TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Sonstiger Bescheid, UFSL vom 28.06.2010, FSRV/0052-L/07

Versäumung einer Berufungsfrist infolge Nichtüberwachung des Fristvormerkes durch einen Rechtsanwalt; kein minderer Grad eines Versehens


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Miterledigte GZ:
FSRV/0059-L/10


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtssätze
Stammrechtssätze
FSRV/0052-L/07-RS1
Ein Parteienvertreter, welcher sich auf die Berechnung der Berufungsfristen und deren Eintragung im Fristenvormerkbuch seiner Kanzlei durch seine - wenngleich höchst zuverlässige - Kanzleileiterin verlässt, ohne diesen Vorgang zu überwachen oder zumindest nachträglich zu kontrollieren (zumal weil er seinen Kanzleibetrieb auch nicht dermaßen organisiert hat, dass eine solche Kontrolle z.B. bei versehentlicher Nichteintragung der Frist im Vormerkbuch überhaupt erfolgreich sein hätte können), verletzt seine Sorgfaltspflicht nicht nur in einem minderen Ausmaß, sodass eine Wiedereinsetzung nach § 167 Abs.1 FinStrG in eine solcherart deswegen versäumte Rechtsmittelfrist nicht in Betracht kommt.

Entscheidungstext

Bescheid

Der Unabhängige Finanzsenat als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz hat durch den Vorsitzenden des Finanzstrafsenates Linz 2, HR Dr. Richard Tannert, in der Finanzstrafsache gegen S, vertreten durch eine Rechtsanwaltskanzlei, wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehungen nach §§ 33 Abs.1, 38 Abs.1 lit.a des Finanzstrafgesetzes (FinStrG) über 1. den Antrag des S vom auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Berufung gegen das Erkenntnis des Spruchsenates III beim Finanzamt Linz als Organ des Finanzamtes Linz als Finanzstrafbehörde erster Instanz, dieses vertreten durch AR Claudia Hies als Amtsbeauftragte, vom , StrNr. 046/2005/00000-001, und 2. die Berufung des S vom gegen das genannte Spruchsenatserkenntnis

zu Recht erkannt:

I. Der Antrag des Beschuldigten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unbegründet abgewiesen.

II. Die Berufung des Beschuldigten wird als verspätet zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Den vorgelegten Akten ist unter anderem folgender Sachverhalt zu entnehmen:

Mit Erkenntnis des Spruchsenates III als Organ des Finanzamtes Linz als Finanzstrafbehörde erster Instanz vom ist S nach in seiner Anwesenheit und im Beisein seines Verteidigers Mag. Dr. K durchgeführter mündlicher Verhandlung zur StrNr. 046/2005/00000-001 wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehungen nach §§ 33 Abs.1, 38 Abs.1 lit.a FinStrG schuldig gesprochen worden, weil er im Amtsbereich des Finanzamtes Linz als Verantwortlicher der X GmbH unter Nichtabgabe von Kapitalertragsteueranmeldungen [und Nichtentrichtung entsprechender Kapitalertragsteuer] bzw. Abgabe von unrichtigen Umsatz- und Körperschaftsteuererklärungen, somit unter Verletzung seiner abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, in den Jahren 2002 bis 2004 betreffend die Veranlagungsjahre 2002 und 2003 eine Verkürzung an Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt € 31.360,00 (2002: € 8.400,00 + 2003: € 22.960,00) und an Körperschaftsteuer in Höhe von insgesamt € 17.398,75 (2002: € 4.080,00 + 2003: € 13.318,75), sowie betreffend die Zeiträume 2002 und 2003 eine Verkürzung an Kapitalertragsteuer in Höhe von insgesamt € 20.633,20 (2002: € 5.100,00 + 2003: € 15.533,20) bewirkt hat, indem er seine Umsätze und Erlöse [die Umsätze der X GmbH] nicht vollständig erklärt und sein Verrechnungskonto nicht dem tatsächlichen Stand entsprechend verzinst hatte, wobei er in der Absicht gehandelt hatte, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle zu erschließen, weshalb über ihn gemäß §§ 33 Abs.5, 38 Abs.1 lit.a FinStrG iVm § 21 Abs.1 und 2 FinStrG eine Geldstrafe in Höhe von € 45.000,00 und gemäß § 20 FinStrG für den Fall deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von drei Wochen verhängt wurde (Finanzstrafakt des Finanzamtes Linz betreffend den Beschuldigten S, StrNr. 046/2005/00000-001, Bl. 74, 77 f).

Zusätzlich wurde S auch der Ersatz der pauschalen Verfahrenskosten nach § 185 Abs.1 lit.a FinStrG in Höhe von € 363,00 und der allfälligen Kosten eines Strafvollzuges, welche gegebenenfalls durch gesonderten Bescheid festgesetzt werden würden, auferlegt (genannter Finanzstrafakt, Bl. 78).

Schriftliche Ausfertigungen des Erkenntnisses wurden von der Finanzstrafbehörde erster Instanz am jeweils an Mag. Dr. K und an den Beschuldigten selbst versendet und gelten jeweils am als zugestellt, wobei die Zustellung an S durch Hinterlegung des Schriftstückes beim Postamt an der Wohnanschrift am mit Beginn der Abholfrist am erfolgte (genannter Finanzstrafakt, Bl. 83 f).

Die einmonatige Frist zur Erhebung der Berufung ist daher am abgelaufen gewesen (der Tag, der seiner Benennung nach der reinen Monatsfrist entsprochen hätte, wäre der , ein Sonntag, gewesen).

Erst am langte beim Unabhängigen Finanzsenat als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz eine mit datierte und vom neu beauftragten Verteidiger Dr. H verfasste Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe ein, welche ebenfalls am zur Post gegeben worden war (siehe Postaufgabestempel).

Der Berufung vorangestellt war ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Berufungsfrist, in welchem ausgeführt wurde:

Das Straferkenntnis sei am zugestellt worden, S habe [eine Kopie] mittels Fax am seinem Verteidiger zur Vorbereitung einer für den vorgesehenen Besprechung übersandt.

Die Kanzleileiterin P seines Verteidigers habe das Fax entgegengenommen, einen Akt angelegt, telefonisch das Datum der Zustellung erhoben, entsprechend den kanzleiinternen Regeln das Fristende mit vermerkt und dies auf dem Erkenntnis [der übermittelten Kopie des Erkenntnisses] und dem darauf angebrachten Eingangsstempel angeführt.

Tatsächlich wurde jedoch offenkundig durch Störungen durch Telefonate vergessen, die Frist in das Fristenbuch einzutragen, und es sei dadurch passiert, dass das Rechtsmittel nicht fristgerecht verfasst und abgesandt worden sei.

Der Irrtum sei am offenkundig geworden, als Dr. H im Rahmen der Postbearbeitung die Berufung verfassen hätte wollen.

P sei eine äußerst gewissenhafte und verlässliche Mitarbeiterin der Kanzlei des Verteidigers und sei ihr ein derartiges Versehen noch nie unterlaufen.

S sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis gehindert worden, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung zu ergreifen.

Im Detail hat sich diesbezüglich laut Vorhalteverfahren folgender Sachverhalt zugetragen:

Am hat S zur Vorbereitung einer Besprechung für den zwischen ihm, seinem vormals einschreitenden Verteidiger Mag. Dr. K und seinem neuen Verteidiger Dr. H eine Kopie des Spruchsenatserkenntnisses an die Kanzlei des Dr. H gefaxt (Wiedereinsetzungsantrag, eidesstättige Erklärung der P).

Vereinbart war, dass Mag. Dr. K Teile einer Berufungsschrift gegen das Spruchsenatserkenntnis ausarbeitet und diese an Dr. H mit Mail übersendet und Dr. H dann die Endfassung der Berufung vornehme (eidesstättige Erklärung des Dr. H).

Nach Eingang des obgenannten Faxes in der Kanzlei des Dr. H hat die dort seit als Kanzleileiterin beschäftigte P dieses Fax in Empfang genommen, einen entsprechenden Akt angelegt und durch Telefonate mit S und Mag. Dr. K die Information erhalten, dass das Straferkenntnis am zugestellt worden sei (Wiedereinsetzungsantrag) bzw. hinterlegt worden sei (eidesstättige Erklärung der P), weshalb sie auf dem per Fax übermittelten Erkenntnis als kanzleiinternen Vormerktermin für die Einbringung des Rechtsmittels den vermerkt hat (eidesstättige Erklärung P).

In der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. H ist P als Kanzleileiterin verantwortlich für die Führung der Buchhaltung, die Bearbeitung der Eingangspost einschließlich der Termin- und Fristverwaltung, sowie die Entgegennahme von Telefonanrufen (eidesstättige Erklärungen P, Dr. H).

Die Bearbeitung einlangender Terminstücke in der Anwaltskanzlei erfolgt in der Weise, dass die Kanzleileiterin die Eingangspost bearbeitet (Eingangsstempel), erforderlichenfalls einen Akt anlegt, nach kanzleiinternen Regeln Vormerktermine (z.B. für die Erstellung von Rechtsmitteln) vergibt und diesen Vormerktermin beim Eingangsstempel auf dem Eingangsstück sowie in einem Fristenbuch vermerkt. [Anmerkung: Im Fristenbuch wird von ihr zusätzlich auch das Fristende eingetragen.] Der Akt mit dem Eingangsstück selbst wird dann - je nach verfügbarer Zeit - entweder abgelegt bis zum Vormerktermin für die Bearbeitung durch Dr. H (hier: zur Erstellung des Rechtsmittels) oder sofort an diesen weitergeleitet, wobei P an Hand des Vormerkbuches überprüft, ob auch wohl sämtliche Termine eingehalten wurden (Wiedereinsetzungsantrag, eidesstättige Erklärungen P, Dr. H).

Unglücklicherweise ist im gegenständlichen Fall P durch eingehende Telefonate insoweit gestört worden, als sie am nach dem Vermerk des internen Kanzleitermines auf dem zugegangenen Spruchsenatserkenntnis auf die Eintragung des Vormerktermines und des Termines für das Ende der Rechtsmittelfrist im Fristenbuch vergessen hat und lediglich den Kanzleiakt (mit dem gefaxten und mit Einlaufstempel und Vormerkdatum versehenen Spruchsenatserkenntnis) an Dr. H weitergeleitet hat (Wiedereinsetzungsantrag, eidesstättige Erklärungen P, Dr. H).

Dr. H wiederum hat bei der Besprechung am den Einlaufstempel und das Vormerkdatum auf dem Schriftstück zur Kenntnis genommen und darauf vertraut, dass wie immer bisher P die Termin- und Fristverwaltung korrekt vorgenommen und den Vormerktermin und die Rechtsmittelfrist richtig im Vormerkbuch eingetragen habe (eidesstättige Erklärung Dr. H).

P ist ein derartiges Versehen vorher noch nie unterlaufen (Wiedereinsetzungsantrag, eidesstättige Erklärungen P, Dr. H).

Nach der Besprechung am hat Dr. H den Kanzleiakt abgelegt und darauf vertraut, dass ihm dieser zum Vormerktermin wieder vorgelegt werde, was aber - mangels Vormerkung im Fristenbuch - nicht geschehen ist.

Erst am hat er entdeckt, dass zwischenzeitlich die Rechtsmittelfrist abgelaufen war (Wiedereinsetzungsantrag, eidesstättige Erklärung Dr. H).

Zur Entscheidung wurde erwogen:

Gemäß § 167 Abs.1 FinStrG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag des Beschuldigten eines anhängigen oder abgeschlossenen Finanzstrafverfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn der Antragsteller durch die Versäumung der Frist (hier: der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen das Straferkenntnis des Spruchsenates vom ) einen Rechtsnachteil erleidet und glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass dem Beschuldigten ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß Abs.2 der Gesetzesstelle muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen Monatsfrist nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde gestellt werden, bei der die Frist wahrzunehmen war (hier: entweder beim Finanzamt Linz als Finanzstrafbehörde erster Instanz oder beim Unabhängigen Finanzsenat als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz, vgl. § 150 Abs.3 FinStrG, erster Satz). Diese Behörde ist auch zur Entscheidung über den Antrag berufen.

Vorerst ist anzumerken, dass an berufliche rechtskundige Parteienvertreter sicherlich ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (vgl. z.B. ; , zitiert Stoll aaO mit Verweis auf Fasching, Lehrbuch2, Rz 580).

Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung das Verschulden des Vertreters (hier: Dr. H) dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (für viele: ; ; - ÖStZB 2008/68; - ÖStZB 2008/110; ; ; ).

Im gegenständlichen Fall hat nun - siehe die obigen Feststellungen - der einschreitende Parteienvertreter Dr. H seine Kanzlei zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt wie folgt organisiert gehabt:

Die Bearbeitung der Eingangspost war seiner Kanzleileiterin übertragen, welche erforderlichenfalls einen Akt anlegte, nach kanzleiinternen Regeln Vormerktermine (z.B. für die Erstellung einer Berufung) vergab und diesen Vormerktermin beim Eingangsstempel auf dem Eingangsstück sowie im Fristenbuch vermerkte, in diesem Fristenbuch auch den Ablauf von Fristen wie einer Berufungsfrist festgehalten hat. Akten mit Eingangsstücken wurden je nach verfügbarer Zeit entweder abgelegt bis zum Vormerktermin oder sofort an Dr. H weitergeleitet. An Hand dieses Vormerkbuches überprüfte die Kanzleileiterin, ob auch wohl sämtliche Termine eingehalten worden sind.

Mit einer derartigen Organisation des Aktenlaufes in seiner Kanzlei aber hatte Dr. H die Fristenkontrolle insoweit auf Gedeih und Verderb seiner Kanzleileiterin überantwortet, als er für den Fall, dass durch P irrtümlich ein falscher Termin oder gar kein Termin im Vormerkbuch eingetragen wird, keine Gegenstrategie parat haben konnte:

Ein zur Verfassung eines Schriftsatzes vorzulegender Akt wäre im Archiv verblieben, weil Dr. H sich darauf verlassen musste, dass P ihm den Akt vorlegt; wollte er laut Vormerkbuch kontrollieren, ob ihm alles vorgelegt worden ist, hätte er bei unterlassener Eintragung im Vormerkbuch natürlich eine solche nicht gefunden. P wiederum konnte bei Durchsicht des Vormerkbuches (in welchem kein Termin oder allenfalls ein falscher eingetragen gewesen wäre) ebenfalls nicht erkennen, dass sie dem Anwalt einen Akt zur Bearbeitung vorzulegen gehabt hätte.

Auch eine Möglichkeit, dass Dr. H allenfalls bei Sichtung des Eingangsstückes (welches ihm dann später mit dem Akt bei korrekter Vormerkung im Vormerkbuch vorgelegt worden wäre) die Richtigkeit einer Frist überprüfen wollte, hätte nicht gegriffen, wenn der Akt eben mangels Vormerkung im Vormerkbuch nicht vorgelegt wird.

Auch falsche Fristberechnungen hätte Dr. H auf diese Weise nicht erkennen können, wenn beispielsweise ein Akt ihm schon verspätet vorgelegt werden sollte.

Mit diesen Überlegungen ist aber das Schicksal des gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrages bereits entschieden:

In einer Rechtsanwaltskanzlei ist nämlich in Wirklichkeit für die richtige Berechnung der jeweiligen verfahrensrechtlich bedeutsamen Frist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa diejenige Kanzleiangestellte allein verantwortlich, die den Termin in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht, trifft ihn ein Verschulden, das sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (, 0312 - ARD 5191/26/2001; - ÖStZB 2005/486).

Für die richtige Beachtung der Fristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei somit stets der Rechtsanwalt verantwortlich. Der Rechtsanwalt muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von behördlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird auch durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (; - ÖStZB 2004/37; - ÖStZB 2004/73; , 0071; , 0146; ; ).

Ist also die Kanzleileiterin eines Parteienvertreters (hier: P) mit der Entgegennahme der Post und der Führung des Fristenvormerkes beauftragt und nimmt der Parteienvertreter seine Überwachungspflicht betreffend diese Tätigkeit nicht wahr (weil er sich lediglich die Akten vorlegen lässt und den Aktenlauf so organisiert hat, dass ihm ein fehlender oder unrichtiger Eintrag im Vormerkbuch nicht auffallen kann), so ist darin ein grober Verstoß gegen die ihm obliegenden Pflichten zu erblicken, von dem nicht gesagt werden kann, es handle sich nur um ein Versehen geringeren Grades ( = ÖJZ 1986, 702/F 487 = ÖStZ 1986, 160).

Ein Rechtsanwalt darf sohin die Festsetzung von Fristen nicht völlig der Kanzleileiterin überlassen und/oder sich allenfalls lediglich auf stichprobenartige Kontrollen beschränken. Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich, denn er selbst hat die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen, und zwar auch dann, wenn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte. Auch eine allenfalls stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen ist nicht ausreichend ().

Wenn Dr. H schon die Fristen nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmte, sondern diese Bestimmung seiner Kanzleileiterin überlassen hat, so wäre es ihm jedenfalls oblegen, diesen Vorgang bzw. die richtige Eintragung im Kalender zu kontrollieren (vgl. , 2000/16/0112; - ÖStZB 2001/52).

Die Erfüllung der einem Rechtsanwalt gegenüber einer Angestellten obliegenden Überwachungspflicht hinsichtlich der Berechnung von Rechtsmittelfristen und deren richtiger Eintragung im Terminkalender durch eine Angestellte ist als nicht ausreichend anzusehen, wenn der Rechtsanwalt nur "stichprobenartige Überprüfungen" durchführt (; ).

Umso mehr lässt ein Parteienvertreter die für die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht, wenn er eine Rechtsmittelfrist ungeprüft nach einem Terminvermerk eines Angestellten bemessen wollte (; - ÖStZB 1999, 463).

In diesem Sinne ist festzuhalten, dass ein Parteienvertreter, der sich aus welchen Gründen auch immer völlig auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, dies daher auf die Gefahr unternimmt, dass dieses Verhalten als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird (; ; - ÖStZB 2005/486).

Auch im gegenständlichen Fall trifft Dr. H daher durch sein Verhalten an der eingetretenen Versäumung der Berufungsfrist ein - seinem Mandanten S zuzurechnendes - Verschulden in einem über einen minderen Grad eines Versehens hinausreichendem Ausmaß, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist abzuweisen war.

War die Berufungsfrist im gegenständlichen Fall aber verstrichen, war gemäß §§ 156 Abs.1 und 4 FinStrG das Rechtsmittel als verspätet zurückzuweisen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Linz,

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
Rechtsanwalt
Kanzleileiterin
Fristenvormerk
Kanzleiorganisation
Wiedereinsetzung
minderer Grad des Versehens
Fristenüberwachung
Versäumung
Berufungsfrist
Verweise


























Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at