OGH vom 22.07.2020, 1Ob64/20y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. HoferZeniRennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch und Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch die Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft, Dornbirn, wegen Feststellung (Streitwert 50.269,20 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 23/20b-32, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom , GZ 4 C 657/18d-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt lautet:
„Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass das gemäß dem Mietvertrag vom ***** 1991 zwischen den Streitteilen begründete Mietverhältnis an der im Erdgeschoss des ehemaligen Hauses *****, gelegenen Wohnung erloschen ist, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.096,42 EUR (darin 372,57 EUR USt und 2.861 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten der Revision sowie die mit 3.103,32 EUR (darin 517,22 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 11.163,14 EUR (darin 2.088,83 EUR USt und 719 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem sich ein 1904 errichtetes Wohnhaus mit drei Wohnungen (davon zwei im Obergeschoss und eine im Erdgeschoss) befand. Eine ca 136 m² große Wohnung im Erdgeschoss war unbefristet an den Beklagten vermietet.
In der Nacht vom 12. 2. auf den brannte das Wohnhaus vollständig ab. Die Brandursache (insbesondere ein Verschulden des Beklagten am Brand) konnte nicht festgestellt werden. Für das Haus bestand eine (Neuwert-)Versicherung mit einer Versicherungssumme von 863.000 EUR, wovon dem Kläger bereits 480.000 EUR ausbezahlt wurden. Den Restbetrag (also die verbleibenden 383.000 EUR) erhält er erst bei einem Wiederaufbau des Hauses. Mietzinsreserven sind nicht vorhanden. Im Schadensbericht der Versicherung wurde ausgeführt, dass die Versicherungssumme „in etwa ausreichend scheint“. Tatsächlich würden für eine Wiederherstellung des Hauses (geschätzte) Errichtungskosten in Höhe von 991.400 EUR anfallen. Eine „Wiederherstellung wie im Bestand“ wäre um die Versicherungssumme (863.000 EUR) also nicht möglich. Ein Wiederaufbau des Hauses könnte um diesen Betrag jedoch erfolgen, wenn die Wohnfläche verkleinert würde. So wäre es etwa möglich, drei Wohnungen mit je 80 m² zu schaffen.
Der Beklagte vertrat gegenüber dem Kläger sowohl vorprozessual als auch im Verfahren den Standpunkt, dass das Mietverhältnis weiter aufrecht sei und ihm (nach § 7 MRG) ein Anspruch auf Wiederherstellung seines Mietgegenstands (allenfalls auch in verkleinerter Form) zustehe.
Der begehrt die Feststellung, dass das Mietverhältnis erloschen ist, weil („und“) der Beklagte keinen Anspruch auf Wiederherstellung seines Mietobjekts gemäß § 7 MRG habe.
Das wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass der Mietvertrag durch den Untergang des Bestandobjekts gemäß § 1112 ABGB nicht aufgelöst sei, weil den klagenden Bestandgeber eine Wiederherstellungspflicht gemäß § 7 MRG treffe. Nach dieser Bestimmung sei der Vermieter zur baurechtlich zulässigen und bautechnisch möglichen Wiederherstellung des durch Zufall untergegangenen Mietgegenstands in dem Maß verpflichtet, als die Leistungen aus einer bestehenden Versicherung ausreichen. Eine gänzliche Wiederherstellung des Hauses um die Versicherungssumme von 863.000 EUR sei bei (prognostizierten) Herstellungskosten von 990.000 EUR nicht möglich. Auch unter Berücksichtigung einer Anhebung des Mietzinses nach den § 18, 19 MRG sei nicht davon auszugehen, dass die Differenz von 127.000 EUR gedeckt werden könne. In Betracht komme aber auch eine bloß teilweise Herstellung des Mietgegenstands um die Versicherungssumme, wenn dies „vom Standpunkt der Brauchbarkeit vernünftig“ erscheine. Dabei sei „auf den bedungenen Gebrauch abzustellen“. Um die Versicherungssumme von 863.000 EUR sei etwa die Schaffung von drei Wohneinheiten mit je 80 m² möglich, wobei die Wohnfläche unter Einbeziehung eines zu erhöhenden Mietzinses noch vergrößert werden könnte. Im Hinblick auf die Nutzung der Mietwohnung durch den Beklagten als Einzelperson würde eine derart verkleinerte Wohneinheit dem bedungenen Gebrauch entsprechen. Das Mietverhältnis bestehe sohin da den Kläger eine Pflicht zur zumindest teilweisen Wiederherstellung des untergegangenen Mietgegenstands nach § 7 MRG treffe fort.
Das änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es dem Feststellungsbegehren stattgab. Da die Wiederherstellungskosten in der Versicherungssumme keine Deckung fänden (dass eine Erhöhung des Hauptmietzinses möglich sei, habe der Beklagte gar nicht behauptet; eine Mietzinsreserve besteht nicht), sei eine Wiederherstellung mit dieser Summe nicht möglich. Der Vermieter sei nur zur Wiederherstellung des ursprünglichen Objekts verpflichtet, nicht zu einer Errichtung des Hauses „in anderer Qualität“ (etwa durch Schaffung einer geringeren Anzahl an Räumen). Eine Teilherstellung sei nur insoweit geboten, als diese „vom Standpunkt der Brauchbarkeit vernünftig erscheine“, wobei es „auf den bedungenen Gebrauch“ ankomme. Dieser richte sich nach der vertraglichen Vereinbarung bzw der Verkehrssitte. Die bloß teilweise Wiedererrichtung des ursprünglich 136 m² großen untergegangenen Mietobjekts mit lediglich 80 m² würde einen Eingriff in die Bestandrechte des Beklagten bewirken, der weder erklärt habe, mit einer kleineren Wohnung als Ersatzobjekt einverstanden zu sein, noch seine Bereitschaft zur Beistellung finanzieller Mittel zur Fertigstellung des Mietgegenstands auf eigene Kosten bekundet habe. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine zumindest teilweise Wiederherstellung des Mietgegenstands sei der Mietvertrag durch dessen Untergang aufgelöst und dem Feststellungsbegehren somit stattzugeben.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Frage der Verpflichtung des Vermieters zu einer teilweisen Wiederherstellung des durch Zufall untergegangenen Mietgegenstands gemäß § 7 MRG jeweils vom Einzelfall abhänge.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene des Beklagten ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig, weil zur Frage des Umfangs der Wiederherstellungspflicht nach § 7 MRG bei für eine gänzliche Wiederherstellung unzureichender Leistung aus einer bestehenden Versicherung keine gesicherte Rechtsprechung besteht. Die Revision ist auch berechtigt.
Swoboda
KrejciKorinek/KrejciPopper/TeufelhartWürthRummel
Krejci aaO; Popper/Teufelhart aaO) zustimmend aufgenommen. Eine eingehende Befassung mit der WürthRummel IIBeerVospernikIlleditsReich-RohrwigWürth/Zingher/Kovanyi23HausmannHausmannVonkilch, Kommentar zum Österreichischen Wohnrecht³ [2013] § 7 MRG Rz 11) und Krecji (aaO 229; dort zum „Sonderproblem“ der Aufteilung einer unzureichenden Versicherungsleistung auf mehrere untergegangene Mietgegenstände) Hausmann
Krejci
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00064.20Y.0722.000 |
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