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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 28.10.2005, RV/0293-I/05

Gerichtlich strafbare Tat als Wiederaufnahmegrund

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/0293-I/05-RS1
wie RV/0311-I/03-RS1
Der bloße Hinweis auf eine laufende Voruntersuchung des Landesgerichtes reicht nicht aus, den Wiederaufnahmsgrund der "anderen gerichtlich strafbaren Tat" in § 303 Abs. 1 lit. a BAO herzustellen, solange keine Konkretisierung erfolgt, in welcher Weise damit sowohl von der objektiven als auch von der subjektiven Tatseite her der Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt worden sein soll (vgl. dazu , 539/80, 540/80; ergangen zu § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950).

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, vertreten durch Steuerberater, vom gegen den am ausgefertigten Bescheid des Finanzamtes, mit dem der die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1999 verfügende Bescheid gemäß § 299 BAO aufgehoben wurde, entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber führt ein nicht protokolliertes Einzelunternehmen. Er wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer für 1999 veranlagt. Im Anschluss an eine abgabenbehördliche Prüfung verfügte das Finanzamt mit Bescheid vom die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich dieser Abgabe. Die Bescheidbegründung lautet:

"Die Wiederaunfahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (4) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen."

Im Betriebsprüfungsbericht vom , AbNr. Bp 101087/02, wurde unter Tz 75 nachfolgender formularmäßig vorgegebener Text angekreuzt:

"Hinsichtlich nachstehend angeführter Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen":


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Abgabenart
Zeitraum
Hinweis auf Tz
Einkommensteuer
1995 - 2001
30 - 45

Der Ermessensgebrauch wurde unter Tz 76 wie folgt begründet:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gemäß § 303 Abs. 4 und Abs. 1 lit. a BAO unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung gemäß § 99 FinStrG (Anm. des UFS: es handelte sich um keine Wiederholungs-, sondern eine Erstprüfung) in Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes I unter GZ ... gegen Dr. A und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 13 in Verbindung mit § 302 StGB, da davon auszugehen ist, dass die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden durch ebendiese gerichtlich strafbare Handlungen herbeigeführt wurden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessenabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."

Der Abgabepflichtige erhob am Berufung. Er sei weder im Zusammenhang mit der im Wiederaufnahmebescheid angeführten Voruntersuchung des Landesgerichtes I noch auf Grund einer Anzeige des Finanzamtes "in ein gerichtliches Strafverfahren involviert". Der vom Finanzamt herangezogene Wiederaufnahmegrund liege nicht vor.

Mit Bescheid vom hob das Finanzamt den Wiederaufnahmebescheid vom gemäß § 299 Abs. 1 BAO auf, weil "die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen iSd § 303 Abs. 1 lit. a BAO" nicht vorgelegen seien (die Berufung vom wurde als unzulässig geworden zurückgewiesen).

Der Abgabepflichtige erhob am auch gegen den Aufhebungsbescheid vom Berufung und beantragte dessen "ersatzlose Aufhebung" mit folgender Begründung:

Das Finanzamt habe den Wiederaufnahmebescheid vom wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Ein Bescheid sei dann rechtswidrig, "wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspreche". Dies sei insbesondere der Fall bei "unrichtiger Auslegung von Abgabenvorschriften, mangelnder Kenntnis abgabenrechtlich bedeutsamer Tatsachen, Übersehen aktenkundiger Umstände etc". Die Aufhebung des Bescheides setze also die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus. Der Spruch des Bescheides vom betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteur 1999 sei daher nicht rechtswidrig. Die im Prüfungsbericht unter Tz 30 - 45 erfolgten Feststellungen würden § 303 Abs. 4 BAO entsprechen. Dass die Begründung des Ermessensgebrauches in Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten stehe, sei "als Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zu sehen". Seit sei aber eine Bescheidaufhebung "allein wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften (mangelhafter Begründung)" nicht mehr möglich. Aus dem bekämpften Aufhebungsbescheid sei auch der zur Aufhebung führende Gedankengang der Behörde nicht nachvollziehbar. Laut Rechtsprechung genüge eine formelhafte Angabe des Ermessensgebrauches nicht den an die Bescheidbegründung gestellten Anforderungen. Dass der Bescheid rechtswidrig gewesen sei, sei "vorerst einmal eine Behauptung".

Die Berufung wurde dem Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach den Ausführungen des Prüfungsberichtes, auf den sich die Begründung des (aufgehobenen) Verfahrensbescheides bezieht, erfolgte die Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 4 iVm Abs 1lit. a BAO "unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung ...", da davon auszugehen sei, "dass die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide ... durch gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden" seien. Dabei verwies das Finanzamt I auf die laufende "Voruntersuchung des Landesgerichtes I gegen Dr. A und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB".

Die Wiederaufnahme von Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Handlungen setzt keine gerichtliche Verurteilung voraus. Das Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung stellt vielmehr eine Vorfrage dar (Ritz, BAO, Kommentar, § 303 Tz 5), die - solange das zuständige Strafgericht nicht entschieden hat - von der Abgabenbehörde gemäß § 116 Abs. 1 BAO nach eigener Anschauung zu beurteilen ist. Eine solche Beurteilung (Vorfragenklärung) hat in der Begründung des jeweiligen Bescheides zu erfolgen (Ritz, BAO, Kommentar, § 116 Tz 8).

Die Beurteilung der Frage, ob Abgaben hinterzogen wurden (§ 33 FinStrG) erfordert eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellungen. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde unter Anlegung strafrechtlicher Maßstäbe nachzuweisen. Dabei kann eine Hinterziehung von Abgaben erst angenommen werden, wenn - in ebenso nachprüfbarer Weise - auch die subjektive Tatseite festgestellt ist. Im Grunde dieselben Überlegungen gelten für die Beurteilung der Frage, ob ein Amtsmissbrauch (§ 302 StGB) begangen wurde, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass diese Handlung nur in der Vorsatzform der Wissentlichkeit begangen werden kann. Es gilt die Unschuldsvermutung und wegen der Beweislast, die die Abgabenbehörde trifft, als verfahrensrechtliche Richtschnur der Zweifelsgrundsatz (z.B. ).

Trifft die Abgabenbehörde die Beweislast, ist es ihr Recht, aber auch ihre Pflicht, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine bestimmte Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht (freie Beweiswürdigung; § 256 Abs. 2 StPO). Die im Einzelfall als erwiesen angenommene Tat muss so eindeutig umschrieben und bezeichnet sein, dass kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Beschuldigte zu bestrafen ist (vgl. , sowie § 260 Abs. 1 Z 1 StPO).

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich das Vorliegen strafbarer Handlungen als "das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung gemäß § 99 FinStrG in Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes I". Abgesehen davon, dass hinsichtlich Einkommensteuer 1999 keine Wiederholungs-, sondern eine Erstprüfung erfolgt ist, fehlt es damit im vorliegenden Abgabenverfahren an jeglichen Anhaltspunkten konkreter Art, welche strafbare Handlung gesetzt worden ist, was zur Folge hat, dass dem Konkretisierungsgebot einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht entsprochen wurde. Dies gilt ungeachtet dessen, dass sich der Hinweis auf § 303 Abs. 1 lit. a BAO unter Textziffer 76 des Prüfungsberichtes findet, mit der die "Begründung des Ermessensgebrauches" dargestellt werden sollte. Die Ausführungen des Prüfungsberichtes beziehen sich ausschließlich auf den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund (lit. a).

Der Hinweis auf eine Geschäftszahl, zu der beim Landesgericht "gegen Dr. A und andere" Personen gerichtliche Voruntersuchungen eingeleitet worden sind, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Eine solche Voruntersuchung dient nur der Prüfung der Frage, ob eine - gegen eine bestimmte Person wegen bestimmter strafbarer Handlungen erhobene - Anschuldigung zur Erhebung einer Anklage ausreicht oder ob die Einstellung des Verfahrens geboten ist (Fabrizy, StPO, 9. Aufl., Wien 2004, § 91 StPO Tz. 1). Im Prüfungsbericht (und folglich auch in der Begründung des aufgehobenen Bescheides) mangelt es an jeglichen nachvollziehbaren Feststellungen zur Frage, welche Personen aus dem - solchermaßen nur völlig unbestimmt umschriebenen - Personenkreis tatsächlich tätig und strafbar geworden sind. Vor allem aber wurde nicht dargelegt, welche Handlungen, die in den Bereich strafrechtlicher Verantwortung fallen, von danach in Betracht kommenden Personen tatsächlich gesetzt worden sind. Eine solche Darstellung lassen sowohl die Niederschrift vom als auch der Prüfungsbericht vom vermissen.

Einen anderen Wiederaufnahmsgrund als § 303 Abs. 1 lit. a BAO hat das Finanzamt nicht herangezogen. Im Zuge der Betriebsprüfung wurden zwar Feststellungen getroffen, die zu einer Steuernachforderung geführt haben. Das Finanzamt hat sich in der Begründung des Wiederaufnahmebescheides auf den Tatbestand des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 303 Abs. 4 iVm Abs. 1 lit. b BAO aber nicht gestützt. Vielmehr ging es, wie ausgeführt, "unter Bedachtnahme auf das Ergebnis einer Wiederholungsprüfung" (Anm.: eine solche hat gar nicht stattgefunden) davon aus, dass bei der "Erstprüfung" tätige Personen strafbare Handlungen zu verantworten hätten.

Das Finanzamt hat somit die Wiederaufnahme des Verfahrens auf einen unzutreffenden Wiederaufnahmegrund gestützt und den Bescheid dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Entgegen der Ansicht des Berufungswerbers liegt kein bloßer Begründungsmangel vor. Der Bescheid vom , mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1999 verfügt wurde, war daher aufzuheben.

Als unzutreffend erweist sich auch das Vorbringen, dem bekämpften Aufhebungsbescheid sei nicht zu entnehmen, "warum die Behörde zur Aufhebung gemäß § 299 BAO" gekommen sei. In der Begründung des Aufhebungsbescheides wurde ausdrücklich dargestellt, dass die im § 303 Abs. 1 lit. a BAO angeführten Voraussetzungen nicht gegeben waren. Damit waren die zur Aufhebung führenden Überlegungen der Behörde zweifelsfrei auch für den Abgabepflichtigen nachvollziehbar, hat er doch zuvor selbst (in der Berufung vom sowie in der Beantwortung eines Mängelbehebungsauftrages vom ) das Nichtvorliegen des herangezogenen Wiederaufnahmegrundes eingewendet.

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Wiederaufnahme
Wiederaufnahmegrund
gerichtlich strafbare Tat
Amtsmissbrauch

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at