OGH 30.04.2018, 1Ob61/18d
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei DI W***** H*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über die „außerordentliche“ Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 45 R 517/17p-75, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 4 C 50/14g-68, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Das Erstgericht sprach der Klägerin rückständigen nachehelichen Unterhalt in Höhe von 24.081,48 EUR sA zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die dagegen erhobene „außerordentliche“ Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vor.
Dieser ist aber zur Entscheidung darüber nicht berufen.
Rechtliche Beurteilung
Die Ermittlung des Werts des vom Berufungsgericht behandelten Entscheidungsgegenstands richtet sich nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften der JN (§ 500 Abs 3 ZPO). Im vorliegenden Fall, in dem nicht (auch) der Bezug von laufendem Unterhalt Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, sondern nur Teilbeträge eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums, bildet deren Summe (also in diesem Fall 24.081,48 EUR) den Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz (RIS-Justiz RS0111964 [T3]; RS0046547 [T1]).
Übersteigt aber der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht und hat das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt, ist gemäß § 502 Abs 4 ZPO in den in § 49 Abs 2 Z 1 und 2 JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten die Revision, außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO, jedenfalls unzulässig.
In diesem Fall kann eine Partei nur gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber in dem Schriftsatz keinen Antrag im Sinne des § 508 Abs 1 ZPO gestellt hat, weil dieser Mangel gemäß § 84 Abs 3 ZPO verbesserungsfähig ist (RIS-Justiz RS0109620).
Das Rechtsmittel des Beklagten – auch wenn es als „außerordentliches“ bezeichnet wird – wäre vom Erstgericht daher nicht dem Obersten Gerichtshof, sondern allenfalls gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Berufungsgericht vorzulegen gewesen (RIS-Justiz RS0109620). Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RIS-Justiz RS0109501 [T12]; RS0109623 [T5]).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei DI W***** H*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 24.521,48 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 45 R 517/17p-74, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 4 C 50/14g-68, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.566 EUR (darin 261 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten rückständigen Unterhalt für den Zeitraum Juli 2011 bis Dezember 2015. Die Grundlage für ihren Anspruch ist der Scheidungsvergleich aus dem Jahr 1992 samt Nebenvereinbarung.
Das Erstgericht gab – im dritten Rechtsgang und nach rechtskräftiger Teilabweisung – dem restlichen Klagebegehren zur Gänze statt.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es führte zu der in der Berufung des Beklagten als „Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit“ geltend gemachten Nichtzulassung einzelner seiner Fragen an die Klägerin aus, er habe zur ersten Frage gar nicht aufgezeigt, inwieweit sie von Relevanz sei, weswegen schon aus diesem Grunde in ihrer Nichtzulassung kein Verfahrensmangel liegen könne. Auch zu den anderen beiden Fragen verneinte es eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, weil es von der Bindungswirkung der (schon vom Erstgericht übernommenen) Feststellungen im Urteil eines für eine weiter zurückliegende Periode vor derselben Erstrichterin geführten und schon rechtskräftig erledigten Prozesses ausging.
Die nachträglich vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig:
Rechtliche Beurteilung
1. Auf die vom Rechtsmittelwerber in der Berufung als Verstoß gegen den Grundsatz „audiatur et altera pars“ geltend gemachte „Nichtigkeit“ ist das Berufungsgericht in seinen Entscheidungsgründen eingegangen und hat den vorgeworfenen Fehler als Mangel des Verfahrens verneint. Läge darin tatsächlich eine Nichtigkeit, könnte sie als in zweiter Instanz verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz in dritter Instanz auch nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS-Justiz RS0042981 [T5]) oder mit der Behauptung geltend gemacht werden, die Verneinung der Nichtigkeit beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0042981 [T15]).
2. Soweit damit in Wahrheit (nur) eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geltend gemacht wurde, ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten, dass Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, grundsätzlich nicht als Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0042963); anderes gilt nur dann, wenn sich das Berufungsgericht mit der Rüge des Berufungswerbers überhaupt nicht befasst hat (RIS-Justiz RS0043144; RS0043086 [T1]; RS0042963 [T9]). Darüber hinaus wurde in der Rechtsprechung des Höchstgerichts dem Rechtsmittelwerber die Möglichkeit eingeräumt – allerdings beschränkt auf krasse Fälle ohne Beurteilungsspielraum (so etwa 3 Ob 85/10m; 4 Ob 196/11v; 4 Ob 85/12x; je mwN) – bei Verwerfen der Verfahrensrüge durch das Berufungsgericht mit einer „unhaltbaren“ rechtlichen Begründung (vgl RIS-Justiz RS0042963 [T37, T63]) einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel mit Revision wahrnehmen zu können.
3. Dass sich das Berufungsgericht (gar) nicht mit der Rüge des Beklagten befasst hätte, behauptet der Beklagte nicht. Auf die Begründung des Berufungsgerichts, in der Nichtzulassung der ersten Frage liege schon mangels Relevanz keine Mangelhaftigkeit, geht er in seiner Revision überhaupt nicht ein. Damit kann er eine erhebliche Fehlbeurteilung keinesfalls aufzeigen.
4. Ob dem Berufungsgericht bei Erledigung der Verfahrensrüge zu den beiden weiteren Fragen eine dermaßen „unhaltbare“ Fehlbeurteilung unterlaufen ist, dass der erstinstanzliche Mangel entsprechend der zuvor wiedergegebenen Rechtsprechung aufgegriffen werden könnte, braucht nicht beantwortet zu werden. Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (hier [auch] des Berufungsverfahrens) ist nämlich nur dann gegeben, wenn der behauptete Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz (abstrakt) geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RIS-Justiz RS0043049; RS0043027). Der Rechtsmittelweber hat diese Eignung darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RIS-Justiz RS0043049 [T6]; RS0043027 [T6, T10]). Er muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse (insbesondere welche Feststellungen) zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0043039 [va T4, T5]). Andernfalls ist der Rechtsmittelgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043039; 7 Ob 205/14v; zur Nichtzulassung einer bestimmten Frage vgl 2 Ob 110/17s). Von einer Offenkundigkeit kann hier aber keine Rede sein: Beide Parteien wurden von der Erstrichterin auch im Vorprozess vernommen; die Klägerin nahm dort über Befragen des (auch nunmehrigen) Rechtsvertreters des Beklagten zu den angesprochenen Fragen Stellung und es wurde dieser Akt im Verfahren „verlesen“. Welche für ihn günstigeren Ergebnisse sich aus der Zulassung der zwei Fragen an die Klägerin als Stütze für seinen Standpunkt (für diesen Prozess) ergeben hätten, legt der Beklagte nicht dar.
5. Die Revision, die damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen kann, ist zurückzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihr die Kosten der Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, zuzuerkennen sind.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00061.18D.0430.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAD-05568