Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 02.10.2007, RV/1147-W/07

Hinzurechnung eines Betrages von € 8.000,00 bei beschränkter Steuerpflicht

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., Deutschland, vertreten durch SKP Schüßling, Kofler & Partner GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, 6020 Innsbruck, Adamgasse 23, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2005 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw.) ist deutscher Staatsbürger und an seinem Wohnort in M., Deutschland, als Diplompsychologe selbständig tätig. Daneben ist er Gesellschafter-Geschäftsführer der T-GmbH mit dem Sitz in Innsbruck und einer Zweigniederlassung in Wien, wobei er im berufungsgegenständlichen Jahr 2005 51 % der Anteile gehalten hat. Mit dem von dieser Gesellschaft bezogenen Geschäftsführerentgelt ist er, da er in Österreich weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (nach seinen eigenen Angaben kommt er zwei- bis dreimal im Monat für einige Tage nach Wien), beschränkt steuerpflichtig.

In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2005 (bei beschränkter Steuerpflicht) sind Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 98 Z 2 EStG 1988 in Höhe von € 12.231,07 angegeben.

Das Finanzamt Wien 1/23 veranlagte den Bw. mit Bescheid vom wie folgt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Einkünfte aus selbständiger Arbeit
12.231,07
Gesamtbetrag der Einkünfte
12.231,07
Pauschbetrag für Sonderausgaben
- 60,00
Einkommen
12.171,07
Hinzurechnung gemäß § 102 Abs. 3 EStG 1988
8.000,00
Einkommensteuerbemessungsgrundlage
20.171,07
Einkommensteuer (20.171,07 - 10.000,00) x 5.750,00 / 15.000,00
3.898, 91

In der Berufung vom brachte der steuerliche Vertreter des Bw. vor, dass sich bei Auslegung der Bestimmung des § 102 Abs. 3 EStG 1988 die Frage stelle, ob es sich - wie vom Finanzamt angenommen - um eine Einkommensermittlungsvorschrift handle, bei der es zur Besteuerung eines fiktiven Einkommens komme, oder um eine bloße Tarifvorschrift, die sich lediglich wie ein Progressionsvorbehalt auswirke. In diesem Fall wäre der Durchschnittssteuersatz auf Basis eines um € 8.000,00 erhöhten Einkommens zu ermitteln und anschließend wäre dieser Durchschnittssteuersatz auf das tatsächliche Einkommen anzuwenden.

Unterziehe man den Wortlaut des § 102 Abs. 3 EStG 1988 einer genauen Untersuchung, sei festzustellen, dass der Wortlaut beide Auslegungsvarianten zulasse.

So setze das OECD-Musterabkommen zur Einkommensteuer in Art. 23 A Abs. 3 betreffend den Progressionsvorbehalt fest, dass "Einkünfte oder Vermögen einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in diesem Staat auszunehmen ist, .... gleichwohl in diesem Staat bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen .... der Person einbezogen werden" könne.

Eine Analyse dieser Formulierung "bei der Festsetzung der Steuer einbezogen" lege bei der wörtlichen Interpretation des § 102 Abs. 3 EStG 1988 den Schluss nahe, dass der Gesetzgeber - gleich dem Doppelbesteuerungsabkommen - einen Progressionsvorbehalt im Sinn gehabt habe.

Bei einer systematischen, im Rahmen des EStG 1988 vorgenommenen Interpretation müsse von § 2 ausgegangen werden: Nach Abs. 1 unterliege nur das Einkommen jeweils eines Kalenderjahres der Einkommensteuer. Abs. 2 definiere den Begriff des Einkommens als "Gesamtbetrag der Einkünfte aus den in Abs. 3 aufgezählten Einkunftsarten .... nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) und außergewöhnlichen Belastungen (§§ 34 und 35) sowie der Freibeträge nach den §§ 104 und 105." Diese Vorschrift gelte grundsätzlich auch für beschränkt Steuerpflichtige. Für beschränkt Steuerpflichtige komme es durch § 1 Abs. 3 iVm §§ 98 ff zu gewissen Modifikationen. Zunächst bestimme § 1 Abs. 3, dass sich die beschränkte Steuerpflicht nur auf die in § 98 taxativ aufgezählten Einkünfte beziehe. Aus § 98 ergebe sich abschließend, welche Einkünfte der Bemessungsgrundlage zugrunde zu legen seien. In weiterer Folge regle § 102 die Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger: Abs. 1 iVm § 98 bestimme das zu veranlagende Einkommen, Abs. 2 kläre die Abzüge - Z 1 Betriebsausgaben oder Werbungskosten, Z 2 Sonderausgaben, Z 3 Ausschluss von außergewöhnlichen Belastungen und einigen sonstigen Freibeträgen. Vergleiche man § 102 Abs. 1 und 2 mit § 2 Abs. 2, erkenne man, dass diese beiden Absätze die Bemessungsgrundlage bereits abschließend regeln würden (Summe der Einkünfte unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abzüglich Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen). Sollte also das Einkommen beschränkt Steuerpflichtiger fiktiv um € 8.000,00 erhöht werden, wäre dies aus systematischen Gründen bereits in § 102 Abs. 2 normiert worden. Daraus ergebe sich, dass § 102 Abs. 3 nur zur Steuersatzermittlung dienen könne. Diese Norm stelle im Rahmen dieser systematischen Einbettung eine Besonderheit der Anwendung des Steuertarifs nach § 33 dar und könne "aufgrund der Systematik des EStG keine eigenständige Einkommensvorschrift für beschränkt Steuerpflichtige sein" (Reiner, Beschränkte Steuerpflicht: Ist § 102 Abs. 3 EStG eine Einkommens- oder eine Tarifbestimmung, RdW 2006, 720).

In diesem Lichte entspreche die Systematik des § 102 Abs. 3 EStG 1988 der Systematik eines Progressionsvorbehaltes:

Zur Ermittlung der Einkommensteuer - unter Herabsetzung des Freibetrages von € 10.000,00 auf € 2.000,00 - werde den Einkünften zunächst ein Betrag von € 8.000,00 hinzugerechnet. Die nach Anwendung des Tarifs resultierende Einkommensteuer entspreche jedoch nicht der tatsächlichen Steuerschuld, vielmehr sei unter Berücksichtigung des Zwecks der Norm der ermittelte Durchschnittssteuersatz lediglich auf die tatsächlich erwirtschafteten Einkünfte anzuwenden.

Auch das BMF unterstreiche diese Ansicht in den Einkommensteuerrichtlinien, Rz 8056, wonach die Ermittlung des Steuersatzes (und nicht die Ermittlung der Steuerschuld) nach § 33 iVm § 102 Abs. 3 EStG 1988 zu erfolgen habe. "Würde dies nicht dafür sprechen, dass dann auch der Betrag von € 8.000,00 nicht für den Progressionsvorbehalt heranzuziehen wäre?"

Das weiterführende Einbeziehen des Hinzurechnungsbetrages in die Berechnung der Steuerschuld führe zur Besteuerung eines fiktiven Einkommens und nicht - wie ursprünglich vorgesehen - zur Herabsenkung des Freibetrages bei beschränkt Steuerpflichtigen.

In weiterer Folge verletze die Praxis der Besteuerung fiktiver Einkünfte das Leistungsfähigkeitsprinzip, das dem österreichische Einkommensteuergesetz zugrunde liege.

Schließlich beinhalte die Versteuerung fiktiver Einkünfte einen Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht, zumal weder ein persönlicher Bezug (mangels Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltes des Steuerpflichtigen) noch ein sachlicher Bezug gegeben sei (eine Anknüpfung an die Einkünfte aus österreichischer Quelle sei lediglich für die gesetzliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage gemäß § 102 Abs. 3 EStG 1988, nicht jedoch für die Versteuerung eines fiktiven Einkommens an sich gerechtfertigt).

Es werde daher der Antrag gestellt, unter Zugrundelegung eines Durchschnittssteuersatzes von 19,33 % die Einkommensteuer statt mit € 3.898,91 mit € 2.352,67 festzusetzen.

Das Finanzamt wies diese Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom unter Hinweis darauf, dass nicht von der Besteuerung eines fiktiven Einkommens die Rede sein könne, als unbegründet ab.

Im Vorlageantrag vom wiederholte der steuerliche Vertreter sein Berufungsvorbringen und stellte gleichzeitig den Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung vor dem gesamten Berufungssenat.

Letzteren Antrag zog der steuerliche Vertreter mit Schreiben vom "im Hinblick darauf, dass der Unabhängige Finanzsenat bereits die grundsätzliche Gemeinschaftsrechtswidrigkeit und Verfassungswidrigkeit des in § 102 Abs. 3 EStG normierten Hinzurechnungsbetrages verneint hat und somit nur mehr die Art der Berechnung dieser Hinzurechnung strittig ist", zurück.

Über die Berufung wurde erwogen:

Unstrittig ist, dass der Bw. in Österreich weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und mit dem von der TEME Entwicklung und Anwendung psychologischer Test- und Meßverfahren GmbH bezogenen Geschäftsführerentgelt beschränkt steuerpflichtig ist, da es sich dabei um Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 22 EStG 1988 handelt, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird (§ 98 Abs. 1 Z 2 EStG 1988). Ebenfalls unstrittig ist, dass im gegenständlichen Fall kein Steuerabzug nach den §§ 99 bis 101 EStG 1988 stattfindet, sondern eine Veranlagung gemäß § 102 EStG 1988 durchzuführen ist.

In § 102 Abs. 3 erster Satz EStG 1988 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2004, BGBl I Nr. 180/2004, erstmals anwendbar bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2005, heißt es wie folgt:

Die Einkommensteuer ist bei beschränkt Steuerpflichtigen gem. § 33 Abs. 1 mit der Maßgabe zu berechnen, dass dem Einkommen ein Betrag von 8.000 Euro hinzuzurechnen ist.

Das Vorbringen des Bw., wonach aus diesem Wortlaut ein Progressionsvorbehalt herauszulesen sei, wird vom Unabhängigen Finanzsenat aus folgenden Gründen nicht geteilt.

Der Bw. stützt sich diesbezüglich im Wesentlichen lediglich auf den oben schon erwähnten Artikel von Reiner, dessen Ansicht in der Fachliteratur aber keinen Zuspruch fand. Im Zusammenhang mit dieser Neuregelung der beschränkten Steuerpflicht durch das Abgabenänderungsgesetz 2004 wird vielmehr auf Atzmüller/Herzog/Mayr, RdW 2004/581, Lang, SWI 2005, 156, und Kofler, JAP 2004/2005/35, sowie auf Hofstätter - Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, § 102 Tz 4, verwiesen, wo ausgeführt ist, dass dieser "Hinzurechnungsbetrag" ein Ausgleich für den ab 2005 in den allgemeinen Steuertarif integrierten allgemeinen Steuerabsetzbetrag, auf den beschränkt Steuerpflichtige keinen Anspruch hatten, darstellt.

Auch der Unabhängige Finanzsenat hat in seinen bisherigen, die Bestimmung des § 102 Abs. 3 EStG 1988 betreffenden Entscheidungen nie diesen vom Bw. intendierten Progressionsvorbehalt vorgenommen (vgl. , RV/0609-L/06; , RV/1507-W/06; , RV/1318-W/06; , RV/0451-I/06; , RV/0507-W/07 und RV/0508-W/07; , RV/1720-W/06; , RV/0276-S/07).

Was die Auslegung von Gesetzesbestimmungen anbelangt hat etwa der VwGH im Erkenntnis vom , 95/15/0012, ausgeführt, dass der in einer Gesetzesvorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist, maßgebend ist. Gegenstand der Auslegung ist dabei der Gesetzestext als Träger des in ihm niedergelegten Sinnes, um dessen Verständnis es bei der Auslegung geht. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen, des normativen Sinnes des Gesetzes (vgl. auch Ritz, BAO3, § 21 Tz 2).

Im konkreten Fall ist der Bw. der Ansicht, der Wortlaut lasse sowohl seine Auslegungsvariante, als auch die des Finanzamtes zu. Eine systematische Interpretation dagegen führe zu diesem, in der Berufung aufgezeigten Ergebnis.

Dem muss in erster Linie entgegengehalten werden, dass der "Wille des Gesetzgebers" im konkreten Fall eindeutig in den Materialien (686 BlgNR XXII. GP) unter Verweis auf die Rechtsprechung des , "Gerrits") niedergelegt ist. Dort heißt es wie folgt:

"In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache des Wohnsitzstaates, das Existenzminimum steuerfrei zu stellen. Beschränkt Steuerpflichtige sollen daher an der das Existenzminimum sichernden Null-Steuerzone nicht mehr im selben Umfang wie unbeschränkt Steuerpflichtige (10.000 €) teilnehmen. Daher soll bei der Einkommensteuerveranlagung beschränkt Steuerpflichtiger beim Tarif nach § 33 Abs. 1 die Null-Steuerzone teilweise unberücksichtigt bleiben. Aus Vereinfachungsgründen sollen aber auch beschränkt Steuerpflichtige in Höhe von 2.000 € an der existenzsichernden Null-Steuerzone teilnehmen. Dies wird durch die Hinzurechnung eines Betrages von 8.000 € zur Bemessungsgrundlage erreicht. Im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen, die ihre Haupteinkünfte in Österreich erzielen, steht aber die in § 1 Abs. 4 geregelte Option auf unbeschränkte Steuerpflicht zu."

Dass damit der Gesetzgeber keinen Progressionsvorbehalt festlegen wollte, ist mangels ausdrücklicher Erwähnung evident.

Für den Unabhängigen Finanzsenat ist weiters in keiner Weise die Ansicht des Bw. nachvollziehbar, wonach eine "fiktive" Erhöhung des Einkommens beschränkt Steuerpflichtiger aus systematischen Gründen vom Gesetzgeber auf jeden Fall schon in den Absätzen 1 und 2 des § 102 EStG 1988, und nicht erst im Absatz 3 normiert worden wäre.

Was zuletzt die Ausführungen des Bw. zum Leistungsfähigkeitsprinzip sowie zum Völkergewohnheitsrecht anbelangt, muss in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass es nicht um die Besteuerung "fikitver" Einkünfte geht, sondern um eine aus "Vereinfachungsgründen" vorgenommene Besteuerung, die letztlich dazu führen soll, dass beschränkt Steuerpflichtige, die - wie der Bw. im konkreten Fall - im Ausland ihre wesentlichen Einkünfte erzielen, gleich behandelt werden wie unbeschränkt Steuerpflichtige.

Zusammenfassend kommt dem Vorbringen des Bw. zur Auslegung dieser Bestimmung des § 102 Abs. 3 EStG 1988 keine Berechtigung zu, weshalb die Berufung als unbegründet abzuweisen ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
Beschränkte Steuerpflicht
Hinzurechnung
Durchschnittssteuersatz

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at