Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristversäumung wegen Ausfalls einer Kanzleiangestellten
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze | |
RV/0373-G/12-RS1 | Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Kanzleiangestellte jederzeit ausfallen können und diese Ausfälle auch mit dem Urlaub anderer Kanzleiangestellter zeitlich zusammentreffen können. Plötzlicher Personalmangel des berufsmäßigen Parteienvertreters rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der Parteienvertreter die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten hat, dass die rechtzeitige Wahrnehmung von Fristen auch dann sichergestellt ist, wenn einzelne Kanzleiangestellte plötzlich ihrer Arbeit nicht nachkommen können. Dass im Berufungsfall ein weit über das normale Ausmaß hinausgehender plötzlicher Ausfall von Kanzleiangestellten eingetreten ist, der selbst bei entsprechender Personalvorsorge zwangsläufig zu Fristversäumnissen geführt hätte, kann im Berufungsfall nicht erkannt werden und wurde von Seiten der Berufungswerberin nicht dargetan. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vertreten durch Mag. Susanne Penz, 6900 Bregenz, Kirchstraße 11, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Bw ist eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Betriebsgegenstand ist das Transportgewerbe.
Am reichte die Bw einen Antrag auf Erstattung von Vorsteuerbeträgen für den Erstattungszeitraum Februar bis Dezember 2010 auf elektronischem Weg beim Finanzamt ein.
Mit dem (hier nicht angefochtenen) Bescheid vom wies das Finanzamt den Erstattungsantrag als verspätet zurück (Zurückweisungsbescheid).
Mit Schreiben vom beantragte die Bw durch ihre steuerliche Vertreterin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist (Wiedereinsetzungsantrag). Zur Begründung wird vorgebracht:
In der Kanzlei der JA & Dipl. Ökonom MR Steuerberater werden jeder Mitarbeiterin bestimmte Mandanten zugeordnet, welche von dieser selbständig und zuverlässig betreut werden. Sämtliche Behördentermine werden bei Posteingang in einem elektronisch geführten Kalender eingetragen und an die für den Mandanten zuständige Mitarbeiterin auf Grund einer ausdrücklichen Anweisung delegiert. Als Frist für die Erledigung des Antrags für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern für das Jahr 2010 wurde im Kalender der für die [Bw] zuständigen Mitarbeiterin Frau-H der im Kalender vorgemerkt und die Mitarbeiterin Frau-H wurde vom Steuerberater Herrn MR angewiesen, den Antrag für die Erstattung der Vorsteuern fristgerecht beim Finanzamt Graz-Stadt einzureichen.
Wie festgestellt werden konnte, ist die Frist für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern für das Jahr 2010 von der Mitarbeiterin Frau-H zur Erledigung eingetragen worden. Durch den Tod ihres Vaters am 30. September fiel Frau-H ab dem plötzlich aus, da sich der Zustand des Vaters dramatisch und unerwartet verschlechtert hatte.
Es mussten unverzüglich sämtliche noch zu erledigende Aufgaben dieser Mitarbeiterin auf andere Mitarbeiterinnen übertragen werden. Jedoch befand sich eine weitere Mitarbeiterin in der Zeit vom 1.10.- im Urlaub. Am kam die Mitarbeiterin Frau-K aus dem Erziehungsurlaub zurück. Die noch zu erledigenden Aufgaben der ausgefallenen Mitarbeiterin wurden umgehend übertragen. Die Fristversäumnis für den Antrag auf Vorsteuererstattung wurde am 04.10. entdeckt.
Die Mitarbeiterin Frau-H , welche für den Vorsteuervergütungsantrag der [Bw] zuständig war, ist seit 2009 in der Kanzlei der JA & Dipl. Ökonom MR Steuerberater tätig. Sie hat die ihr übertragenen Aufgaben bisher stets zur vollsten Zufriedenheit gewissenhaft und zuverlässig erledigt. Zu einem vergleichbaren Versehen der Bediensteten ist es in der Vergangenheit nicht gekommen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist zwar das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumnis dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten ist dem steuerlichen Vertreter (und damit der Partei) aber nur dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Angestellten verletzt hat.
Im Hinblick auf das bisherige dienstliche Verhalten der Mitarbeiterin Frau-H konnte mit der Befolgung dieser Weisung gerechnet werden. Es handelt sich um ein einmaliges Missgeschick. Aus der einmaligen Missachtung der Weisung kann ein Verschulden des steuerlichen Vertreters nicht abgeleitet werden. Die weisungswidrige Nichtbearbeitung des Antrages muss vielmehr als manipulative Tätigkeit der Bediensteten angesehen werden. Diesfalls ist das Verschulden einer sonst verlässlichen Kanzleibediensteten dem Verschulden des berufsmäßigen Parteienvertreters nicht gleichzusetzen (). Die versehentlich nicht erfolgte Bearbeitung des Antrages auf Vorsteuererstattung für das Jahr 2010 stellt daher im vorliegenden Fall ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 308 Abs 1 BAO dar.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Wiedereinsetzungsantrag ab (Abweisungsbescheid). Zur Begründung wird ausgeführt:
Nach § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht ein berechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte. Unabwendbar ist ein Ereignis hingegen dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (Ritz, aaO, § 308 Tz 9f., mwN) .
Ein Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (siehe wiederum Ritz, aaO, § 308 Tz 17, und die dort zitierten Judikate).
Ein berufsmäßiger Vertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Anträgen gesichert erscheint. Ein familiäres Problem einer Angestellten in der Kanzlei stellt keinesfalls ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher als unbegründet abzuweisen.
Gegen den Abweisungsbescheid erhob die Bw mit Schreiben ihrer steuerlichen Vertreterin vom die Berufung. Zur Begründung wird das Vorbringen des Wiedereinsetzungsantrages wörtlich wiederholt.
Das Finanzamt legte die Berufung dem Unabhängigen Finanzsenat im Mai 2012 zur Entscheidung vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
§ 308 Abs. 1 BAO lautet:
Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Ereignis im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO ist jedes Geschehen, daher auch ein "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen". Die genannte Bestimmung fordert aber ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis. Ein Ereignis ist dann als unabwendbar zu qualifizieren, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann und dann als unvorhergesehen anzusehen ist, wenn es die Partei tatsächlich nicht einberechnet hat und mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten konnte. Ein bloßes "Vergessen" oder ein "schlichtes Übersehen" ohne das Hinzutreten besonderer, hiefür ausschlaggebender Umstände stellt kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO dar und vermag somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu begründen (vgl. ).
Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten. Hingegen ist das Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter nicht schädlich; maßgeblich ist diesfalls, ob den Parteienvertreter ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden trifft. Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind (vgl. zB ).
Liegt ein minderer Grad des Versehens im Sinne leichter Fahrlässigkeit nach § 1332 ABGB vor, so schließt dies eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus. Leichte Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. Keine leichte Fahrlässigkeit liegt aber vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt. An rechtskundige Parteienvertreter ist hiebei ein strengerer Maßstab anzulegen als an am Verfahren beteiligte, rechtsunkundige Parteien (vgl. ).
Für die richtige Beachtung der Fristen ist in einer Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters stets der Vertreter verantwortlich. Dieser muss seine Kanzlei so organisieren, dass die fristgerechte Einbringung von Schriftsätzen an Gerichte sichergestellt ist (vgl. ).
Im Berufungsfall ist weder die Frage einer ausreichenden Überwachung der Kanzleiangestellten Frau-H durch den (deutschen) Parteienvertreter der Bw noch die Frage des Vorliegens eines Versehens der Kanzleiangestellten Frau-H bzw. deren sonstige Verlässlichkeit von Relevanz.
Entscheidend ist, ob der (deutsche) Parteienvertreter der Bw überhaupt durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und ob ihn ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden an der Fristversäumung trifft.
Wie von Seiten der Bw selbst vorgebracht, wurden bei ihrem (deutschen) Parteienvertreter sämtliche Behördentermine "bei Posteingang" in einen elektronisch geführten Kalender eingetragen. Für die Erledigung des (hier maßgeblichen) Erstattungsantrages wurde im Kalender der für die Bw zuständigen Kanzleiangestellten, Frau-H, als "Frist" der eingetragen. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag war Frau-H ab dem 28. September aus familiären Gründen ausgefallen. Sämtliche noch zu erledigende Aufgaben mussten auf andere Mitarbeiterinnen übertragen werden.
Der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist nun nicht zu entnehmen, worin das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, das die Frist einzuhalten verhindert hat, bestanden haben soll bzw. warum ein minderer Grad des Versehens vorliegen soll.
Durch einen Blick in den elektronisch geführten Kalender war es dem (deutschen) Parteienvertreter der Bw jederzeit leicht möglich gewesen festzustellen, dass das (wie vorgebracht in den Kalender eingetragene) Fristende für die Antragstellung im elektronischen Erstattungsverfahren unmittelbar bevorstand.
Unter Zugrundelegung des Vorbringens von Seiten der Bw kann der Unabhängige Finanzsenat nicht nachvollziehen, warum gerade diese "Aufgabe" nicht auf eine andere Mitarbeiterin übertragen wurde bzw. warum die Fristversäumnis beim Erstattungsantrag erst am 4. Oktober "entdeckt" worden sein soll.
Was den im Wiedereinsetzungsantrag angedeuteten Personalmangel betrifft, so ist dem entgegen zu halten, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass Kanzleiangestellte jederzeit ausfallen können und diese Ausfälle auch mit dem Urlaub anderer Kanzleiangestellter zeitlich zusammentreffen können. Plötzlicher Personalmangel des berufsmäßigen Parteienvertreters, wie er im Wiedereinsetzungsantrag angedeutet wird, rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der Parteienvertreter die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten hat, dass die rechtzeitige Wahrnehmung von Fristen auch dann sichergestellt ist, wenn einzelne Kanzleiangestellte plötzlich ihrer Arbeit nicht nachkommen können. Dass im Berufungsfall ein weit über das normale Ausmaß hinausgehender plötzlicher Ausfall von Kanzleiangestellten eingetreten ist, der selbst bei entsprechender Personalvorsorge zwangsläufig zu Fristversäumnissen geführt hätte, kann im Berufungsfall nicht erkannt werden und wurde auch von Seiten der Bw nicht dargetan.
Die Berufung war daher als unbegründet abzuweisen.
Graz, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 308 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | UFS Newsletter 2012/04 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at