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OGH vom 10.02.2004, 1Ob9/04m

OGH vom 10.02.2004, 1Ob9/04m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1. , Singerstraße 17-19, wegen Unterlassung (Streitwert 110.848,18 EUR) infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 13 R 222/03t-11, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 und § 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden nur: Antragstellerin) begehrte als Untermieterin zur Sicherung ihres klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden nur: Antragsgegnerin), die Eigentümerin des Bestandobjekts und Bestandgeberin ist, zu verbieten, mit der Hauptmieterin einen - auch die untervermieteten Räumlichkeiten umfassenden - (gerichtlichen) Räumungsvergleich abzuschließen, ferner - "insbesondere" gestützt auf einen zwischen der Antragsgegnerin und der Hauptmieterin "abgeschlossenen Räumungsvergleich" - ein auch die untervermieteten Räumlichkeiten betreffendes Exekutionsverfahren einzuleiten, und der Antragsgegnerin, sollte ein solches Exekutionsverfahren "bereits beantragt oder eingeleitet" worden sein, aufzutragen, "dem zuständigen Exekutionsgericht die Abstandnahme vom Vollzug der Räumungsexekution bekannt zu geben".

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren - nach einem zweiseitigen Verfahren - ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Folge man der Ansicht der Antragstellerin, dass § 568 ZPO auf prätorische Räumungsvergleiche nicht anwendbar sei, so mangle es an einem Exekutionstitel, der einer Räumungsexekution gegen sie als taugliche Grundlage dienen könnte. Schreibe man hingegen die Rechtsprechung zu § 568 ZPO fort, so bestehe keine Rechtsgrundlage, einen gültig zustande gekommen Räumungstitel "mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung unwirksam zu machen". Die Antragstellerin habe weder "ernsthaft" ein - ihr Unterbestandrecht betreffendes - Rechtsverhältnis mit der Antragsgegnerin behauptet, noch konkret ausgeführt, "worin ein Kollusionstatbestand zwischen dem Hauptbestandgeber und dem Hauptbestandnehmer gelegen sein könnte". Sollte der Untermietvertrag der Antragsgegnerin bekannt gewesen sein und der Unterbestandgeber mit der Antragstellerin - nach deren Behauptungen - einen Kündigungsverzicht vereinbart haben, so sei daraus ein Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen nicht ableitbar. Solche Tatsachen seien auch ungeeignet, "einen Kollusionstatbestand zu konstruieren". Der ordentliche Revisionsrekurs sei unzulässig, weil "der Boden oberstgerichtlicher abgesicherter Judikatur" nicht habe "verlassen werden" müssen und ein allfälliger Widerspruch zur Lehre hier nicht zum Tragen komme.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Anwendbarkeit des § 568 ZPO auf gerichtliche Räumungsvergleiche

1. 1. Die Antragstellerin merkt in einer Fußnote ihrer umfangreichen Rechtsmittelausführungen an, der Oberste Gerichtshof habe zur Anwendbarkeit des § 568 ZPO auf einen zwischen dem Bestandgeber und dem Hauptbestandnehmer geschlossenen (prätorischen) Räumungsvergleich nur in der Entscheidung 2 Ob 960/33 (= SZ 15/244) Stellung genommen. In Verbindung mit dem einschlägigen Rechtssatz nach dessen Dokumentation im RIS-Justiz (RS0044968) sei zwar auch die Entscheidung 3 Ob 183/92m indiziert, deren "Langtext" enthalte jedoch keinen "diesbezüglichen Verweis". Das ist unzutreffend, übergeht doch die Antragstellerin den letzten Absatz der insgesamt nur aus zwei Absätzen bestehenden Begründung letzterer Entscheidung; dieser hat folgenden Wortlaut:

"Auch die weiteren von den Klägern als erheblich bezeichneten Rechtsfragen der wissentlichen Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte und des Hauptmietvertrags mit Schutzwirkungen zugunsten der (formellen) Untermieter stellen sich hier auf Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht. Die Anwendung des § 568 ZPO auch auf gerichtliche Vergleiche ist durch den Gesetzeswortlaut gedeckt und wurde in der Entscheidung SZ 15/244 ausdrücklich bejaht. Für ein kollusives Zusammenwirken der beklagten Parteien bei Abschluss dieses Vergleichs bieten die Tatsachenfeststellungen keinen Anhaltspunkt."

Damit hat der Oberste Gerichtshof die durch die Entscheidung 2 Ob 960/33 eingeleitete Rechtsprechung fortgeschrieben. Nach deren Gründen beruht § 568 ZPO auf dem Gedanken, dass der Untermieter in dieser Rechtsstellung keinen "eigenen unmittelbaren Anspruch" auf das Bestandobjekt gegen den "Hauseigentümer" habe "und daher weder diesen noch auch den Untervermieter an der Auflösung des zwischen beiden bestehenden Mietvertrages hindern und die sich hieraus für ihn ergebende Folge des Erlöschens seines Untermietrechtes abwehren" könne, solange sich "die zum Nachteile des Untermieters zwischen dem Hauptvermieter und dem Hauptmieter getroffene Vereinbarung auf Auflösung des Mietvertrages" nicht "wegen ihrer Scheinnatur oder ihrer Rechts- oder Sittenwidrigkeit als ungültig" erweise. Abgesehen von dieser Einschränkung müsse der Hauseigentümer "bei Vereinbarungen mit seinem Mieter auf das Interesse des Untermieters" nicht Bedacht nehmen und "von einem für diesen sich ungünstig auswirkenden Räumungsvergleich" abstehen. Es sei aber auch der "Untervermieter infolge des Untermietvertrages" nicht "behindert", den Bestandvertrag mit dem Hauseigentümer - ungeachtet allfälliger Schadenersatzansprüche des Untermieters - aufzulösen. § 349 Abs 1 EO gründe sich auf § 568 ZPO. Jene Norm unterscheide nicht zwischen gerichtlichen Urteilen und Vergleichen als Exekutionstitel. Eine solche Unterscheidung sei auch nicht beabsichtigt, weil "gerichtliche Räumungsvergleiche nicht selten den Abschluss eines Kündigungsprozesses bilden und hier ein Anerkenntnisurteil ersetzen sollen". Dort, wo solchen Vergleichen ein Bestandprozess nicht vorausgegangen sei, dienten sie der Prozessvermeidung. Insofern trete der Vergleich an die Stelle eines Urteils. Dagegen lasse sich nicht erfolgreich einwenden, dass sich der Untermieter an einem Prozess zwischen dem Haupt- und dem Untervermieter zwecks Abwehr des geltend gemachten Räumungsanspruchs als Nebenintervenient beteiligen könnte, müsse doch der Untermieter auch als Nebenintervenient "materiell-rechtliche Verfügungen des Hauptmieters über seine Bestandrechte, wie Anerkenntnis oder Verzicht, gegen sich gelten lassen". Bei anderer Sicht der Rechtslage wäre der Vermieter "trotz Bereitwilligkeit seines Bestandnehmers zur Vertragsauflösung" gezwungen, einen Prozess gegen den Hauptmieter einzuleiten und dieses Verfahren jedenfalls bis zur Urteilsfällung fortzuführen, um einen auch gegen den Untermieter vollstreckbaren Exekutionstitel zu erlangen. Überdies hätte es der Hauptmieter in der Hand, die Wirkung eines mit dem Vermieter geschlossenen gerichtlichen Räumungsvergleichs zu vereiteln, wenn er noch "vor Durchführung der Räumungsexekution einen Untermieter" aufnähme. § 568 ZPO bezwecke demnach, die Wirkung eines zwischen dem Vermieter und dem Hauptmieter geschlossenen gerichtlichen Räumungsvergleichs auf den Untermieter zu erstrecken. Dieses Ergebnis werde auch vom Wortlaut des § 568 ZPO gestützt, weil unter "'Verfügungen' ... zweifellos auch die vom Hauptvermieter gegen den Hauptmieter erwirkte Bewilligung der zwangsweisen Räumung" zu verstehen sei.

1. 2. Gegen die soeben referierte Rechtsprechung wendet Frauenberger (in Rechberger, ZPO² § 568 Rz 2) ein, sie widerspreche dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und biete "zudem umfangreiche Missbrauchsmöglichkeiten". Er beruft sich dafür auf Palten (Bestandverfahren [1991] Rz 96), der jedoch - ohne nähere Begründung - lediglich festhält, gegen "die Anwendung des § 568 ZPO auf gerichtliche Vergleiche oder Kündigungen von Bestandnehmerseite" lasse sich einwenden, "dass Missbrauch dadurch erleichtert" werde. Frauenberger sieht die erwähnten "Missbrauchsmöglichkeiten" allerdings durch den Schutz des Scheinuntermieters nach dem MRG und die in Betracht kommende Aufschiebung des Exekutionsverfahrens "weitgehend gelindert", will aber die Anwendung des § 568 ZPO - insofern unter Berufung auf Oberhammer (Das Auftragsverfahren in Bestandstreitigkeiten [1992] 153 f) - dennoch auf gerichtliche Räumungsvergleiche beschränken, "in denen der Schaffung des Räumungstitels ein das streitige Verfahren einleitender Parteiantrag des Hauptbestandgebers zugrunde lag, auf Fälle also, in denen der Räumungstitel wirklich 'gegen den Bestandnehmer' erwirkt" worden sei. Dazu führt Oberhammer (aaO 152 ff) aus, das Unterbestandrecht sei ein vermögenswertes Privatrecht und falle als solches in den Schutzbereich des Art 5 StGG. In dieses Recht werde durch die Delogierung des Unterbestandnehmers im Zuge einer Exekution gegen den Hauptbestandnehmer "massiv eingegriffen". Zweifelhaft sei daher, ob die ratio des § 568 ZPO "den durch sie verfügten Grundrechtseingriff unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes ... sachlich" rechtfertige. Werde etwa ein prätorischer Räumungsvergleich dazu eingesetzt, "um eine Handhabe zur Delogierung des Unterbestandnehmers (oder gar 'Schein'untermieters ...) zu erlangen", so erscheine "eine so tiefgreifende Verkürzung des Rechtsschutzes des Unterbestandnehmers gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut ... äußerst fragwürdig".

1. 3. Den zuvor referierten Stellungnahmen ist gemeinsam, dass sie sich mit den Gründen der Entscheidung 2 Ob 960/33 nicht auseinandersetzen. Bereits mit dieser Entscheidung wurde die Anwendbarkeit des § 568 ZPO - in Wahrnehmung eines insofern gebotenen Rechtsschutzes für den Unterbestandnehmer - auf Räumungsvergleiche beschränkt, bei denen eine Kollusion zwischen dem Eigentümer des Bestandobjekts als Vermieter und dem Hauptmieter zu Lasten des Unterbestandnehmers nicht vorliegt. Weshalb dem Unterbestandrecht als vermögenswertem Privatrecht nach der Verfassungsrechtslage - abgesehen von dem bereits in der Entscheidung 2 Ob 960/33 bedachten Kollusionsfall - gegenüber der aus dem Eigentumsrecht an der Bestandsache abgeleiteten Rechtsposition des Hauptbestandgebers der Vorzug gebühren sollte, obgleich der Unterbestandnehmer sein Gebrauchsrecht nicht vom Hauptbestandgeber ableitet, bleibt unerfindlich. Da überdies prätorische Räumungsvergleiche der - heute nicht weniger als zur Zeit der die Entscheidung 2 Ob 960/33 erging - erstrebenswerten Prozessvermeidung dienen, sieht sich der erkennende Senat vor dem Hintergrund aller bisherigen Erwägungen nicht veranlasst, die Anwendbarkeit des § 568 ZPO (auch) auf gerichtliche Räumungsvergleiche entsprechend dem im erörterten Schrifttum verfochtenen Standpunkt einzuschränken. Eine solche Einschränkung könnte, was noch anzumerken ist, die Rechtsposition des Unterbestandnehmers in Wahrheit auch nicht nachhaltig schützen, könnten doch die Parteien des Hauptbestandvertrags ein für dessen Rechtsposition (rechtswidrig) nachteiliges Ziel auf andere Weise erreichen, weil auch eine gerichtliche Aufkündigung des Hauptbestandnehmers oder die Beendigung des Kündigungsprozesses in Form eines Räumungsvergleichs oder eines Anerkenntnisurteils zu Lasten des Unterbestandnehmers "paktiert" sein kann.

2. Ergebnis

Da die durch die Entscheidung 2 Ob 960/33 eingeleitete Linie der Rechtsprechung, wie soeben begründet wurde, fortzuschreiben ist, bedarf es bei der Entscheidung nur noch der Lösung der Fragen, ob dem Abschluss bzw der Vollstreckung des erörterten gerichtlichen Räumungsvergleichs "ein zwischen dem Afterbestandnehmer und dem Bestandgeber bestehendes Rechtsverhältnis" iSd § 568 ZPO "entgegensteht" oder ob ein der Antragsgegnerin (sowie der Hauptmieterin) anlastbarer Fall der Kollusion zum Nachteil der Antragstellerin vorliegt. Das Rekursgericht verneinte beides schon auf dem Boden des Antragsvorbringens.

Ob nach den ins Treffen geführten Tatsachen ein - der Diktion der Antragstellerin zufolge - bereits "verdichtetes" Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Antragsgegnerin anzunehmen sei, wirft als Lösung eines singulären Einzelfalls keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf, ist doch der zweiten Instanz insoweit zumindest keine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses setzte jedoch eine solche Fehlbeurteilung voraus. Nichts anderes gilt für die Verneinung des Vorliegens eines Kollusionsfalls. Die Antragstellerin gesteht in ihrem Rechtsmittel selbst zu, dass die Intention der Antragsgegnerin bei Abschluss des prätorischen Räumungsvergleichs "nicht primär die Schädigung der gefährdeten Partei durch faktischen Entzug des Nutzungsrechtes am Untermietobjekt gewesen sein mag". Durfte aber die Antragsgegnerin ihre Interessen als Eigentümerin des Bestandobjekts gegen die Hauptmieterin (auch) durch den Abschluss eines gerichtlichen Räumungsvergleichs wahrnehmen, weil es - nach der zumindest nicht krass unrichtigen Ansicht des Rekursgerichts - an einem Rechtsverhältnis mit der Antragstellerin mangelt, das einer solchen Maßnahme entgegenstünde, so ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragsgegnerin ihre Rechte im Licht der Gründe der Entscheidung 2 Ob 960/33 nicht auch durch den Abschluss eines prätorischen Räumungsvergleichs mit der Hauptmieterin hätte wahrnehmen dürfen.

Aus den voranstehenden Erwägungen folgt, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, sodass die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.