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OGH vom 02.05.1984, 1Ob9/84

OGH vom 02.05.1984, 1Ob9/84

Norm

ABGB § 968;

AHG § 1;

EO § 259 Abs 3;

EO § 349 Abs 2;

Kopf

SZ 57/83

Spruch

Der nach Durchführung der Räumungsexekution bestellte Verwahrer ist Sequester iS des § 968 ABGB, handelt nicht in Vollziehung der Gesetze (§ 1 AHG) und haftet daher persönlich für den durch Vernachlässigung pflichtgemäßer Obsorge verursachten Schaden

(OLG Wien 14 R 233/83; LGZ Wien 39 a Cg 322/79)

Text

Die Klägerin war Mieterin einer im Hause Wien 17., A-Gasse 120/1/4, gelegenen Zweizimmerwohnung. Auf Grund des rechtskräftigen Versäumungsurteiles des Bezirksgerichtes Hernals vom , 5 C 11/78-2, wurde der Vermieterin mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hernals vom , 5 C 11/78-4, die zwangsweise Räumung der Wohnung der Klägerin bewilligt. Die Räumung wurde am 15. 6. und vollzogen. Die Fahrnisse der Klägerin wurden von der beklagten Partei auf Kosten der betreibenden Partei im Auftrag des Vollstreckers in Verwahrung genommen und weggeschafft. Die beklagte Partei wurde als Lagerhalter bestellt. Laut Verzeichnis der beklagten Partei nahm sie neben einer Reihe von Einzelgegenständen ua. 34 Kartons in Verwahrung.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch des Betrages von 1 042 569 S sA. Zur Delogierung sei es nur gekommen, weil sie sich im Ausland befunden habe. Nach ihrer Rückkehr habe sie am nur 28 Kartons von der beklagten Partei zurückerhalten. In den restlichen sechs Kartons hätten sich Antiquitäten, Schmuckstücke und ähnlich wertvolle Gegenstände im Werte des Klagsbetrages befunden. Die beklagte Partei hafte für den der Klägerin erlittenen Schaden als gerichtlich bestellter Verwahrer.

Die beklagte Partei wendete ein, sie habe nur 29 Kartons übernommen, diese habe sie der Klägerin ausgefolgt. Auch die Höhe der geltend gemachten Forderung bestritt sie.

Das Erstgericht hob das Verfahren ab Klagszustellung als nichtig auf und wies die Klage zurück. Gemäß § 1 Abs. 2 AHG seien als Voraussetzung für die Organstellung das Handeln in Vollziehung der Gesetze und ein behördlicher Bestellungsakt, wenn auch nur für den einzelnen Fall, zu betrachten. Da alle Organverhaltensweisen im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Exekution dem hoheitlichen Vollzugsbereich zuzuordnen seien, sei von der Organstellung eines gerichtlich bestellten Verwahrers auszugehen. Es seien daher sämtliche Verhaltensweisen des Verwahrers dem Bund als Rechtsträger zuzurechnen. Die Direktklage gegen den Verwahrer sei gemäß § 9 Abs. 5 AHG unzulässig.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem nach Rechtskraft des Beschlusses die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens auf. Ein auf Grund der Vorschriften der §§ 259 Abs. 3 oder 349 Abs. 2 EO bestellter Verwahrer habe die Stellung eines Sequesters. Der gerichtliche Verwahrer sei einerseits Organ des Gerichtes, andererseits Verwahrer iS des § 968 ABGB. Die Rechte und Pflichten des Verwahrers seien nach den Vorschriften der §§ 957 ff. ABGB zu beurteilen. Das Gericht treffe in Ansehung der Fahrnisse des Verpflichteten keine Verwahrungs- und keine Fürsorgepflicht. Die Verpflichtung des Gerichtes beschränke sich bei der Delogierung, wenn der Verpflichtete nicht selbst Vorsorge für die Unterbringung der Fahrnisse treffe, auf die Auswahl eines geeigneten Verwahrers. Mit der Delogierung, also der Entfernung des Verpflichteten, seiner Angehörigen und seiner Fahrnisse von der Liegenschaft und deren Übergabe in den Besitz des betreibenden Gläubigers sei die Räumungsexekution beendet. Die wegzuschaffenden Fahrnisse, die nicht Gegenstand der Exekution seien, seien dem Verpflichteten, seinem Bevollmächtigten oder einer zur Familie des Verpflichteten gehörenden oder in dieser dienenden erwachsenen Person zu übergeben. Nur in Ermangelung einer zur Übernahme befugten Person seien diese Sachen auf Kosten des Verpflichteten durch das Vollstreckungsorgan anderweitig in Verwahrung zu bringen. Diese nach einem abgeschlossenen Exekutionsverfahren durchgeführte Verwahrung diene also allein dem Verpflichteten. Es liege daher kein Handeln im Interesse der Rechtspflege und somit keine hoheitliche Vollziehung vor. Die direkte gerichtliche Geltendmachung der Schadenersatzansprüche gegen den Verwahrer sei somit zulässig.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Im Revisionsrekurs wird - Vrba-Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 107 f., folgend - ausgeführt, die im Zuge eines Exekutionsverfahrens angeordnete Verwahrung erfolge nicht nur im Interesse des Verpflichteten, sondern auch im Interesse des betreibenden Gläubigers; der nach § 349 EO bestellte Verwahrer, auf dessen Auswahl der Verpflichtete keine Einflußmöglichkeit habe, sei bis zum Abschluß eines sich allenfalls anschließenden Veräußerungsverfahrens Hilfsorgan des Gerichtes. Der Verweis des § 259 Abs. 2 EO auf die Vorschrift des § 968 ABGB könne nur dahin verstanden werden, daß für den Fall eines Regreßprozesses zwischen dem Bund und dem Verwahrer nach Durchführung eines Amtshaftungsverfahrens die Frage, ob ordnungsgemäß verwahrt worden sei, nach den Vorschriften über den Verwahrungsvertrag beurteilt werde.

Voraussetzung für die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes wäre es, daß die von einem nach den Bestimmungen der Exekutionsordnung bestellten Verwahrer vorgenommene Verwahrung in Vollziehung der Gesetze erfolgte. Dies trifft nicht zu. Nach § 968 ABGB liegt Sequestration auch dann vor, wenn eine Sache vom Gerichte jemandem in Verwahrung gegeben wird. Die Rechte und Verbindlichkeiten des Sequesters werden nach den Grundsätzen des Verwahrungsvertrages beurteilt. Nach den Vorschriften der Exekutionsordnung bestellte Verwahrer sind, wie das Zitat des § 968 ABGB im § 259 Abs. 3 EO zeigt, Sequester iS des § 968 ABGB (SZ 54/101; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 657). Zwischen dem Eigentümer bzw. dem betreibenden Gläubiger und dem Sequester wird zwar kein privatrechtlicher Verwahrungsvertrag geschlossen (Gschnitzer aaO), mit dessen Bestellung endet aber der Bereich hoheitlichen Handelns. Die Tätigkeit des Verwahrers selbst, seine Rechte und Pflichten richten sich, obwohl mit dem Bestellungsakt kein Vertragsverhältnis begrundet wurde, auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung und der Annahme eines fingierten Vertragsverhältnisses nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Herrschende Auffassung ist es daher, daß der Verwahrer persönlich und unmittelbar dem Verpflichteten für den durch Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge verursachten Schaden haftet (SZ 27/264; SZ 9/235; SZ 7/54; Heller-Berger-Stix 1729, 2496; Gschnitzer aaO 657; Schubert in Rummel, ABGB, Rdz. 1 zu § 968; vgl. SZ 52/63). Entgegen Vrba-Zechner aaO ist die Vorschrift des § 968 ABGB durch das Amtshaftungsgesetz nicht derogiert worden. Dem hoheitlich bestellten Sequester werden keine Funktionen übertragen, in deren Ausübung er als Organ des Rechtsträgers Bund hoheitlich handelte. Dem Gesetzgeber stand es frei, Verwahrungsfunktionen während eines Exekutionsverfahrens, das in Verfolgung privater oder fiskalischer Interessen geführt wird, und schon gar nach einem solchen, an Private ohne Einräumung hoheitlicher Gewalt zu übertragen. Mit dem Vollzug der Räumung soll nach dem Willen des Gesetzgebers die gerichtliche Mitwirkung bei Durchsetzung des Räumungsanspruches beendet werden. Der Gedanke, daß der Bund nur deswegen, weil der Verpflichtete nicht bereit oder in der Lage war, die bei der Räumung entfernten Gegenstände zu übernehmen, nicht nur für die ordnungsgemäße Übergabe an einen Verwahrer Sorge zu tragen, sondern auch noch weiterhin nach den Vorschriften des Amtshaftungsrechtes für die ordnungsgemäß dem Verwahrer übergebenen Gegenstände haften soll, ist mit dem vom Gesetz gewollten Umfang der hoheitlichen Obsorge im Rahmen eines Exekutionsverfahrens unvereinbar.