den in lit. a bis c näher definierten Voraussetzungen stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 ist gemäß § 303 Abs. 2 BAO binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
...
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 85 Abs. 1 BAO sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
Gemäß § 311 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen (§ 85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in den Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
2. Rechtliche Beurteilung:
Beide Parteien gehen offenbar von der Annahme aus, dass Abs. 4 des Paragraphen 303 Bundesabgabenordnung dem Abgabepflichtigen ein Antragsrecht auf Wiederaufnahme eines Verfahrens einräume und demzufolge Entscheidungspflicht bestehe. Dem ist jedoch nicht so.
Wie die Bw in ihrer Berufungsschrift selbst darlegt, beziehen sich ihre Ausführungen auf einen Antrag gemäß § 303 Abs. 1 BAO, während sie aber den verfahrensgegenständlichen Schriftsatz als "Antrag" iSd § 303 Abs. 4 BAO bezeichnet. Absatz 4 des Paragraphen normiert zwar ebenfalls Voraussetzungen einer Wiederaufnahme eines Verfahrens, jedoch unter gänzlich anderen Bedingungen als Absatz 1, denn während Absatz 1 ein Antragsrecht für den Abgabepflichtigen regelt, regelt Absatz 4 die amtswegige Wiederaufnahme durch eine Abgabenbehörde erster Instanz, die allerdings im - zu begründenden - Ermessen der Behörde liegt. Für die antragsgebundene und die amtswegige Wiederaufnahme gelten überdies unterschiedliche Fristen. Wenn die Amtspartei im angefochtenen Bescheid ausführt, eine amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO sei wegen Verjährung nicht mehr möglich, ist sie im Recht und die von der Bw vorgetragenen Fristenberechnung zu einer antragsgebundenen Wiederaufnahme iSd § 303 Abs. 1 BAO wiederum geht an ihrem eigenen Antrag, den sie ausdrücklich auf § 303 Abs. 4 BAO gestützt hat, vorbei. Schließlich führt die Bw in ihrem Wiederaufnahmsantrag gemäß § 303 Abs. 4 BAO keinen Wiederaufnahmsgrund an und auch die Berechnung der Dreimonatsfrist des § 303 Abs. 2 BAO wurde unterlassen, wobei beides angesichts der ha. Berufungsentscheidung vom , RV/0927-W/04, der bezüglich Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 1999 Anträge auf endgültige Festsetzung zu Grunde lagen, als unrealistisch anzusehen ist.
Da die Verfügung der Wiederaufnahme iSd § 303 Abs. 4 BAO im Ermessen der Behörde liegt, besteht kein subjektives Rechts auf Wiederaufnahme von Amts wegen (; vom , 2004/13/0036), sodass eine Anregung auf amtswegige Wiederaufnahme nicht als Anbringen iSd § 85 Abs. 1 BAO anzusehen ist und folglich nicht der Entscheidungspflicht des § 311 Abs. 1 BAO unterliegt. Eine Anregung auf Wiederaufnahme eines Verfahrens durch den Abgabepflichtigen ist zwar denkbar und eine Abgabenbehörde erster Instanz kann einer solchen Anregung bei entsprechender Ermessensübung auch nachkommen, aber in dem Fall, in dem eine Abgabenbehörde einer solchen Anregung nicht nachkommt, muss sie nicht bescheidmäßig absprechen.
Da der angefochtene Bescheid daher nicht hätte ergehen dürfen, war spruchgemäß zu entscheiden.
Darüber hinaus wird, wie bereits in der an die Bw ergangenen Berufungsentscheidung vom , RV/0262-W/07, bemerkt, dass die im Aufhebungsantrag und in der Berufung vertretene Rechtsansicht, der Einkommensteuerbescheid 1996 hätte im Jänner 2004 wegen Verjährung nicht mehr ergehen dürfen, nicht zutreffend ist. Was dem Einkommensteuerbescheid 1996 anhaftet, ist ein Begründungsmangel, denn wie die unten angeführte Rechtslage zeigt, betrug für hinterzogene Abgaben im Zeitpunkt der erstmaligen Erlassung des das Jahr 1996 betreffenden Einkommensteuerbescheides am die Verjährungsfrist für hinterzogene Abgaben noch zehn Jahre. Die Frage der Hinterziehung wäre als Vorfrage - und da ist der Bw zuzustimmen - von Amts wegen im Einkommensteuerbescheid zu beurteilen gewesen. Im Falle einer Berufung wäre dieser Begründungsmangel auch in einer Berufungs(vor)entscheidung sanierbar gewesen.
Gemäß § 207 Abs. 1 BAO, id bis geltenden Fassung des BGBl. I Nr. 142/2000, unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
Gemäß § 207 Abs. 2 BAO, id bis geltenden Fassung des BGBl. I Nr. 142/2000 beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Bei hinterzogenen Abgaben beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. ...
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | |
Schlagworte | Rechtsschutz Wiederaufnahme Anbringen |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at