Familienbeihilfe einer geschiedenen Frau bei Erwerbsunfähigkeit
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe für die Zeit ab entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Aus dem vom Finanzamt auf Grund des Ansuchens um Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe angeforderten Gutachten des zuständigen Bundessozialamt vom geht Folgendes hervor: "Anamnese: Kommt mit Nachbarin. Patient kommt auf 2 Krücken gehend, da am eine Unterschenkel-OP re. durchgeführt wurde nach Raufhandel mit Schwager. Ich kenn mich bei Anträgen nicht aus, habe das Problem, dass ich innerhalb weniger Minuten alles vergesse, so weis ich zum Teil nicht was ich vor einer ½ Std. gemacht habe und ich kann mir nichts merken, wenn mir wer bei der Arbeit was zeigt, weshalb ich nirgends eine Arbeit bekomme. Zur Zeit habe ich einen Bewährungshelfer, da ich verurteilt wurde, da ich Medikamente, die ich von meinem Hausarzt bekam, verkauft habe. Sie habe teilweise auch als Putzmädchen gearbeitet, wobei sie sogar die Zimmer verwechselt habe und dann wieder in einem Zimmer zu reinigen angefangen hatte, was sie zuvor schon gereinigt hatte. Sie habe 5 Kinder, wobei ihr diese vom Jugendamt entzogen worden seien. Angeblich sei sie auch bereits 5x verheiratet gewesen. Bei ihren Arbeitsversuchen sei sie jeweils mit Arbeitskolleginnen handgreiflich geworden, da sie sich von diesen "Weibern" gereizt fühle." Diagnose: leichte Depressio bei Störung des Sozialverhaltens Zust. n. US-Fraktur dext. operat Gesamtgrad der Behinderung: 30 vH Die Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Das Finanzamt hat den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe für die Berufungswerberin für die Zeit ab unter Hinweis auf die §§ 6 Abs. 5 und 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenasugleichsgesetz 1967 abgewiesen. Laut Bescheinigung des Bundessozialamtes vom sei die Berufungswerberin nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Die dagegen eingebrachte Berufung wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Berufungswerberin fünf Kinder zur Welt gebracht habe, die alle entweder vom Jugendamt abgenommen worden seien und entweder zur Adoption freigegeben oder bei einer Pflegefamilie untergebracht worden seien. Sie sei Sorgepflichten nicht nachgekommen und habe nie Alimente bezahlt. Nach vielen pflegschaftgerichtlichen Untersuchungen sei sie von der Unterhaltspflicht per befreit worden. In all den Jahren der Volljährigkeit habe sie immer wieder Männer gebraucht, die ihr Unterschlupf gaben, um überleben zu können. Aufgrund der Versicherungszeiten der GKK, der Bezüge und der Vermittlungsversuche des AMS, die meist nach wenigen Tagen gescheitert seien, sei zu ersehen, dass die Berufungswerberin nicht in der Lage gewesen sei, auch nur einen geschützten Arbeitsplatz zu halten. Sie verfüge erst seit kurzem über Notstandshilfe von mtl. € 230,40 und Sozialhilfe von € 270, mit der direkt die Wohnung bezahlt werde. Es werde auf den beigelegten Beschluss des BG xx verwiesen, der eine ausführliche Abklärung der Arbeitsfähigkeit der Berufungswerberin durchgeführt habe.
Aus dem vom Finanzamt angeforderten Gutachten des Bundessozialamtes vom geht hervor, dass die Berufungswerberin an "Leichte Intelligenzminderung; Emotionale instabile Persönlichkeit vom impulsiven Typ" leidet und der Gesamtgrad der Behinderung 60 vH beträgt. Eine Nachuntersuchung sei in drei Jahren erforderlich. Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung sei ab aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Die Untersuchte sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Mehrfacher Abbruch von Arbeitsverhältnissen. Unterbringung im geschützten Bereich nicht möglich.
Mit Berufungvorentscheidung vom hat das Finanzamt die Berufung unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 als unbegründet abgewiesen.
Mit Schreiben vom wurde der Antrag auf Vorlage der Berufung an die zweite Instanz gestellt. Die Begründung werde bis längstens nachgereicht.
Am wurde die Begründung des Ansuchens vom Finanzamt urgiert.
Mit Schreiben vom wurde von der Berufungswerberin ersucht, die Frist für die Nachreichung der Beilage zur Berufung um weitere zwei Monate bis zu verlängern.
Mit Schriftstück vom ersuchte der Unabhängige Finanzsenat das zuständige Bundessozialamt um Mitteilung, ob die voraussichtliche Erwerbsunfähigkeit der Berufungswerberin bereits vor deren Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei.
Dazu teilte das Bundessozialamt am mit, dass bestätigt werden könne, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei.
Am ersuchte der Unabhängige Finanzsenat das Finanzamt zu prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe (insbesondere ob Unterhaltsleistungen durch die geschiedenen Ehegatten der Berufungswerberin zu leisten waren bzw. sind) vorliegen.
Der Vorhalt des Finanzamtes vom mit dem Ersuchen um Nachreichung von 1. Kopie der Heiratsurkunden zu den 5 Ehen 2. vollständige Kopie/Originale aller Scheidungsurteile 3. Vergleichsausfertigungen bzgl. bestehender Unterhaltsleistungen der geschiedenen Gatten 4. Beschluss des Gerichtes M. bzgl. des Unterhaltsverfahrens zu Y. blieb unbeantwortet.
Über die Berufung wurde erwogen:
Nach § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Der Verfassungsgerichtshof hat am , B 700/07-3, in einer Beschwerdesache im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Norm (Anm.: § 8 Abs. 6 Familienlastenausgleichsgesetz 1967) ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt hat, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Dem dürfte die Überlegung zu Grunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden kann. Damit kann auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein werden. Der Gesetzgeber hat daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen ist. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen."
Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. z.B. Erk. vom , 92/16/0142) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Das vorliegende Gutachten enthält den Hinweis auf den Satz der Verordnung, weshalb klargestellt ist, in welchem Bereich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit angenommen wird. Ebenso ist nachvollziehbar, welcher Befund dieser Beurteilung zu Grunde liegt. Somit erfüllen aber diese Gutachten die vom VwGH angeführten Kriterien. Aus der Stellungnahme des Bundessozialamtes geht eindeutig hervor, dass eine Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr bestand. Somit würden die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 vorliegen.
Im gegebenen Fall ist jedoch auch § 6 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 zu beachten, wonach kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder besteht, denen Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist.
Art und Umfang des Unterhaltsanspruches eines Ehegatten gegenüber dem anderen Ehegatten ergeben sich aus dem Zivilrecht, insbesondere aus § 94 ABGB, welcher lautet:
"(1) Die Ehegatten haben nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beizutragen.
(2) Der Ehegatte der den gemeinsamen Haushalt führt, leistet dadurch seinen Beitrag im Sinn des Abs. 1; er hat an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Ein Unterhaltsanspruch steht einem Ehegatten auch zu, soweit er seinen Beitrag nach Abs. 1 nicht zu leisten vermag.
(3) Auf Verlangen des unterhaltsberechtigten Ehegatten ist der Unterhalt auch bei aufrechter Haushaltsgemeinschaft ganz oder zum Teil in Geld zu leisten, soweit nicht ein solches Verlangen, insbesondere im Hinblick auf die zur Deckung der Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Mittel, unbillig wäre. Auf den Unterhaltsanspruch an sich kann im Vorhinein nicht verzichtet werden."
Wie oben ausgeführt, ist unbestritten, dass die Berufungswerberin außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Zu prüfen ist daher, ob die Einkünfte des früheren Ehegatten über die eigenen bescheidensten Unterhaltsbedürfnisse hinausgehen, was seine Unterhaltspflicht begründen und somit den Anspruch auf Familienbeihilfe der Berufungswerberin ausschließen würde.
Es ist sachgerecht, sich bei der Höhe der "bescheidensten Bedürfnisse" an den zivilrechtlichen Begriffen "notwendiger bzw. notdürftiger" Unterhalt zu orientieren. Diese wiederum orientieren sich nach der Judikatur zum "Existenzminimum", das die Ausgleichszulagenrichtsätze des § 293 ASVG als Basis hat.
Das Existenzminimum (der Ausgleichszulagenrichtsatz) reicht schon nach dem Wortsinn aus, um die eigenen bescheidensten Unterhaltsbedürfnisse abzudecken und wird auch rechtlich in diesem Sinn verstanden (zB im Unterhaltsrecht, im Pensionsrecht und im Exekutionsrecht). Siehe dazu zB E LGZ Wien 44 R 464/02i, EFSlg 100.944, zu § 68a EheG
"Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Personen zur Befriedigung ihrer einfachsten Lebensbedürfnisse eines bestimmten Mindestbetrages bedürfen. Dieser als absolutes Minimum angesehene Betrag ergibt sich aus §§ 293 f ASVG. Mit dem Betrag für allein stehende Personen nach § 293 Abs. 1 lit. a ASVG stimmt nunmehr auch gemäß § 291a Abs. 1 EO der unpfändbare Freibetrag (Existenzminimum) überein."
Bei der Feststellung des Unterhaltsanspruchs ist von einem Durchschnittseinkommen auszugehen, das im Allgemeinen von einem längeren, nach den möglichen Einkommensschwankungen zu bemessenden Zeitraum zu ermitteln ist ( mwN; der Gerichtshof hat in diesem Urteil ausdrücklich eine monatliche Anpassung des Unterhaltsanspruchs im Falle eines schwankenden Einkommens abgelehnt).
Im vorliegenden Fall wurde aber der diesbezüglich an die Berufungswerberin vom Finanzamt ergangene Vorhalt nicht beantwortet und die entsprechenden Unterlagen wurden nicht vorgelegt. Somit ist es dem Unabhängigen Finanzsenat nicht möglich zu prüfen, ob ein Unerhaltsanspruch der Berufungswerberin gegenüber den früheren Ehegatten bestand.
Aus den angeführten Gründen war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | |
betroffene Normen | § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at