Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSL vom 20.12.2005, RV/0781-L/04

Aufhebung eines Umsatzsteuerbescheides gem. § 299 BAO (Nichtanerkennung von Vorsteuern aus Betriebskosten für Kleinbusse)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0781-L/04-RS1
Eine Bescheidaufhebung nach § 299 BAO liegt im Ermessen der Behörde, wird aber nach der ständigen Judikatur des VwGH bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen immer dann vorzunehmen sein, wenn die steuerlichen Auswirkungen nicht nur geringfügig sind. Diese Geringfügigkeit ist nicht nur in Relation zu sonstigen Betriebskennzahlen sondern auch unter Einbeziehung der Systematik und des Zweckes der verletzten Norm zu beurteilen. Wenn somit durch eine rechtswidrige Versagung des Vorsteuerabzuges die Neutralität der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette erheblich verletzt wurde, ist selbst dann mit Bescheidaufhebung vorzugehen, wenn der maßgebliche Vorsteuerbetrag in Bezug auf die sonstigen Betriebskennzahlen geringfügig erscheinen mag. Belaufen sich überdies die Kosten der Aufhebung und deren Folgen lediglich auf einen Bruchteil der nicht gewährten Vorsteuern, sind diese Kosten im Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen Behandlung jedes Abgabepflichtigen von der Öffentlichkeit zu tragen.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bwin, Anschrift, vertreten durch Dr. Mayer GmbH, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei, 4020 Linz, Kudlichstrasse 43, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr, vertreten durch Gottfried Buchroithner, vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung gemäß § 299 BAO betreffend Umsatzsteuer für den Zeitraum 1998 bis 2000 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid vom wird abgeändert und spricht aus, dass in Entsprechung des Antrages vom die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 1998 vom , Umsatzsteuer 1999 vom und Umsatzsteuer 2000 vom 22. November2001 gemäß § 299 Abs 1 BAO aufgehoben werden, weil sich der Spruch der Bescheide als nicht richtig erweist.

Entscheidungsgründe

Die Bw. hatte Vorsteuern aus laufenden Leasingraten und Betriebskosten für Kleinbusse, die nach der ab geltenden Rechtslage nicht zum Vorsteuerabzug berichtigten, in den Umsatzsteuererklärungen 1998, 1999 und 2000 nicht zum Abzug gebracht. Der "Metropol und Stadler" ausgesprochen, dass diese Einschränkung des Vorsteuerabzuges betreffend bestimmter Kleinbusse gegenüber der im Zeitpunkt des EU-Beitritts Österreichs geübten Verwaltungspraxis eine Einschränkung des Vorsteuerabzuges bewirkt habe, die im Widerspruch zu Art. 17 Abs. 6 der 6. MwSt-Richtlinie stehe.

Gestützt auf diese EuGH Entscheidung beantragte die Bw. mit Schriftsatz vom die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1998, 1999 und 2000 wegen Rechtswidrigkeit der Bescheidinhalte. Weiters wurde beantragt, bei Erlassung der Ersatzbescheide die Vorsteuerbeträge für laufende Leasingraten und Betriebskosten für Kleinbusse zum Ansatz zu bringen. Die beantragten zusätzlichen Vorsteuerbeträge wurden wie folgt angegeben:


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1998
39.261,00 ATS
2.853,21 €
1999
34.259,00 ATS
2.489,70 €
2000
30.463,00 ATS
2.213,83 €

Entsprechend der in der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung, dass die Aussagen des EuGH-Urteiles in allen nicht rechtskräftigen Fällen anzuwenden sind und dass überdies in Fällen von erheblichen Vorsteuern aus der Anschaffung, nicht aber aus Betriebskosten, einer Anregung auf Aufhebung des Bescheides gem. § 299 Abs. 1 BAO gefolgt werden könne, hat das Finanzamt mit Bescheid vom den Antrag auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO abgewiesen. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass keine Anschaffungsvorsteuern für Kleinbusse sondern lediglich Vorsteuern aus laufenden Leasingraten und Betriebskosten vorliegen würden und für diese eine Bescheidaufhebung nicht vorgesehen sei.

In der Berufung gegen den Abweisungsbescheid beantragte die Bw. die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1998, 1999 und 2000 wegen Rechtswidrigkeit gem. § 299 BAO aufzuheben und bei Erlassung der neuen Umsatzsteuerbescheide die genannten Vorsteuerbeträge für laufende Leasingraten und Betriebskosten für Kleinbusse zu berücksichtigen.

Zur Begründung führte die Bw. aus, dass die Aufhebung gem. § 299 Abs. 1 BAO die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des aufzuhebenden Bescheides voraussetze. Der Inhalt sei dann rechtswidrig, wenn der Spruch des Bescheides z.B. gegen das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union verstößt. Wie der EuGH festgestellt habe, war die von Österreich vorgenommene Einschränkung der vorsteuerabzugsberechtigen Kleinbusse EU-widrig. Es seien jene Vorsteuerbeträge zu gewähren, die auch im Beitrittszeitpunkt abzugsfähig waren.

Wenn die Entscheidung der Abgabenbehörde nach § 299 Abs. 1 BAO auch im Ermessen liege, dürfe bei der Ermessensentscheidung nicht außer Acht gelassen werden, dass das in Art. 18 B-VG verankerte Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in gleicher Weise zu gelten habe. Das Ermessen sei anhand sorgfältiger gesetzesgebundener und gesetzesvorgegebener Ergänzungen auszuüben. Weiters sei beim Ermessen dem Gleichheitsgrundsatz zu folgen und insofern sei der Entscheidungsrahmen der Behörden eingeschränkt.

Überdies sei nach der Rechtsprechung des VwGH in der Begründung des Aufhebungsbescheides die Abwägung der ermessensrelevanten Umstände darzustellen. Aus der Begründung des gegenständlichen Bescheides gehe keineswegs klar hervor, woran sich diese Ermessensentscheidung orientiert habe. Nach Ansicht der Bw. sei die Begründung, dass für Vorsteuern aus laufenden Leasingraten und Betriebskosten eine Bescheidaufhebung nicht vorgesehen sei, nicht schlagkräftig. Es könne die Abzugsfähigkeit der Vorsteuern aus laufenden Leistungen nicht davon abhängig sein, dass im jeweils betroffenen Jahr auch ein Anschaffungsvorgang gefallen ist.

Grundsätzlich komme bei der Ermessensübung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung zu. Eine Aufhebung werde in der Regel dann zu unterlassen sein, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen hat. Da die Einschränkung der Liste für Kleinbusse als EU-widrig erkannt wurde, kann von einer bloß geringfügigen Rechtswidrigkeit keine Rede sein. Nach Ansicht der Bw. seien auch die Folgen nicht unwesentlich, da es sich insgesamt um Vorsteuern in Höhe von ca. 7.500,00 € handle.

Gem. § 20 BAO sei dem Ermessen eine Grenze gesetzt. Innerhalb dieser Grenze sei eine Ermessensentscheidung nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Vor allem sei bei der Ermessensübung auf Rechtsrichtigkeit und auf die Gleichmäßigung der Besteuerung Beacht zu nehmen. Es würde eine Diskriminierung einzelner Steuerpflichtiger und einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellen, wenn der Vorsteuerabzug eben davon abhängig gemacht werde, dass im Jahr des Anfalles der Vorsteuern aus laufenden Betriebskosten auch ein Anschaffungsvorgang gewesen sein muss. Zusätzlich würde eine solche Vorgehensweise dem Grundsatz der Neutralität in der Umsatzsteuer im Unternehmensbereich widersprechen. Außerdem sei es weder gesetzlich noch EU-rechtlich gedeckt, eine Aufhebung gem. § 299 BAO davon abhängig zu machen, ob ein Anschaffungsvorgang im jeweiligen Jahr stattgefunden hat.

Im Steuerakt, Jahr 2000, Seite 40 findet sich ein Aktenvermerk, in dem vom Finanzamt unter Hinweis auf die UFS-Entscheidung GZ. RV/0516-L/03 eine Aufstellung der berücksichtigten Vorsteuerbeträge angemerkt wurde. Dieser Aufstellung ist zu entnehmen, dass in den Jahren1998 bis 2000 ohne Berücksichtigung der nun beantragten Vorsteuern etwa 99,40 % der gesamten Vorsteuern anerkannt wurden. Das Finanzamt vertritt offensichtlich die Auffassung, dass es sich somit lediglich um geringfügige Vorsteuern handle und es somit im Sinn der angeführten UFS-Entscheidung und des BMF Erlasses vom zu einer Abweisung der Berufung kommen müsse.

Mit Schreiben vom wurde die Berufung dem UFS zur Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgelegt.

Das Finanzamt hat in der Folge auf Anfrage durch den UFS außer Streit gestellt, dass die beantragten Vorsteuern aus Betriebskosten für vorsteuerabzugsberechtigte Kleinbusse stammen und lediglich die Zulässigkeit einer Bescheidaufhebung für Vorsteuern aus Betriebskosten strittig ist.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 299 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung in der Fassung des AbgRmRefG, Bundesgesetzblatt I 2002/97 (BAO) kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Nach § 299 Abs. 2 BAO ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden.

Aufhebungen gem. § 299 BAO sind gem. § 302 Abs. 1 BAO bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97 BAO) des Bescheides zulässig. Darüber hinaus sind gem. § 302 Abs. 2 lit. c BAO Aufhebungen nach § 299 BAO, die wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen oder mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union erfolgen, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist oder wenn der Antrag auf Aufhebung innerhalb dieser Frist eingebracht ist, auch nach Ablauf dieser Frist zulässig. Der Aufhebungsantrag wurde somit rechtzeitig eingebracht.

Der neue § 299 BAO gestattet Aufhebungen nur mehr wegen Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes. Der Inhalt eines Bescheides ist rechtswidrig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa bei einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, bei mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, bei Übersehen von Grundlagenbescheiden), ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht ausschlaggebend. Die Aufhebung setzt weder ein Verschulden der Abgabenbehörde noch ein Verschulden bzw. ein Nichtverschulden des Bescheidadressaten voraus.

Mit Urteil vom , Rs C-409/99, hat der EuGH aus Anlass der Prüfung der Vorsteuerabzugsberechtigung der Kraftfahrzeuge Pontiac Transport und Fiat ULYSSE entschieden, dass es einem Mitgliedsstaat nach Art. 17 Abs. 6 Unterabsatz 2 der 6. MwSt-Richtlinie verwehrt ist, die Ausgaben für bestimmte Kraftfahrzeuge nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie (für Österreich ist das der Zeitpunkt des Beitrittes zur EU, somit der ) vom Recht auf Vorsteuerabzug auszuschließen, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie für Ausgaben das Recht auf Vorsteuerabzug nach ständiger auf einem Ministerialerlass beruhender Praxis der Verwaltungsbehörden dieses Staates gewährt wurde.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass Vorsteuern im Zusammenhang mit den hier gegenständlichen Aufwendungen für Leasingraten und laufende Betriebskosten für die in diesem Verfahren betroffenen KFZ grundsätzlich abgezogen werden können (von den Parteien außer Streit gestellt) bzw erweisen sich Bescheide, die diese Vorsteuern nicht berücksichtigen, als nicht richtig im Sinn des § 299 Abs 1 BAO.

Nach Ansicht der Finanzverwaltung (BMF v , GZ 09 1202/4-IV/9/02), der auch das Finanzamt mit dem hier in Berufung gezogenen Bescheid gefolgt ist, ist ein EuGH-Urteil so zu behandeln, wie eine innerstaatliche höchstgerichtliche Rechtsprechung, die eine gegenüber einer bisherigen Verwaltungspraxis abweichende Aussage trifft. Das EuGH-Urteil sei somit in allen nicht rechtskräftigen Fällen anzuwenden. Einer Anregung auf Aufhebung des Bescheides gemäß § 299 BAO könne im Falle von erheblichen Vorsteuern (aus Anschaffungen) gefolgt werden. Dies gelte aber nicht für Vorsteuern aus Betriebskosten (Anm. des Referenten: und nach Ansicht des Finanzamtes auch nicht für Vorsteuern aus Leasingraten).

Die Aufhebung nach § 299 Abs. 1 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Gemäß § 20 BAO müssen Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Bei der Ermessensübung kommt dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung zu. Eine Aufhebung wird jedoch nur dann zu unterlassen sein, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen hat. Der Verwaltungsgerichtshof (siehe etwa oder mwN ) hielt in der bisherigen Rechtsprechung zu § 299 BAO in der vor dem Abgabenrechtsmittelreformgesetz gültigen Fassung fest, dass für den Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zukommt. Das eingeräumte Ermessen wird regelmäßig dann im Sinne des Gesetzes gehandhabt, wenn die Behörde bei Wahrnehmung einer nicht bloß geringfügigen Rechtswidrigkeit mit Aufhebung des bereits rechtskräftigen Bescheides vorgeht, gleichgültig ob zum Vorteil oder zum Nachteil des Abgabenpflichtigen. Eine bloß geringfügige Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn der gem. § 299 Abs. 2 BAO mit dem Aufhebungsbescheid zu verbindende Abgabenbescheid im Spruch lediglich geringfügig vom bisher im Rechtsbestand befindlichen Bescheid abweicht. Sind die Auswirkungen der Aufhebung der Bescheide geringfügig, so spricht der Grundsatz der Sparsamkeit gegen die Aufhebung des Bescheides. Dies gilt unabhängig davon, ob die Aufhebung sich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde. Diese Auslegung des VwGH wird wohl auch der jetzt gültigen Fassung des § 299 BAO zu unterstellen sein.

Die oben dargestellte pauschalierende Ansicht der Finanzverwaltung, die die soeben angeführten Überlegungen für Betriebskosten außer Acht lässt, kann somit nach Ansicht des UFS nicht als generell richtig angesehen und auch nicht dem zitierten EuGH Erkenntnis entnommen werden. Vielmehr ist nach den dargestellten Grundsätzen in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine nicht bloß geringfügige Rechtswidrigkeit vorliegt. Bei Zutreffen dieser Voraussetzung ist mit Bescheidaufhebung vorzugehen, gleichgültig ob sich die Unrichtigkeit eines Bescheides aus einer Nichtberücksichtigung eines Anschaffungsvorganges oder eines sonstigen Leistungsbezuges ergibt. Wie die Bwin auch in der Berufung ausführt, so würde es auch nach Ansicht des UFS zu unsachlichen Ergebnissen führen, wenn VSt aus laufenden Kosten nur Berücksichtigung finden würden, wenn im selben Jahr des Anfalles dieser Kosten ein Anschaffungsvorgang fiele oder man die häufig wirtschaftlich gleich gelagerten Anschaffungen wie Kauf, Ratenkauf, Mietkauf oder Leasing im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug unterschiedlich behandeln würde. Das Gesetz und die Rechtsprechung des VwGH stellen eben nicht auf die Art der wirtschaftlichen Abläufe sondern auf die Schwere der Rechtswidrigkeit ab.

Nach Ansicht des Referenten ist aber noch ein weiterer Aspekt zu beachten. Die Geringfügigkeit einer Rechtswidrigkeit wird auch nicht losgelöst von der verletzten Norm bzw deren Normzweck und dem Regelungszweck der Norm in der Systematik des Gesetzes gesehen werden können. Es wird unterschiedliche Maßstäbe für die Messung der Rechtswidrigkeit geben, je nachdem, ob ein Gesetz etwa bezweckt, das Einkommen nach der Leistungsfähigkeit zu besteuern oder ob ein Gesetz den Aufwand für den Erwerb eines konsumfähigen Nutzens beim Letztverbraucher besteuern möchte, ansonsten aber die MwSt neutral in der Unternehmerkette belassen möchte. So kommen etwa den Bestimmungen des UStG zum Vorsteuerabzug in wesentlichen Bereichen die Bedeutung zu, die Neutralität der MwSt in der Unternehmerkette sicher zu stellen. Steht nun nach den gesetzlichen Bestimmungen einem Unternehmer der Abzug eines bestimmten Betrages als Vorsteuer zu, erscheint es in Bezug auf das Prinzip Neutralität der MwSt merkwürdig, wenn man das Ausmaß der Rechtswidrigkeit des Vorsteuerabzugs von der Größe des Gesamtumsatzes oder der Summe der sonstigen Vorsteuern abhängig machen würde. Bezogen auf eine eventuelle Verletzung des Neutralitätsprinzips dürfte es keine Rolle spielen, ob etwa 1.000,- € an Vorsteuern einem Unternehmer mit geringen Umsätzen oder einem solchen mit Milliarden-Umsätzen verwehrt werden. Die Verletzung des Neutralitätsprinzips bleibt gleich groß (1.000,- wurden abgeführt und konnten in der Unternehmerkette zu Unrecht nicht als Vorsteuern abgezogen werden). Wird dagegen eine rechtswidrige Besteuerung eines bestimmten Betrages vor dem Hintergrund des Leistungsfähigkeitsprinzips betrachtet, wird es für die Bemessung des Grades der Rechtswidrigkeit doch auch auf relative Bezugsgrößen ankommen können. Soll jeder nach seiner Leistungsfähigkeit zu den Staatsfinanzen beitragen, wird die Vorenthaltung eines Betrages von 1.000,- € bei einem Bezieher eines relativ geringen Einkommens deutlich schwerer wiegen als etwa bei einem Abgabepflichtigen mit dem zehnfachen Einkommen.

Wenn der VwGH auch in seiner Rechtsprechung ausgesprochen hat, dass Aufhebungen zu unterbleiben haben, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist bzw wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen hat, bleibt doch die Frage, nach welchem Maßstab diese entscheidenden Fragen zu beurteilen sind. Wie oben dargestellt wurde, ist nach Ansicht des Referenten bei der Umsatzsteuer unter Beachtung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der gewollten Neutralität der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette darauf abzustellen, wie schwerwiegend diese Normzwecke verletzt wurden, Vergleiche mit dem Gesamtumsatz oder der Summe der sonstigen Vorsteuern haben in den Hintergrund zu treten. Es ist somit vorwiegend auf den Betrag in seiner absoluten Höhe abzustellen und nicht auf den Prozentsatz dieses Betrages zu anderen Unternehmensdaten. Bei der Abwägung von Billigkeit und Zweckmäßigkeit der behördlichen Maßnahme ist somit noch zu überprüfen, ob dieser Betrag nach verwaltungsökonomischen Grundsätzen und dem Prinzip der Sparsamkeit der Verwaltung eine Bescheidaufhebung rechtfertigt. Wie der UFS auch bereits in der Entscheidung vom , RV/0516-L/03 (siehe UFSaktuell 2003, 48f) dargestellt hat, wäre aus Gründen der Sparsamkeit eine Aufhebung geringfügig rechtswidriger Bescheide zu unterlassen.

Bei dieser Abwägung kam der UFS zu dem Ergebnis , dass die Nichtaufhebung der Bescheide und somit die unrichtige Nichtgewährung des Vorsteuerabzuges (in 1998 iHv ATS 39.261,00 bzw € 2.853,21; in 1999 iHv ATS 34.259,00 bzw € 2.489,70 und in 2000 iHv ATS 30.463,00 bzw € 2.213,83) in der angeführten Höhe nach Ansicht des Referenten bei objektiver Betrachtung der Höhe der Beträge jedenfalls eine erhebliche Verletzung des Neutralitätsgebotes und somit des dem MwSt-System immanenten Rechts des Unternehmers auf Vorsteuerabzug darstellt. Es liegt somit eine nicht bloß geringfügige Rechtswidrigkeit vor. Stellt man diese Beträge den Kosten eines Bescheides gegenüber (welche seitens der Amtspartei mit ca ATS 2.500,- vermutet wurden), rechtfertigt auch das verwaltungsökonomische Prinzip der Sparsamkeit nicht, die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide abzulehnen. Diese angeführten Kosten stehen in keinerlei Relation zur Schwere der Rechtswidrigkeit, sodass diese Kosten im Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen Behandlung jedes Abgabepflichtigen (siehe auch ) im öffentlichen Interesse von der Allgemeinheit zu tragen sind.

Ergänzend wird angemerkt, dass die Rechtswidrigkeit auch bei Betrachtung der nichtgewährten Vorsteuern in Relation zu den gesamten Vorsteuern ( jährlich zwischen 0,55 und 0,7 %) oder den Zahllasten (jährlich ca 1,2 %) nach Ansicht des Referenten als nicht bloß geringfügig angesehen werden kann. Überdies hat der UFS in der Entscheidung RV/0966-L/04 vom unter Verweis auf mehrere VwGH-Judikate bereits entschieden, dass es bei der Ermessensausübung schon ausreicht, wenn entweder der absolute Betrag oder der in Relation gesetzte Betrag als nicht bloß geringfügig angesehen werden kann. Da der UFS davon ausgeht, dass die hier strittigen Vorsteuern nach den angeführten Gründen überwiegend nach ihrer absoluten Höhe zu beurteilen sind und so jedenfalls als nicht bloß geringfügig anzusehen sind, liegt die geforderte maßgebliche Rechtswidrigkeit vor.

Bei der Ermessensübung geht der UFS weiters davon aus, dass die Billigkeit und Zweckmäßigkeit überwiegend für die Verfügung der Aufhebung sprechen und somit der Berufung stattzugeben ist. Darüber hinaus trägt die getroffene Entscheidung dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes Rechnung und ermöglicht eine effiziente innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des EuGH.

Zur Umsetzung (siehe auch UFS RV/0418-W/03):

Bei der Umsetzung der stattgebenden Entscheidung sind folgende - einander teilweise widersprechende - Regeln in Betracht zu ziehen: - Entscheidung durch die Berufungsbehörde in der Sache gemäß § 289 Abs 2 BAO, - keine erstinstanzliche Entscheidung durch die Berufungsbehörde außer in Devolutionsfällen, - Verbindung von Bescheidaufhebung und neuerlicher Bescheiderlassung (§ 299 Abs 2 BAO).

Es sind theoretisch drei Varianten denkbar - so wie in der Literatur auch für die grundsätzlich vergleichbare Situation bei der Stattgabe der Berufung gegen einen Bescheid, mit dem ein Wiederaufnahmeantrag abgewiesen wird, drei Varianten vertreten werden (vgl Ritz, BAO2, § 307 Tz 6; Stoll, BAO-Komm 2966, 2969; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 307 Anm 5):

  • Aufhebung des angefochtenen Bescheides, mit dem der Aufhebungsantrag abgewiesen wurde (nicht gemäß § 289 Abs 1 BAO); in weiterer Folge müsste das Finanzamt den Aufhebungsbescheid und damit verbunden die neuen Umsatzsteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 erlassen (entsprechend Stoll, BAO-Komm 2969, anders 2960f und 2969).

  • Ausspruch der Aufhebung der Bescheide laut Antrag in der Berufungsentscheidung; das Finanzamt müsste dann die neuen Umsatzsteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 erlassen (entsprechend Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, § 307 Anm 5; Stoll, BAO-Komm 2960f, 2966, anders 2969). Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz sind - soweit ersichtlich - die einzigen Autoren, die bisher nicht nur zur vergleichbaren Problematik bei Wiederaufnahmen, sondern in Anm 21 zu § 299 auch direkt zur Problematik des Verbindungsgebotes im Aufhebungsverfahren gemäß § 299 Abs 2 BAO Stellung genommen haben: Eine Verbindung von Bescheiden setzt voraus, dass zur Erteilung beider Bescheide dieselbe Abgabenbehörde zuständig ist. Gegen eine Erlassung des neuen Sachbescheides durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz spricht, dass dadurch der Partei die Erhebung eines ordentlichen Rechtsmittels (Berufung) gegen den neuen Sachbescheid verunmöglicht wird. Eine Verbindung gemäß § 299 Abs 2 BAO ist überdies (auch in der ersten Instanz) gegebenenfalls überhaupt unmöglich, wenn der Erlassung eines neuen Sachbescheides entgegensteht, dass richtigerweise in der betreffenden "Sache" kein Bescheid zu erlassen ist.

  • Ausspruch der Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1998, 1999 und 2000 in der Berufungsentscheidung und Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1998, 1999 und 2000 (funktional erstinstanzlich) durch den Berufungssenat (entsprechend Bibus zitiert bei Ritz, BAO2, § 307 Tz 6, der dies offensichtlich als zumindest gleichwertige Variante betrachtet).

Die zweitangeführte, von Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz vertretene Variante entspricht am ehesten dem Charakter des Berufungsverfahrens und ist am einfachsten vollziehbar. Ihr wird deshalb der Vorzug gegeben.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 12 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Schlagworte
Bescheidaufhebung
Rechtswidrigkeit
Ermessen
Geringfügigkeit
Vorsteuer
Kleinbusse
Betriebskosten
Leasingraten
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at