Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 11.06.2010, RV/0167-W/10

Ist die Vorbereitungszeit auf die Ablegung einer Aufnahmeprüfung bereits Berufsausbildung?

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0167-W/10-RS1
Auch die Vorbereitungszeit zur Ablegung einer Aufnahmeprüfung, die Voraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung (eines Studiums) ist, ist selbst bereits als Berufsausbildung anzusehen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich der Prüfling ernstlich und zielstrebig um den Studienfortgang bemüht und die Vorbereitungszeit auch in quantitativer Hinsicht seine volle Zeit in Anspruch genommen hat.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen u.a. für den Zeitraum bis  entschieden:

Der Berufung wird - soweit der angefochtene Bescheid über den Zeitraum bis  abspricht - Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Beim gegenständlichen Berufungsverfahren handelt es sich um das fortgesetzte Verfahren nach Aufhebung der Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates , aufgrund einer Amtsbeschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis . Bemerkt wird, dass der Gerichtshof die gegenständliche Entscheidung nur insoweit aufgehoben hat, als sie über den Zeitraum bis abgesprochen hat. Aus diesem Grund ist auch im fortgesetzten Verfahren auch nur mehr über diesen Zeitraum zu entscheiden.

In der aufgehobenen Entscheidung hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Ansicht vertreten, die Vorbereitungszeit auf die Aufnahmsprüfung für den physiotherapeutischen Dienst sei für die Tochter der Bw. bereits als Berufsausbildung anzusehen, und wörtlich ausgeführt:

"In seinem Erkenntnis vom , 87/13/0135, weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass das Gesetz eine nähere Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung" nicht enthalte. Unter den Begriff seien aber jedenfalls alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zu zählen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem bestimmten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird. An dieser Begriffsumschreibung hat der VwGH auch in seinen Erkenntnissen vom , 87/14/0031, vom , 93/14/0100, und vom , 2000/14/0192, festgehalten.

In seinem Erkenntnis vom , 96/15/0213, hat der Gerichtshof unter Verweis auf , ausgeführt, es sei Ziel einer Berufsausbildung, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehöre regelmäßig auch der Nachweis eines ernstlichen Bemühens um diese Qualifikation. Das Ablegen vorgesehener Prüfungen sei essentieller Bestandteil der Berufsausbildung. Der laufende Besuch einer der Berufsausbildung dienenden schulischen Einrichtung reiche für sich allein noch nicht aus, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen. Entscheidend sei das nach außen erkennbare ernstliche und zielstrebige Bemühen um den Studienfortgang bzw. -abschluss. Dieses Bemühen manifestiere sich im Antreten zu den erforderlichen Prüfungen.

Gemessen an diesen Kriterien kann für die Zeit der Vorbereitung auf die Aufnahmsprüfung für den physiotherapeutischen Dienst das Vorliegen einer Berufsausbildung nicht verneint werden. Es ist durchaus glaubwürdig und angemessen, dass die Vorbereitungszeit hierfür etwas mehr als zwei Monate in Anspruch genommen hat. Die Tochter der Bw. ist zur ersten Teststufe des Berufseignungstests angetreten, worin sich das nach außen erkennbare ernstliche und zielstrebige Bemühen um den Studienfortgang manifestiert. Dass sie die Prüfung letztlich nicht bestanden hat, ändert daran nichts. Somit besteht jedenfalls bis Ende April 2006 Anspruch auf Familienbeihilfe."

Der Verwaltungsgerichtshof hat sein aufhebendes Erkenntnis wie folgt begründet:

"Strittig ist lt. Amtsbeschwerde, ob die volljährige Tochter der Mitbeteiligten im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 im Zeitraum 1. Februar bis "für einen Beruf ausgebildet" wurde. Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 2006/15/0076, und vom , 2008/13/0127).

Dass die Tochter der Mitbeteiligten im Zeitraum Februar bis April 2006 an Lehrveranstaltungen oder Kursen teilgenommen hätte, ist nicht aktenkundig und wurde auch von der belangten Behörde nicht festgestellt. Die belangte Behörde hat vielmehr allein die Vorbereitungszeit für die Aufnahmeprüfung für den physiotherapeutischen Dienst als Berufsausbildungszeit anerkannt. Dabei hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber verkannt, dass es zur Qualifikation als Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 nicht nur auf das "ernstliche und zielstrebige Bemühen um den Studienfortgang" ankommt, sondern die Berufsausbildung auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen muss (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 2007/15/0050, und vom , 2008/13/0013, mwN). Feststellungen in Bezug auf solche quantitativen Anforderungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf die in Rede stehende Aufnahmeprüfung hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht getroffen (die Mitbeteiligte verwies in ihrer Vorhaltsbeantwortung vom auch nur auf das "Studium der einschlägigen dafür zur Verfügung stehenden Literatur"). Der angefochtene Bescheid war daher im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG), somit betreffend Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum bis , wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG aufzuheben."

Der Unabhängige Finanzsenat hat an die Bw. daraufhin folgendes Schreiben gerichtet:

"Sie werden ... gebeten, für den obigen Zeitraum mitzuteilen, welche Zeit die Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung für den physiotherapeutischen Dienst in Anspruch genommen hat und - sofern möglich - einen entsprechenden Nachweis hierfür zu erbringen.

Da Sie vorgebracht haben, Ihre Tochter habe die einschlägige dafür zur Verfügung stehende Literatur studiert, wird weiters ersucht, die Stoffabgrenzung für die Aufnahmeprüfung zu übermitteln und bekanntzugeben, welche konkreten Lehrbücher bzw. Skripten mit welchem Seitenumfang von Ihrer Tochter als Prüfungsvorbereitung herangezogen wurden (allenfalls - sofern der Umfang der Unterlagen dies zulässt - unter Anschluss dieser Lehrbücher bzw. Skripten)."

Die Bw. beantwortete das Schreiben am wie folgt:

"Gemäß Aufforderung vom übermittle ich Ihnen nachfolgende Unterlagen als Bestätigung der ernstlichen und zielstrebigen Bemühungen meiner Tochter ... im Sinne einer Berufsausbildung:

Vom 15. Jänner - bereitete sich meine Tochter ... täglich im Ausmaß von 8 Stunden zur Aufnahmsprüfung: Physiotherapeutischer Dienst vor. Bei einem Studienbeginn um 9 Uhr Vormittags und kleiner Mittagspause saß sie an fünf Tagen die Woche meist bis 17 Uhr über ihren Büchern und Skripten. Als Bücher standen ihr zur Verfügung:

a) Dr. Reichel, Wolfgang, Testtrainer IQ-Tests. Mit Spaß trainieren. Erfolgreich testen, München: Goldmann 2005 2. 208 Seiten.

b) Hesse, Jürgen/Hans Christian Schrader, Testtraining 2000plus. Einstellungs- und Eignungstests erfolgreich bestehen, Frankfurt am Main: Eichborn AG 2004. 606 Seiten.

c) Kolster, Bernard C./Gisela Ebelt-Paprotny, Leitfaden Physiotherapie, München: Urban & Fischer 20024, 774 4 Seiten.

d) zusätzlich informiert sie sich umfassend auf folgenden (und auch vielen anderen) Internetseiten: www.gesundheitsausbildung.at www.physioaustria.atwww.akhwien.athttp://www.physio.at; www.lkh-steyr.atwww.gespag.at; http://fachhochschulen.at/FH/Studium/Physiotherapie_3117.htm

[Bei der Aufnahmsprüfung im Wiener AKH (1. Auswahlstufe) am wurden die Prüflinge mit auf Screens projizierten Fragen konfrontiert, die sie auf Papier zu beantworten hatten. Jede projizierte Seite enthielt eine Reihe von Testfragen und verschwand nach festgesetzter Zeiteinheit. Hatte man die Frage nicht rasch genug verstanden und beantwortet, gab es keine Möglichkeit mehr sich damit zu beschäftigen; hatte man sich in der Numerierung der Frage (beim Blickwechsel vom Screen zum Papier) geirrt, wurden alle nachfolgenden Fragen als falsch gewertet.]"

Beigelegt waren dem Schreiben eine Auswahl von Kopien der Exzerpte, und zwar rund 20 Seiten Prüfungsfragen, ein Bericht über das Klonschaf Dolly, Allgemeines über Physiotherapie (6 Seiten), eine Aufstellung über berühmte österreichische Ärzte und ein medizinisches Begriffslexikon (11 Seiten).

Die Berufungsbehörde hat der Amtspartei die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis gebracht.

Über die Berufung wurde erwogen:

Die Ausbildung zum Physiotherapeuten ist in § 18 des Bundesgesetzes über die Regelung der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD-Gesetz) enthalten. Fest steht weiters, dass über die Aufnahme in die Akademie für den physiotherapeutischen Dienst durch einen dreiteiligen Berufseignungstest und die Aufnahmekommission entschieden wird, wobei Voraussetzung für den Antritt zum zweiten und dritten Teil die positive Absolvierung des jeweils vorangegangenen Teils ist.

Als erwiesen anzunehmen ist ferner, dass sich die Tochter ab dem für den ersten Teil des Aufnahmetests vorbereitet hat und am zur Prüfung angetreten ist, diese aber nicht bestanden hat.

Zunächst ist zu überprüfen, ob die Vorbereitungszeit zur Ablegung des Aufnahmetests für den physiotherapeutischen Dienst bereits eine Berufsausbildung iSd FLAG darstellen kann. Die von der Judikatur entwickelten grundsätzlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer derartigen Berufsausbildung sind beispielsweise dem aufhebenden Erkenntnis , mwN, zu entnehmen.

Fest steht, dass sich die Tochter keinen "schulischen oder kursmäßigen Ausbildungen" unterzogen, sondern sich eigenständig in einem Zeitraum von rund 2 ½ Monaten auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet hat, was aber für sich betrachtet keineswegs dem Vorliegen einer Berufsausbildung hinderlich sein kann. Unbestritten ist nämlich, dass die positive Absolvierung des Aufnahmetests eine unverzichtbare Bedingung für die Ausbildung zum Physiotherapeuten darstellt. Somit ist kein Grund einzusehen, warum nicht auch die Vorbereitungszeit auf die Erfüllung dieser Voraussetzung schon das Vorliegen einer Berufsausbildung impliziert, wobei das Ablegen derartiger Aufnahmeprüfungen in verschiedenen (überlaufenen) Studienrichtungen völlig üblich geworden ist.

Auch der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem aufhebenden Erkenntnis ganz offensichtlich davon ausgegangen, dass die Vorbereitungszeit zur Ablegung des Aufnahmetests dem Grunde nach als Berufsausbildung anzusehen ist. Er hat aber beanstandet, dass die belangte Behörde keine Feststellungen dergestalt getroffen hat, ob die Berufsausbildung auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch genommen hat. Wäre der Gerichtshof der Meinung gewesen, es liege schon dem Grunde nach keine Berufsausbildung vor, hätte es dieser Aussage im Erkenntnis nicht bedurft.

Der Unabhängige Finanzsenat hat nunmehr die vom VwGH vermissten Ermittlungen nachgeholt. Die Bw. gibt in ihrem Schreiben vom an, dass sich ihre Tochter täglich im Ausmaß von acht Stunden auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet hat. In Hinblick auf den zur Verfügung stehenden Vorbereitungszeitraum von rund zehn Wochen und den von der Bw. dokumentierten Stoffumfang nimmt es die Berufungsbehörde jedenfalls als erwiesen an, dass sich die Tochter nicht nur ernstlich und zielstrebig um den Studienfortgang bemüht, sondern die Berufsausbildung auch in quantitativer Hinsicht ihre volle Zeit in Anspruch genommen hat.

Somit ergibt sich auch im fortgesetzten Verfahren, dass der Rückforderungsbescheid für den noch strittigen Zeitraum zu Unrecht ergangen ist.

Wien, am

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