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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 18.05.2011, RV/0346-W/10

Maßgeblichkeit der letztgültigen amtlichen Bescheinigung für den Behindertenfreibetrag

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/0346-W/10-RS1
Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, ist die jeweils letztgültige amtliche Bescheinigung maßgeblich. Die bei der Voreinstufung durch den Amtsarzt getroffenen Feststellungen werden durch eine aktuellere Einstufung durch das Bundessozialamt ersetzt.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, Adr, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2008 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

In der Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung beantragte der Berufungswerber (Bw.) die Berücksichtigung des pauschalen Freibetrages gem. § 35 Abs. 3 EStG wegen einer Behinderung (Grad der Behinderung 100%) als außergewöhnliche Belastung.

Abweichend davon anerkannte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid vom lediglich den einer Behinderung von 50% entsprechenden Freibetrag. Begründend wurde ausgeführt, dass laut den dem Finanzamt übermittelten Daten des Bundessozialamtes beim Bw. ab 1994 eine 50%-ige Behinderung vorliege. Diese würden die Bestätigung des Polizeiarztes vom ersetzen.

In der Berufung brachte der Bw. vor, dass im Steuerbuch 2009 ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass die bis 2004 vom Amtsarzt ausgestellten Bescheinigungen über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) weiterhin gültig seien.

Das Bundessozialamt Wien sei nicht berechtigt, die im Auftrag der Finanzbehörde bis 2004 von den Amtsärzten ausgestellten Bescheinigungen aufzuheben bzw. abzuändern.

Der Grad der Behinderung sei am von einem für den Sprengel des Finanzamtes 12/13/14/Purkersdorf zuständigen Amtsarzt des Bundespolizeikommissariates Wien-Penzing auf dem Formular L 38 bescheinigt worden. Aus dieser Bescheinigung gehe eindeutig hervor, dass der Bw. wegen Schizophrenie zu 100% dauernd erwerbsgemindert sei. Über Verlangen der Finanzbehörde könnten entsprechende Gutachten vorgelegt bzw. beigebracht werden.

Mit Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass ab der Grad der Behinderung durch ärztliche Sachverständige des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen festgestellt werde. Bescheinigungen, die vor dem von der nach der alten Rechtslage zuständigen Stelle ausgestellt wurden, behielten ihre Gültigkeit auch nach dem weiter. Werde jedoch nach dem beim Bundessozialamt ein Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt, so sei dies die zuletzt gültige Bescheinigung. Die Bestätigung des Amtsarztes über den Grad der Behinderung in Höhe von 100% sei im Kalenderjahr 1990 erfolgt, die Bestätigung des Bundessozialamtes über einen Behinderungsgrad von 50% sei jedoch erst Jahre später ausgestellt worden. Die Bestätigung des Bundessozialamtes ersetze daher die Amtsarztbestätigung vom .

Im Vorlageantrag wendet der Bw. ein, dass er weder am noch in den folgenden Jahren einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundessozialamt Wien gestellt habe und legte seiner Eingabe eine Bestätigung des Bundessozialamtes vom bei. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass der Bw. nach dem keine neuerlichen Anträge beim Bundessozialamt eingebracht hat.

In der Folge wurde das Bundessozialamt vom Finanzamt um Übermittlung des dort aufliegenden aktuellen und des für das Jahr 1994 gültigen ärztlichen Sachverständigengutachtens ersucht. Vorgelegt wurde das Gutachten vom , welches dem Bw. wegen einer schizophrenen Psychose mit cykloidem Verlauf einen Behinderungsgrad von 50% bescheinigt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Strittig ist, in welcher Höhe der pauschale Freibetrag wegen Behinderung als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen ist.

Aktenkundig sind das ärztliche Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom , das dem Bw. wegen einer schizophrenen Psychose mit cykloidem Verlauf einen Behinderungsgrad von 50% bescheinigt sowie die Bescheinigung eines Amtsarztes der Bundespolizeidirektion Wien über eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 100% vom . Aktenkundig ist weiters, dass der Bw. seit 1994 Inhaber eines Behindertenpasses ist und dass der am ausgestellte Behindertenpass einen Behinderungsgrad von 50% ausweist.

Der mit "Behinderte" überschriebene § 35 EStG 1988 sieht einen Freibetrag für den Fall einer körperlichen oder geistigen Behinderung vor. Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit. In § 35 Abs. 2 wird festgelegt, dass die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung bestimmt bezeichneter Stellen (Landeshauptmann, Sozialversicherungsträger, Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) nachzuweisen ist.

Gemäß § 124b Ziffer 111 EStG 1988 ist § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 erstmals auf Bescheinigungen anzuwenden, die nach dem ausgestellt werden. Bescheinigungen, die vor dem gemäß § 35 Abs. 2 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 180/2004 ausgestellt werden, gelten ab als Bescheinigungen im Sinne des § 35 Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004.

Mit dieser Regelung wurde klargestellt, dass die vor dem ausgestellten Bescheinigungen den nach dem ausgestellten gleichgestellt werden und diese für den Nachweis der Behinderung und für das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch nach dem verwendet werden können. Bei Fehlen dieser Übergangsbestimmung wäre der Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 nur dann zugestanden, wenn die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine Bescheinigung der zuständigen Stelle gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 180/2004 (Landeshauptmann, Sozialversicherungsträger oder Bundessozialamt) nachgewiesen hätte werden können. Die Inhaber von vor dem ausgestellten Bescheinigungen wären (bei Fehlen dieser Übergangsbestimmung) verpflichtet gewesen, die Ausstellung neuer Bescheinigungen zu beantragen. Um dies zu verhindern, sah der Gesetzgeber mit dieser Übergangsbestimmung die Möglichkeit vor, die vor dem ausgestellten Bescheinigungen bis zur Ausstellung einer neuen für die Inanspruchnahme des Freibetrages verwenden zu können (vgl. RV/0263-G/10).

Allgemein ist betreffend der zeitlichen Geltung von Bescheinigungen festzuhalten, dass solche nur bis zur Ausstellung einer neuen Bescheinigung gültig sind. Die Abgabenbehörde hat ihrer Entscheidung die jeweils vorliegende amtliche Bescheinigung zugrunde zu legen ().

Im vorliegenden Fall stellte das Bundessozialamt mit Gutachten vom fest, dass der Grad der Behinderung 50% beträgt. Auch der - auf Basis dieses Gutachtens - am ausgestellte Behindertenpass weist diesen Grad der Behinderung aus. Der festgestellte Grad der Behinderung beruht auf einem Defektzustand einer schizophrenen Psychose mit cykloidem Verlauf. Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, waren im Sinne obiger Ausführungen die Feststellungen des Bundessozialamtes maßgeblich und die Abgabenbehörde war an diese gebunden. Die am und somit vor Erstellung des Gutachtens des Bundessozialamtes und vor Ausstellung des Behindertenpasses vom Amtsarzt des Bundespolizeikommissariates Penzing ausgestellte Bescheinigung war nicht zu berücksichtigen.

Der Einwand des Bw., dass die vom - nach der alten Rechtslage - zuständigen Amtsarzt am ausgestellte Bescheinigung trotz des vorliegenden Gutachtens des Bundessozialamtes vom weiterhin gültig sei, geht daher ins Leere, weil die aktuellere Einstufung durch das Bundessozialamt die bei der Voreinstufung durch den Amtsarzt getroffenen Feststellungen ersetzt.

Auch die vom Bw. vorgelegte Bestätigung des Bundessozialamtes, wonach er nach dem keine neuerlichen Anträge eingebracht hat, vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil es sich bei der Bescheinigung des Bundessozialamtes um die zuletzt gültige handelt, auch wenn diese vor dem erstellt wurde.

Gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 wird bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) von 45% bis 54% jährlich ein Freibetrag von € 243 gewährt. Das Finanzamt gewährte dem Bw. den, dem festgestellten Grad der Behinderung entsprechenden Freibetrag.

Aus den dargestellten Erwägungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Verweise

RV/0263-G/10

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at