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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSI vom 26.08.2008, RV/0726-I/07

Gutglaubensschutz bei Ausfuhrlieferungen in ein Drittland


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Miterledigte GZ:
RV/0727-I/07

Beachte

VwGH-Beschwerde zur Zl. 2008/15/0285 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. v. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zl. RV/3100670/2012 erledigt.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/0726-I/07-RS1
Sollte die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen iSd § 7 Abs. 6 Z 2 UStG 1994 (Abholfall) durch falsche Angaben der Leistungsempfänger über die erforderlichen Voraussetzungen (ausländischer Abnehmer, Ausfuhrnachweis) erlangt worden sein, kann dies dem liefernden Unternehmer nur angelastet werden, wenn er davon "wusste oder wissen hätte müssen". Der vom EuGH geforderte Gutglaubensschutz für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr erstreckt sich auch auf Ausfuhrlieferungen in ein Drittland ( C-271-/06, Netto-Supermarkt).

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der KVGmbH, vertreten durch RA, vom gegen die am ausgefertigten Bescheide des Finanzamtes betreffend Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs 4 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer für den Zeitraum 2002 bis 2004 und die Sachbescheide betreffend Umsatzsteuer 2002 bis 2005 und Jänner 2006 entschieden:

Der Berufung gegen die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2002 bis 2004 wird Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Die Berufung gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2002 bis 2004 wird als unzulässig (geworden) zurückgewiesen.

Der Berufung gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2005 und 1/2006 wird Folge gegeben. Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben sind den angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin betreibt in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in Tirol einen Handel mit Kosmetikartikeln. Bei einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde folgendes festgestellt (Bericht vom , AbNr. 124105/05 sowie Niederschrift über die Schlussbesprechung vom ):

"Tz 3 - Erlöse Fa. ZS:

Die Berufungswerberin hat ihre geschäftliche Tätigkeit mit Feber 2002 aufgenommen. Im Zeitraum 8/2002 - 3/2004 wurden Umsätze mit der Fa. ZS , ..., Budapest, getätigt. In diesem Zeitraum bzw bis zum EU-Beitritt Ungarns erfolgten Ausfuhrlieferungen in einer Gesamthöhe von € 1.161.944 nach Ungarn an die Fa. ZS. Ab dem (EU-Beitritt Ungarns) wurden keine Lieferungen mehr an die Fa. ZS getätigt. Ab diesem Zeitpunkt wurden Lieferungen nach Serbien (Drittland) an die Fa. PC getätigt. Die Lieferungen an die Fa. ZS erfolgten in der Weise, dass die Waren telefonisch bestellt und dann persönlich von Herrn TA bei der Berufungswerberin abgeholt und bar bezahlt wurden. Diese Umsätze wurden von der Berufungswerberin als umsatzsteuerfreie Exporterlöse behandelt, d.h. es wurde keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Bei Abholung und Bezahlung der nächsten Warenlieferung brachte Herr TA das vom österreichischen Zoll abgestempelte Ausfuhrpapier der jeweils vorherigen Lieferung der Berufungswerberin zurück.

Über die IWD Abfragestelle Tirol wurde der KSV 1870 beauftragt, Erhebungen über diese Firma durchzuführen. Die Firma konnte trotz intensiver Recherchen nicht ermittelt werden. An der besagten Adresse befand sich in den Jahren 2001 - 2004 kein Unternehmen. Unstrittig ist, dass die Fa. ZS in Ungarn, auf die sämtliche Rechnungen und Ausfuhrbescheinigungen ausgestellt waren, nie existierte. ...

Für Warenlieferungen ins Gemeinschaftsgebiet wurden Bestätigungsverfahren der Stufe 2 durchgeführt. Die entsprechenden Abfragen werden in einem Ordner aufbewahrt. Für die Ausfuhrlieferungen ins Drittland wurden keine schriftlichen Erhebungen durchgeführt. Es wurden lediglich telefonische Auskünfte bei den eigenen Kunden bzw. Lieferanten eingeholt, ob der neue potentielle Kunde bekannt sei bzw. existiere. Darüber gibt es jedoch keine schriftlichen Aufzeichnungen. Durch die Barzahlung der Kunden aus den Drittländern sei gewährleistet, dass kein finanzieller Schaden für die Firma entsteht.

Nach Meinung der Betriebsprüfung ist die Berufungswerberin somit der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes in keinster Weise nachgekommen.

Eine weitere materiellrechtliche Voraussetzung für die Steuerfreiheit von Exporten ist der buchmäßige Nachweis. Der Buchnachweis ist durch Bücher oder Aufzeichnungen in Verbindung mit den dazugehörigen Belegen zu führen. Eine Belegsammlung reicht für sich allein nicht aus. Der buchmäßige Nachweis fehlt ebenfalls. Somit ist die Steuerfreiheit für die Umsätze an die nicht existente Fa. ZS zu versagen.

Tz 4 - Erlöse PC :

Im Zeitraum 6/2004 - 1/2006 (Ende Nachschauzeitraum) wurden Umsätze mit der Fa. PC , ... Novi Sad getätigt. Die Waren wurden telefonisch bestellt und dann persönlich von den beiden Ungarn GS und SK bei der Berufungswerberin abgeholt und bar bezahlt. Welche Funktion diese beiden Ungarn für die serbische Firma einnehmen bleibt unklar. Diese Umsätze wurden von der Berufungswerberin als umsatzsteuerfreie Exporterlöse behandelt, d.h. es wurde keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Bei Abholung und Bezahlung der nächsten Warenlieferung brachten die Ungarn das vom ungarischen Zoll abgestempelte Ausfuhrpapier der jeweils vorherigen Lieferung der Berufungswerberin zurück. Diese abgestempelten Ausfuhrpapiere wurden der ungarischen Zollverwaltung zur Überprüfung übermittelt. Das Ergebnis dieser Überprüfung war, dass die Stempelungen auf sämtlichen Warenausfuhrerklärungen an die Fa. PC Fälschungen sind. Die jeweiligen Evidenzhaltungsnummern, die sich auf die Ausfuhr beziehen, sind nicht existent. Somit fehlt der Nachweis, dass der Gegenstand der Lieferung in das Drittland befördert wurde. Bezüglich der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes und fehlendem Buchnachweis wird auf Tz 3 verwiesen. Die Steuerfreiheit für die Umsätze an die Fa. PC ist somit zu versagen.

Mit den am im Anschluss an die abgabenbehördliche Prüfung ausgefertigten Bescheiden verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2002 bis 2004. Die Bescheide enthalten jeweils folgende Begründung:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gemäß § 303 (4) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen."

Ebenfalls am ergingen (hinsichtlich der Jahre 2002 bis 2004 im wiederaufgenommenen Verfahren) den Feststellungen der Betriebsprüfung entsprechende Sachbescheide, mit denen für die Lieferungen an die Firmen PC und ZS Umsatzsteuer vorgeschrieben wurde. Die Nachforderungen an Umsatzsteuer ergaben sich mit 68.638,51 € im Jahr 2002; 118.708,50 € im Jahr 2003; 59.544,60 € im Jahr 2004, 75.846,37 € im Jahr 2005 und 2.811,23 € im Jahr 2006.

Die Berufung vom richtet sich sowohl gegen die die Wiederaufnahme der Verfahren verfügenden Bescheide als auch gegen die neuen Sachbescheide. Hinsichtlich der Wiederaufnahme wurde unter Hinweis auf VwGH 2006/14/0014 eingewendet, es sei in keiner Weise konkretisiert, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen wären. Der Hinweis auf Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung sei nicht bestimmt. Der Wiederaufnahmebescheid müsse "die Begründung enthalten und nicht irgendwelche Aktenstücke". Der Bescheidadressat dürfe nicht darauf verwiesen sein, "sich die Begründung irgendwo aus dem Behördenakt bzw. Aktenteilen zu suchen".

Soweit sich die Berufung gegen die Sachbescheide richtet wurde eingewendet, § 7 Abs. 2 lit.a UStG 1994 verlange - anders als noch das UStG 1972 - nicht, dass der ausländische Abnehmer seinen Wohnsitz (Sitz) im Ausland habe, sondern bestimme negativ, dass er im Inland keinen (Wohn-) Sitz haben dürfe. Die Behörde bezweifle hinsichtlich der Lieferungen an die Fa. ZS weder, dass die Ware ins Ausland verbracht worden sei noch dass die Fa. ZS keinen "Sitz (Wohnsitz)" im Inland habe. Der Abholer habe der Berufungswerberin gegenüber wiederholt bestätigt, die Ware ins Ausland verbracht zu haben, u.a. in Form einer "notariellen Erklärung vom ". Die Identität des Abholers habe die Berufungswerberin "zu Beginn der Geschäfte" durch Einsicht in den Reisepass und die Anfertigung einer Kopie festgehalten.

Hinsichtlich der Lieferungen an die Fa. PC wurde eingewendet, es sei offen, ob die Stempel an sich gefälscht seien, gegebenenfalls in welchen Punkten, ob es sich um echte aber von einer unzuständigen Stelle verwendetete Stempel oder ob es sich um echte aber nicht mehr in Verwendung stehende Stempel handle. Es sei also nicht aufgezeigt worden, worin die Fälschung bestehe. Dadurch sei der Antragstellerin auch verwehrt worden, eine Stellungnahme abzugeben. Darüber hinaus seien sämtliche Umsätze von 757.949,86 € der Besteuerung unterworfen worden, obwohl eine Überprüfung der Ausfuhrstempel nur für Lieferungen über 620.294,81 € erfolgt sei. Zudem nehme auch die Behörde nicht an, die Berufungswerberin hätte die Fälschungen erkennen können. Da die Waren unzweifelhaft ins Ausland gebracht worden seien, liege "die Voraussetzung für Exportförderung durch Umsatzsteuerfreiheit" vor. Dass Abnehmer solcher Mengen nicht Endverbraucher sondern vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer seien, erscheine offensichtlich. Es würden der öffentlichen Hand keine Abgaben entgehen. Vielmehr verlange die Behörde Abgaben für Umsätze, "für die ihr zumindest per Umsatzsteuer-Vorsteuer-Saldo keine Abgabe zu verbleiben" habe.

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, im Zuge der Betriebsprüfung seien folgende neuen Tatsachen und Beweismittel iSd § 303 BAO hervorgekommen:

a) Im Zeitraum von August 2002 bis März 2004 seien Kosmetikprodukte im Wert von 1.161.944 € an die Fa. ZS in Budapest verkauft worden. Die Waren seien auf Grund von Vorbestellungen für die Fa. ZS eingekauft "und von einem gewissen TA" abgeholt und bar bezahlt worden. Trotz intensiver, im Auftrag der IWD-Abfragestelle Tirol erfolgter Recherchen des KSV 1870 habe die Fa. ZS nicht ermittelt werden können. An der angegebenen Adresse in Ungarn habe sich im Zeitraum 2002 bis 2004 kein Unternehmen befunden. Dieser im Zuge der Betriebsprüfung hervorgekommene Umstand sei von der Berufungswerberin nie bestritten worden. Mangels eines ausländischen Abnehmers sei daher die Steuerfreiheit der angeführten Umsätze "rückgängig" zu machen gewesen.

b) Im Zeitraum von Juni 2004 bis Jänner 2006 seien Lieferungen an die Fa. PC in Novi Sad im Wert von 757.949 € erfolgt. Auch hier sei die Ware in Österreich (von zwei namentlich genannten Ungarn) abgeholt und bezahlt worden. Welche "Funktion" die Ungarn für die Abnehmerin eingenommen hätten, sei unklar geblieben. Erhebungen beim ungarischen Zoll (Anm. des UFS: beim Austrittszollamt aus dem Gemeinschaftsgebiet) hätten "jedoch letztlich ergeben, dass die Zollstempel gefälscht waren". Es seien die Evidenznummern, die sich auf die jeweilige Ausfuhr beziehen, "nicht existent". Es fehle daher der Nachweis für die Beförderung der Ware in das Drittland. Die Fälschung der Zollstempel sei dem Finanzamt bei Ausfertigung der Erstbescheide noch nicht bekannt gewesen.

Bei den Ausfuhrlieferungen an die Firma ZS und die Fa. PC handle es sich um Abholfälle. Wenn die auf den Zollpapieren angegebene Abnehmerin nicht existiere, der Firmenwortlaut nicht richtig wiedergegeben oder die Zollstempel gefälscht seien, liege mangels Buchnachweis keine steuerfreie Ausfuhrlieferung vor. Die steuerliche Auswirkung dieser Feststellungen ist in der Berufungsvorentscheidung durch Gegenüberstellung der Steuergutschrift im Erstbescheid und der (niedrigeren) Gutschrift laut der neuen Sachbescheide dargestellt.

Im Vorlageantrag wird eingewendet, die Feststellung in der Berufungsvorentscheidung, wonach die Berufungswerberin die Nichtexistenz der Fa. ZS nie bestritten habe, treffe nicht zu. Die Berufungswerberin verweist in diesem Zusammenhang auf die gegen einen Sicherstellungsauftrag gerichtete Berufung vom , auf einen Schriftsatz vom , auf die gegenständliche Berufung sowie auf eine der Behörde vorgelegten "eidesstattige Erklärung" vom . In all diesen Eingaben wurde vorgebracht, eine Abnehmerin mit der Bezeichnung ZS habe sehr wohl existiert. Daran ändere sich nichts, wenn laut Erhebungen des Finanzamtes die Berufungswerberin über "den Innehaber in die Irre geführt war". In diesem Fall habe eben das Finanzamt zu erheben und festzustellen, "wem im Sinne des Zivilrechtes und allenfalls nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Betrieb und damit die Geschäfte auf Abnehmerseite zuzurechnen sind (Hinweis auf VwGH 98/15/0008)." Auch argumentiere die Behörde unlogisch und widersprüchlich, wenn sie sich auf das Fehlen eines ausländischen Abnehmers berufe. Führe eine falsche Bezeichnung des Abnehmers zu einem Nichtabnehmer, gebe es überhaupt keinen Abnehmer. Ohne Abnehmer gebe es keinen Umsatz und keine Umsatzsteuerpflicht. Zu prüfen sei im vorliegenden Fall nur, ob der Abnehmer einen Sitz im Inland habe, nicht aber ob er einen im Ausland habe und gegebenenfalls wo. Einen inländischen (Wohn)Sitz behaupte die Behörde nicht einmal. Aus der in der Berufungsvorentscheidung verwendeten UFS-Entscheidung RV/1235-W/02 sei für den Standpunkt der Behörde nichts zu gewinnen. Die Entscheidung sei "genauso inkonsequent wie die Sicht der Behörde", da auch hier kein anderer, insbesondere inländischer Abnehmer angenommen worden sei. Die Entscheidung argumentiere im Wesentlichen mit dem Buchnachweis als materiellrechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, was schlicht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung widerspreche (Hinweis auf VfGH B 916/02).

Die im Zusammenhang mit den Lieferungen an die Fa. PC behaupteten Fälschungen werden im Vorlageantrag "mangels konkreter Darstellung" bestritten. Es sei offen, "worin die Fälschungen bestanden, ob die Stempel an sich gefälscht waren, ob sie von einer falschen Stelle verwendet wurden, ob sie außer Verwendung genommen wurden". Auch nehme die Behörde die Fälschung sämtlicher Stempel an, obwohl sie nur einen Teil prüfen habe lassen. Hinsichtlich des Buchnachweises vertrete die Behörde unzutreffend die Ansicht, dieser sei eine materiellrechtliche Voraussetzung für die Steuerfreiheit. Die Behörde habe nicht ausgeführt, wie der Buchnachweis auszuschauen habe bzw. inwiefern die vorliegenden Aufzeichnungen mangelhaft seien. Nach Ruppe, UStG 1994, §18 Rz 57 ff komme es auf die fortlaufende Aufzeichnung an. Dass die Berufungswerberin dem entsprochen habe, bestreite die Behörde nicht.

Über die Berufung wurde erwogen:

1. Wiederaufnahme der Verfahren:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Es ist Aufgabe der Abgabenbehörden, die von ihnen verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Es muss aktenmäßig erkennbar sein, dass dem Finanzamt nachträglich Tatumstände zugänglich gemacht wurden, von denen es nicht schon zuvor Kenntnis gehabt hat ( mwH).

Die am ausgefertigten Bescheide, mit denen die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2002 bis 2004 verfügt wurde, verweisen begründend auf "die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind". Der Prüfungsbericht (vom , AbNr. 124105/05) enthält auf Seite 6 den Punkt "Prüfungsabschluss - Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO". Dort ist festgehalten, dass (u.a.) hinsichtlich Umsatzsteuer für den Zeitraum 2002 bis 2004 Feststellungen getroffen worden seien, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen. Die Feststellungen seien unter Tz 1 des Berichtes dargestellt. Unter Tz 1 des Berichtes wird wiederum auf Tz 1 - 4 "der beiliegenden Niederschrift" verwiesen. In dieser mit datierten "Niederschrift über die Schlussbesprechung gem. § 149 Abs. 1 BAO anlässlich der Außenprüfung" sind die eingangs wörtlich wiedergegebenen Feststellungen ("Tz 3 - Erlöse Fa. ZS" und "Tz 4 - Erlöse PC ") enthalten. Der Einwand, den Bescheiden betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren fehle eine Begründung, trifft daher nicht zu. Die Hinweise, auf welche neu hervorgekommenen Tatsachen das Finanzamt die Wiederaufnahme stützte und wo diese dargestellt sind (Prüfungsbericht und Niederschrift über die Schlussbesprechung), ergeben sich unmittelbar aus den angefochtenen Bescheiden. An der am erfolgten Schlussbesprechung nahmen sowohl der steuerliche Vertreter als auch der Rechtsanwalt der Berufungswerberin teil. Ein Exemplar der Niederschrift wurde laut Bestätigung des steuerlichen Vertreters ausgefolgt. Das Berufungsvorbringen, die Bescheidadressatin könnte darauf verwiesen sein, "sich die Begründung irgendwo aus dem Behördenakt bzw. Aktenteilen" suchen zu müssen, erweist sich insofern als unzutreffend. Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme ist, dass die herangezogenen Wiederaufnahmegründe (Nichtexistenz der Fa. ZS sowie gefälschte Zollstempel hinsichtlich der Lieferungen an die Fa. PC) ausreichend nachgewiesen sind und zur Erlassung von "im Spruch anders lautenden Bescheiden" führen. Da dies nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates zu verneinen war (siehe dazu Pkt 2. Sachbescheide), war der Berufung gegen die die Wiederaufnahme der Verfahren verfügenden Bescheide Folge zu geben.

2. Sachbescheide:

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 sind u.a. Ausfuhrlieferungen iSd § 7 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Bei den hier zu beurteilenden Lieferungen handelt es sich ausnahmslos um "Abholfälle" iSd § 7 Abs. 6 Z 2 UStG 1994. Nach dieser Bestimmung liegt eine steuerfreie Ausfuhrlieferung vor,

"wenn der Unternehmer das Umsatzgeschäft, das seiner Lieferung zugrunde liegt, mit einem ausländischen Abnehmer abgeschlossen hat, und der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittland befördert oder versendet hat, ausgenommen die unter Z 3 genannten Fälle".

Nach § 7 Abs. 6 Z 1 UStG ist der Ausfuhrnachweis in diesem Fall durch eine vom liefernden Unternehmer ausgestellte und mit der zollamtlichen Ausgangsbestätigung versehene Ausfuhrbescheinigung zu erbringen. Als ausländischer Abnehmer gilt nach Abs. 2 leg.cit. "ein Abnehmer, der keinen Wohnsitz (Sitz) im Inland hat" (vgl. Ruppe, UStG3, § 7 Tz 22).

2.1. Lieferungen an die Fa. ZS

Das Vorliegen steuerfreier Ausfuhrlieferungen verneinte das Finanzamt, weil ein Abnehmer im Ausland nicht existiert habe. Das Finanzamt stützte sich dabei auf die Auskunft des mit Nachforschungen über die Existenz der Fa. ZS beauftragten Kreditschutzverbandes 1870 (KSV 1870). Dieser teilte im "Negativreport" vom mit:

"Wir bedauern, dass wir Ihnen trotz intensiver Recherche keine Auskunft über die von Ihnen geforderte Firma geben können. Falls Sie über weitere Angaben (wie exakte Anschrift, Tel.Nr., Steuernummer, VAT, etc.) verfügen, bitten wir Sie, uns diese zu übermitteln, damit wir die Recherche fortsetzen können.

Unternehmen konnte nicht eindeutig identifiziert werden."

In einem weiteren Schreiben des "KSV Internationale Information" vom heißt es:

"lt. unserem ungarischen Korrespondenten existiert kein Unternehmen an der angefragten Anschrift. Auch in den Jahren 2001 bis 2004 soll dort kein Unternehmen bestanden haben."

Im Verfahren vor dem Unabhängigen Finanzsenat erfolgten weitere Nachforschungen, veranlasst durch ein Ermittlungsersuchen der IWD-Stelle (Ersuchen um Ermittlungen vor Ort, Vornahme eines Lokalaugenscheines, Befragung von Hausbewohnern und Anrainern, eventuell Zeugenbefragung). Am teilte der "KSV Internationale Information" mit, "auf privatem Wege durchgeführte" Recherchen vor Ort hätten ergeben, dass die angefragte Hausnummer "schon 2006" nicht bestanden habe. Das Unternehmen sei nach wie vor nicht identifizierbar. Unzutreffend sei auch, dass in Ungarn vor dem EU-Beitritt nicht alle Unternehmen registriert worden seien.

Diese Auskünfte des KSV sind nicht geeignet, Aufschluss über Existenz oder Nichtexistenz der Firma ZS im Berufungszeitraum zu geben, geht der KSV zunächst doch selbst davon aus, dass "die Recherchen" nach Vorliegen weiterer Angaben ("wie exakte Anschrift") fortzusetzen wären. Die Mitteilung, das Unternehmen nicht eindeutig identifzieren zu können, bedeutet, dass für Nachforschungen noch weitere und genauere Angaben benötigt werden, sagt aber über das Bestehen der Firma nichts aus. Auch das Schreiben vom , demzufolge laut dem ungarischen Korrespondenten kein Unternehmen an der angefragten Anschrift bestehe, lässt offen, ob dies auf den Berufungszeitraum zutrifft. Bei der weiteren Aussage, wonach auch in den Jahren 2001 bis 2004 dort kein Unternehmen "bestanden haben soll", handelt es sich offenbar um die Weitergabe von Auskünften von dritter Seite. Es ist nicht bekannt, von wem diese Auskunft stammt, auf welche Beobachtungen oder Erhebungen sie sich stützt und wie verlässlich sie ist. Auch das letzte Ersuchen führte lediglich zur Mitteilung, dass "schon 2006" an besagter Adresse kein Unternehmen bestanden habe (Mitteilung des KSV vom ). Der Berufungseinwand, die Fa. ZS habe an dieser Adresse im Berufungszeitraum ihren Sitz gehabt, wird dadurch nicht widerlegt. Dies gilt auch für den Umstand, dass eine Eintragung in öffentliche Bücher nicht erfolgt sei. Das ungarische "Gesetz über die Firmenpublizität, das handelsgerichtliche Verfahren und die Liquidation" bestimmte in der von 1997 bis zum EU-Beitritt Ungarns mit gültigen Fassung: "Der Einzelunternehmer kann - auf seinen Antrag hin - im Handelsregister eingetragen werden". Die Ansicht, jedes Unternehmen sei in öffentliche Bücher einzutragen gewesen, erweist sich insofern als unzutreffend.

Der Annahme, die Fa. ZS habe nie existiert, stehen die Aussagen gegenüber, wonach der ungarische Staatsbürger und in Ungarn wohnhafte TA als Inhaber der Fa. ZS die bestellten Waren in den Geschäftsräumlichkeiten der Berufungswerberin abgeholt und nach Ungarn gebracht habe. Über die Identität des Abholers hat sich das Finanzamt vergewissert (Pass und Wohnsitznachweis befinden sich in Ablichtung in den Akten des Finanzamtes). In den Arbeitsunterlagen der Betriebsprüfung befinden sich Schreiben von dritten (ungarischen) Firmen, in welchen diese bestätigen, im Berufungszeitraum mit der Fa. ZS in Geschäftsverbindung gestanden zu sein. Unbestritten ist weiters, dass TA die Waren tatsächlich nach Ungarn verbracht hat. Das Zollamt in Wien hat nach Prüfung der Ausfuhrpapiere das Vorliegen von Fälschungen ausdrücklich verneint.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Waren von TA im Betrieb der Berufungswerberin abgeholt und nach Ungarn ausgeführt worden sind. TA hat im Inland keinen Wohnsitz und ist laut Berufung Inhaber der Fa. ZS. Damit sind die für Abholfälle normierten Voraussetzungen für deren Steuerfreiheit (Abschluss mit ausländischem Abnehmer und Beförderung der Ware durch den Abnehmer in das Drittland) gegeben.

Der Berufung gegen die Bescheide, mit denen die Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für 2002 bis 2004 verfügt wurde, war daher stattzugeben. Dadurch treten die im wieder aufgenommenen Verfahren (am ) ausgefertigten Sachbescheide ex lege aus dem Rechtsbestand. Die gegen diese Bescheide gerichtete Berufung war daher als unzulässig (geworden) zurückzuweisen. Die für 2002 bis 2004 erlassenen Erstbescheide leben wieder auf.

2.2. Lieferungen an PC

Hinsichtlich der Lieferungen an die Fa. PC versagte das Finanzamt die für Ausfuhrlieferungen vorgesehene Steuerfreiheit, weil die vorgelegten Ausfuhrnachweise gefälscht worden seien.

Dazu war festzustellen, dass dem ungarischen Zollamt nicht alle Ausfuhrnachweise zur Prüfung vorgelegt wurden. Von den vorgelegten Ausfuhrpapieren wurde für einige (genau bezeichnete) deren Echtheit von der ungarischen Zollbehörde festgestellt. Zu den verbleibenden zur Überprüfung vorgelegten Ausfuhrnachweisen wurde mitgeteilt (beglaubigte Übersetzung aus dem Ungarischen):

" ... die Stempel, mit welchen die Stempelungen angebracht wurden, sind Fälschungen. Die Evidenzhaltungsnummer, welche sich auf die Ausfuhr beziehen, sind nicht existent."

Ob dies so zu verstehen ist, dass tatsächlich auch die verwendeten Stempel gefälscht worden sind oder ob die Fälschung in der nicht existenten Evidenzhaltungsnummer besteht, ist der Mitteilung nicht zu entnehmen. Unterschiede zwischen den an den Ausfuhrpapieren angebrachten Stempel und den von den zuständigen Zollstellen und Bürgschaftsstellen im Rahmen des gemeinsamen Versandverfahrens zu verwendenden Stempel sind nicht erkennbar. Es stimmen alle Merkmale (Sicherheitszeichen, Wappen der ungarischen Republik, Merkurstab, Farbe des Stempelabdrucks) überein. Auch die Nummer des Zollbeamten und die Computer-Kontrollnummer sind vorhanden und richtig aufgebaut. Die "Fälschung" wurde vom ungarischen Zollamt insofern konkretisiert, als die angebrachten "Evidenzhaltungsnummern" nicht existent seien. Dazu ist zu erläutern, dass die Evidenzhaltungsnummer eine Zahl mit elf bis vierzehn Stellen ist, die beim ungarischen Austrittszollamt vom abfertigenden Beamten jeweils händisch anzubringen war. Eine falsche Evidenzhaltungsnummer könnte daher auch durch Schreib- oder Übertragungsfehler erklärbar sein.

Abgesehen davon, dass die Verwendung gefälschter Stempel und eine Fälschung der Evidenzhaltungsnummern somit nicht mit Sicherheit feststeht, würden diese Umstände - sollten sie tatsächlich vorliegen - für sich allein nicht ausreichen, die erfolgte Vorschreibung an Umsatzsteuer zu rechtfertigen. Der EuGH hat für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr einen Grundsatz des Vertrauensschutzes bei Mehrwertsteuerbetrugsfällen gefordert. Dem Leistungsempfänger solle ein Vorsteuerabzug auch dann zustehen, wenn die Leistung Teil einer Kette ist, an der ein Unternehmer beteiligt ist, der seinen umsatzsteuerlichen Pflichten nicht nachkommt. Anderes gelte nur, wenn der Leistungsempfänger "wusste oder wissen hätte müssen", dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Zu diesem Zweck sei zu prüfen, ob der Unternehmer alle Maßnahmen gesetzt hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind (vgl. , Optigen Ltd u.a.; , Federation of Technological Industries; C-439,440/04, Kittel u.a.). Mit Urteil vom , Rs C-271/06 (Netto Supermarkt) hat der EuGH klargestellt, dass diese Rechtsprechung zum Gutglaubensschutz über den Binnenmarkt hinaus wirke und auch Ausfuhrlieferungen ins Drittland umfasse. Sollten daher die Kunden der Berufungswerberin tatsächlich falsche Angaben über die für die Umsatzsteuerfreiheit geforderten Voraussetzungen gemacht haben, wäre entscheidungswesentlich, ob die Berufungswerberin davon wusste oder wissen hätte müssen.

Welche Umstände zu einem vorwerfbaren "Wissenmüssen" führen, ist in den angeführten Urteilen des EuGH nicht konkretisiert. In der Literatur werden als "vernünftigerweise zumutbare" Nachforschungen etwa die Inanspruchnahme leicht zugänglicher Nachforschungsinstrumente (Firmenbuch, Abfrage UID-Nummer, Einholung von Gewerbeberechtigungen) angesehen (Tumpel/Prechtl, SWK 2006, S 876). Nach Demal, SWK 2007, S 628 ff, werden die Anforderungen an die unternehmerische Sorgfalt "umso qualifizierter sein, je missbrauchsanfälliger eine Branche ist bzw. je ungewöhnlicher die Begleitumstände einer Geschäftsabwicklung sind".

In den Arbeitsunterlagen der Betriebsprüfung ist festgehalten, dass die Berufungswerberin bei eigenen und bei "potentiellen Kunden" Auskünfte darüber eingeholt hat, ob die hier fraglichen Firmen "bekannt sind bzw. existieren". Die Mehrwertsteuer für Leistungen an die "Firmen aus dem Ostblock" wurde zu Beginn der Geschäftsbeziehung immer in Rechnung gestellt und bei Vorlage der abgestempelten Ausfuhrpapiere refundiert. Erst nach "gewisser Zeit" wurden diese Umsätze von vornherein als steuerfrei behandelt (Aktenvermerk der Betriebsprüfung über die Besprechung vom ). Die Berufungswerberin hat sich über die Identität ihrer Geschäftspartner bzw. jener Personen, die in deren Auftrag die Waren von Österreich ins Ausland verbrachten, Klarheit verschafft. Der vom Finanzamt geäußerte Verdacht des fehlenden ausländischen Rechnungsadressaten und der gefälschten Ausfuhrbestätigungen konnte im Berufungsverfahren selbst durch zeitaufwendige Nachforschungen unter Beiziehung von Zollbehörde und IWD nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Nicht zuletzt dieser Umstand zeigt aber, dass der Berufungswerberin - sollten tatsächlich betrügerische Handlungen erfolgt sein - Bösgläubigkeit nicht vorgeworfen werden kann. Allfällige auf die Hinterziehung der Mehrwertsteuer gerichtete Handlungen können daher bei Beachtung der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH nicht zu Lasten der Berufungswerberin gehen.

Für 2005 und Jänner 2006 ist die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen und der darauf entfallenden Abgaben aus den angeschlossenen Berechnungsblättern ersichtlich.

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

Beilagen: 2 Berechnungsblätter

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 6 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 7 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Schlagworte
Ausfuhrlieferungen
Ausfuhrnachweis
Gutglaubensschutz
Verweise
Zitiert/besprochen in
UFSaktuell 2009, 58

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at