Kein Zurücknahmebescheid bei (nicht tragfähig) begründeter Berufung
Rechtssätze
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RV/0214-F/05-RS1 | Dem Umstand, dass eine Berufung (allenfalls) unschlüssig oder inhaltlich unzutreffend ist, darf nicht dem Fehlen einer Begründung gleichgehalten werden (). |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der TSG, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Rechtsanwalt, 6900 Bregenz, Rathausstr. 21, als Masseverwalter, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Bregenz vom betreffend Zurücknahmeerklärung einer Berufung gem. § 275 BAO entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Schriftsatz vom erhob die Berufungswerberin (nachfolgend Bw. abgekürzt) Berufung gegen die Haftungs- und Zahlungsbescheide für Kapitalertragsteuer 1995 - 2000, die Körperschaftsteuerbescheide 1996 - 1999 und die Umsatzsteuerbescheide 1996, 1997, 1999 sowie 2000, alle datierend vom , mit dem Hinweis, die Begründung der Berufung werde nachgereicht.
Mit Bescheid vom erließ das Finanzamt einen Mängelbehebungsauftrag, in dem die Bw. unter anderem aufgefordert wurde, den Mangel einer fehlenden Berufungsbegründung zu beheben.
Innerhalb der auf Antrag verlängerten Frist beantwortete die Bw. mit Schriftsatz vom den Mängelbehebungsauftrag im hier gegebenen Zusammenhang mit folgenden, wörtlich wiedergegebenen Ausführungen: "Die gegenständliche Berufung wird damit begründet, dass die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer nicht rechtsmäßig erfolgt ist, weil über sämtliche Sachverhalte im Rahmen der Buch- und Betriebsprüfung abgesprochen wurde und im Rahmen dieser Prüfung am eine Aufklärung des Sachverhaltes stattgefunden hat. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Verfahren lagen daher nicht vor. Auch hinsichtlich der Gewinnausschüttung wurde der Sachverhalt im Rahmen der vorangegangenen Betriebsprüfung ermittelt. Eine Grundlage für eine neue Festsetzung der Kapitalertragssteuer und damit für die Erlassung der Haftungsbescheide liegt nicht vor."
Mit Bescheid vom sprach das Finanzamt aus, die Berufung gelte gemäß § 275 BAO als zurückgenommen, da dem Mängelbehebungsauftrag nicht vollinhaltlich entsprochen worden sei. Zum einen hätten Erst- und Folgeprüfung nicht denselben Inhalt gehabt und auch nicht idente Abgabenbescheide nach sich gezogen. Zum anderen seien die Wiederaufnahmebescheide nicht angefochten worden, daher sei "die Begründung, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verfahren würden nicht vorliegen, für die allein bekämpften Sachbescheide untauglich".
Gegen den Bescheid wurde mit Schriftsatz vom Berufung erhoben. In ihr wurde ausgeführt, dem Mängelbehebungsauftrag sei entsprochen worden, da mit Schriftsatz vom fristgerecht mitgeteilt worden sei, in welchen Punkten die Bescheide angefochten werden, welche Abänderung beantragt wird und indem auch eine Begründung nachgereicht worden sei. Das Finanzamt habe im Zurücknahmebescheid lediglich die vorgetragene Begründung als unrichtig dargestellt. Eine unrichtige Begründung dürfe aber nicht zum Anlass genommen werden, die Berufung als zurückgenommen zu erklären.
Mit Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt der Berufung vom , was die Zurücknahme betreffend Haftungs- und Zahlungsbescheid 1996 - 1998, die Körperschaftsteuerbescheide 1996 - 1998 und die Umsatzsteuerbescheide 1996 sowie 1997 betrifft, statt. Mit gesonderter Berufungsvorentscheidung gleichen Datums wies das Finanzamt die Berufung vom , was die Zurücknahme betreffend Haftungs- und Zahlungsbescheid 1995, 1999 und 2000, Körperschaftsteuer 1999 sowie Umsatzsteuer 1999 und 2000 betrifft, als unbegründet ab. Erläuternd führte das Finanzamt aus, in Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages sei die Berufung dahingehend begründet worden, dass über sämtliche Sachverhalte im Rahmen der ersten Buch- und Betriebsprüfung bereits abgesprochen worden sei. Dies sei unrichtig. Die erste Prüfung habe nur die Jahre 1996 - 1998 umfasst. Soweit die Berufungsbegründung vom auf Jahre bzw. Abgaben verweise, die nicht Gegenstand der Erstprüfung gewesen seien, liege ein nicht behobener Begründungsmangel vor.
Gegen die abweisliche Berufungsvorentscheidung vom wandte sich die Bw. mit Vorlageantrag vom . Dadurch ist die Berufung vom , was die Zurücknahme der Berufungen betrifft, die sich gegen die Haftungs- und Zahlungsbescheide für Kapitalertragsteuer 1995, 1999 und 2000, gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1999 und gegen die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 richten, wiederum unerledigt. (Zurecht haben beide Parteien des zweitinstanzlichen Verfahrens darauf hingewiesen, dass die Darstellung des Verfahrensganges in der Berufungsentscheidung vom , RV/0014-F/03 (Seite 2 unten) insoweit nicht korrekt ist.)
Über die Berufung wurde erwogen:
Die für die Lösung des Rechtstreits maßgeblichen Bestimmungen lauten:
§ 275 BAO: Entspricht eine Berufung nicht den im § 250 Abs. 1 oder Abs. 2 erster Satz umschriebenen Erfordernissen, so hat die Abgabenbehörde dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.
§ 250 (1) BAO: Die Berufung muss enthalten: a) die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet; b) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird; c) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden; d) eine Begründung.
Die zitierten Bestimmungen werden nach herrschender Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend wie folgt ausgelegt:
Wird einem berechtigten behördlichen Auftrag zur Mängelbehebung überhaupt nicht, nicht rechtzeitig oder zwar innerhalb der gesetzten Frist, aber - gemessen an dem sich an den Vorschriften des § 250 Abs 1 BAO orientierten Mängelbehebungsauftrag - unzureichend entsprochen (; , 658/78, 659/78) ist die Behörde verpflichtet, einen Bescheid zu erlassen, mit dem die Zurücknahme der Berufung festgestellt wird (). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Berufung den im § 250 Abs 1 BAO bezeichneten Erfordernissen entspricht, ist davon auszugehen, dass der Rechtsschutz nicht durch einen überspitzten Formalismus beeinträchtigt werden darf ().
Unstrittig ist, dass das Finanzamt zur Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages berechtigt war. Strittig ist allein, ob die Bw. dem Auftrag, gemessen an den Vorschriften des § 250 Abs. 1 lit d BAO entsprochen hat. Wie das Finanzamt zutreffend unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung ausgeführt hat, soll die in der zitierten Bestimmung geforderte Begründung die Berufungsbehörde in die Lage versetzen, klar zu erkennen, aus welchen Gründen ein Berufungswerber die Meinung vertritt, die Berufung sei gerechtfertigt. Wie die Bw. zutreffend bemängelt hat, darf dem Umstand, dass eine Berufung allenfalls unschlüssig oder inhaltlich unzutreffend ist, nicht dem Fehlen einer Begründung gleichgehalten werden (). Mit anderen Worten heißt das: Im gegebenen Zusammenhang hat außer Betracht zu bleiben, ob die dem Berufungsantrag beigegebene Begründung im Sinne des Berufungsbegehrens zielführend und schlüssig ist (; ; ). Von der Begründung einer Berufung wird nicht eine formell und inhaltlich vollendete Darlegung der gedanklichen Wurzeln und Ursachen verlangt, die den Berufungsantrag rechtfertigen und die Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen und erweisen sollen. Es muss lediglich erkennbar sein, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (Stoll, BAO Kommentar, 2575 f).
Das Finanzamt hat diesen Standpunkt letztlich völlig zu Recht auch selbst vertreten (siehe auch -F/03), indem es die stattgebende Berufungsvorentscheidung vom (Formalentscheidung) erlassen hat, um danach in der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom (Sachentscheidung) zum Ergebnis zu kommen, die vorgebrachten Gründe gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens seien nicht geeignet, die allein angefochtenen Sachbescheide zielführend zu bekämpfen. Desgleichen entspricht es übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung (Ritz2, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Tz 3 zu § 252 und die dort angeführte Judikatur), eine Berufung abzuweisen, also inhaltlich zu erledigen, die sich gegen einen abgeleiteten Bescheid allein mit Einwendungen wendet, die gegen einen Feststellungsbescheid vorzubringen sind.
Da nun aus dem Schriftsatz vom klar erkennbar ist, aus welchen Gründen die Bw. der Meinung ist, die Berufung sei gerechtfertigt, wäre es die Aufgabe des Finanzamtes gewesen, sich mit diesen Gründen in einer meritorischen Entscheidung auseinanderzusetzen. Die Erlassung des angefochtenen auf § 275 BAO gestützten Bescheides war verfehlt. Der Berufung war daher stattzugeben.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 250 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 275 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Mängelbehebungsauftrag Begründungsmangel schlüssige Begründung Formalismus |
Verweise | Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 2. Auflage, Tz 14, 17 |
Anmerkung | In diesem Sinne betreffend die Zulässigkeit der Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages -RS1. |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at