Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSS vom 21.05.2010, RV/0554-S/08

Abgabennachsicht; Anspruchszinsen; keine sachliche Unbilligkeit

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des M.K., Zahnarzt, S-Stadt, vertreten durch Horst Jünger, Steuerberater, 6020 Innsbruck, Anichstraße 5 A, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom betreffend die Abweisung einer Nachsicht gemäß § 236 BAO wie folgt entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Mit Ansuchen vom beantragte M.K. die teilweise Nachsicht der mit Bescheiden vom Mai 2008 für die Zeiträume 2000 bis 2005 festgesetzten Anspruchszinsen. Es habe für die Jahre 2002 bis 2004 eine Betriebsprüfung stattgefunden, die sich über einen Zeitraum von mehr als 1 ½ Jahre erstreckt habe. Es seien für die Verzögerungen plausible Gründe vorgebracht worden, die aber nichts mit dem gegenständlichen Fall zu tun hatten. Die unzumutbar lange Prüfungsdauer habe ohnehin beträchtliches Ungemach verursacht. Nun seien durch die zögerliche Prüfungsabwicklung noch zusätzliche Anspruchszinsen entstanden. Die gänzliche Einhebung der durch das Verhalten der Finanz mitverursachten Anspruchszinsen stelle nach Lage des Falles eine Unbilligkeit gem. § 236 BAO dar. Es werde vorgeschlagen, die Anspruchszinsen maximal bis zum (das sind zwei Monate ab Prüfungsbeginn) zu berechnen und den Rest nachzusehen. Einen konkreten Betrag enthielt dieses Nachsichtsansuchen nicht.

Mit Bescheid vom hat das Finanzamt dieses Ansuchen nach Darlegung der Rechtslage mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass die tatbestandsmäßige Unbilligkeit nicht vorliege. Gründe für eine persönliche Unbilligkeit seien nicht vorgebracht worden, eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen sei. Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO müsse eine Unbilligkeit der Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein. Die Vorschreibung von Anspruchszinsen stelle unabhängig davon, wie lange die Prüfung gedauert habe, ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigtes Ergebnis dar. Ein rechtlicher Spielraum für eine Kulanzlösung bestehe nicht.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wird zunächst vorgebracht, dass die Abgabenbehörde zweiter Instanz vielleicht doch eine Kulanzmöglichkeit finden kann. Im ergänzenden Schriftsatz vom wird nochmals auf die unüblich lange Prüfungsdauer von Oktober 2006 bis April 2008 und die damit verbundenen Erschwernisse für den Abgabepflichtigen und seinen Steuerberater verwiesen. Beide hätten Verständnis gezeigt, jetzt gehe es um ein paar hundert Euro Anspruchszinsen, nun könne auch die Finanzverwaltung durch eine Teilnachsicht Verständnis für die aufgetretenen Unannehmlichkeiten zeigen.

Das Finanzamt verzichtete auf die Herausgabe einer Berufungsvorentscheidung und legte die Berufung dem Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 236 BAO können auf Antrag des Abgabepflichtigen fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre. Das Nachsichtsverfahren zerfällt nach Lehre und Rechtsprechung in zwei voneinander getrennte Abschnitte. Zunächst ist in einer ersten Verfahrensphase zu prüfen, ob der maßgebliche Begriff der "Unbilligkeit der Einhebung" im Sinne des § 236 BAO zu bejahen ist. Bei der Prüfung dieser Frage darf der Zweck dieser Rechtsvorschrift nicht außer acht gelassen werden: durch das Rechtsinstitut der Nachsicht soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eingeräumt werden, eine im Einzelfall eingetretene besondere Härte oder vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Strenge der Abgabenvorschriften durch Billigkeitsmaßnahmen zu beseitigen oder zu mildern. Nach der Rechtsprechung kann die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe nach Lage des Falles eine persönliche oder eine sachliche sein (). Eine persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers. Sie besteht bei einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen. Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (). Dabei muss es im Vergleich zu ähnlichen Fällen zu einer anormalen Belastungswirkung kommen.

Der Berufungswerber (Bw.) argumentiert in Richtung sachliche Unbilligkeit und leitet diese aus der ungewöhnlich langen Prüfungsdauer ab. Dabei wird übersehen, dass eine sachliche Unbilligkeit dann nicht vorliegt, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist. Materiellrechtlich legistisch bedingte Unzulänglichkeiten ("Ungerechtigkeiten") sind keine Unbilligkeiten iSd. § 236 BAO (Stoll, BAO-Kommentar, 2421). Die Unbilligkeit muss sich aus der Einhebung der Abgabe ergeben, nicht aus den Umständen der Festsetzung. In der allgemeinen Auswirkung einer generellen Norm ist keine sachliche Unbilligkeit gelegen.

Im Gegenstandsfall beantragt der Bw. die teilweise Nachsicht der mit Bescheiden vom 6.und in einer Gesamthöhe von € 1.923,16 vorgeschriebenen Anspruchszinsen. Diese Anspruchszinsen wurden für die Kalenderjahre 2000 bis 2005 vorgeschrieben. Nach § 205 Abs. 1 BAO sind Differenzbeträge an Einkommensteuer, die sich aus Abgabenbescheiden nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit bisher festgesetzt gewesenen Abgaben ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruches folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen). Nach Abs. 2 sind diese Anspruchszinsen für einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten festzusetzen. Diese Anspruchszinsen sind als Nachforderungszinsen oder als Gutschriftszinsen ausgestaltet und sollen (mögliche) Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile ausgleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben. Entscheidend ist die objektive Möglichkeit der Erzielung von Zinsvorteilen bzw. Zinsnachteilen. Daher ist es für die Anwendung des § 205 BAO bedeutungslos, aus welchen Gründen die Abgabenfestsetzung früher oder später erfolgte. Bei der Verzinsung, die sich aus Abänderungen von Bescheiden ergibt, ist bedeutungslos, aus welchen Gründen die ursprüngliche Abgabenfestsetzung unrichtig war. Auf ein Verschulden des Abgabepflichtigen kommt es nicht an. Nach der Regelung des § 205 BAO sollen mögliche Zinsvorteile unabhängig davon ausgeglichen werden, ob ein Verschulden der Abgabenbehörde oder des Abgabepflichtigen am Zeitpunkt der (verspäteten) Abgabenfestsetzung vorliegt. Es ist daher unerheblich, ob und aus welchen Gründen eine Abgabenfestsetzung früher oder später erfolgt.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die unangemessen lange Prüfungsdauer keinen Einfluss auf die Festsetzung von Anspruchszinsen haben kann. Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, dass sich aus der Einhebung dieser Nebengebühr eine sachliche Unbilligkeit ableiten ließe, im Gegenteil, stellt doch die Vorschreibung und Entrichtung der Anspruchszinsen in diesem Fall gerade das vom Gesetzgeber beabsichtigte Ergebnis dar. Es darf ja bei allem Unmut, den die lange Dauer der Betriebsprüfung beim Antragsteller und seinem steuerlichen Vertreter verursacht hat, nicht übersehen werden, dass Einkommensteuerbeträge bis zurück ins Jahr 2000 erst nach Abschluss der Prüfung im April 2008 festgesetzt und entrichtet wurden. Damit ist der Abgabepflichtige in den Genuss einer mehrjährigen Stundung gekommen, die durch die Vorschreibung von Anspruchszinsen kompensiert werden soll.

Was die beantragte teilweise Abschreibung betrifft, so verweist die Erstinstanz zurecht auf die gesetzlich vorgesehene Obergrenze von 48 Monaten. Diese zeitliche Grenze soll vor allem Zinsbelastungen bei Nachforderungen aus Anlass von Außenprüfungen in einem zumutbaren Ausmaß halten. Hinsichtlich der Bescheide vom über die Festsetzung von Anspruchszinsen für das Jahr 2000 in Höhe von € 319,25 und für das Jahr 2001 in Höhe von € 167,22 geht das Berufungsvorbringen ins Leere, da die Zinsen ohnehin nur bis zum bzw. berechnet wurden. Die Dauer des Prüfungsverfahrens hatte somit keinerlei Einfluss auf die Höhe der Zinsvorschreibung.

Schließlich ist noch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der allein aus einer längeren Verfahrensdauer, selbst wenn diese sachlich nicht gerechtfertigt ist, eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO nicht abgeleitet werden kann ().

Für die im Nachsichtsansuchen und in der Berufung angeregte Kulanzregelung gibt es keine rechtliche Deckung. Die Verfahrensvorschriften der Bundesabgabenordnung sehen keinen Spielraum für einen teilweisen Verzicht auf Abgabenforderungen im Kulanzwege vor, sodass diesem Ansinnen auch seitens der Rechtsmittelbehörde nicht näher getreten werden konnte.

Die Berufung war daher abzuweisen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

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