Keine Wiederaufnahme wegen abweichender Berufungsentscheidung für Vorjahre
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des EH, P,E, vertreten durch PJ, Steuerberater, L,H, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom betreffend Abweisung eines Antrages aufWiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO hinsichtlich Einkommensteuer fürdie Jahre 2003 und 2004 nach der am in L,B, im Beisein der Schriftführerin MS durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (in der Folge kurz Bw) bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Im Rahmen seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003 beantragte er unter anderem als außergewöhnliche Belastung die Berücksichtigung des Schulgeldes für sein behindertes Kind, für das er erhöhte Familienbeihilfe sowie Pflegegeld in Höhe von monatlich 1.471,50 € bezog. Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 vom wurden diese Aufwendungen seitens des Finanzamtes nicht berücksichtigt. Auf Grund einer dagegen gerichteten Berufung vom , in der sich der Bw auf die Anerkennung im Einkommensteuerbescheid 2002 vom berief, erging am eine abweisende Berufungsvorentscheidung, in der darauf hingewiesen wurde, dass die Aufwendungen aus dem Titel der Bestreitung des Schulgeldes nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden könnten, weil dieser Betrag mit dem Pflegegeld gegenzuverrechnen sei. Die Berufungsvorentscheidung (zugestellt mit Rsb am ) erwuchs in Rechtskraft.
Auch im Rahmen des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2004 vom wurden die Schuldgeldkosten aus eben demselben Grund nicht berücksichtigt. In der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom auf Grund der ebenfalls dagegen eingebrachten Berufung wurde auf die Begründung betreffend Einkommensteuer 2003 verwiesen. Auch diese Berufungsvorentscheidung (zugestellt mit Rsb am ) erwuchs in Rechtskraft.
Mit Bescheiden vom 7. bzw. wurden der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom sowie der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 vom gemäß § 293 BAO vom Finanzamt berichtigt und die zuvor anerkannten Aufwendungen aus dem Titel des Schulgeldes für das behinderte Kind nicht mehr anerkannt, wobei begründend darauf hingewiesen wurde, dass durch einen EDV-Fehler irrtümlich keine Gegenrechnung der Aufwendungen mit dem Pflegegeld erfolgt sei.
Dagegen erhob der Pflichtige mit Schreiben vom Berufung.
Mit Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates, RV/0358-L/07, vom wurde den gegenständlichen Berufungen stattgegeben und die angefochtenen Bescheide mit der Begründung, dass der Berichtigungstatbestand des § 293 BAO nicht erfüllt gewesen wäre, aufgehoben. Bezüglich der strittigen Frage der Anrechnung des Pflegegeldes auf das Schulgeld brachte der Unabhängige Finanzsenat seine Ansicht zum Ausdruck, dass keine unrichtige rechtliche Beurteilung darin erblickt werden könne, wenn auf diese Aufwendungen gemäß § 5 Abs. 3 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen zu §§ 34 und 35 EStG 1988 das Pflegegeld nicht angerechnet werde (siehe Seiten 17ff der zitierten Entscheidung).
Nach Ergehen dieser Entscheidung für die Vorjahre beantragte der Bw mit Schreiben vom die "Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Einkommensteuerbescheid 2003 vom bzw. den Einkommensteuerbescheid 2004 vom " mit folgender Begründung:
Mit Berufungsvorentscheidungen vom seien die Berufungen vom abgewiesen worden.Mit Berufungsentscheidung vom sei den Berufungen gegen die Einkommensteuerbescheide 2002 bzw. 2003 (laut Ergänzungsschreiben vom richtig 2000) Folge gegeben worden.Demnach handle es sich lt. Seite 10 der Berufungsentscheidung vom , RV/0358-L/07, um Aufwendungen für Betreuungsstunden im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung im Kindergarten, welche ebenfalls als Entgelt für die Unterrichtserteilung gelten würden. Angemerkt werde, dass diese Aufwendungen dem Grunde nach eine außergewöhnliche Belastung darstellten, die bei Vorliegen einer Behinderung ohne Kürzung durch den Selbstbehalt zu berücksichtigen seien und zusätzlich zum Freibetrag von ATS 3.600,00 zustünden.Die für die Jahre 2003 und 2004 geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen seien sachlich ident mit dieser Berufungsentscheidung für die Vorjahre. Nachdem die Entscheidung die Vorjahre betroffen habe, handle es sich um eine Vorfrage, die nachträglich in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei und die Kenntnis dieser Umstände hätte einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt.Vorsorglich werde auch der Antrag gestellt, die gegenständlichen Änderungen als Folgeänderungen gemäß § 295 Abs. 3 BAO zu behandeln.Nachdem bezüglich der Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerbescheide 2000 und 2002 - also für die Vorjahre - anders lautende Entscheidungen vorlägen, lägen auch bezüglich der Folgejahre Folgeänderungen gemäß § 295 Abs. 3 BAO vor.Die Anträge seien rechtzeitig, weil die Kenntnis der anders lautenden Vorbescheide in jedem Fall unter drei Monaten läge.
In einem Ergänzungsschreiben vom verwies der steuerliche Vertreter des Bw's bezüglich der Anrechnung des Pflegegeldes insbesonders auf die Seiten 17 bis 19 der zitierten UFS-Entscheidung, die jedenfalls eine Wiederaufnahme der Verfahren bzw. Folgeänderungen rechtfertigen würden.
Die gegenständlichen "Anträge betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO bzw. Änderung gemäß § 295 Abs. 3 BAO für 2003 und 2004" wurden vom Finanzamt mit Bescheid vom abgewiesen. Die Abweisung des Antrages gemäß § 303 Abs. 1 BAO wurde damit begründet, dass die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes für ein früheres Steuerjahr keine Vorfrage (wie im Antrag begehrt) gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO darstelle, die Abweisung des Antrages gemäß § 295 Abs. 3 BAO damit, dass diese Bestimmung nicht zuträfe, da keine grundlagenähnlichen Bescheide (E 2000 und E 2002) vorlägen.
Gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO betreffend Einkommensteuer 2003 und 2004 erhob der Pflichtige durch seinen steuerlichen Vertreter Berufung und führte begründend im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Behauptung des Finanzamtes, dass die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes für ein früheres Steuerjahr keine Vorfrage gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO darstelle, sei im gegenständlichen Fall nicht richtig.In seiner Berufung vom habe er sich ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid 2002 vom berufen. Bezüglich des Einkommensteuerbescheides 2002 sei am eine Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates ergangen.Mit dieser sei klar definiert worden, dass das Pflegegeld den Zweck habe, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten. Die Kosten für die Erteilung von Unterricht fielen nicht unter den Begriff "pflegebedingt" und seien daher ohne Abzug von bezogenem Pflegegeld in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.In der Berufung vom habe er sich auf den Einkommensteuerbescheid 2002 vom berufen, bezüglich dessen endgültig diese positive Berufungsentscheidung ergangen sei.Gemäß § 303 Abs. 1 lit. a (wohl richtig: lit. c) sei dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig und der Bescheid von Vorfragen abhängig gewesen sei und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hierzu zuständigen Behörde in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.Am sei ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid 2002 verwiesen worden, sodass die negative Entscheidung vom in Unkenntnis der gegenständlichen Berufungsentscheidung ergangen sei.Stoll führe auf Seite 2928 seines BAO-Kommentars Folgendes aus:"Vorfragen im herkömmlichen (klassischen) Sinn sind wohl Fragen, die von einer anderen Behörde oder einem Gericht (als Hauptfrage) zu entscheiden sind und die die Abgabenbehörde ihrer bescheidmäßigen Erledigung zugrunde zu legen haben. Der VfGH hat aber in seinem Erkenntnis vom , B 783/89, klargestellt, dass als Wiederaufnahmegrund der neuen Vorfragenentscheidung auch ein neuer Bescheid derselben Abgabenbehörde in Betracht kommen kann (ebenso schon )."Aus § 16 E4 des BAO-Kommentars von Ellinger-Iro-Kramer-Sutter-Urz ergebe sich Folgendes:"Das Finanzamt ist, obwohl es von der Finanzlandesdirektion Weisungen erhalten kann, eine andere Behörde als der nach der Rechtslage vor dem AbgRmRefG der Finanzlandesdirektion zugehörige "Berufungssenat". 737/66." Diese Rechtsansicht gelte in jedem Fall auch für den Unabhängigen Finanzsenat.Im BAO-Kommentar, Seite 940 zu § 303 Tz 19 werden von Ritz ausgedrückt:"Wiederaufnahmegrund sei nicht nur eine erstmalige Entscheidung über die Vorfrage in jenem Verfahren, in dem sie Hauptfrage ist, sondern auch eine neuerliche derartige Entscheidung (vergl. z.B. )."Die Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates betreffe in jedem Fall die gegenständliche Hauptfrage betreffend die Abzugsfähigkeit bezüglich der Kosten für die Erteilung von Unterricht bzw. die Nichtanrechnung des bezogenen Pflegegeldes und damit die Erklärung der Kosten in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung.Es liege daher keineswegs seitens des Unabhängigen Finanzsenates "die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes für ein früheres Steuerjahr" vor, sondern die Berufungsentscheidung vom stelle klar, dass damit der Einkommensteuerbescheid 2002 vom absolut richtig gewesen sei. Nachdem der Einkommensteuerbescheid 2002 ausdrücklich in der Berufung vom als Grundlage angeführt worden sei, stelle somit auch die diesbezügliche Entscheidung betreffend diesen Bescheid eine Vorfrage im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel betreffend die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 dar. Hätte die Behörde die angeführte Vorfrage betreffend den Einkommensteuerbescheid 2002 bereits gekannt, wäre es zwangsläufig betreffend den Einkommensteuerbescheid 2003 und 2004 zu einer anderen Entscheidung gekommen, weshalb die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO geboten sei.§ 303 Abs. 1 lit. c BAO normiere, dass im gegenständlichen Fall dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben sei. Es bestehe kein Ermessensspielraum.Wenn daher sogar ein Bescheid derselben Abgabenbehörde als Wiederaufnahmegrund in Frage komme, gelte dies umso mehr für Entscheidungen einer anderen Verwaltungsbehörde, wie dies der Unabhängige Finanzsenat sei.Sollte über die gegenständlichen Berufungen ein Senat entscheiden, werde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Mit Vorlagebericht vom wurde die gegenständliche Berufung vom Finanzamt dem Unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorgelegt.
Im Rahmen der am beim Unabhängigen Finanzsenat durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung wurde von beiden Parteien des Berufungsverfahrens der sich laut Aktenlage ergebende Sachverhalt bestätigt. Der Bw bekräftigte den Berufungsantrag seines steuerlichen Vertreters; der Vertreter des Finanzamtes beantragte die Abweisung der Berufung.
Über die Berufung wurde erwogen:
I) Streitpunkt:
Strittig war im gegenständlichen Berufungsverfahren die Frage, ob die rechtliche Beurteilung im Rahmen einer Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates für die Vorjahre als Beurteilung einer "Vorfrage" zu qualifizieren wäre und demgemäß zu einer Wiederaufnahme aus dem Titel des Vorfragentatbestandes für mittlerweile rechtskräftige Bescheide für die Folgejahre berechtige.
II) Sachverhalt:
Auf Grund der Aktenlage ergibt sich folgender entscheidungsrelevante Sachverhalt:
Im Rahmen von Berufungsverfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 wurde seitens des Finanzamtes festgestellt, dass Aufwendungen für Unterrichtskosten für ein behindertes Kind an einer Sonderschule (Schulgeld) mit dem Pflegegeld gegenzuverrechnen seien. Die entsprechenden Berufungsvorentscheidungen erwuchsen in Rechtskraft. In der Folge legte der Unabhängige Finanzsenat in seiner Berufungsentscheidung vom , die die Vorjahre 2000 und 2002, hinsichtlich derer die Einkommensteuerbescheide aus eben diesem Grund gemäß § 293 BAO berichtigt worden waren, betrafen, seine abweichende Rechtsansicht dar, indem er die nicht erfolgte Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld nicht als unrichtige rechtliche Beurteilung qualifizierte. Auf Grund dessen stellte der Pflichtige mit Schreiben vom einen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 aus dem Titel einer abweichenden Vorfragenbeurteilung, der vom Finanzamt abgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid erhob der Pflichtige Berufung.
III) Rechtliche Beurteilung:
Zum dargestellten Sachverhalt wurden seitens des Unabhängigen Finanzsenates folgende rechtliche Erwägungen angestellt:
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oderc) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurdeund die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 ist binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat (§ 303 Abs. 2 BAO).
Im gegenständlichen Fall schied eine Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. a BAO von vornherein aus und wurde vom Bw in seinem Antrag auch nicht als Wiederaufnahmegrund herangezogen.
Ebenso berief sich der Bw aus folgenden Gründen zu Recht nicht auf den Wiederaufnahmegrund "neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel" gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO:
"Tatsachen" im Sinne der zitierten Bestimmung sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. zB ; , 91/14/0018; , 95/15/0108). Keine Wiederaufnahmegründe (keine Tatsachen) sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen (Tatsachen), gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (vgl. ; , 96/15/0148) oder durch Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (vgl. , 93/14/0015, 0082; , 92/13/0076), Hervorkommen von Rechtsirrtümern () bzw. höchtsgerichtliche Erkenntnisse (-0279; , 98/14/0015).
Als "Beweismittel" im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO können etwa Urkunden und Aufzeichnungen neu hervorkommen. Ein neu hervorgekommenes Beweismittel kann weiters eine Zeugenaussage darstellen. Keine Beweismittel sind zB Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (vgl. Ritz, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, 3. Aufl., Wien 2005, Tz 11-12 zu § 303 sowie die dort angeführte Jud.).
Die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates stellte demnach weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein Beweismittel dar, weshalb sie aus diesem Titel nicht als Wiederaufnahmegrund herangezogen werden konnte.
Der Bw stützte sich auch nicht auf diesen Wiederaufnahmegrund, sondern vielmehr auf den in § 303 Abs. 1 lit. c BAO zuletzt dargestellten Wiederaufnahmegrund der abweichenden "Vorfragenbeurteilung".
Hiezu ist Folgendes auszuführen:
Gemäß § 116 Abs. 1 BAO sind, sofern die Abgabenvorschriften nichts anderes bestimmen, die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen.
Eine "Vorfrage" ist also eine Frage, deren Beantwortung ein unentbehrliches Tatbestandselement für die Entscheidung der Hauptfrage im konkreten Rechtsfall bildet (), ein vorweg zu klärendes rechtliches Moment, das für sich allein Gegenstand einer bindenden Entscheidung einer anderen Behörde (bzw. derselben Behörde in einem anderen Verfahren) ist (Antoniolli/Koja, Verwaltungsrecht³, 83). Sie ist somit eine Rechtsfrage, für deren Entscheidung die Behörde nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und als Hauptfrage Gegenstand einer Absprache rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur ist (; Ritz, a.a.O., Tz 1 zu § 116).
Dem steuerlichen Vertreter des Bw's ist in seinen Ausführungen darin zuzustimmen, dass - wie der VfGH in seinem Erkenntnis vom , B 783/89, klargestellt hat - als Wiederaufnahmegrund der neuen Vorfragenentscheidung auch ein neuer Bescheid derselben Abgabenbehörde in Betracht kommen kann (siehe auch Stoll, BAO-Kommentar, S. 1323). Ebenso ist ihm darin Recht zu geben, dass einen Wiederaufnahmegrund nicht nur eine erstmalige Entscheidung über die Vorfrage darstellt, sondern auch eine neuerliche derartige Entscheidung (siehe Ritz, a.a.O., Tz 19 zu § 303 und die dort zit. Jud.).
Wesentlich erscheint im gegebenen Zusammenhang jedoch die Feststellung, dass einen Wiederaufnahmegrund eine abweichende Vorfragenentscheidung nur dann bildet, wenn die Abgabenbehörde an die Entscheidung der Hauptfrage gebunden war (Ritz, a.a.O., Tz 19 zu § 303; , 93/14/0015, 0082; , 98/16/0097; , 98/15/0014).
Nun steht aber fest, dass die Abgabenbehörden bei Veranlagung der Einkommensteuer für einen Zeitraum nicht an Feststellungen gebunden sind, die in einem entsprechenden vorangegangen Verfahren für die Vorjahre getroffen wurden (Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch EStG 1988, Wien 1993, Tz 1 zu § 39). Vielmehr ist nach § 39 EStG 1988 die Einkommensteuer für jedes Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) nach Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in einem mit Bescheid abzuschließenden eigenständigen Verfahren festzusetzen (Jakom, EStG-Kommentar, Wien 2011, Tz 3 zu § 39). Ein Bescheid kann nicht mehr an Bindung abgeben, als seine vom Spruch umgrenzte materielle Rechtskraft reicht (Stoll, a.a.O., S. 1339). So vermag ein Abgabenbescheid, der für einen bestimmten Steuerabschnitt bzw. eine bestimmte Abgabe erlassen wurde, über seinen Geltungsbereich hinaus keine Wirkungen - in der Art einer Bindung - auszustrahlen (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urz, BAO-Kommentar, E 50 zu § 116 - ). Ein Abgabenbescheid (etwa - wie hier - über die veranlagte Einkommensteuer) spricht nur über das betreffende Veranlagungsjahr ab; die Rechtskraft der Entscheidung erstreckt sichnicht auf andere Veranlagungsjahre bzw. kann zu keiner Bindung für die Folgejahre führen (vgl. zB ; , 2001/13/0135; , 2000/15/0074). Einer abweichenden Beurteilung in einem Folgejahr steht auch der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen ().
Auf den gegenständlichen Fall bezogen bedeuten diese Ausführungen Folgendes:
Im Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2003 und 2004 bestand für das Finanzamt keine Bindung an die für die Vorjahre 2000 und 2002 getroffene Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (in diesem Sinne auch ).
Allein aus der Tatsache, dass der Bw in seiner Berufung vom gegen die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 auf den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 vom , in dem die Schulgeld-Aufwendungen ohne Kürzung durch das Pflegegeld berücksichtigt worden waren, hingewiesen hat, konnte eine Bindungswirkung nicht erwachsen, da eine Bezugnahme durch den Pflichtigen auf die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes in einem anderen Veranlagungszeitraum nicht die Rechtskraft des entsprechenden Steuerbescheides auf andere (folgende) Veranlagungszeiträume auszudehnen vermag.
Der Argumentation des Bw's, dass dann, wenn das Finanzamt zum Zeitpunkt der Erlassung der Berufungsentscheidungen vom betreffend Einkommensteuer 2003 und 2004 die Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates hinsichtlich Einkommensteuer 2002 schon gekannt hätte, andere Berufungsvorentscheidungen erlassen hätte, kann nur insoweit gefolgt werden, als es dessen Pflicht gewesen wäre, sich mit der do. rechtlichen Argumentation auseinanderzusetzen. Es wäre dem Finanzamt aber nicht verwehrt gewesen, wiederum gegenteilig zu entscheiden, was auf Grund des Umstandes, dass dessen Ansicht auf der damals herrschenden (erst auf Grund des VwGH-Erkenntnisses vom , 2009/15/0026, geänderten!) Verwaltungspraxis (siehe Lohnsteuerrichtlinien) fußte, durchaus passieren hätte können. Selbst der Unabhängige Finanzsenat als Berufungsbehörde wäre in einer allfälligen Entscheidung für die Folgejahre mangels der oben beschriebenen Rechtskraftwirkung seiner Entscheidung für andere Veranlagungszeiträume nicht an die bezüglich Einkommensteuer 2002 geäußerte Rechtsansicht gebunden gewesen. Rechtliche Beurteilungen von Sachverhalten in Bescheiden des Finanzamtes, des Unabhängigen Finanzsenates, aber auch Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes bilden lediglich ein Indiz für die Rechtsansicht des jeweiligen Entscheidungsträgers in den zukünftigen Veranlagungszeiträumen, sie stellen jedoch keine für die folgenden Jahre bindenden Vorfragenbeurteilungen dar.
Von einer Bindungswirkung der vom Bw als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom betreffend Einkommensteuer 2000 und 2002 war aus den dargestellten Erwägungen sohin nicht auszugehen. Fehlte eine solche, konnte diese Entscheidung aber auch keine Vorfrage im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. c BAO und somit keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO lagen somit nicht vor, weshalb dem entsprechenden Antrag des Bw's kein Erfolg beschieden sein konnte. Die gegenständliche Berufung musste daher als unbegründet abgewiesen werden.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 116 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Wiederaufnahme Antrag Vorfrage Bindungswirkung verschiedene Veranlagungszeiträume |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at