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OGH vom 10.06.2008, 1Ob6/08a

OGH vom 10.06.2008, 1Ob6/08a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Siegfried S*****, vertreten durch die Sachwalterin Birgit S*****, diese vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, über dessen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 338/07h-48, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 3 P 136/01t-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG ab:

Bei Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, sondern vielmehr unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen. Maßgebend ist, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde (RIS-Justiz RS0108029). Zu prüfen ist, ob die konkret zu beurteilende Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Das Pflegschaftsgericht hat eingehend zu prüfen, ob die beabsichtigte Klagsführung im wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen liegt oder daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögensnachteil droht, etwa durch Belastung mit Prozesskosten. Eine abschließende Beurteilung der Tat- und Rechtsfrage ist nicht vorgesehen (RIS-Justiz RS0048156).

Mit der Klage, deren pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Antragsteller begehrt, macht er gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin Ersatzansprüche aus einem Unfall geltend, der dadurch entstand, dass er im Rahmen der von seiner Dienstgeberin mit einem anderen Unternehmen vereinbarten Wartung eines Ölabscheiders zur Unterstützung des Mitarbeiters der Vertragspartnerin seiner Arbeitgeberin zum Zwecke einer Probeentnahme in einen - mit Grubengasen verseuchten - Schacht stieg und dabei so schwer verletzt wurde, dass er seither als permanenter Pflegefall gilt.

Eine entsprechende Klage gegen den Geschäftspartner seiner früheren Dienstgeberin wurde wegen vorübergehender Eingliederung in dessen Betrieb und dem daraus resultierenden Haftungsprivileg nach § 333 ASVG rechtskräftig abgewiesen. Nunmehr wird die pflegschaftsbehördliche Genehmigung des bereits seit 2004 anhängigen, wegen des Parallelprozesses unterbrochenen Verfahrens gegen die ehemalige Arbeitgeberin beantragt. Der Kläger begehrt Verdienstentgang, Heilungskosten und Schmerzengeld von insgesamt 150.000 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden aus dem Unfall.

Im Antrag auf sachwalterschaftsbehördliche Genehmigung wird vorgebracht, dass sich der Kläger aufgrund der Abweisung des gegen die Geschäftspartnerin der ehemaligen Dienstgeberin erhobenen Klagebegehren „gezwungen sehe", Ersatzansprüche gegen die ehemalige Dienstgeberin geltend zu machen. Ein Verschulden des Klägers liege nicht vor, die Beklagte hafte für den eingetretenen Schaden aufgrund der Verletzung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen und der Nichteinhaltung behördlicher Auflagen wie auch wegen Verletzung einer sie treffenden Aufklärungspflicht. Näheres Vorbringen wurde hiezu nicht erstattet.

In der Klage wird zum Anspruchsgrund dargelegt, dass die ehemalige Dienstgeberin des Klägers von der Existenz einer Deponie auf ihrem Betriebsgelände gewusst habe und deshalb beim Befahren von Schächten besondere Sicherheitsvorkehrungen hätte treffen müssen; hiezu werden Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes und der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung zitiert. Aufgrund diverser „Umweltskandale" in den 1980er Jahren sei die besondere Gefährlichkeit von Deponien im Hinblick auf flüssige und gasförmige Gifte allgemein bekannt gewesen. Bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hätte der Unfall vermieden werden können. Die Ölabscheideranlage im Sickerschacht sei vom Magistrat der Stadt Klagenfurt mit einer Einbautiefe von 3,30 m bewilligt, tatsächlich aber bescheidwidrig in einer Tiefe von ca 8 m hergestellt worden, was ebenfalls kausal für den Unfall des Klägers gewesen sei. Aufgrund der Feststellung der vorübergehenden Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Vertragspartnerin seiner Arbeitgeberin würde der Beklagten ein Haftungsprivileg „keinesfalls mehr zugute kommen".

Das Erstgericht wies den Antrag auf sachwaltergerichtliche Genehmigung der Klagsführung mit der Begründung ab, dass die kurzfristige Eingliederung des Klägers in den Betrieb des Geschäftspartners der ehemaligen Dienstgeberin die Dienstgebereigenschaft der Beklagten nicht aufgehoben habe und daher auch dieser das Haftungsprivileg nach § 333 ASVG zukomme, weshalb die Prozessaussichten als „ausgesprochen schlecht" zu beurteilen seien.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung aus demselben Grund, ließ aber den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass auch die Rechtsauffassung vertretbar erscheine, dass die funktionelle Übernahme einer Aufgabe durch den Antragsteller im Bereich des Geschäftspartners der ehemaligen Arbeitgeberin begrifflich mit einem Verlassen der Arbeitssphäre der Beklagten verbunden sei und daher das Haftungsprivileg des § 333 ASVG beseitigt werde.

Dies bezeichnet auch der Revisionsrekurswerber in seinem Rechtsmittel ebenso als erhebliche Rechtsfrage wie jene, ob, wenn auch die Gegenmeinung vertretbar sei, die Erfolgsaussichten eines Prozesses tatsächlich als gering zu bewerten seien, und ob es rechtens sein könne, dass in einem derart gelagerten Fall der besachwalterten Person die Klagsführung verweigert werde, wenn es keine andere Alternative gebe, Schadenersatz zu erlangen, bzw ob in einem solchen Fall das Recht der besachwalterten Person auf rechtliches Gehör verletzt werde.

Nach ständiger Judikatur ist der von der Bestimmung des § 333 ASVG erfasste Dienstgeber grundsätzlich derjenige, der mit dem Verletzten durch ein Beschäftigungsverhältnis verbunden ist oder in dessen Betrieb der Verletzte eingegliedert ist (8 ObA 73/03y = SZ 2004/141).

Ob sich in einem Fall wie hier beide Unternehmer auf das Haftungsprivileg des § 333 ASVG berufen können, wurde von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs noch nicht beantwortet, wird aber zumindest von der Lehre bejaht (vgl Neumayr in Schwimman, ABGB3 § 333 ASVG Rz 33 mwN; Teschner/Widlan/Poltner, ASVG, § 333 Anm 2). Zumal das Beschäftigungsverhältnis des Verletzten zur von ihm an Anspruch genommenen Dienstgeberin zum Unfallszeitpunkt aufrecht war, spricht die weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass Letzterer (auch) das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zuzugestehen ist.

Wenn die Vorinstanzen aufgrund dieser Rechtslage im Rahmen der von ihnen zu treffenden Ermessensentscheidung im Einzelfall davon ausgingen, dass die Erfolgsaussichten der Klage als äußerst gering anzusetzen sind, kann darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Überschreitung des Ermessens gesehen werden (RIS-Justiz RS0044088). Das Rechtsmittel setzt dem keinerlei fundierte juristische Argumentation oder eine gegenteilige Lehrmeinung entgegen, sondern stellt lediglich die rhetorische Frage, gegen wen ein bei einem Arbeitsunfall verletzter Arbeitnehmer seine Schadenersatzansprüche geltend machen könne, wenn sich sowohl der Dienstgeber als auch das Unternehmen, in dessen Betrieb der Arbeitnehmer kurzfristig eingegliedert war, auf das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 ASVG stützen könnten, und wer schließlich für den eingetretenen Schaden zu haften habe. Der dem Rechtsmittel offenbar zugrundeliegenden Rechtsansicht, „irgendjemand" müsse für den geltend gemachten Schaden haftbar sein, ist aber das gesetzliche Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG entgegenzuhalten, das die Schadenersatzpflicht des Dienstgebers für Körperverletzungen bei Arbeitsunfällen - abgesehen von vorsätzlicher Verursachung - grundsätzlich ausschließt.

Der Umstand allein, dass das Prozessgericht allenfalls eine andere Rechtsmeinung vertreten könnte als das Sachwalterschaftsgericht, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern, müsste denn ansonsten jegliche Klage sachwalterschaftsbehördlich genehmigt werden.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht ersichtlich. Im hier zu entscheidenden Verfahren wurde das rechtliche Gehör des Antragstellers ohnehin gewahrt; in einem mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung nicht durchzuführenden Zivilprozess kann dies naturgemäß nicht der Fall sein.