Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 29.07.2009, RV/2021-W/09

Berufungsvorentscheidung ohne diesbezügliche Berufung

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat auf Grund des Vorlageantrags vom über die vermeintliche Berufung der Bw., gegen den Bescheid des Finanzamtes Baden Mödling, im Verfahren vor dem Unabhängigen Finanzsenat vertreten durch Hofrat Dr. Christian Sommer, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2008 entschieden:

Die Berufungsvorentscheidung betreffend Einkommensteuer 2008 vom wird gemäß § 289 Abs. 2 BAO aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.) reichte am beim Finanzamt Baden Mödling eine "Erklärung zur ArbeitnehmerInnenveranlagung 2008" ein, in welcher Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht wurden und ein Freibetragsbescheid in Höhe von jährlich € 50,00 beantragt wurde.

Die Veranlagung für das Jahr 2008 erfolgte mit Einkommensteuerbescheid vom - soweit ersichtlich - antragsgemäß. Unter einem wurde offenbar - ebenfalls antragsgemäß - ein Freibetragbescheid über einen Jahresfreibetrag von € 50,00 erlassen.

Am langte beim Finanzamt Baden Mödling ein Schreiben der Bw. folgenden Inhalts ein:

"Betrifft: Einspruch zu Einkommensteuerbescheid 2008 - St.Nr. 1xx/xxxx

Sehr geehrte Damen und Herren,

da ich leider bei der Rubrik "gewünschten Freibetragsbescheid" einen niedrigen Freibetrag von EURO 50,-- angeführt habe und mir nicht aufgefallen ist, dass dieser Betrag jährlich gemeint ist, ersuche ich Sie, mir einen Freibetragsbescheid in der Höhe von EURO 600,-- jährlich auszustellen.

Ich bitte Sie, dies zu entschuldigen und danke Ihnen für Ihre Mühe im voraus.

Mit freundlichen Grüßen..."

Das Finanzamt Baden Mödling erließ mit Datum einerseits einen Freibetragsbescheid für das Jahr 2010, wonach der Lohnsteuerfreibetrag jährlich € 600,00 und monatlich € 50,00 betrage, und andererseits eine Berufungsvorentscheidung betreffend Einkommensteuer 2008, aus welcher eine Nachforderung gegenüber dem Einkommensteuerbescheid vom von € 282,75 resultierte. Grund für diese Nachforderung war, dass anstelle eines vom Arbeitgeber berücksichtigten Pendlerpauschales von € 1.267,50 nur ein solches von € 588,00 berücksichtigt wurde, was das Finanzamt wie folgt begründete:

"Im Zuge der Berufungserledigung stellte sich heraus, dass fälschlicherweise am Lohnzettel das große Pendlerpauschale berücksichtigt wurde. Da für die Strecke Wohnung - Arbeitsstätte die Benutzung eines Massenverkehrsmittels zumutbar ist, kann nur das kleine Pendlerpauschale berücksichtigt werden. Eine entsprechende Korrektur beim Dienstgeber für die laufende Berücksichtigung ist zu veranlassen."

Mit Schreiben vom beantragte die Bw. ersichtlich die Vorlage ihrer Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz:

"Betrifft: Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, St.Nr. 1xx/xxxx.

Sehr geehrte Damen und Herren.

Hiermit lege ich Berufung gegen die Berufungsvorentscheidung ein, da ich der Meinung bin, dass ich Anspruch auf das große Pendlerpauschale habe.

Ich fahre täglich mit dem PKW eine Strecke von 26 km in die Arbeit. Die durchschnittliche Fahrtdauer (laut Routenplaner von Michelin, Falk und Map24) beträgt 19 Minuten.

Wenn ich die mir zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmittel benutze, ergibt sich beispielhaft folgende Zeit:


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Variante 1

Weg
Zeit
Gehweg zum Bahnhof
10 Min.
Wartezeit
5 Min.
Abf.lt.Fahrplan 6 Uhr 59
Ankunft B um 7 Uhr 02
3 Min.
Abfahrt 7 Uhr 17
Ankunft V S um 7 Uhr 45
ges. 43 Min. (incl. Wartezeit von 7 Uhr 02 bis 7 Uhr 17)
Gehzeit zur Arbeitsstelle
15 Min.
Gesamt
71 Min.


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Variante 2

Weg
Zeit
Autofahrt von B (Park and Ride)
12 Min.
Fußweg zur Bahn
5 Min.
Wartezeit
5 Min.
Fahrzeit der Bahn von B V bis V S
28 Min.
Gehzeit zur Arbeitsstelle
15 Min.
Gesamt
65 Min.

Meine Wegzeit überschreitet bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln die dreifache Fahrzeit mit dem PKW, daher ist mir die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar (siehe UFS-Entscheidung vom , RV/3098-W/07)."

Beigeschlossen waren Ausdrucke von Routenplanern und Fahrplänen.

Mit Vorhalt vom teilte das Finanzamt der Bw. Folgendes mit:

"Für die Wegstrecke von Ihrer Wohnadresse zu von Ihrem Wohnort konnte bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und unter Einbeziehung der zu Fuß zurückzulegenden Wegstrecken eine maximale Wegzeit von 1 h 10 min ermittelt werden (siehe www.oebb.at, Link "Verkehrspilot"). Eine Fahrzeit von 90 Minuten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach den Ausführungen im Erkenntnis des 2006/15/0319 ist jedenfalls als zumutbar anzusehen, auch wenn die Fahrt mit dem Kfz zu einer wesentlichen Zeitersparnis führt bzw. wenn für die Anfahrt zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels ein Kfz benutzt werden muss. Aus § 16 Abs. 1 Z 6 lit. a und b Einkommensteuergesetz ergibt sich nämlich aus dem zitierten Erkenntnis, dass der Gesetzgeber grundsätzlich für Fahrten des Dienstnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht den Individualverkehr und die Benützung eines Kfz, sondern die Benützung eines Massenbeförderungsmittels steuerlich berücksichtigt wissen will."

Die Bw. verwies in Beantwortung des Vorhalts mit Schreiben vom darauf, dass ihr durch die lange Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln (auch bei Kombination öffentlicher Verkehrsmittel mit dem eigenen PKW) ein "extremer Zeitnachteil" entstehe ("mehr als 3 mal solange als im Vergleich zum PKW"). "Die von Ihnen zitierte VwGH Erkenntnis vom bezieht sich auf den Nahverkehr (Wegstrecke bsi 25 km), meine Wegstrecke zur Arbeitsstelle beträgt jedoch mehr als 25 km und daher glaube ich, dass mir die Benutzung des öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist. Ich ersuche Sie, den Antrag beim UFS vorzulegen. Weiters ersuche ich um persönliche Teilnahme an dieser Verhandlung..."

Mit Bericht vom legte das Finanzamt Baden Mödling eine Berufung betreffend "E 2008", Bescheiddatum , Fundstellenhinweis "DB2", dem Normhinweis "§ 16 EStG" und dem Bemerken zu den Streitpunkten: "kleines oder großes Pendlerpauschale. Antrag des Finanzamtes auf Abweisung im Sinne des Vorhaltsschreibens vom " dem Unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraumes) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Hat der Steuerpflichtige lohnsteuerpflichtige Einkünfte bezogen, so erfolgt eine Veranlagung nur, wenn die Voraussetzungen des § 41 EStG 1988 vorliegen (§ 39 EStG 1988). Die Veranlagung ist ein amtliches Feststellungsverfahren der Bemessungsgrundlage und der Steuer, das mit einem Abgabenbescheid (§ 198 BAO), und zwar dem Einkommensteuerbescheid, abgeschlossen wird (vgl. Wiesner/Atzmüller/Grabner/Leitner/Wanke, MSA EStG [], § 39 Anm. 3).

Das Finanzamt hat ferner für die Berücksichtigung bestimmter Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlicher Belastungen beim Steuerabzug vom Arbeitslohn gemeinsam mit einem Veranlagungsbescheid einen Freibetragsbescheid und eine Mitteilung zur Vorlage beim Arbeitgeber zu erlassen (§ 63 Abs. 1 EStG 1988).

Mit Datum hat das Finanzamt Baden Mödling dem Gesetzesauftrag folgend, offenbar (dieser Freibetragsbescheid wurde weder vorgelegt noch ist er im DB2 ersichtlich) sowohl einen Einkommensteuerbescheid 2008 als auch einen Freibetragsbescheid 2010 (und eine Mitteilung zur Vorlage an den Arbeitgeber) erlassen.

Der Freibetragsbescheid ist nicht Teil des Einkommensteuerbescheides, sondern ein eigenständiger Bescheid.

Da das Bundesrechenzentrum üblicherweise Freibetragsbescheid und Mitteilung an den Arbeitgeber zugleich mit dem jeweiligen Einkommensteuerbescheid in einem Kuvert versendet, ist davon auszugehen, dass der Einkommensteuerbescheid 2008 gleichzeitig mit dem Freibetragsbescheid 2010 der Bw. zugestellt, also bekannt gegeben wurde.

Die als "Einspruch zu Einkommensteuerbescheid 2008 - St.Nr. 1xx/xxxx" bezeichnete Berufung enthält zwar in der Betreffzeile nicht die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet (§ 250 Abs. 1 lit. a BAO), da mit dem Wort "zu" zwar auf den Einkommensteuerbescheid 2008 verwiesen werden kann, aber ebenso auf in Zusammenhang mit diesem Bescheid versendete weitere Schriftstücke Bezug genommen werden kann. Jedoch ergibt sich aus der Anfechtungs- und der Änderungserklärung (§ 250 Abs. 1 lit. b und c BAO) sowie der Begründung (§ 250 Abs. 1 lit. d BAO) nach Ansicht der Abgabenbehörde zweiter Instanz eindeutig, dass der Freibetragsbescheid (§ 250 Abs. 1 lit. a BAO) angefochten ist ("... ersuche ich ... einen Freibetragsbescheid ... auszustellen").

Das Finanzamt ist diesem Begehren auch gefolgt und hat mit Datum einen Freibetragsbescheid 2010 mit einem Jahresfreibetrag von € 600 und einem Monatsfreibetrag von € 60 erlassen sowie eine diesbezügliche Mitteilung an den Arbeitgeber ausgestellt.

Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 wurde mit dem am beim Finanzamt eingelangten Schreiben nicht angefochten. Die Bw. hätte auch keinen Grund gehabt, diesen Bescheid zu bekämpfen, ist er doch offensichtlich konform mit ihrer Steuererklärung ergangen und hat sie auch nicht angegeben, sich bei der Abfassung der Einkommensteuererklärung - außer in Bezug auf den Freibetragsbescheid - geirrt zu haben.

Der Einkommensteuerbescheid vom ist mit ungenütztem Ablauf der einmonatigen (§ 245 BAO) Rechtsmittelfrist in formelle Rechtskraft erwachsen.

Durch die materielle Rechtskraft (Rechtskraft im materiellen Sinn), die mit der wirksamen Bekanntgabe (§ 97 BAO) des Bescheides - die vor dem (Einlangen der Berufung gegen den zugleich erlassenen Freibetragsbescheid) erfolgt sein muss - eintritt, ist die Behörde insofern an ihre Entscheidung gebunden, als eine Abänderung, Zurücknahme oder Aufhebung nur bei Verwirklichung eines diesbezüglichen Tatbestandes auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (siehe zB §§ 293, 293b, 295, 299, 303) oder bei Vorbehalt eines Widerrufs (s zB § 294) erfolgen darf (vgl. Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, MGA BAO, § 92 Anm. 5).

Das Finanzamt durfte, da weder eine Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 vorlag noch auf Grund eines anderen Verfahrenstitels das Einkommensteuerverfahren 2008 wieder unerledigt war, keinen neuen, als Berufungsvorentscheidung bezeichneten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 erlassen.

Die Berufungsvorentscheidung vom betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2008 war daher gemäß § 289 Abs. 2 BAO vom Unabhängigen Finanzsenat ersatzlos aufzuheben.

Diese Entscheidung konnte ohne zuvorige mündliche Berufungsverhandlung getroffen werden, da der - nicht in der Berufung oder im Vorlageantrag (§ 284 Abs. 1 Z 1 BAO), sondern erst im ergänzenden Schriftsatz vom gestellte - Antrag auf "persönliche Teilnahme an dieser Verhandlung" verspätet erfolgt ist und auch von Amts wegen angesichts der geklärten Sach- und Rechtslage eine mündliche Berufungsverhandlung nicht durchzuführen war, zumal mit dieser Entscheidung im Ergebnis der von der Bw. gewünschte Rechtszustand wieder hergestellt wird.

Zum im Berufungsverfahren relevierten Thema des Pendlerpauschales ist - im Hinblick auf allfällige weitere Einkommensteuerbescheide - zu bemerken, dass auch jene Teile der Literatur und des Unabhängigen Finanzsenats, die der Zeitstaffel der Lohnsteuerrichtlinien nicht folgen, eine Fahrtdauer mit Massenverkehrsmitteln oder im Park & Ride-Verkehr von 90 Minuten für die einfache Wegstrecke (unabhängig davon, ob diese mehr oder weniger als 25 km beträgt) jedenfalls als zumutbar erachten (vgl. etwa Doralt, EStG, 9. Auflage, § 16 Tz. 107; ; -F/07; ; ; -F/08; ; -F/09).

Auch der Verwaltungsgerichtshof ist bei einem rund 25 km betragenden Arbeitsweg und einer Fahrzeit unter Verwendung von Park & Ride von 75 Minuten (bei einer Fahrzeit nur mit dem PKW von 20 bis 30 Minuten) davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für das "große" Pendlerpauschale nicht vorliegen (), ebenso bei einem rund 32,5 km langen Arbeitsweg und einer Fahrzeit von höchstens 1,5 Stunden bei Verwendung von Park & Ride ().

Was die von der Bw. zitierte Entscheidung des , anlangt, ist darauf zu verweisen, dass der UFS dort zwar (nur) die dreifache Fahrzeit mit dem PKW als Zumutbarkeitsgrenze angesehen hat, diese aber mit drei Stunden höher als die zweieinhalb Stunden der Lohnsteuerrichtlinien bei Entfernungen über 60 km (und höher als 1,5 Stunden) gewesen sind und die Berufung bei einer festgestellten Wegzeit von +/- 2,5 Stunden als unbegründet abgewiesen wurde.

Im übrigen erscheint es fraglich, ob die Annahme der Bw., der Arbeitsweg könne bei dem angegebenen Arbeitsbeginn und der angenommenen Route über die A 2 und die B 17 tatsächlich durchschnittlich in 19 Minuten zurückgelegt werden, sodass die Park & Ride-Fahrzeit von 65 Minuten (knapp) über der dreifachen Autofahrzeit von 57 Minuten liege, zutreffend ist, da die angegebenen Routenplaner nicht die jeweilige Verkehrssituation berücksichtigen und erfahrungsgemäß das Verkehrsaufkommen auf der Strecke Baden - Mödling auf der A 2 und dann weiter Richtung Wien auf der B 17 am Morgen vor 8 Uhr derart ist, dass ein zügiges Fahren häufig nicht in Betracht kommt, sodass möglicherweise von einer durchschnittlich längeren Fahrzeit mit dem PKW im Frühverkehr auszugehen sein kann (zu Internetroutenplanern und der tatsächlichen Fahrzeit je nach Verkehrslage siehe etwa auch ) und schon bei einer Fahrzeit von 22 Minuten mit dem PKW die Park & Ride-Fahrzeit von 65 Minuten unter dem Dreifachen der Autofahrzeit liegt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 63 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 250 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at