OGH vom 11.04.2013, 1Ob55/13i

OGH vom 11.04.2013, 1Ob55/13i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M***** K*****, geboren am ***** 2000, vertreten durch die Mutter N***** L*****, vertreten durch Mag. Herbert Premur, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung einer Klage, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 61/13s 101, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 2 Ps 94/11f 98, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Obsorge für den Minderjährigen steht allein der Mutter zu.

Mit der am beim Bezirksgericht K***** eingebrachten Klage begehrte der Minderjährige von einem in Deutschland wohnhaften minderjährigen Beklagten Schadenersatz von 3.850 EUR sA und die Feststellung seiner Haftung für sämtliche aus dessen Steinwurf resultierenden Spät und Dauerfolgen. Nach dem Klagsvorbringen sei er am im Strandbad K***** beim Verlassen des Wassers von einem ca zwei Fäuste großen Stein ins Gesicht getroffen worden, der vom damals sechsjährigen Beklagten geworfen worden sei. Dabei sei ihm ein bleibender Zahn bis zum Zahnfleisch abgeschlagen und ein Milchzahn komplett ausgeschlagen worden. Er leide nach wie vor an den Folgen dieser Verletzungen und sei auch in zahnärztlicher Behandlung. Ihm gebühre aufgrund der insbesondere durch die langandauernde Behandlung erlittenen Schmerzen ein Schmerzengeld von 3.500 EUR. Darüber hinaus bestehe für wiederholte Fahrten zu Zahnärzten und Barauslagen für Röntgenbilder und dergleichen zumindest ein pauschalierter Schadenersatz von 350 EUR. Es sei auch nicht abzusehen, ob aus dem Vorfall Dauerfolgen resultierten. Das Feststellungsinteresse werde mit 3.000 EUR bewertet.

Zugleich mit der Erhebung der Klage beantragte der Minderjährige, vertreten durch seine Mutter, diese vertreten durch einen Rechtsanwalt, die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klagsführung. Aufgrund der Scheidung der Eltern sei die Kommunikation für den Klagevertreter mit der obsorgeberechtigten Mutter und insbesondere die Einholung von Krankengeschichten und „Schmerzkatalogen“ bis dato weitgehend unmöglich gewesen. Es sei ihm lediglich gelungen, eine Vollmacht der Mutter für die Betreibung der Ansprüche einzuholen. Auf Grundlage des in der Klagserzählung geschilderten Sachverhalts sei jedoch die Klage pflegschaftsgerichtlich genehmigungsfähig. Verwiesen werde auf einen Akt der Staatsanwaltschaft K*****, in welchem gegen den Schädiger Vorerhebungen geführt, jedoch mangels Deliktsfähigkeit eingestellt worden seien. Um Verjährungsfolgen hintanzuhalten, sei nunmehr eine Klagsführung unerlässlich.

Das Erstgericht wies den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage ab. Zusammengefasst führte es aus, dass die obsorgeberechtigte Mutter stets (die vom Vater gewünschte) gerichtliche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den minderjährigen Beklagten abgelehnt, keine Vorbereitungshandlungen für eine solche Prozessführung getroffen und auch dem Klagevertreter keinerlei Informationen erteilt habe. Im Pflegschaftsverfahren habe sie mitgeteilt, dass eine Rechtsschutzversicherung für die beabsichtigte Prozessführung nicht bestehe. Der Klage seien keine ärztlichen Belege für die behaupteten Schadensfolgen angeschlossen und derartige ärztliche Befunde seien auch nicht vorgelegt worden. Eine erfolgreiche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen sei schon mangels Beweismitteln nicht möglich. Dem Minderjährigen drohe vielmehr ein erheblicher Vermögensnachteil durch das Kostenrisiko im Fall eines Prozessverlusts.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Minderjährigen keine Folge. Rechtlich führte es aus, dass das Klagebegehren offensichtlich verjährt sei. Da mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Verjährungseinwand des Beklagten zu erwarten sei, seien die Erfolgsaussichten der Klage entsprechend gering einzuschätzen und bei weitem überwiege der drohende Vermögensnachteil durch eine Kostenersatzpflicht im Fall des Prozessverlusts. Nach dem Inhalt der Klagserzählung sei davon auszugehen, dass der Schadenseintritt und die Person des Schädigers bereits am Tag der Schadenszufügung am bekannt geworden sei, womit die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zu laufen begonnen und daher gemäß § 902 Abs 2 ABGB am geendet habe. Die Schadenersatzklage hätte spätestens am bei Gericht eingebracht werden müssen, weshalb die Geltendmachung des Anspruchs durch die Klagseinbringung erst am verspätet (verjährt) sei.

Das Rekursgericht bewertete den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und ließ gemäß § 62 Abs 1 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene (hier mangels anderer Partei einseitige) außerordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die bisherige Bestimmung über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Erhebung einer Klage in § 154 Abs 3 ABGB findet sich nunmehr unverändert in § 167 Abs 3 ABGB (idF Kindschafts und Namensrechts Änderungsgesetz 2013 [KindNamRÄG 2013], BGBl I 2013/15; ErläutRV 2004 BlgNR 24. GP 23). Nach § 1503 Z 1 ABGB trat das KindNamRÄG 2013, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit in Kraft. Die ErläutRV (2004 BlgNR 24. GP 34) führen dazu aus, dass „die neuen namens und kindschaftsrechtlichen Regeln mit angewendet werden sollen. Dies gilt auch für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren“.

Änderungen des zwingenden Rechts sind, sofern nicht das Übergangsrecht etwas anderes bestimmt (was hier nicht der Fall ist), vom Rechtsmittelgericht ohne Weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zu Grunde zu legen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (RIS Justiz RS0106868). Dass das Rekursgericht seiner Entscheidung vom noch die bis zum geltende Rechtslage zu Grunde legte (§ 154 Abs 3 ABGB), obwohl bereits die mit in Kraft getretene Bestimmung des § 167 Abs 3 ABGB idF KindNamRÄG 2013 anzuwenden war, ist nicht von Bedeutung, weil die neue Rechtslage der bisherigen entspricht.

2. Rechtshandlungen eines Pflegebefohlenen wie hier die Klagsführung durch den Minderjährigen sind nach § 132 Abs 1 AußStrG idF KindNamRÄG 2013 (entspricht § 132 AußStrG aF) nur dann gemäß § 167 Abs 3 ABGB idF KindNamRÄG 2013 pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen, wenn sie in dessen Interesse liegen und dessen Wohl entsprechen (vgl 7 Ob 53/07f mwN). Bei Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, sondern vielmehr unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen. Maßgebend ist, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klagsweg beschreiten würde. Zu prüfen ist, ob die konkret zu beurteilende Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Das Pflegschaftsgericht hat eingehend zu prüfen, ob die beabsichtigte Klagsführung im wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen liegt oder daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögensnachteil droht, etwa durch Belastung mit Prozesskosten. Zu diesem Zweck müssen die Tatsachengrundlagen und deren Beweisbarkeit möglichst vollständig erhoben und der so gewonnene Sachverhalt einer umfassenden rechtlichen Beurteilung unterzogen werden. Eine abschließende Beurteilung der Tat und Rechtsfrage ist nicht vorgesehen (6 Ob 319/99a; 1 Ob 213/08t, jeweils mwN; RIS Justiz RS0048156; RS0108029 [T3, T 9]).

3. Der Minderjährige vertritt ebenso wie implizit das Rekursgericht die Ansicht, auf seinen deliktischen Schadenersatzanspruch gegen den in Deutschland wohnhaften Beklagten sei österreichisches Recht anzuwenden. Das trifft nach Art 4 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl 2007 L 199 S 40 49, die nach ihren Art 31 und 32 auf den Vorfall (Steinwurf des Prozessgegners) vom bereits anzuwenden ist, auch zu (vgl 1 Ob 16/12b [Schiunfall]).

4. Der Minderjährige geht ebenso wie das Rekursgericht davon aus, dass die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB am (Unfallstag) in Gang gesetzt wurde und grundsätzlich am einem Sonntag geendet hätte. Zutreffend zeigt er auf, dass das Rekursgericht die Rechtslage verkannte, indem es davon ausging, dass die am eingebrachte Klage verspätet (verjährt) sei. Die Verjährungsfristen des bürgerlichen Rechts sind materiell rechtliche Fristen. Die für die Unterbrechung der Verjährung erforderliche Gerichtsanhängigkeit tritt erst mit dem Einlangen der Klage bei Gericht ein (7 Ob 73/09z mwN uva; RIS Justiz RS0034675). Die Schadenersatzklage wurde vom Minderjährigen am beim gemäß Art 5 Nr 3 EuGVVO zuständigen Bezirksgericht K***** (Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist) im Elektronischen Rechtsverkehr eingebracht. Für alle materiell rechtlichen Fristen des Privatrechts gilt nach § 903 dritter Satz ABGB, der also auch auf Verjährungsfristen Anwendung findet (4 Ob 546/92; 1 Ob 37/93, jeweils mwN), und Art 5 des Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen, BGBl 1983/254 (EuFrÜb), das innerstaatlich unmittelbar wirksam ist, eine Ablaufhemmung. Demnach wird eine Frist, vor deren Ablauf eine Handlung vorzunehmen ist und deren letzter Tag unter anderem auf einen Sonntag fällt, dahin verlängert, dass sie den nächstfolgenden Werktag einschließt (7 Ob 157/07z mwN = EF Z 2008/44, 73 [ Beck ]). Da das Ende der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB auf einen Sonntag () fällt, ist das Einlangen der Klage am Montag, dem , noch rechtzeitig und daher der Anspruch des Minderjährigen nicht verjährt.

5. Dessen ungeachtet kann die Berechtigung des Antrags noch nicht abschließend beurteilt werden. Der Minderjährige verfügt über keine Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung, die im Regelfall für die Genehmigung der Prozessführung spricht, weil durch eine umfassende Deckung das Prozesskostenrisiko ausgeschlossen wäre (vgl 8 Ob 46/11i = iFamZ 2012/14, 23 [ Fucik ]). Im Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage sicherte der Rechtsvertreter des Minderjährigen zu, „auf allfällige Honoraransprüche, welche nicht von der Beklagtenseite zu ersetzen sind, oder die über einen ersiegten Betrag hinausgehen, zu verzichten“. Ob diesbezüglich eine bindende Vereinbarung mit dem Minderjährigen, vertreten durch seine Mutter, vorliegt und kein Honoraranspruch des einschreitenden Rechtsanwalts gegenüber dem Minderjährigen zu erwarten ist, wurde von den Vorinstanzen nicht geprüft. Zudem ist darauf zu verweisen, dass der Minderjährige im Rechtsmittelverfahren erklärte, dass sein Vater für die Pauschalgebühr der Klage von 285 EUR (TP 1 GGG) aufkommen werde, und sein Rechtsvertreter die Erklärung abgab, „diese Gebühren in sein persönliches Zahlungsversprechen zu übernehmen und sich diesbezüglich beim Antragsteller nicht zu regressieren“. Im fortgesetzten Verfahren sind vom Erstgericht zum behaupteten Zahlungsversprechen des Vaters Erhebungen anzustellen.

Die Schadenersatzklage gegen den damals sechsjährigen Beklagten, der ihn beim Verlassen des Wassers im Strandbad mit einem ca zwei Fäuste großen Stein im Gesicht getroffen haben soll, stützt der Minderjährige auf § 1310 ABGB. Einerseits verweist er in der Klagsschrift auf den Umstand, dass die Eltern des Beklagten über eine entsprechende Haftpflichtversicherung verfügen, welche verpflichtet sei, den Schaden zu decken, und andererseits sei dem damals sechsjährigen Beklagten zuzumuten, dass er wisse, dass er einen so großen Stein nicht in Richtung des Gesichts eines anderen Kindes werfen dürfe. Die Vorinstanzen haben dazu keine Erhebungen durchgeführt.

Weder wurde der im Genehmigungsantrag genannte Akt der Staatsanwaltschaft beigeschafft, in dem sich die Ergebnisse der Vorerhebungen befinden sollen, noch der anwaltlich vertretene Antragsteller aufgefordert, medizinische Unterlagen vorzulegen. Dazu ist auch darauf zu verweisen, dass der Minderjährige mit seinem Rekurs einen Arztbrief seines Zahnarztes vorlegte. Auch zum Bestehen einer Haftpflichtversicherung des Beklagten sind Erhebungen durchzuführen. Das Erstgericht hat sich im fortgesetzten Verfahren mit der Anspruchsgrundlage des § 1310 ABGB zwecks Beurteilung, ob die eingebrachte Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein könnte näher auseinanderzusetzen und sich einen genauen Überblick über den Sachverhalt und dessen Beweisbarkeit zu verschaffen, ohne aber die Beweisaufnahme des angestrebten Verfahrens vorwegzunehmen (1 Ob 213/08t mwN).

Zudem ist zu beachten, dass eine Haftung nach § 1310 ABGB nur in Betracht kommt, wenn ein Ersatz nach § 1309 ABGB nicht zu erlangen ist. Es obliegt dem Geschädigten zu behaupten und zu beweisen, dass er vom Aufsichtspflichtigen keinen Ersatz erlangen kann (RIS Justiz RS0027379 [T1]). Weder aus der Klage in ihrer derzeitigen Fassung noch aus dem Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung geht hervor, aus welchen Umständen eine Haftung der Aufsichtsperson des damals sechsjährigen Beklagten nach § 1309 ABGB ausscheidet. Aufgrund des im außerstreitigen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 16 Abs 1, § 31 AußStrG) besteht eine Verpflichtung des Gerichts nachzuforschen, ob ein Aufsichtspflichtiger des Beklagten haftbar sein könnte, weil der Schaden auf eine schuldhafte Unterlassung der nötigen Obsorge zurückzuführen wäre (vgl Karner in KBB³ § 1309 ABGB Rz 1). Wäre dies als wahrscheinlich anzunehmen, müssten die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Minderjährigen negativ beurteilt werden.

Erst nach den dargestellten Erhebungen wird das Erstgericht im Zuge einer umfassenden rechtlichen Würdigung die Erfolgsaussichten einigermaßen verlässlich einschätzen und neuerlich über den Antrag auf Klagegenehmigung absprechen können.

6. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.