OGH 03.04.2019, 1Ob53/19d
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei N***** AS (auch: N***** AS), *****, Norwegen, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen 44.349,31 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 21/19t-29, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom , GZ 2 Cg 64/18s-25, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Geschäftsbeziehung zwischen der österreichischen Klägerin und der Beklagten mit Sitz in Norwegen bestand seit 2011. Nach Art 23 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ 2007; ABl L 2007/339, 3 = ABl L 2009/147, 5), das zufolge seines Art 64 Abs 2 lit a erster Fall gegenüber der norwegischen Beklagten anzuwenden ist, können Gerichtsstandsvereinbarungen getroffen werden. Art 23 LGVÜ 2007 entspricht im Wesentlichen Art 23 EuGVVO („Brüssel I-VO“) und Art 25 EuGVVO 2012 (6 Ob 19/18i).
2. Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung im Sinn des Art 23 LGVÜ 2007, der autonom auszulegen ist, bedeutet eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien über die Zuständigkeitsbegründung (RIS-Justiz RS0117156), die klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen ist (RS0113571 [T9]). Deren Vorliegen ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, weshalb nur im Fall einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung der zweiten Instanz eine erhebliche Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO vorliegt (RS0117156 [T5]; vgl RS0004131; RS0114192 [T3]). Das ist hier nicht der Fall.
3. Beim streitgegenständlichen Auftrag wies die in englischer Sprache verfasste Auftragsbestätigung der Beklagten keinen Hinweis auf einen österreichischen Gerichtsstand auf. Die von der Klägerin der Beklagten fakturierte Rechnung zu diesem Auftrag war in englischer Sprache verfasst und enthielt einen deutschsprachigen Fußzeilenbereich, in dem sich zwischen Firmenbuchnummern und Bankverbindungen die Formulierung „Gerichtst. Wels“ in deutscher Sprache befand. Die Parteien sprachen nie über eine Gerichtsstandsvereinbarung oder die internationale Zuständigkeit.
Die Beurteilung des Rekursgerichts, die Klägerin könne sich nicht auf eine nach Art 23 Abs 1 lit a LGVÜ 2007 zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung berufen, wonach entweder die Willenserklärungen in schriftlicher Form vorliegen oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung geschlossen sein müssen, bekämpft die Klägerin nicht konkret und zeigt daher insofern keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
4. Das Rekursgericht legte die Grundsätze der Rechtsprechung zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 Abs 1 lit b LGVÜ 2007 zutreffend dar. Unter „Gepflogenheiten“ im Sinn dieser Bestimmung wird eine zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtete Praxis verstanden (RS0114604 [T7, T11]). Ob eine in einem konkreten Fall geübte Praxis, die Dauer der Geschäftsbeziehung und deren Intensität ausreichen, damit eine der Parteien auf eine bestimmte Form als „die Übliche“ vertrauen darf, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls und hat regelmäßig keine über diesen hinausgehende Bedeutung (6 Ob 176/08p [zu Art 23 Abs 1 lit b EuGVVO] = RS0114604 [T8]).
Die Auffassung des Rekursgerichts, die in der Fußzeile im Kleindruck enthaltene Wortfolge „Gerichtst. Wels“ zwischen der österreichischen und der deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die die Klägerin in der seit 2001 bestandenen Geschäftsbeziehung mit der norwegischen Beklagten in Auftragsbestätigungen, Lieferscheinen und Rechnungen vermerkt habe, entspreche wegen ihres sprachlich verstümmelten Wortlauts nicht den Erfordernissen eines klaren und deutlichen Hinweises auf den gewünschten Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung, ist nicht korrekturbedürftig. Die Klägerin verwendete weder das Wort „Gerichtsstand“ noch das Wort „Gerichtszuständigkeit“ noch einen entsprechenden Begriff, sondern eine (unübliche) Abkürzung, die auch falsch geschrieben ist (es fehlt ein „s“), sodass die Beurteilung, die Annahme einer Gepflogenheit scheide aus, nicht zu beanstanden ist.
5. Die in Art 23 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 geregelte Formalternative verzichtet nicht auf eine Willenseinigung der Vertragsparteien, vermutet aber eine solche, wenn in dem betreffenden Geschäftszweig ein Handelsbrauch über die Form der Gerichtsstandsvereinbarung besteht, den die Parteien kannten oder kennen müssen. Das Bestehen und die Branchenüblichkeit des Handelsbrauchs sind Tatfragen. Die (Behauptungs- und) Beweislast für ihr Vorliegen trifft die Klägerin, die sich darauf beruft (7 Ob 183/17p mwN [zu Art 23 Abs 1 lit c EuGVVO]).
Dass die Verwendung der sprachlich verstümmelten, in deutscher Sprache verfassten Klausel „Gerichtst. Wels“ einem besonderen, im grenzüberschreitenden Handel geltenden Handelsbrauch im Geschäftszweig, in dem die Vertragsparteien tätig sind, entsprechen soll, vermag die Klägerin, die dazu auch kein geeignetes Vorbringen erstattet hat, nicht schlüssig aufzuzeigen.
6. Zusammengefasst ging das Rekursgericht unbedenklich davon aus, dass die Klägerin die Formvoraussetzungen des Art 23 Abs 1 LGVÜ 2007 für das Vorliegen der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung nicht darzulegen und zu beweisen vermochte.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei N***** AS (auch: N***** AS), *****, Norwegen, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen 44.349,31 EUR sA, im Verfahren über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 21/19t-29, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom , GZ 2 Cg 64/18s-25, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin wurde bereits mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom zurückgewiesen. Die nicht freigestellte Revisionsrekursbeantwortung der Beklagten langte erst am beim Obersten Gerichtshof ein. Sie ist daher wegen inzwischen endgültig erledigter Rechtssache zurückzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0043690 [T4, T8]; RS0113633).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00053.19D.0403.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAD-04262