Keine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei knapp neunzigminütiger Wegzeit
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/2071-W/07-RS1 | Keine Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge, wenn die Wegzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln rund 90 Minuten und mit dem PKW rund 40 Minuten beträgt, und öffentliche Verkehrsmittel auf einem Großteil der Strecke verwendet und der Fußweg zum Bahnhof durch "Park and Ride" ersetzt werden könnte. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., PLZ W., F.-Gasse 21, gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart, vertreten durch Amtsdirektorin Eva Farkas, betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge für den Zeitraum Jänner 2006 bis Dezember 2006 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw.) beantragte am die Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge für das Kalenderjahr 2006 für seine 1987 geborene Tochter Andrea.
Wohnadresse sei W., die Adresse der Ausbildungsstätte 1030 Wien, K.-Straße.
Der Weg zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte sei an 6 Tagen in der Woche zurückgelegt worden, der kürzeste Weg zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte betrage 41 km.
Die Tochter könne ein öffentliches Verkehrsmittel, das unentgeltlich zur Verfügung stehe, nicht benutzen, da die Arbeitszeiten - Montag bis Freitag von 9.30 Uhr bis 19.00 Uhr, Samstag von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr - mit den Zugsverbindungen nicht harmonierten.
Der Weg zwischen Wohnung und betrieblicher Ausbildungsstätte werde laut der vom Bw. ausgefüllten Seite 1 des Formulars Beih 94 von " - " zurückgelegt.
Der Arbeitgeber bestätigte (Seite 2 des Formulars Beih 94), dass die Tochter seit in 1030 Wien, K.-Straße , an 5 Tagen in der Woche ausgebildet werde; der Berufsschulbesuch erfolge wöchentlich an einem Tag. Der Lehrling besuche die betriebliche Ausbildungsstätte von seinem Wohnort aus.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart den Antrag vom ab. Nach Wiedergabe des § 30m Abs. 5 FLAG verwies das Finanzamt darauf, dass die Tochter eine unentgeltliche Beförderung von W. nach Wien Südbahnhof in Anspruch nehmen könne, wobei die Fahrtdauer ebenfalls zumutbar sei.
Mit Schreiben vom erhob der Bw. Berufung gegen diesen Abweisungsbescheid mit dem ersichtlichen Antrag auf Gewährung der Fahrtenbeihilfe.
Es wäre zwar die reine Fahrzeit für seine Tochter zumutbar, nicht aber die Zeit, die sie insgesamt für die Fahrt zu und von der Arbeitsstätte aufwenden müsse, insbesondere die Zeitdauer und die Uhrzeit nach Arbeitsschluss.
"Arbeitsbeginn 9.30 Uhr, d.h. sie muss schon mindestens 10 Minuten vor 9.30 Uhr am Arbeitsplatz sein.
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Fußweg
F.-Gasse - Bahnhof
W. ca. 35-40 Minuten
Gehzeit | 7.45
- 8.25 |
Bahnhof
W. - Bahnhof
B. laut Fahrplan | 8.25
- 8.29 |
Bahnhof
B. - Wien Südbahnhof laut
Fahrplan | 8.42
- 9.06 |
Weiterfahrt mit
Straßenbahn, Dauer ca. 15 Minuten |
Arbeitsende 19 Uhr
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Straßenbahnfahrt
zum Südbahnhof, Dauer ca. 15 Minuten | |
Wien
Südbahnhof - Bahnhof W. laut
Fahrplan | 20.20
- 20.53 |
Fußweg
Bahnhof W. -
F.-Gasse ca. 35-40
Minuten |
Die Ankunft zu Hause in der F.-Gasse wäre ca.21.30 Uhr und das ist nicht zumutbar.
An dem Tag, an dem sie in der Berufsschule ist, müsste sie überhaupt schon um 6 Uhr in der Früh aus dem Haus gehen, damit sie mit Glück um 8 Uhr in der Schule wäre und das nachdem sie am Vortag erst um ½ 10 Uhr nach Hause gekommen wäre.
Nachdem die Fahrtenbeihilfe für das ganze Jahr gerade mal um die 70 Euro ausmachen würde, die Anstrengungen die meine Tochter jedoch auf sich nehmen müsste nur um in die Arbeit und wieder nach Hause zu kommen, erheblich höher wären, würde sie öffentliche Verkehrsmittel benützen, die Fahrtenbeihilfe für uns aber doch eine Hilfe wäre, ersuche ich Sie, Ihren Bescheid nochmals im Sinne humanitären Ermessens zu überdenken, noch dazu, wo die gesetzlichen Öffnungszeiten in Kürze weiter gestreckt werden und somit möglicherweise das tägliche Arbeitsende noch später sein wird."
Im Finanzamtsakt erliegen Fahrplanausdrucke der ÖBB vom betreffend Fahrten am . Diesen lässt sich unter anderem auch eine Verbindung ab 19:20 Uhr Wien Südbahnhof und an 19:53 Uhr W. entnehmen.
Über die Berufung wurde erwogen:
§ 30m FLAG lautet:
"§ 30m. (1) Anspruch auf Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge haben Personen für Kinder, für die ihnen Familienbeihilfe gewährt oder ausgezahlt (§ 12) wird oder für die sie nur deswegen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, weil sie Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben (§ 4 Abs. 1), wenn das Kind als Lehrling in einem anerkannten Lehrverhältnis steht und eine betriebliche Ausbildungsstätte im Bundesgebiet oder im grenznahen Gebiet im Ausland besucht.
(2) Anspruch auf Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge haben auch Vollwaisen in einem anerkannten Lehrverhältnis, denen Familienbeihilfe gewährt wird (§ 6) oder die nur deswegen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, weil sie Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben (§ 4 Abs. 1), wenn die Vollwaise eine betriebliche Ausbildungsstätte im Bundesgebiet oder im grenznahen Gebiet im Ausland besucht.
(3) Die Fahrtenbeihilfe wird gewährt, wenn der kürzeste Weg zwischen der Wohnung im Inland und der betrieblichen Ausbildungsstätte bzw. der kürzeste Weg zwischen der Wohnung im Inland und dem Zweitwohnsitz am Ort oder in der Nähe des Ortes der betrieblichen Ausbildungsstätte in einer Richtung mindestens 2 km lang ist; für behinderte Lehrlinge wird Fahrtenbeihilfe auch dann gewährt, wenn dieser Weg weniger als 2 km lang und die Zurücklegung dieses Weges ohne Benutzung eines Verkehrsmittels nicht zumutbar ist.
(4) Wird der Lehrling im Rahmen seiner Ausbildung in verschiedenen Ausbildungsstätten desselben Unternehmens abwechselnd eingesetzt, gilt als maßgeblicher Weg zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte der Weg zwischen der Wohnung und der im Lehrvertrag ausgewiesenen betrieblichen Ausbildungsstätte. Sind im Lehrvertrag mehrere betriebliche Ausbildungsstätten ausgewiesen, ist jene Betriebsstätte maßgebend, in welcher die Ausbildung des Lehrlings überwiegend erfolgt ist.
(5) Kein Anspruch auf Fahrtenbeihilfe besteht für Lehrlinge und behinderte Lehrlinge, welche eine unentgeltliche Beförderung oder die Lehrlingsfreifahrt auf dem Weg zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte oder auf einem Teil dieses Weges in Anspruch nehmen können. Es besteht auch kein Anspruch auf Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge und behinderte Lehrlinge, welche eine unentgeltliche Beförderung auf dem Weg zwischen der Wohnung und der Zweitunterkunft (§ 30n Abs. 2) oder auf einem Teil dieses Weges in Anspruch nehmen können.
(6) Kein Anspruch auf Fahrtenbeihilfe besteht für den fallweisen Besuch von betrieblichen Ausbildungsstätten."
Strittig ist, ob die Tochter des Bw. auf dem Weg zur Ausbildungsstätte oder einem Teil des Weges Lehrlingsfreifahrt in Anspruch nehmen kann, d.h. ob sie zumutbarerweise öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann.
Laut Bw. müsste die Tochter um ca. 7:45 Uhr von zu Hause weggehen und käme um ca. 21:30 Uhr am Abend wieder nach Hause.
Die Gesamtwegzeit beträgt laut Bw. bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel etwa 1 h 35 min (7:45 - 9:21 Uhr bzw. 20:05 - 21:30). Hierbei wäre am Abend eine Wartezeit von ca. einer Stunde in Kauf zu nehmen.
Nach Ermittlung des Finanzamtes fährt bereits um 19:20 Uhr von Wien Südbahnhof ein Zug nach W., der dort um 19:53 Uhr ankommt. Die Benutzung dieses Zuges würde freilich einen pünktlichen Arbeitsschluss um 19:00 Uhr voraussetzen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein sofortiges Verlassen der Arbeitsstätte exakt zu Arbeitsschluss nicht immer möglich sein wird, sodass der Zug ab 19:20 Uhr häufig nicht erreichbar sein wird.
Am Berufsschultag - Schulbeginn 8:00 Uhr - müsste von der Tochter das Haus bereits um 6:00 Uhr verlassen werden.
Laut Routenplaner www.viamichelin.at beträgt die Strecke zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte 43 km (laut Bw. 41 km) und ist - vorwiegend auf der A 4 - in 30 Minuten zurückzulegen. Berücksichtigt man, dass die dem Routenplaner zugrunde gelegten Fahrzeiten auf der A 4 (mit weitgehend Tempolimits und dichtem Verkehr in der Früh) nicht realistisch sein dürften und rechnet man 40 Minuten, müsste die Tochter mit dem Auto um ca. 8:40 Uhr von zu Hause wegfahren und kehrte um ca. 19:40 Uhr am Abend wieder zurück. Dies entspricht einer Verkürzung der Fahrzeit jeweils um knapp eine Stunde.
Für die Tochter des Bw., die im April 2006 das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist für den Zeitraum Februar (folgt man den Angaben des Arbeitgebers) bis April 2006 noch das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen (KJBG) anzuwenden.
Nach § 16 KJBG nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit Jugendlichen eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden zu gewähren. Diese Bestimmung wird vom Arbeitgeber - mit einem Arbeitsbeginn um 9:30 Uhr und einem Arbeitsende um 19:00 auch bei Einrechnung von Vor- und Abschlussarbeiten eingehalten.
Auch unter Einrechnung der Wegzeiten beträgt die tatsächliche Zeit, die die Tochter des Bw. zu Hause verbringen kann, bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel über 10 Stunden, bei Benützung eines PKW knapp unter 12 Stunden.
Nun kann nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenats nicht gesagt werden, dass eine Ruhezeit zu Hause von über 10 Stunden unter der Woche bei einem im Berufungszeitraum 18 bzw. 19 Jahre alten Lehrling unzumutbar kurz wäre. Selbst der Berufsschulbesuch an einem Tag in der Woche lässt - unter der Annahme, dass auch am Tag zuvor bis 19:00 Uhr zu arbeiten gewesen ist und nicht früher Schluss gemacht werden konnte - noch immer eine Ruhezeit zu Hause von über 8 Stunden einmal in der Woche zu, wobei dafür ein früheres Nachhausekommen am Berufsschultag möglich ist.
Hinzu kommt, dass nach den Angaben des Bw. die Arbeitszeit der Tochter insgesamt 56,5 Stunden (Mo. - Fr. 9:30 - 19:00 und Sa. 9:00 - 18:00 = 5 x 9,5 h + 1 x 9 h) betragen haben soll, was im Hinblick auf den gesetzlichen Arbeitszeitrahmen (§ 11 Abs. 1 KJBG, § 3 AZG) von 8 bzw. 9 Stunden/Tag bzw. 40/45 Stunden/Woche (mit Erweiterungsmöglichkeiten bei erwachsenen Arbeitnehmern) auch unter Berücksichtigung der nicht auf die Arbeitszeit anzurechnenden Pausen als ständige tägliche Arbeitszeit nicht wahrscheinlich ist.
In diesem Zusammenhang sei auch auf vergleichbare Bestimmungen zur Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in den Regelungen des § 34 Abs. 8 EStG 1988 und des § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 verwiesen.
W. ist eine Katastralgemeinde von B.. B. ist in den Verordnungen über die Erreichbarkeit von Studienorten als eine Gemeinde genannt, von der die zeitliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort Wien zeitlich noch zumutbar ist. Auch liegt die Fahrzeit zwischen den zentralen Bahnhöfen von B. und Wien deutlich unter einer Stunde. Ginge die Tochter des Bw. daher in Wien zur Schule bzw. auf die Universität, stünde der Pauschbetrag nach § 34 Abs. 8 EStG 1988 nicht zu.
Auch stünde das so genannte "große" Pendlerpauschale wegen Unzumutbarkeit der Benützung eines Massenverkehrsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrstrecke nicht zu, da weder die Wegzeit zweieinhalb Stunden in eine Richtung überschreitet noch die Fahrt mit Massenverkehrsmitteln neunzig Minuten überschreitet und mehr als drei Mal so lang dauert wie mit dem PKW und die Arbeitszeit auch nicht so gelagert ist, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich wäre (vgl. Atzmüller/Lattner in Wiesner/Atzmüller/Grabner/Lattner/Wanke, MSA EStG [], § 16 Anm. 81).
Die Tochter des Bw. muss einen Arbeitsweg auf sich nehmen, der für viele Einpendler nach Wien nicht ungewöhnlich ist. Auch ist die vom Bw. angegebene Rahmenarbeitszeit für Arbeitnehmer im Einzelhandel keineswegs unüblich.
Die Verwendung eines PKW bedeutet zwar eine Zeitersparnis am täglichen Arbeitsweg von rund einer Stunde in eine Richtung, doch führt dies im gegenständlichen Fall nicht dazu, dass die Tochter die Lehrlingsfreifahrt nicht in Anspruch nehmen könnte. Darüber hinaus ließe sich bei teilweiser Verwendung des PKW und teilweiser Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel die Wegzeit zwischen Wohnung und Bahnhof in W. deutlich verkürzen, sodass auch hieraus die Zumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel (jedenfalls auf einem Teil der Strecke) folgt.
Dass die Voraussetzungen für die unentgeltliche Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte gemäß § 30j FLAG im Fall der Tochter des Bw. nicht vorlägen, wurde nicht behauptet; ein Grund hierfür ist nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.
Da gemäß § 30m Abs. 5 FLAG kein Anspruch auf Fahrtenbeihilfe für Lehrlinge besteht, welche eine unentgeltliche Beförderung oder die Lehrlingsfreifahrt auf dem Weg zwischen der Wohnung und der betrieblichen Ausbildungsstätte oder auf einem Teil dieses Weges in Anspruch nehmen können, und die Tochter für einen Teil des Arbeitsweges die Lehrlingsfreifahrt auf öffentlichen Verkehrsmitteln in Anspruch nehmen kann, war die Berufung als unbegründet abzuweisen, ohne dass weitere Ermittlungen über den tatsächlichen Beschäftigungszeitraum im Jahr 2006 vorzunehmen waren.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | |
betroffene Normen | § 30m FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte | Lehrlingsfreifahrt Fahrtbeihilfe für Lehrlinge |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at