Keine Entlassung aus der Gesamtschuld bei Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw. vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Entlassung aus der Gesamtschuld (§ 237 BAO) entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
1.1. Die Berufungswerberin (kurz Bw.) beantragte mit Eingabe vom , sie aus ihrer Zahlungsverpflichtung betreffend den auf dem Abgabenkonto zu Steuernummer 0../... aushaftenden Abgabenbetrag in Höhe von 614,79 € zu entlassen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der gegenüber der Vermietergemeinschaft zwischen der Bw. und ihrem Ehegatten festgesetzten Umsatzsteuer 2007 (604,79 €) und einer Pfändungsgebühr (10 €).
Weiters beantragte die Bw., einen auf ihrem Abgabenkonto mit der Steuernummer 2../... rückständigen Abgabenbetrag in Höhe von 1.981,37 € gemäß § 236 BAO nachzusehen.
Ausgeführt wurde, die Bw. habe die Steuerrückstände nicht verursacht. Vielmehr sei sie vom Finanzamt "aus der Ehegattenhaftung" in Anspruch genommen worden. Die Bw. verfüge nur über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.050 €; weitere Einkünfte oder Vermögen habe sie nicht. Da die Bw. aufgrund des Konkurses ihres Ehegatten mit zirka 280 € monatlich belastet werde, stünden ihr nur 800 € pro Monat zur Verfügung. Die Bw. sei für ihre studierende Tochter teilweise sorgepflichtig. Da ihr die Anmietung einer Wohnung nicht möglich sei, wohne sie derzeit bei einem Bekannten. Somit sei eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung gegeben.
Weiters sei darauf hinzuweisen, dass die Bw., die nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zur Steuerleistung herangezogen worden sei, ihren bisherigen Zahlungsverpflichtungen stets pünktlich nachgekommen sei. (Anm.: Nach der Aktenlage sind damit jene Monatsraten zu je 50 € gemeint, die die Bw. aufgrund eines zu St. Nr. 2../... bewilligten Ratengesuches bis Jänner 2010 entrichtet hat). Da der offene Saldo "am Ende des Ratenansuchens" das monatliche Nettoeinkommen der Bw. erheblich übersteige und die Bw. auch keinen Bankkredit erhalte, sei es ihr nicht möglich, diesen Betrag zu entrichten.
1.2. Über Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom legte die Bw. ein Vermögensverzeichnis samt Lohnzetteln (12/2009 - 2/2010) und einem Versicherungsdatenauszug vor. Aus diesen Unterlagen ist ersichtlich, dass die Bw. kein verwertbares Vermögen besitzt und neben den Abgabenschulden noch Bankverbindlichkeiten in Höhe von 79.000 € hat. Weiters geht aus den Lohnzetteln hervor, dass diese Bankschulden im Wege einer Gehaltsexekution hereingebracht werden.
1.3. Das Finanzamt wertete die Eingabe vom , soweit diese den Rückstand auf dem Abgabenkonto mit der Steuernummer 0../... betraf, als Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld (§ 237 BAO), welcher mit Bescheid vom abgewiesen wurde. Nach Zitat des § 237 BAO wurde ausgeführt, dass die Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles sachlich oder persönlich bedingt sein könne. Eine sachliche Unbilligkeit sei von der Bw. nicht behauptet worden und daher nicht zu prüfen. Eine persönliche Unbilligkeit sei stets gegeben, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdete. Eine persönliche Unbilligkeit sei hingegen nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabepflichtigen so schlecht sei, dass die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts änderte.
Nach den Angaben der Bw. verblieben ihr von ihrem monatlichen Nettoeinkommen aufgrund einer Gehaltspfändung zugunsten der X-Bank nur mehr zirka 800 €. Die Bw. sei für eine Tochter teilweise sorgepflichtig. Laut vorgelegtem Vermögensverzeichnis beliefen sich die übrigen Lebenshaltungskosten auf zirka 460 €. Durch die Gehaltsexekution würden die Bankverbindlichkeiten der Bw. in Höhe von 79.000 € laufend bedient. Unter diesen Umständen hätte eine Entlassung aus der Gesamtschuld keinen Sanierungseffekt, weil die übrigen Verbindlichkeiten der Bw. im Verhältnis zu den Abgabenschulden so hoch seien, "dass es an der Existenzgefährdung nichts ändert". Im Übrigen dürfe eine Entlassung aus der Gesamtschuld nicht gewährt werden, wenn sich die Nachsicht nur zugunsten anderer Gläubiger auswirken würde.
1.4. Soweit der Antrag vom den Rückstand auf dem Abgabenkonto mit der Steuernummer 2../... betraf, erließ das Finanzamt einen weiteren Bescheid (mit Ausfertigungsdatum ), mit welchem der Bw. keine Abgabennachsicht gewährt wurde. Über die dagegen erhobene Berufung hat der Unabhängige Finanzsenat mit Berufungsentscheidung vom , GZ. RV/0794-I/10, entschieden.
1.5. In der Berufung vom gegen die Nichtbewilligung einer Entlassung aus der Gesamtschuld wurde vorgebracht, eine Existenzgefährdung der Bw. stehe außer Streit. Die Bw. habe die bislang entrichteten Raten zu je 50 € aus Unwissenheit geleistet. Eine rechtliche Überprüfung habe ergeben, dass das Existenzminimum "bereits vor der Zahlung" unterschritten worden sei. Wie das Finanzamt zutreffend festgestellt habe, werde die Bw. von der erstrangigen Gläubigerbank bis zum Existenzminimum gepfändet (die teilweise Sorgepflicht für die Tochter der Bw. sei "darin" nicht berücksichtigt). Die wirtschaftliche Situation der Bw. würde sich wesentlich verbessern, wenn sie die Ratenzahlungen einstellen oder "davon befreit" würde. Maßgeblich sei nur eine Existenzgefährdung der Bw. und keine "vollkommene Sanierung", zumal eine solche nur in einem Schuldenregulierungsverfahren erfolgen könnte. Für die Tilgung der Bankverbindlichkeiten in Höhe von 79.000 € (ohne Zinsen) sei ein Zeitraum von mehr als 26 Jahren erforderlich, wobei sich dieser Zeitraum noch erheblich verlängere, wenn die Bw. in nicht allzu ferner Zeit in Pension gehe. Durch die beantragte Maßnahme würde sich die Notsituation der Bw. ab sofort spürbar verbessern. Von einer "generellen Sanierung" - wie im Bescheid angeführt - könne im Hinblick auf die Höhe der Bankverbindlichkeiten und die Lebenserwartung der Bw. keine Rede sein.
In dieser Berufung wurden die im Antrag vom gestellten Anträge aufrecht erhalten. Weiters ersuchte die Bw. um "Vormerkung" der Einstellung der bisherigen Ratenzahlungen und Rückerstattung der irrtümlich geleisteten Zahlungen "vom Beginn an bis dato".
1.6. Das Finanzamt legte die Berufung gegen die Nichtbewilligung einer Entlassung aus der Gesamtschuld ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
2.1. Gemäß § 237 Abs. 1 BAO kann ein Gesamtschuldner auf Antrag aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach Lage des Falles unbillig wäre. Durch diese Verfügung wird der Abgabenanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner nicht berührt.
Beide Verfahrensparteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Bw. hinsichtlich der eingangs erwähnten Umsatzsteuer und Pfändungsgebühr Gesamtschuldnerin i. S. d. § 6 Abs. 2 BAO und damit antragslegitimiert ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Voraussetzungen für die Entlassung eines einzelnen Gesamtschuldners aus dem Gesamtschuldverhältnis grundsätzlich die gleichen wie die für die Nachsicht (§ 236 BAO), nämlich die Unbilligkeit der Einziehung der Abgabe, für welche ein Gesamtschuldner einzustehen hat. Allerdings müssen für die Nachsicht die maßgeblichen Voraussetzungen bei allen Mitschuldnern vorliegen, während es für eine Maßnahme nach § 237 BAO ausreicht, wenn die Billigkeitsgründe lediglich in der Person des antragstellenden Gesamtschuldners gelegen sind (vgl. z. B. ).
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 237 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung (vgl. ). Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann eine persönliche oder sachliche sein. Eine persönliche Unbilligkeit liegt dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgaben die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährden würde oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (insbesondere Vermögensverschleuderung) verbunden wäre. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung, die gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend (auch) mitverursacht sein müsste (vgl. ). Eine Unbilligkeit ist jedoch dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch eine Entlassung aus der Gesamtschuld nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts änderte (vgl. zu § 236 BAO: ; ; ; ).
Das Finanzamt hat das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit nicht als gegeben erachtet, weil sich durch die Entlassung aus der Gesamtschuld an der Existenzgefährdung der Bw. nichts ändern würde. Damit ist das Finanzamt im Ergebnis im Recht: Wie die Bw. selbst ausgeführt hat, muss sie Bankverbindlichkeiten bedienen, die im Wege einer Gehaltsexekution hereingebracht werden. Da die Bw. zugunsten der Gläubigerbank bis zum Existenzminimum gepfändet wird, verbleibt ihr von ihrem monatlichen Gesamteinkommen nur mehr der geltende unpfändbare Freibetrag. Aufgrund der Höhe der Bankverbindlichkeiten (zirka 79.000 €) in Relation zur Höhe der pfändbaren Bezüge (zirka 260 € monatlich) können diese Schulden in absehbarer Zeit nicht getilgt werden. Nach den Angaben der Bw. ist hiefür ein Zeitraum von zirka 26 Jahren erforderlich, der sich durch die mit einem Pensionsantritt der Bw. "in nicht allzu ferner Zeit" verbundenen Einkommenseinbussen noch verlängern würde. Dies bedeutet, dass eine Einbringlichkeit der Abgabenschulden nicht gegeben ist, weil die der Bw. nach Abzug der von der Gläubigerbank gepfändeten Beträge verbleibenden Bezugsteile das pfändungsfreie Existenzminimum nicht übersteigen. Wie dem vorgelegten Vermögensverzeichnis zu entnehmen ist, verfügt die Bw. weder über nennenswerte Fahrnisse noch über pfändbares Liegenschaftsvermögen. Da unter diesen Umständen keine Exekutionsmöglichkeit für das Finanzamt besteht, droht auch keine Abgabeneinhebung, weshalb eine durch die Abgabeneinhebung verursachte Existenzgefährdung nicht gegeben ist. Somit liegt keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vor, weil es infolge der Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden zu keiner Auswirkung der Abgabeneinhebung auf die Einkommens- und Vermögenslage der Bw. kommen kann (vgl. ).
2.2. Die Bw. brachte auch vor, sie habe die aus einer "Ehegattenhaftung" resultierenden Abgabenschulden nicht "verursacht". Falls mit diesem Argument eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zum Ausdruck gebracht werden soll, so wäre dem zu entgegnen, dass zwischen der Bw. und ihrem Ehegatten eine Miteigentumsgemeinschaft bestand, die Vermietungsumsätze erzielte. Für derartige Fälle sieht § 6 Abs. 2 BAO eine Gesamtschuldnerschaft aller beteiligten Personen hinsichtlich jener Abgaben vor, für die die Miteigentümergemeinschaft als solche abgabepflichtig ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, verlangt § 237 BAO ausdrücklich eine in der "Einhebung" gelegene Unbilligkeit, weshalb eine Unbilligkeit, die etwa aus der gesetzlich normierten Einrichtung der Gesamtschuld, der Zusammenveranlagung oder der Haftung als solcher abgeleitet werden könnte, für Maßnahmen nach § 237 BAO nicht ausreicht; denn eine allgemein gültige Rechtsvorschrift vermag für sich allein keine Unbilligkeit im hier maßgeblichen Sinn zu begründen (vgl. ; , 0222).
Die Bw. hat weiters auf die Insolvenz ihres (mittlerweile getrennt lebenden) Ehegatten hingewiesen, die zu ihrer Inanspruchnahme durch die X-Bank geführt habe. Auch daraus ergibt sich kein Unbilligkeitsgrund, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes § 237 BAO keine allgemeine Grundlage dafür darstellt, das wirtschaftliche Risiko eines von mehreren Gesamtschuldnern, das im Verlust seiner Regressmöglichkeit zufolge der Insolvenz eines Mitschuldners gelegen ist, auf den Abgabengläubiger zu überwälzen (vgl. ).
2.3. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war die Entscheidung über die Entlassung der Bw. aus der Gesamtschuld hinsichtlich eines Abgabenbetrages in Höhe von 614,79 €. Dies war jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides gebildet hat.
In der Berufung wurde erstmals ein Antrag auf Rückerstattung der von der Bw. geleisteten Ratenzahlungen (siehe oben Pkt. 1.1.) mit der sinngemäßen Begründung gestellt, durch die Entrichtung dieser Raten sei das der Bw. gebührende pfändungsfreie Existenzminimum unterschritten worden. Falls damit ein Antrag auf Rückzahlung zu Unrecht zwangsweise eingebrachter Abgabenbeträge i. S. d. § 241 Abs. 1 BAO zum Ausdruck gebracht werden soll, scheitert ein solches Begehren daran, dass dies nicht "Sache" des erstinstanzlichen Verfahrens war. Da die Änderungsbefugnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz durch die "Sache" begrenzt ist (vgl. Ritz, BAO3, § 289 Tz 38, mwN), darf sie über eine Angelegenheit, die noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, nicht im Ergebnis erstmals bescheidmäßig absprechen, weil dies ein Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz wäre (). Eine Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 241 Abs. 1 BAO hinsichtlich der in Rede stehenden Ratenzahlungen vorliegen, könnte nur durch die Einbringung eines entsprechenden Antrages bei der Abgabenbehörde erster Instanz herbeigeführt werden.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 237 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Uneinbringlichkeit Pfändung Existenzminimum Existenzgefährdung |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at