Therapie-Dreirad eines behinderten Kindes als außergewöhnliche Belastung
Rechtssätze
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Folgerechtssätze | |
RV/0581-S/07-RS1 | wie RV/0307-F/04-RS1 Es entspricht der Judikatur des VfGH (, B 785/02) und des VwGH (, 99/13/0169), dass ein speziell auf die Bedürfnisse eines Rollstuhlfahrers zugeschnittenes Therapiefahrrad und ein ebensolches Trainingsgerät "Body-Tower", Hilfsmittel im Sinne des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. 1996/303, sind. Die dafür getätigten Aufwendungen sind daher (nach Abzug individuell-konkreter Kostenersätze) ohne Anrechnung von Pflegegeld und ohne Selbstbehalt als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat durch Senat10 über die Berufung der Bw., Adresse, vertreten durch Steuerberaterin, Adresse2, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes St. Johann Tamsweg Zell am See, vertreten durch B, vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2005 nach der am in 5026 Salzburg-Aigen, Aignerstraße 10, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgabe sind dem am Ende der folgenden Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin erzielte im Jahr 2005 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung beantragte sie aufgrund der Behinderung ihres Sohnes A außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt in der Höhe von € 5.127,40.
Der Sohn hat eine Behinderung von 70% (siehe Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Salzburg). Laut Aktenlage bezieht die Berufungswerberin die erhöhte Kinderbeihilfe für dieses Kind.
Nachdem das Finanzamt die beantragte außergewöhnliche Belastung im Einkommensteuerbescheid vom nicht anerkannt hatte, legte die steuerliche Vertreterin der Berufungswerberin Berufung dagegen ein. Die beantragte außergewöhnliche Belastung wurde dabei detailliert dargestellt:
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Behindertengerechtes
Therapie-Dreirad | Euro
2.900,- |
Brille | Euro
143,- |
Steuerfreibetrag
abzüglich Pflegegeld | Euro
2.084,40 |
Gesamtbetrag | Euro
5.127,40 |
In einem Ergänzungsersuchen vom forderte das Finanzamt sowohl eine Beschreibung des Dreirades bzw. einen Nachweis für einen behindertengerechten Umbau des Therapiedreirades als auch einen eventuellen Nachweis über einen Zuschuss der Krankenkasse an. Die Berufungswerberin legte am eine ausführliche Bedienungsanleitung des Therapie-Dreirades vor und erklärte keinen Zuschuss von der Krankenkasse erhalten zu haben.
Mit Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt der Berufung teilweise statt. Nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurde allerdings das Therapie-Dreirad. Begründet wurde das wie folgt: "Die Kosten für das von Ihnen geltend gemachte Spezial-Dreirad in der Höhe von Euro 2.900,- konnten nicht gemäß § 34 (6) EStG 1988 berücksichtigt werden, zumal es sich hierbei nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des § 4 der VO des BMfF über außergewöhnliche Belastungen, BGBl Nr 303/1996 idgF handelt. (...) Zu den Hilfsmitteln gehören auch Vorrichtungen an einem Kraftfahrzeug, die nicht unmittelbar dem Betrieb des Kraftfahrzeuges dienen (z.B. Hebebühne oder Rampe für einen Rollstuhl), also Zusatzausstattungen. Wenn auch das handgefertigte Fahrrad eine entsprechende Unterstützung/Hilfe für Ihren Sohn darstellt, bleibt die "Fahrrad-Funktion" als solche unverändert."
Die Berufungswerberin brachte daraufhin einen Antrag auf Vorlage ihres Rechtsmittels an die Abgabenbehörde zweiter Instanz ein und legte dar, das Therapie-Dreirad sei als ergonomisches Hilfsmittel für den schwer körperlich und geistig behinderten Sohn angeschafft worden. Laut beigelegtem Schreiben empfehle auch ein Arzt das Dreirad zur Bewegungstherapie. Der Sohn könne nicht allein mit einem Fahrrad fahren und benötige eine zweite Person die das Rad lenke und stabilisiere. Laut Bedienungsanleitung dient das Therapie-Dreirad vor allem der Bewegungstherapie. Alle entscheidenden Funktionen, wie Schalten, Bremsen und Lenken werden von der hinteren Sitzposition aus gesteuert. Die Lenkbewegungen übertragen sich nach vorne, wodurch sich beide Lenker parallel bewegen.
Weiters wird im Vorlageantrag argumentiert, dass die Frage zu stellen sei, welche Funktion das Fahrrad annehmen müsse, damit es ein Hilfsmittel im Sinne der Verordnung darstelle. Ein auf eine Behinderung adaptiertes Auto werde wohl auch eine "Auto-Funktion" aufweisen. Unverständlich erscheine daher die Bescheidbegründung, wieso das, was für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug gelte, nicht auch für ein behindertengerechtes Fahrrad gelten solle.
In der am abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde ergänzend ausgeführt:
Der Steuerberater wendete ein, dass es sich beim gegenständlichen Dreirad um ein Medizinprodukt handle, es entspreche der Richtlinie 93/42 EWG und werde überwiegend für diagnostische und therapeutische Zwecke eingesetzt.
Die Berufungswerberin führte an, welche positiven Wirkungen die Benutzung des Therapie-Dreirades bei ihrem Sohn hervorrufe:
Koordination zwischen Armen und Beinen sowie linker und rechter Köperhälfte werde verbessert
Natürliche Bewegungsmuster werden vertieft
Das Gleichgewicht und die Ausdauer werden gefördert
Motorische Unruhe werde positiv beeinflusst
Ihr Sohn bekomme allgemein mehr Sicherheit und Selbständigkeit
Der Vertreter des Finanzamtes verwies auf die Lohsteuerrichtlinien (RZ 850), wonach die Definition eines Hilfsmittels sehr eng gefasst wäre.
Auf die Frage des Vertreters des Finanzamtes, warum die Krankenkasse keinen Kostenersatz geleistet habe, antwortete die Berufungswerberin, dass bei einem normalen Dreirad dies vergeblich versucht worden sei und sie deshalb für dieses Therapie-Dreirad keinen Kostenersatzantrag gestellt habe.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 34 Abs. 1 bis 4 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein. 2. Sie muss zwangsläufig erwachsen. 3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein (Abs. 1). Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst (Abs. 2). Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Abs. 3). Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastung selbst und eines Sanierungsgewinns zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt (Abs. 4).
Gemäß § 34 Abs. 6 dritter Teilstrich EStG 1988 können Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen. Nach dem letzten Satz dieser Gesetzesstelle kann der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.
Gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, sind Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262,00 € vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen. Zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 sind nach Abs. 3 auch Aufwendungen gemäß § 4 der Verordnung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.
Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, verfügt in ihrem § 4: Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.
Strittig ist, ob die Kosten für das Therapie-Dreirad grundsätzlich als Hilfsmittel bzw. Heilbehandlung gemäß § 4 der genannten Verordnung einzustufen und somit als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.
Der hiezu ablehnenden Haltung des Finanzamtes ist entgegenzusetzen: Der VfGH hat in seinem - zum Fall der Geltendmachung der Kosten für die behindertengerechte Einrichtung eines Badezimmers ergangenen - Erkenntnis vom , B 785/02, ausgeführt, dass die gesetzeskonforme Interpretation des § 4 der in Rede stehenden Verordnung ein ausdehnendes Verständnis des Ausdruckes "nicht regelmäßig anfallende Hilfsmittel" gebietet. Der Klammerausdruck "Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel" umfasse nur eine beispielhafte Erläuterung.
Noch weiter ist der VwGH in seinem Erkenntnis vom , 99/13/0169, im Hinblick auf Heilbehandlungskosten gegangen: Ungeachtet der zum Zeitpunkt des vom VwGH zu beurteilenden Sachverhaltes noch geltenden Stammfassung der Verordnung, die als zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastungen lediglich "nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (...)" umschrieb - erst mit der Novelle BGBl. II Nr. 91/1998 wurden explizit auch die Kosten der Heilbehandlung in die Verordnung integriert - sah der VwGH die von einem an multipler Sklerose leidenden Steuerpflichtigen geltend gemachten Heilbehandlungskosten bereits im Begriff "Aufwendungen für Hilfsmittel" gedeckt (siehe hiezu etwa Pülzl in SWK 31/2004/879).
Setzt man diese höchstgerichtliche Rechtsprechung in Beziehung zum Streitfall, muss ein Größenschluss überzeugen. Wenn schon eine auf eine Behinderung abgestimmte Badezimmereinrichtung als "Hilfsmittel" einzustufen ist, - ja - wenn Kosten für Medikamente und Behandlungen unter den Hilfsmittelbegriff subsumierbar sind, so doch erst recht ein spezifisch auf ein behindertes Kind zugeschnittenes Therapie-Dreirad, dessen Einsatz erst das Fahrradfahren mit einer Begleitperson möglich macht. Überdies wird durch den Umstand, dass ein Arzt die bedeutende therapeutische Wirksamkeit dieses in Einzelanfertigung hergestellten Spezial-Dreirades bestätigt, auch den Kriterien einer Heilbehandlung, somit insgesamt beiden Tatbestandsmerkmalen des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, Genüge getan.
Um Kosten, die einem Steuerpflichtigen in Zusammenhang mit seiner Krankheit erwachsen, als außergewöhnliche Belastung qualifizieren zu können, bedarf es einer vermögensmindernden Ausgabe (siehe auch Hofstätter-Reichel, Einkommensteuer, Kommentar, III C, § 34 Abs. 1 Tz. 3). Darunter sind Ausgaben zu verstehen, die mit einem endgültigen Verbrauch, Verschleiß oder sonstigen Wertverzehr verknüpft sind (u.a. ). Ihnen stehen die Ausgaben gegenüber, die nicht zu einer Vermögensminderung, sondern zu einer bloßen Vermögensumschichtung führen und schon deshalb nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden - siehe u.a. . Diese "Gegenwerttheorie" findet dort ihre Grenze, wo das neu geschaffene bzw. angeschaffte Wirtschaftsgut bloß eine eingeschränkte Verkehrsfähigkeit hat (vgl. wiederum ). Darunter fallen Wirtschaftsgüter, die nur für den eigenen persönlichen Gebrauch angeschafft werden und grundsätzlich für jemand anderen keinen Nutzen darstellen, wie z.B. Prothesen, Brillen, Hörhilfen bzw. solche Wirtschaftsgüter, die wegen ihrer spezifischen Beschaffenheiten nur für Behinderte verwendet werden können (wie etwa Rollstühle).
Auch von einer - im Übrigen nicht zur Diskussion gestellten - bloßen Vermögensumschichtung im Sinne der Gegenwerttheorie kann nicht die Rede sein, entspricht doch dem durch Erwerb des Therapie-Dreirades verkörperten Gegenwert wegen seiner spezifisch auf behinderte Personen abgestimmten Besonderheiten lediglich ein sehr eingeschränkter allgemeiner Verkehrswert (vgl. Pülzl ÖStZ Nr. 23, 2003).
Es kann dem Finanzamt, das sich mit seiner überaus formalistischen Betrachtung und restriktiven Auslegung des Hilfsmittelbegriffes einerseits in Gegenposition zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung stellt, andererseits die Gegenwerttheorie völlig ungeprüft ließ, daher nicht gefolgt werden.
Die Aufwendungen für das Therapie-Dreirad sind als solche für Hilfsmittel bzw. Heilbehandlung im Sinne des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen ohne Anrechnung von Pflegegeld und ohne Selbstbehalt einkommensmindernd zu berücksichtigen.
In Bezug auf die beantragten außergewöhnlichen Belastungen - Brille (Euro 143,-) und Steuerfreibetrag abzüglich Pflegegeld (Euro 2.084,40) - schließt sich der Senat der Argumentation des Finanzamtes an (vgl. Berufungsvorentscheidung vom ) und gibt der Berufung in diesen Punkten statt.
Der Berufung war spruchgemäß Folge zu geben.
Beilage : 1 Berechnungsblatt
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 34 Abs. 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte | Therapie-Dreirad behindertes Kind außergewöhnliche Belastungen |
Zitiert/besprochen in |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at