Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSG vom 21.11.2006, RV/0240-G/06

Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens


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Miterledigte GZ:
RV/0239-G/06


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Rechtssätze
Folgerechtssätze
RV/0240-G/06-RS1
wie RV/1098-W/04-RS1
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinn des § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der MH, vertreten durch Tybery Res Team Buchh-Unternehm KEG, 8010 Graz, Burggasse 17, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Oststeiermark vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO (Einkommensteuer 2002) sowie Einkommensteuer für das Jahr 2002 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.), die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, beantragte in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 die Gewährung des Alleinverdienerabsetzbetrages gemäß § 33 Abs. 4 EStG 1988. Dieser wurde ihr mit Einkommensteuerbescheid 2002 vom zuerkannt.

Mit Bescheid vom nahm das Finanzamt das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für das Jahr 2002 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf mit der Begründung, anlässlich einer nachträglichen Prüfung der Erklärungsangaben der Bw. seien die im (gleichzeitig erlassenen) Einkommensteuerbescheid angeführten Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen verfügt worden. Im vorliegenden Fall überwiege das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse auf Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen (der Wiederaufnahme des Verfahrens) könnten nicht als geringfügig angesehen werden. Mit dem ebenfalls am erlassenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 wurde der Alleinverdienerabsetzbetrag nicht gewährt mit der Begründung, die steuerpflichtigen Einkünfte des Ehegatten der Bw. seien im Streitjahr höher als der maßgebliche Grenzbetrag von 4.400,00 € gewesen.

Gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einkommensteuer 2002) sowie Einkommensteuer für das Jahr 2002 richtet sich die gegenständliche Berufung mit der Begründung, dem Finanzamt sei bereits im Zeitpunkt der Erlassung des ersten Einkommensteuerbescheides () die Höhe der Einkünfte des Ehegatten der Bw. bekannt gewesen. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 des Ehegatten der Bw. sei am ergangen. Zwischen der Erlassung des Einkommensteuerbescheides der Bw. vom und der Wiederaufnahme des Verfahrens am seien daher keine Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen, deren Kenntnis zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid geführt hätte. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei somit unzulässig gewesen, weshalb der Wiederaufnahmsbescheid ersatzlos aufzuheben sei. Auch eine Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom gemäß § 299 BAO wäre im Jänner 2006 nicht mehr zulässig gewesen, weil die Frist von einem Jahr (ab Bekanntgabe des Bescheides) längst überschritten gewesen sei.

Die abweisende Berufungsvorentscheidung wurde damit begründet, dass die Höhe der Einkünfte des Ehegatten der Bw. eine neue Tatsache im Verfahren der Bw. sei, weil die Höhe der Einkünfte des Partners nicht Bestandteil des Steueraktes der Bw. gewesen sei.

Im Vorlageantrag wurde neuerlich vorgebracht, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Unrecht erfolgt sei, weil keine Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides nicht bereits bekannt gewesen seien. Der Bescheid des Ehegatten der Bw. vom sei in Rechtskraft erwachsen und bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens seien keine Erhebungsmaßnahmen durch die Behörde erfolgt. Auch wenn Partnereinkünfte nicht Bestandteil des Aktes des anderen Partners seien, stelle dies keinen Grund dar, sich über die geltenden Verjährungsfristen von einem Jahr hinwegzusetzen und nach zwei Jahren einen neuen Bescheid zu erlassen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde weiters ausgeführt, dass zwar auch ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgebenden Tatsachen oder Beweismittel im Erstverfahren die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nicht ausschließe, eine solche Wiederaufnahme jedoch nur auf Tatsachen gestützt werden könne, die neu hervorgekommen seien, von denen die Abgabenbehörde also bisher noch keine Kenntnis gehabt habe (vgl. ). Es seien dann keine neuen Tatsachen hervorgekommen, wenn der Abgabenbehörde in dem wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (vgl. , 0016). Eine nachträglich anders geartete Würdigung eines schon bekannt gewesenen Sachverhaltes allein rechtfertige den behördlichen Eingriff in die Rechtskraft nicht (vgl. ). Die Bw. beantragte daher neuerlich, den Wiederaufnahmsbescheid ersatzlos aufzuheben.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ua. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB , oder , mwN) ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde in dem wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinn des § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand aufgrund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen des jeweiligen Veranlagungsjahres.

Dass die für die Wiederaufnahme des Verfahrens maßgebende Tatsache, nämlich die Höhe der Einkünfte des Ehegatten der Bw. im Jahr 2002, aus der Abgabenerklärung (samt Beilagen) der Bw. ersichtlich gewesen wäre, behauptet auch die Bw. nicht. Ermittlungen wurden in diesem Verfahren (Veranlagung der Einkommensteuer der Bw. für das Jahr 2002) zunächst unbestrittenermaßen nicht vorgenommen. Damit aber war die Höhe des Einkommens des Ehegatten der Bw. dem Finanzamt in diesem Verfahren im Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides () nicht bekannt. Ob diese Tatsache dem Finanzamt im Rahmen anderer Verfahren (im gegenständlichen Fall im Verfahren betreffend Veranlagung der Einkommensteuer des Ehegatten der Bw.) bekannt war, ist für das wieder aufzunehmende Verfahren nicht maßgebend (vgl. ). Da - wie auch die Bw. bereits ausführte - ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung maßgeblicher Tatsachen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO nicht entgegen steht, kann die Frage, ob das Finanzamt die Höhe der Einkünfte des Ehegatten der Bw. bereits vor der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuer 2002 der Bw. in diesem Verfahren hätte feststellen können, dahingestellt bleiben. Ob der Behörde die maßgebende Tatsache im wieder aufgenommenen Verfahren durch nach außen gerichtete Ermittlungen oder durch den Vergleich von Angaben der Bw. mit Angaben anderer Abgabepflichtiger in anderen Verfahren bekannt geworden ist, ist für die Berechtigung zur Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Behörde nicht entscheidend.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 303 BAO - bis zum Eintritt der Verjährung zulässig. Da das Recht, die Einkommensteuer 2002 festzusetzen, im Jahr 2006 noch nicht verjährt war, hat sich das Finanzamt bei der Erlassung des Wiederaufnahmsbescheides auch nicht über geltende Verjährungsbestimmungen hinweggesetzt.

Die Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte des Ehegatten der Bw. im Jahr 2002 ist unbestritten. Diese haben laut (rechtskräftigem) Einkommensteuerbescheid 2002 12.418,52 € betragen. Der Alleinverdienerabsetzbetrag steht der Bw. für das Streitjahr daher nicht zu.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Wiederaufnahme
Tatsachen
Neuhervorkommen
Verweise
Zitiert/besprochen in
SWK 25/2007, S 712

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at