Aussetzungsantrag, Erfolgsaussichten bei Abkehr von der ständigen Judikatur
Rechtssätze
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RV/1678-W/06-RS1 | Geht der Verwaltungsgerichtshof unter Bildung eines verstärkten Senates von seiner bisherigen Judikaturlinie ab, so liegt für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zur Gewährung der Aussetzung der Einhebung der davon betroffenen Abgaben keine widersprüchliche Judikatur vor, sondern eine Klarstellung der Rechtsauslegung.
Dem Grundsatz von Treu und Glauben kommt in diesem Fall jedoch keine Bedeutung zu, weil das Legalitätsprinzip grundsätzlich stärker ist als jeder andere Grundsatz.
Auch kann der Vertrauensschutzgrundsatz deshalb keine Anwendung finden, da dadurch nicht allgemein das Vertrauen eines Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit geschützt wird, die Behörden aber verpflichtet sind, von einer als gesetzwidrig erkannten Verwaltungsübung abzugehen (). |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat durch den
Vorsitzenden Hofrat Dr. Kittinger und die weiteren Mitglieder Hofrätin Mag.
Regine Linder, Gottfried Hochhauser und Wilhelm Strommer im Beisein der
Schriftführerin Edith Madlberger über die Berufung der Bw., vertreten
durch Baldinger & Partner Unternehmens und Steuerberatungs GmbH,
1180 Wien, Ferrogasse 37, vom gegen den Bescheid
des Finanzamtes Wien 6/7/15 vom betreffend Aussetzungsantrag
gemäß
§ 212a BAO nach der am
in 1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 7, durchgeführten
mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Die Berufung
wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt
unverändert.
Entscheidungsgründe
In der Berufung vom
beantragte die Berufungswerberin (Bw.) die Aussetzung der
Einhebung der Dienstgeberbeiträge 2003 und 2004 in Höhe von
€ 3.762,90 und € 928,44 bis zur Erledigung der Berufung. In
der Berufungsbegründung wurde ausgeführt, dass sie sich gegen die
Festsetzung von Dienstgeberbeiträgen auf die
Geschäftsführerbezüge richten würde.
Festzuhalten sei, dass es sich
um eine Schwerpunktprüfung im Gefolge des Erkenntnisses des
Verwaltungsgerichtshofes vom , 2003/13/0018, handeln würde, die
offensichtlich ohne nähere Untersuchung der tatsächlichen
Verhältnisse mit dem Ziel, die bekämpften Abgaben festzusetzen,
durchgeführt worden wäre.
Weiters brachte die Bw. vor,
dass in den angegebenen Jahren auf Basis der ursprünglichen VwGH-Judikatur
(Unternehmerwagnis der Geschäftsführer) eine erfolgsabhängige
Vergütung vereinbart gewesen wäre. Wie erheblich das Unternehmerwagnis
tatsächlich gewesen wäre, würde die Entwicklung der
Geschäftsführerbezüge in den angeführten Jahren
(Rückgang um mehr als 75%) zeigen. Es wäre geübte Praxis uind
ständige Rechtsprechung gewesen, dass das realistische Risiko der
Einnahmenreduzierung auf deutlich weniger als die Hälfte gegen die
DB-Pflicht sprechen würde. Dies liege in diesem Fall eindeutig vor. Da die
Kriterien der ursprünglichen VwGH-Judikatur damit hinlänglich
erfüllt wären, würde eine Abgabepflicht in diesen Jahren
ausscheiden.
Das aktuelle VwGH-Erkenntnis
könne schon alleine deswegen nicht herangezogen werden, weil dessen
Anwendung dem gemeinschaftsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz widersprechen
würde. Der Vertrauensschutzgrundsatz würde als Komponente des
Freiheitsschutzes zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, die
unmittelbar aus dem Gerechtigkeitsprinzip ableitbar und und zugleich allen
Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten inhärent wären. Daher würde
der Vertrauensschutzgrundsatz die Wirtschaftsteilnehmer vor einer
nachträglichen Umbewertung ihrer im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage
erworbenen Rechtspositionen oder getroffenen Dipositionen schützen (SWK
13-14/05, S 481 ff.).
Die Vorgangsweise des
Finanzamtes wäre aber auch verfassungsrechtlich bedenklich, weil die
Differenz zwischen der Besteuerung von Geschäftsführerbezügen und
der Besteuerung von ausgeschütteten Gewinnen sachlich nicht gerechtfertigt
wäre. Dazu legte die Bw. ein Schreiben des Präsidenten der Kammer der
Wirtschaftstreuhänder an den Bundesminister für Finanzen vom
vor.
Schließlich wäre
völlig unberücksichtigt geblieben, dass der Honorierung der
Geschäftsführerin im Wesentlichen die Vergütung ihrer
Projektarbeit zugrundegelegen und die Geschäftsführungstätigkeit
im Vergleich dazu von untergeordneter Bedeutung wäre. Um der vom VwGH
geforderten Erfolgsabhängigkeit zu entsprechen, wäre für die
eigentliche Geschäftsführungstätigkeit ein Zuschlag von 25% auf
die erfolgsabhängige Projektvergütung vereinbart worden. Dieser Aspekt
und auch die zugrundeliegenden Verträge wären jedoch in keiner Weise
gewürdigt worden. Für die Projektarbeit als solche, die gleich einem
Subauftragnehmer erledigt worden wäre, könne daher aus dieser Sicht
kein Dienstgeberbeitrag festgesetzt werden.
Das Finanzamt wies diesen
Antrag mit Bescheid vom ab und führte begründend
aus, dass auf Grund der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu
§ 22 Abs. 2 zweiter Satz EStG, die im Einkommensteuerkommentar
von Hofstätter/Reichel
zentimeterdick abgedruckt wäre, die in der Berufung angeführten
Erfolgschancen als nicht gegeben erachtet werden.
Dagegen brachte die Bw. mit
Schreiben vom die Berufung ein und führte aus, dass ein
unreflektierter Verweis auf umfangreiche Literaturstellen aus Sicht der
Einhaltung von Verfahrensvorschriften nicht ausreichen würde, einen
Bescheid zu begründen.
Weiters wäre auch die
Aussage, dass das VwGH-Erkenntnis nicht anerkannt werde, nicht korrekt. Es werde
lediglich die rückwirkende Anwendung dieses Erkenntnisses bekämpft und
zwar mit einer ausreichenden EU-rechtlichen Grundlage. Die Erfolgsaussichten
wären daher durchaus als gegeben zu erachten. Aus diesem Grund wäre
auch in einem vergleichbaren Fall einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung
sowohl vom zuständigen Finanzamt als auch vom Magistrat der Stadt Wien
stattgegeben worden.
Abschließend beantragte
die Bw. die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und
Entscheidung durch den gesamten Senat.
In der am
abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde ergänzend
ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall die rückwirkende
Anwendung des VwGH-Erkenntnisses unter Verweis auf den Vertrauensschutzgrundsatz
bekämpft wird und die Erfolgsaussichten diesbezügich zu würdigen
sind. Darüber hinaus wäre die Aussetzung in einem Parallelverfahren
bei der Stadtkasse der Stadt Wien anstandslos wie auch in anderen Verfahren bei
der Finanzverwaltung gewährt worden.
Der Vertreter des Finanzamtes
beantragte die Abweisung der gegen. Berufung und führte dazu aus, dass auch
die Judikatur vor dem Erkenntnis des verstärkten Senates des VwGH im
gegenständlichen Fall ausreichen würde, um die Berufung im
Abgabenverfahren abzuweisen.
Der steuerliche Vertreter
bestreitet die Rechtsauffassung des Amtsvertreters, dass auch nach der
Rechtsprechung bis zum Erkenntnis des verstärkten Senates des VwGH die
Berufung im Abgabenverfahren abzuweisen gewesen wäre und verweist auf auf
eine Entscheidung des Finanzamtes Wien 1/23 vom .
Über
die Berufung wurde erwogen:
Gemäß
§ 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren
Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Berufung
abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als
eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem
Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt,
zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei
einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung
ergehenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn
mit einer Berufung die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten
wird.
Gemäß
§ 212a Abs. 2 BAO ist eine Aussetzung der Einhebung nicht zu
bewilligen,
a)
insoweit der Berufung nach der Lage des Falles wenig Erfolg versprechend
erscheint, oder
b)
insoweit mit der Berufung ein Bescheid in Punkten angefochten wird, in denen er
nicht von einem Anbringen des Abgabepflichtigen abweicht, oder
c)
wenn das Verhalten des Abgabepflichtigen auf eine Gefährdung der
Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet ist.
Eine Abweisung nach
§ 212a Abs. 2 lit. a BAO kommt nur dann in Betracht,
wenn die Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels offenkundig ist, wenn also die
Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels für jede mit der Sache vertraut
gemachte urteilsfähige und objektiv urteilende Person erkennbar ist. Als
offenkundig erfolglos kann eine Berufung etwa insoweit angesehen werden, als sie
nach Maßgabe des § 252 BAO zwingend abzuweisen ist, das
Berufungsbegehren mit der Rechtslage eindeutig im Widerspruch steht, der
Abgabepflichtige eine der ständigen Judikatur der Höchstgerichte
widersprechende Position bezieht oder ein Bescheid in Punkten angefochten wird,
in denen er sich auf gesicherte Erfahrungstatsachen oder eine
längerwährend unbeanstandet geübte Verwaltungspraxis stützt
(vgl. Ellinger, ÖStZ 1998, 166).
Die herangezogene Bestimmung
erfordert keine Abwägung der Erfolgschancen eines Rechtsmittels, sondern
erfasst als Ausschluss des Zahlungsaufschubes nur den Fall der offenkundigen
Aussichtslosigkeit. Andernfalls käme eine Würdigung der
Erfolgsaussichten einer vorweggenommenen Beweiswürdigung
gleich.
Die Bw. erachtet die
Erfolgsaussichten als gegeben, da es eine ausreichende EU-rechtliche Grundlage
dafür geben würde, die rückwirkende Anwendung des
gegenständlichen VwGH- Erkenntnisses zu bekämpfen, und beruft sich
dabei auf den gemeinschaftsrechtlich normierten Vertrauensschutz.
Dabei übersieht die Bw.
allerdings, dass die zitierte EU-Judikatur zur Umsatzsteuer ergangen war und die
Problematik von im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage getroffenen
unwiderruflichen Investitionsentscheidungen behandelte. Im gegenständlichen
Fall wurde aber weder die Rechtslage geändert, sondern lediglich eine
Rechtsfrage durch den VwGH in Abkehr seiner bisherigen Judikaturlinie
entschieden, noch wurden vergleichbare betriebliche Dispositionen getroffen, da
der Berechnungsmodus für die Geschäftsführervergütung
(Fixgehalt oder erfolgsabhängige Projektvergütung) auf das Ergebnis
der Pflicht zur Entrichtung des Dienstgeberbeitrages keine Auswirkung
hat.
Unter dem Grundsatz von Treu
und Glauben wird verstanden, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem
Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftige
Gründe in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat
und worauf andere vertrauen konnten ().
Die Anwendung von Treu und
Glauben setzt einen Vollzugsspielraum, entweder bei der Auslegung unbestimmter
Rechtsbegriffe oder bei der Ermessensübung, voraus ().
Ist hingegen eine Rechtsfrage
bereits durch den Verwaltungsgerichtshof entweder in ständiger
Rechtsprechung oder wie im gegenständlichen Fall durch einen
verstärkten Senat entschieden, hat der Grundsatz von Treu und Glauben keine
Bedeutung mehr, weil das Legalitätsprinzip grundsätzlich stärker
ist als jeder andere Grundsatz.
Durch den Grundsatz von Treu
und Glauben wird auch nicht allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf
die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung
für die Vergangenheit geschützt, da die Behörden verpflichtet
sind, von einer als gesetzwidrig erkannten Verwaltungsübung abzugehen (). Darüber hinaus kommt dem Vertrauensschutz
ausschließlich bei konkreten Rechtsauskünften des zuständigen
Finanzamtes Bedeutung zu.
Hat sich die
Abgabenbehörde an der vom Verwaltungsgerichtshof klar gestellten Rechtslage
orientiert, kann ihr keine Verletzung dieses Grundsatzes vorgeworfen werden.
Diesfalls liegt aber auch keine widersprüchliche Judikatur vor, da die
Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis durch einen verstärkten Senat
erfolgte.
Da bei dieser Sachlage keine
Rede davon sein kann, dass die Berufung erfolgversprechend ist, war daher
spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 212a Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 212a Abs. 2 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Aussetzung der Einhebung Erfolgsaussichten Abkehr ständige Judikatur Verwaltungsgerichtshof verstärkter Senat Vertrauensschutzgrundsatz Legalitätsprinzip |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at