Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSS vom 10.05.2011, RV/0504-S/09

Keine Heimerziehung bei Unterbringung in einem Pensionszimmer

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vertreten durch Mag. Barbara Bahus, VertretungsNetz - Sachwalterschaft, 5020 Salzburg, Petersbrunnstraße 9, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab April 2009 entschieden:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Im März 2009 stellte die am geborene Berufungswerberin (Bw), die durch eine Sachwalterin vertreten wird, einen Antrag auf Gewährung von erhöhter Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend ab Antragstellung. Im Zuge eines Vorhalteverfahrens teilte die Sachwalterin dem Finanzamt mit, dass die Bw ihren Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe bestreite und ein Antrag auf Pflegegeld bereits gestellt sei. Dem Schreiben beigelegt waren der Sozialhilfebescheid sowie eine fachärztliche Stellungnahme sowie mehrere Arztberichte.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag für den Zeitraum ab April 2009 mit der Begründung, die Bw lebe auf Kosten der Sozialhilfe, zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob die Bw durch ihre Vertreterin Berufung und führte darin im Wesentlichen an, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 89/13/0248, klargestellt habe, dass die Unterbringung eines Kindes in einer Wohnung auf Kosten der Sozialhilfe einer Heimunterbringung nicht gleichzusetzen sei. Der Gesetzgeber gehe erkennbar von der Vorstellung aus, dass die Heimerziehung das Kind jedenfalls der Sorgen um seinen Lebensunterhalt enthebe, während er bei einer Lebensführung außerhalb eines Heimes den Lebensunterhalt offenbar nicht in gleicher Weise für gesichert halte. Die Bw. beziehe eine Sozialhilfeleistung von € 464,50 monatlich, auch die Miete werde von der Sozialhilfe getragen. Die Sonderzahlungen von € 232,25 (Anm.: laut Bescheid € 116,12) im März, Juni, September und Dezember dienten zur Deckung des Aufwandes für Heizung und Kleidung. Die Bw. sei behinderungsbedingt nicht in der Lage, einen Haushalt zu führen und selbst zu kochen. Die Wohnversorgung in einem Pensionszimmer führe zu erheblichen Mehraufwendungen, die Versorgung mit täglich zumindest einer warmen Mahlzeit erfolge außerhäuslich, ebenso die Reinigung von Kleidung und Wäsche. Für Bekleidung und Schuhe müssten höhere Kosten veranschlagt werden, weil die Bw aufgrund ihrer Behinderung damit nicht achtsam umgehen könne. Zur Deckung ihrer individuellen Bedürfnisse (Freizeitgestaltung, CDs, Kleidung, Lebensmittel etc.) erhalte die Bw durchschnittlich € 400,00 pro Monat. Die Gegenüberstellung der monatlichen Lebenshaltungskosten und der zur Verfügung stehenden Mittel ergebe, dass die Bw. für ihren Unterhalt nicht aufkommen könne.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass es für den Familienbeihilfenanspruch nach § 6 Abs. 5 FLAG nicht auf die Art der Unterbringung, sondern auf die unmittelbare und gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand abkomme. Da die Bw nicht zu Ihrem Unterhalt beitrage, habe sie keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

Daraufhin stellte die Vertreterin der Bw einen Vorlageantrag und führte darin ergänzend aus, dass es das Finanzamt verabsäumt habe, sich mit der Unterscheidung zwischen Heimerziehung auf Kosten der Sozialhilfe und dem Wohnen in einer eigenen Wohnung bei Bezug von Sozialhilfemitteln und deren Relevanz für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe auseinanderzusetzen. Nur HeimbewohnerInnen, deren Lebensunterhalt durch die Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers vollends gesichert sei, hätten nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/15/0210 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Als wesentliche Kriterien einer Heimerziehung würden im Erkenntnis vom , 96/14/0140 gesehen, dass sich das Kind bei einer Heimerziehung um die allgemeinen Dinge der Lebensführung nicht zu kümmern brauche, einer Reglementierung des Tagesablaufs und einer regelmäßigen Aufsicht unterliege und ihm - soweit erforderlich - eine regelmäßige Pflege gewährt werde. Im Erkenntnis vom , 98/15/0053 habe der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen einer Heimerziehung ausgeschlossen, wenn eine Person gemeinsam mit einer zweiten als Mieter eine Gemeindewohnung bewohne, eine nur wenige Stunden pro Woche umfassende Betreuung erhalte, einen geschützten Arbeitsplatz inne habe und ein Mittagessen erhalte, auch wenn für sie ein Sachwalter bestellt sei.

In der Folge wurde vom Finanzamt das ärztliche Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom eingeholt, in welchem ein Grad der Behinderung von 60 vH ausgewiesen wird und festgestellt wird, dass die Bw voraussichtlich nicht dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mittels Vorhalt ersuchte der Unabhängige Finanzsenat ua um Stellungnahme zu diesem Gutachten. In Ihrer Stellungnahme legte die Vertreterin der Bw. dar, dass ihr das Gutachten in keiner Weise nachvollziehbar sei.

Daraufhin veranlasste der Unabhängige Finanzsenat die Erstellung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens unter Berücksichtigung der Einwendungen der Sachwalterin.

Im klinisch-psychologischen Sachverständigengutachten vom wurde festgestellt, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit bisher nicht erreicht wurde und die Bw voraussichtlich dauerhaft außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Laut der ergänzenden Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes besteht ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vH zumindest seit Juni 2005 und ist die Bw seit dieser Zeit auch außerstande sich den Unterhalt zu verschaffen.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Danach gilt unter anderem für volljährige Vollwaisen, dass sie Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden (§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967).

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Im gegenständlichen Fall liegt ein derartiges Sachverständigengutachten vor, mit dem der Eintritt einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bescheinigt wurde. Strittig ist im gegenständlichen Verfahren somit ausschließlich, ob die Lebensführung der Bw (das Leben in einem Pensionszimmer und die Tragung der Kosten für dieses Zimmer und den Lebensunterhalt durch die Sozialhilfe) einer Heimerziehung auf Kosten der Sozialhilfe gleichzustellen ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird nicht zwischen den beiden Begriffen Heimerziehung oder Anstaltspflege unterschieden. In zahlreichen Erkenntnissen hat der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung getroffen, dass gemäß § 6 Abs. 5 FLAG iVm § 6 Abs. 2 lit. d FLAG nach der Absicht des Gesetzgebers in Fällen, in denen der Unterhalt der behinderten Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder in einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen soll. Es kommt dabei nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die Kostentragung durch die öffentliche Hand an (z.B. ; ; u.a.).

Im Erkenntnis vom , 98/15/0053, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen: Nun kommt es zwar bei der Beurteilung, ob eine Heimerziehung vorliegt, nicht auf die Bezeichnung der Einrichtung an, in welcher das Kind untergebracht ist. Wenn aber eine Person (gemeinsam mit einer zweiten) als Mieter eine Gemeindewohnung bewohnt, kann in einem besonders gelagerten Ausnahmefall das Tatbestandsmerkmal der Heimerziehung erfüllt sein. Bei einer nur wenige Stunden pro Woche umfassenden Betreuung des Wohnungsmieters kann aber von einer Heimerziehung keine Rede sein. Daran vermag die Tatsache eines geschützten Arbeitsplatzes und die Bereitstellung eines Mittagessens nichts zu ändern. Auch der Umstand, dass ein Sachwalter bestellt ist, bedeutet in keiner Weise, dass eine Heimerziehung gegeben ist.

In dieser Entscheidung verweist der Verwaltungsgerichtshof auch auf das Erkenntnis vom , 96/14/9140, dem zu entnehmen ist, dass wesentliche Kriterien, die eine Heimerziehung von der bloßen Unterbringung in einer Wohnung unterscheiden, darin bestehen, dass sich das Kind bei der Heimerziehung um die allgemeinen Dinge der Lebensführung nicht zu kümmern brauche, einer gewissen Reglementierung des Tagesablaufs und einer regelmäßigen Aufsicht unterliege und ihm, soweit erforderlich, eine regelmäßige Pflege gewährt werde. Im Sinn dieser Ausführungen kann es keineswegs allein als ausreichend für das Vorliegen einer "Heimerziehung" gesehen werden, wenn die Lebensführung zur Gänze aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 98/15/0053, letztlich in Ermangelung der oben genannten Kriterien das Vorliegen von "Heimerziehung" verneint, obwohl auch hier die Lebensführung auf Kosten der öffentlichen Hand erfolgte.

Im gegenständlichen Fall lebte die Bw allein in einem Pensionszimmer und musste sich um die allgemeinen Dinge der Lebensführung - mit punktueller Unterstützung - selbst kümmern. Ihr Tagesablauf unterlag keiner Reglementierung und sie unterlag keiner regelmäßigen Aufsicht. Bei dieser Sachlage liegt eine Heimerziehung nicht vor und gebührt der Bw daher die erhöhte Familienbeihilfe.

Mit dem bekämpften Bescheid vom hat das Finanzamt den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe ab April 2009 abgewiesen. Der Antrag auf rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab April 2004 (bis März 2009) ist festzuhalten, dass dieser Antrag noch unerledigt ist und die Entscheidung darüber in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes fällt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Salzburg, am

Beilage: Klinisch-Psychologisches Sachverständigengutachten vom samt Stellungnahme

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at