Sonstiger Bescheid, UFSL vom 05.01.2005, RV/0559-L/04

Bescheidcharakter eines rein automationsunterstützt veranlassten "Säumniszuschlagsbescheides"

Beachte

VwGH-Beschwerde zur Zl. 2005/14/0014 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. v. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit BE zur Zl. RV/0375-L/07 erledigt.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/0559-L/04-RS1
hier: Säumniszuschlag Zusatz: Auf Grund des bloßen Schweigens (zB. zu einer automationsunterstützt vorgenommenen Säumnisanmerkung) kann noch nicht auf eine stillschweigende Genehmigung geschlossen werden, zumal bloßes Schweigen grundsätzlich keinen Erklärungswert hat (vgl. Rummel in Rummel², Rz 15 z u § 863)
RV/0559-L/04-RS2
hier: Säumniszuschlag
RV/0559-L/04-RS3
hier: Säumniszuschlag
Folgerechtssätze
RV/0559-L/04-RS1
wie RV/0014-L/04-RS1
Wesentlich für den Bescheidcharakter eines Schriftstückes ist, dass die nach außen in Erscheinung tretende Erledigung in jedem Einzelfall auf den Willen des durch Gesetz zur Entscheidung berufenen Organes zurückführbar ist (vgl. VfSlg 8844). Im gegenständlichen Fall hat die Amtspartei dargelegt, dass keinem Organ des Finanz­amtes die Möglichkeit eingeräumt war, auf den automationsunterstützt ablaufenden Vorgang der Bescheidausfertigung einen bestimmenden Einfluss zu nehmen. Damit fehlt jedoch dem als "Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages" bezeichneten Schriftstück ein Merkmal, das ein wesentliches Element der Bescheidqualität ist. Ein Bescheid ist mehr als ein Schriftstück, das nach außen hin alle erforderlichen Bescheidmerkmale aufweist. Ein Bescheid liegt nur vor, wenn das Schriftstück mit normativem Inhalt auf Grund einer entsprechenden Willensbildung bei jener Behörde entstanden ist, die als bescheiderlassende Behörde aufscheint. Aus dem Fehlen dieses Willens, hoheitlich zu handeln, wird auf das Fehlen des normativen Gehaltes des Aktes geschlossen und einem Schriftstück, das nicht auf diese Willensbildung zurückzuführen ist, fehlt der Bescheid­charakter.
RV/0559-L/04-RS2
wie RV/0014-L/04-RS2
Der Umstand, dass das Computerprogramm, welches die Erlassung des als "Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages" bezeichneten Schriftstückes über Auftrag des Bundesministeriums für Finanzen zur Sicherstellung einer einheitlichen Vorgangsweise bei ähnlich gelagerten Fällen erstellt wurde, kommt keine Bedeutung zu. Dem Bundesministerium für Finanzen obliegt gemäß § 1 Abs. 1 AVOG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem AbgÄG 2003, BGBl I 2003/124) die Besorgung der Geschäfte der obersten Verwaltung des Bundes nach Maßgabe des Bundesministeriums­gesetzes. Hingegen obliegt gemäß § 3 Abs. 1 AVOG den Finanzämtern mit allgemeinem Aufgabenkreis für ihren Amtsbereich die Erhebung der Abgaben, soweit diese nicht anderen Behörden durch die Abgaben­vorschriften übertragen ist. Bei der vom Bundesministerium für Finanzen im Zusammenhang mit der Programmierung stehenden Willensbildung, handelt es sich um eine Willensbildung von Organen einer anderen Verwaltungseinheit, zumal die Aufgabenbereiche zwischen Bundesministerium für Finanzen und dem Finanzamt vom Gesetzgeber klar getrennt wurden. Die Willensbildung von Personen, die nicht Organe jener Verwaltungs­einheit sind, die auf dem Schriftstück als bescheiderlassende Behörde aufscheint, ersetzt nicht die Willensbildung bei dieser Behörde. Ansonsten könnte jede beliebige Person hoheitlich handeln, indem sie anstatt der Organe jener Behörde handelt, die auf dem Schriftstück als bescheiderlassende Behörde aufscheint. Da das Bundesministerium für Finanzen auf dem Schriftstück nicht als jene Stelle aufscheint, die das Schriftstück unzuständigerweise erlassen hat, liegt auch kein (wirksamer) Bescheid einer unzuständigen Behörde vor.
RV/0559-L/04-RS3
wie RV/0014-L/04-RS3
Auch eine generelle Weisung des Bundesministeriums für Finanzen, die Verspätungs­zuschläge im Zusammenhang mit Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in einer bestimmten Art und Weise festzusetzen, ersetzt nicht die Willensbildung bei den weisungsunterworfenen Organen des Finanzamtes. Selbst bei einer generellen schriftlichen Weisung kommt dem untergeordneten Organ schon auf Grund der gesetz­lichen Ausgestaltung des Weisungsrechtes insoweit eine Willensbildung zu, als es über allfällige Ablehnungsgründe und die mögliche Rechtswidrigkeit zu entscheiden hat. Die Willensbildung beim weisungserteilenden Organ ersetzt somit nicht die Willensbildung beim weisungsgebundenen Organ. Dieses wird nicht "willenloses Werkzeug" des Weisungs­gebers zumal es das Recht bzw. die Pflicht hat, die Weisung inhaltlich auf mögliche Ablehnungsgründe oder eine allfällige Rechtswidrigkeit hin zu prüfen. Demnach kann der Wille des Weisungsgebers niemals die für das hoheitliche Handeln notwendige Willensbildung des weisungsunterworfenen Organes einer Abgaben­behörde erster Instanz ersetzen.

Entscheidungstext

Bescheid

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Fa. B., vertreten durch Mag. Andreas Wimmer, Steuerberater, 4020 Linz, Wurmstraße 18, vom gegen das als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" bezeichnete Schriftstück des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr vom entschieden:

Die Berufung wird gemäß § 273 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl Nr. 1961/194 idgF, als unzulässig zurückgewiesen.

Begründung

Sachverhalt:

Die am fällige Lohnsteuer für Dezember 2003 in Höhe von 11.298,26 € und der am fällige Dienstgeberbeitrag für Dezember 2003 in Höhe von 3.149,28 € wurden am durch Verrechnung mit einer sonstigen Gutschrift aus der Umsatzsteuer für November 2003 getilgt.

Von der Bundesrechenzentrum GmbH, 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 4, wurde ein als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" bezeichnetes Schriftstück automationsunterstützt erstellt und an die Berufungswerberin versendet.

Die gegenständliche Berufung vom richtet sich gegen diesen "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" vom .

Mit Berufungsvorentscheidung vom hat das Finanzamt die gegenständliche Berufung als unbegründet abgewiesen.

Die Berufungswerberin brachte mit Schreiben vom einen Vorlageantrag ein.

Die Berufung wurde am dem unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt.

Über Ersuchen des Referenten hat die Berufungswerberin den angefochtenen "Bescheid" übermittelt. Der Referent hat das Finanzamt im Schreiben vom um Stellungnahme ersucht, ob seitens des Finanzamtes ein Organ des Finanzamtes die Erlassung des angefochtenen Bescheides in irgendeiner Form genehmigt hat oder zumindest Organe des Finanzamtes tatsächlich imstande waren, auf den automationsunterstützt ablaufenden Vorgang der Bescheidausfertigung bestimmenden Einfluss zu nehmen.

Das Finanzamt teilte in der Stellungnahme vom mit, dass kein Organ des Finanzamtes die Erlassung des angefochtenen Bescheides genehmigt hat, wenngleich es grundsätzlich in bestimmten, näher beschriebenen Fällen imstande gewesen wäre, auf den automationsunterstützt ablaufenden Vorgang einen bestimmenden Einfluss zu nehmen. Organe des Finanzamtes seien insbesondere imstande gewesen, durch Anmerkung einer Einbringungshemmung einen bestimmenden Einfluss zu nehmen. Auch bestehe die Möglichkeit, dass durch das Finanzamt eine von der EDV gesetzte Vormerkung des Säumniszuschlages gelöscht wird. Erfolgt keine Löschung dieser Vormerkung, so erfolge die Vorschreibung des Säumniszuschlages automatisch. In Insolvenzfällen erfolge eine "Fehlermeldung". Weitere Maßnahmen seien dann durch ein Organ des Finanzamtes zu setzen.

Der Berufungswerberin wurde der Schriftverkehr mit dem Finanzamt zur Kenntnis gebracht. Es wurde keine Stellungnahme abgegeben.

Rechtliche Erwägungen:

Gemäß § 273 Abs. 1 lit. a der Bundesabgabenordnung (BAO) hat die Abgabenbehörde eine Berufung durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung unzulässig ist.

Mit Berufung anfechtbar sind nur Bescheide. Daher sind Berufungen gegen Schriftstücke ohne Bescheidcharakter als unzulässig zurückzuweisen (vgl. Ritz, BAO-Kommentar², § 273 Tz 6). Der verfassungsrechtliche Begriff "Bescheid" ist ein zentraler Bestandteil der Gesamtrechtsordnung, dessen nähere Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber zu erfolgen hat. In der Lehre und Judikatur wird ein Bescheid als ein individueller, hoheitlicher, im Außenverhältnis ergehender normativer (rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender) Verwaltungsakt qualifiziert (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7(1999), Rz. 379). Bescheidqualität kommt nur normativen Akten zu, wobei die normative Qualität eines Aktes primär aus seinem Inhalt abzuleiten ist. Weiters setzt diese Qualität ein autoritatives Wollen der Behörde voraus. Für das Vorliegen eines Bescheides ist der "Wille" der Behörde maßgeblich, "hoheitliche Gewalt" zu üben. Fehlt dieser Wille, dann kommt dem betreffenden Akt kein normativer Gehalt zu. Nur wenn die Behörde den Willen hatte, eine "bindende Regelung" zu erlassen, kann das Vorliegen eines Bescheides angenommen werden (siehe Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7(1999), Rz. 384).

Im gegenständlichen Fall ist zu hinterfragen, ob das mit Berufung angefochtene Schriftstück, welches automationsunterstützt, ohne tatsächlichen Eingriff des für die Entscheidung zuständigen Finanzamtes von der Bundesrechenzentrum GmbH erstellt wurde, ein Bescheid ist. Der Verfassungsgerichtshof führt in dem Erkenntnis vom , VfSlg. 11590 zur Problematik der automationsunterstützten Bescheidausfertigung Folgendes aus:

"Zum anderen erachtet es der VfGH aus dem Blickwinkel des am Bescheid orientierten verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes aber als notwendig, dass der automationsunterstützt erzeugte Bescheid nicht nur mit hinreichender Deutlichkeit in seinem Wortlaut den Bezug zur Behörde herstellt, gegen deren Verfahren (als dessen End- und Kulminationspunkt der Bescheid vom Standpunkt des Rechtsschutzes aus zu sehen ist) Rechtsschutz gewährt werden soll. Darüber hinaus ist es notwendig, dass der automationsunterstützt erzeugte Bescheid tatsächlich von der in ihm angegebenen Verwaltungsbehörde veranlasst wurde, mag auch der (intern festzustellende) Bezug zum behördlichen Organwalter im Bescheid selbst nicht zum Ausdruck gelangen. Eine verfassungsrechtlich nicht tolerierbare Einschränkung des Rechtsschutzes gegenüber der Verwaltung wäre sohin dann anzunehmen, wenn ein Bescheid namens einer Behörde automationsunterstützt von einer anderen Stelle erzeugt und "erlassen" würde, ohne dass die Behörde, in deren Namen der Bescheid ausgefertigt wurde, den Bescheid veranlasste. Die Behörde, der der Bescheid rechtlich zuzurechnen ist und die ihn daher zu verantworten hat, muss auch tatsächlich imstande sein, auf den automationsunterstützt ablaufenden Vorgang der Bescheidausfertigung bestimmenden Einfluss zu nehmen (vgl. VfSlg. 8844/1980)."

Im Erkenntnis vom , VfSlg. 8844 stellt dazu der Verfassungsgerichtshof noch fest:

"Eine weitere Schranke für innerorganisatorische Maßnahmen besteht darin, dass nur die vom Gesetz hiezu Ermächtigten den Organwillen bilden und nach außen für die Verwaltungseinheit handeln dürfen. Eine solche auf Gesetzesstufe stehende Ermächtigungsnorm wird grundsätzlich nicht schon dann verletzt, wenn außerhalb des Organkomplexes stehende Einrichtungen zu technischen Hilfstätigkeiten herangezogen werden, etwa wenn Akten nicht in behördeneigenen Räumen gelagert oder Reinschriften von externen Schreibkräften angefertigt werden. Nichts anderes gilt für den Fall, dass staatliche oder gemeindliche (auch hoheitliche) Angelegenheiten automationsunterstützt besorgt werden.

Wesentlich ist im gegebenen Zusammenhang nur, dass die nach außen in Erscheinung tretende Erledigung in jedem Einzelfall auf den Willen des durch (Verfassungs-)Gesetz zur Entscheidung berufenen Organes zurückführbar ist (vgl. hiezu VfSlg. 7264/1974, Punkt 2.3.)."

Im gegenständlichen Fall hat die Amtspartei dargelegt, dass kein Organ des Finanzamtes die Erlassung des angefochtenen Bescheides genehmigt hat. Damit fehlt jedoch dem als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" bezeichneten Schriftstück ein Merkmal, das nach der zit. Lehre und Rechtsprechung ein wesentliches Element der Bescheidqualität ist. Ein Bescheid ist mehr als ein Schriftstück, das nach außen hin alle erforderlichen Bescheidmerkmale aufweist. Ein Bescheid liegt nur vor, wenn das Schriftstück mit normativem Inhalt auf Grund einer entsprechenden Willensbildung bei jener Behörde entstanden ist, die als bescheiderlassende Behörde aufscheint. Aus dem Fehlen dieses Willens, hoheitlich zu handeln, wird auf das Fehlen des normativen Gehaltes des Aktes geschlossen und einem Schriftstück, das nicht auf diese Willensbildung zurückzuführen ist, fehlt der Bescheidcharakter. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass grundsätzlich eine Möglichkeit der zuständigen Organe des Finanzamtes zum Eingriff in den automationsunterstützten Vorgang bestanden hätte. Diese bloße Eingriffsmöglichkeit ist nicht ausreichend, da nach der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wesentlich ist, dass die nach außen in Erscheinung tretende Erledigung in jedem Einzelfall auf den Willen des durch (Verfassungs-)Gesetz zur Entscheidung berufenen Organes zurückführbar ist. Diese Zurückführbarkeit im Einzelfall fehlt jedoch dann, wenn der bei der bescheidausfertigenden Stelle automationsunterstützt ablaufender Vorgang von der zuständigen Behörde bloß gestoppt oder hinausgeschoben werden kann, dieser Vorgang jedoch von dem zur Entscheidung berufenen Organ der Behörde nicht in Gang gesetzt wurde.

Im gegenständlichen Fall hätte das Finanzamt zwar grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, durch Setzung entsprechender Maßnahmen den bei der Bundesrechenzentrum GmbH vorprogrammiert ablaufenden Vorgang (Ausfertigung eines als Bescheid bezeichneten Schriftstückes) anzuhalten. In Gang gesetzt wurde jedoch die Ausfertigung des als Bescheid des Finanzamtes bezeichneten Schriftstückes nicht durch einen Willensakt der Behörde, sondern durch ein Computerprogramm. Es hätte erst einer konkreten Maßnahme eines Organes des zuständigen Finanzamtes bedurft, den automationsunterstützt ablaufenden Vorgang anzuhalten. Auf Grund des bloßen Schweigens (zB. zu einer automationsunterstützt vorgenommenen Säumnisanmerkung) kann noch nicht auf eine stillschweigende Genehmigung geschlossen werden, zumal bloßes Schweigen grundsätzlich keinen Erklärungswert hat (vgl. Rummel in Rummel², Rz 15 z u § 863). Damit mangelt es aber im konkreten Fall an der Zurückführbarkeit der nach außen in Erscheinung tretenden Erledigung auf den Willen des durch das Gesetz zur Entscheidung berufenen Organes.

Der Umstand, dass das Computerprogramm, welches die Erlassung des als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" bezeichneten Schriftstückes über Auftrag des Bundesministeriums für Finanzen zur Sicherstellung einer einheitlichen Vorgangsweise bei ähnlich gelagerten Fällen erstellt wurde, kommt keine Bedeutung zu. Dem Bundesministerium für Finanzen obliegt gemäß § 1 Abs. 1 AVOG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem AbgÄG 2003, BGBl I 2003/124) die Besorgung der Geschäfte der obersten Verwaltung des Bundes nach Maßgabe des Bundesministeriumsgesetzes. Hingegen obliegt gemäß § 3 Abs. 1 AVOG den Finanzämtern mit allgemeinem Aufgabenkreis für ihren Amtsbereich unbeschadet der Bestimmungen der §§ 4 bis 14b AVOG die Erhebung der Abgaben, soweit diese nicht anderen Behörden durch die Abgabenvorschriften übertragen ist. Das Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr war zum Zeitpunkt des Ergehens des mit Berufung angefochtenen Schriftstückes für die Erhebung von Säumniszuschlägen im Zusammenhang mit den von der Berufungswerberin zu entrichtenden Lohnabgaben sachlich und örtlich zuständig. Dieses Finanzamt war das für die politischen Bezirke Freistadt, Rohrbach und Urfahr-Umgebung sowie für das Gebiet der Stadt Linz nördlich der Donau (Urfahr) zuständige Finanzamt mit allgemeinem Aufgabenkreis. Dies ergibt sich aus § 2 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über Sitz und Amtsbereiche der Finanzämter mit allgemeinem Aufgabenkreis (Wirtschaftsraum-Finanzämter-Verordnung), BGBl II 2003/224, die weitgehend mit in Kraft getreten ist. Damit war das Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr jene vom Gesetzgeber ermächtigte Verwaltungseinheit, die für die Erlassung des Bescheides über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen zuständig war. Es scheint auch das Finanzamt als jene Stelle auf, die das als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" bezeichnete Schriftstück erlassen hat. Bei der vom Bundesministerium für Finanzen im Zusammenhang mit der Programmierung stehenden Willensbildung, handelt es sich um eine Willensbildung von Organen einer anderen Verwaltungseinheit, zumal die Aufgabenbereiche zwischen Bundesministerium für Finanzen und dem Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr vom Gesetzgeber klar getrennt wurden. Die Willensbildung von Personen, die nicht Organe jener Verwaltungseinheit sind, die auf dem Schriftstück als bescheiderlassende Behörde aufscheint, ersetzt nicht die Willensbildung bei dieser Behörde. Ansonsten könnte jede beliebige Person hoheitlich handeln, indem sie anstatt der Organe jener Behörde handelt, die auf dem Schriftstück als bescheiderlassende Behörde aufscheint. Da das Bundesministerium für Finanzen auf dem Schriftstück nicht als jene Stelle aufscheint, die das Schriftstück unzuständigerweise erlassen hat, liegt auch kein (wirksamer) Bescheid einer unzuständigen Behörde vor.

Auch eine allfällige generelle Weisung des Bundesministeriums für Finanzen, die Säumniszuschläge im Zusammenhang mit Lohnabgaben in einer bestimmten Art und Weise festzusetzen, ersetzt nicht die Willensbildung bei den weisungsunterworfenen Organen des Finanzamtes. Unter einer Weisung ist eine von einem Verwaltungsorgan ausgehende - generelle oder individuelle, abstrakte oder konkrete - Norm zu verstehen, die an untergeordnete Organwalter gerichtet ist (vgl. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, (2000), Rz. 612). Die nachgeordneten Organe sind nach Art. 20 Abs. 1 B-VG verpflichtet, Weisungen zu befolgen. Ablehnungsgründe sind jedoch die Unzuständigkeit des Organes, das die Weisung erteilt hat und wenn die Befolgung der Weisung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt. Kein Ablehnungsgrund ist die Rechtswidrigkeit einer Weisung. Jedoch hat der Gesetzgeber im § 44 Abs. 3 BDG vorgesehen, dass der Beamte seine rechtlichen Bedenken mitzuteilen hat und die Weisung als zurückgezogen gilt, falls sie der Vorgesetzte nicht schriftlich erteilt. Dieses Remonstrationsrecht gilt auch bei von vornherein schriftlich erteilten Weisungen (vgl. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, (2000), Rz. 617). Demnach kommt selbst bei einer generellen schriftlichen Weisung dem untergeordneten Organ schon auf Grund der gesetzlichen Ausgestaltung des Weisungsrechtes insoweit eine Willensbildung zu, als es über allfällige Ablehnungsgründe und die mögliche Rechtswidrigkeit zu entscheiden hat. Die Willensbildung beim weisungserteilenden Organ ersetzt somit nicht die Willensbildung beim weisungsgebundenen Organ. Dieses wird nicht "willenloses Werkzeug" des Weisungsgebers zumal es das Recht bzw. die Pflicht hat, die Weisung inhaltlich auf mögliche Ablehnungsgründe oder eine allfällige Rechtswidrigkeit hin zu prüfen. Demnach kann der Wille des Weisungsgebers niemals die für das hoheitliche Handeln notwendige Willensbildung des weisungsunterworfenen Organes einer Abgabenbehörde erster Instanz ersetzen.

Unter Bedachtnahme auf diese Zusammenhänge fordert der Verfassungsgerichtshof ( ua, Slg 11590) zu Recht, dass der automationsunterstützte Bescheid tatsächlich von der in ihm angegebenen Verwaltungsbehörde veranlasst wurde (vgl. dazu auch Ritz, BAO-Kommentar², § 96 Tz. 10; Rombold, Rechtswidrige Verspätungszuschläge durch "Nichtbescheide", SWK 2004, S 434). Dem im gegenständlichen Fall der Berufungswerberin als "Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen" zugegangenen Schriftstück fehlt - auch wenn sonst alle formalen Voraussetzungen vorliegen - ein wesentliches Kriterium, nämlich, dass es auf eine Willensbildung von Organen der zuständigen Behörde zurückzuführen ist. Würde man diesem wesentlichen Merkmal keine entsprechende Bedeutung beimessen, müsste man jedem von einer im Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen versierten beliebigen Person erstellten Schriftstück, das äußerlich der Form eines abgabenbehördlichen Bescheides entspricht, den Bescheidcharakter zusprechen. Erst im Zuge eines Rechtsmittelverfahrens könnte der "Bescheidadressat" sein Rechtsschutzinteresse durchsetzen. Dies ist jedoch mit dem in den zitierten Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zum Ausdruck kommenden verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzinteresse keinesfalls vereinbar und kommt einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung gleich.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 273 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 92 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Abs. 1 AVOG, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz, BGBl. Nr. 18/1975
§ 3 Abs. 1 AVOG, Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz, BGBl. Nr. 18/1975
§ 44 Abs. 3 BDG 1979, Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl. Nr. 333/1979
Schlagworte
Bescheid
Bescheidcharakter
Bescheidqualität
Schriftstück
Verspätungszuschlag
automationsunterstützt
Einfluss
Einflussnahme
normativer Inhalt
Wille
Willensbildung
Schweigen
stillschweigende Genehmigung
Computerprogramm
Bundesministerium für Finanzen
unzuständige Behörde
Weisung
untergeordnetes Organ
weisungsunterworfenes Organ
Zitiert/besprochen in
AStN 2005/13
UFSaktuell 2005, 64
taxlex 2005, 27
SWK 12/2007, S 429

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at