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OGH 23.03.2021, 1Ob49/21v

OGH 23.03.2021, 1Ob49/21v

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers W***** B*****, vertreten durch Dr. Herbert Rabitsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner R***** P*****, geboren ***** 1998, *****, vertreten durch Dr. Philipp Zöllner und Mag. Stephanie Zöllner, Rechtsanwälte in Mödling, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 198/20m-41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 Fam 78/19i-31, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Antragsgegner ist der volljährige Sohn des Antragstellers. Der Vater ist aufgrund einer vor einer Bezirkshauptmannschaft geschlossenen Unterhalts-vereinbarung vom November 2001 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 290,69 EUR verpflichtet. Der Sohn wohnt im Haushalt seiner Mutter und geht keiner Beschäftigung nach. Aufgrund diverser Erkrankungen ist er voraussichtlich dauernd außer Stande, aus Eigenem für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

[2] Am stellte der Vater den Antrag, ihn ab von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn zu entheben.

[3] Der Sohn sprach sich dagegen aus.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen diesen Beschluss nicht Folge. Es ließ über Zulassungsvorstellung des Vaters gemäß § 63 Abs 3 AußStrG nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil ihm der Vater „schwere Verfahrensverstöße, das hypothetische Vertreten seiner Meinung sowie Willkür“ vorwerfe und Amtshaftungsansprüche „in den Raum“ stelle, sodass es die „hier in Bezug auf die Subsidiarität der Leistungen nach den Sozialhilfegesetzen zum Unterhaltsanspruch aufgeworfene Frage im Interesse der Rechtssicherheit für revisibel“ erachte.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu beantworten ist. Die Zurückweisung des Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

[7] 1. Der Vater behauptet im Revisionsrekurs die Befangenheit der Mitglieder des Rekurssenats und leitet daraus – trotz der Berufung auf einen Nichtigkeitsgrund der ZPO – erkennbar einen schweren Mangel des Verfahrens zweiter Instanz im Sinn des § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG ab. Der behauptete Verfahrensmangel läge aber nur dann vor, wenn der Richter erfolgreich abgelehnt worden wäre (vgl RIS-Justiz RS0042046 [insb T4]). Das ist hier nicht der Fall, weil über die Ablehnung der Mitglieder des Rekurssenats bereits rechtskräftig negativ entschieden wurde.

[8] 2. Der weiters behauptete „Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO“ (richtig wäre seit : § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG), weil sein Sohn aufgrund seiner geistigen Behinderung eines Erwachsenenvertreters bedurft hätte, liegt schon deshalb nicht vor, weil das Erstgericht das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Sohn mit Beschluss vom gemäß § 122 AußStrG eingestellt hat. Es bedarf daher nicht der Prüfung, ob der Vater als Gegner der durch § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG geschützten Partei einen solchen (schweren) Verfahrensmangel überhaupt geltend machen könnte (verneinend zu § 477 Abs 1 Z 5 ZPO: RS0041952; RS0041988).

[9] 3. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht absolut wirkt. Er kann nur dann zur Aufhebung führen, wenn die Verletzung zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers ausschlagen könnte (RS0120213). Nach ständiger Rechtsprechung wird der Mangel des rechtlichen Gehörs in erster Instanz behoben, wenn Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (RS0006057).

[10] Der Vater hatte im Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichts Gelegenheit, seinen Standpunkt zum Inhalt des Schreibens einer Bezirkshauptmannschaft darzulegen. Das Rekursgericht maß seinen dazu vorgetragenen Argumenten keine Relevanz zu. Im Revisionsrekurs setzt er sich mit der Begründung des Rekursgerichts nicht nachvollziehbar auseinander und legt auch nicht dar, welche Stellungnahme mit welchen Konsequenzen für das Verfahren er abgegeben hätte.

[11] 4. Wenn der Vater behauptet, sein Sohn wäre vom Rekursgericht aufzufordern gewesen, zum Bezug öffentlich-rechtlicher Leistungen „Stellung zu nehmen und diesbezügliche Beweisanträge zu stellen“, vermag er keinen relevanten Verfahrensmangel des Gerichts zweiter Instanz aufzuzeigen, zumal er auf die Frage der Behauptungs- und Beweislast für den bisher geschuldeten Unterhalt mindernde Umstände nicht eingeht. Er legt auch nicht dar, welchen konkreten Vorteil er aus dieser Erörterung mit dem Verfahrensgegner ziehen möchte.

[12] 5.1. Nach § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Gemäß § 231 Abs 2 Satz 1 ABGB leistet der Elternteil, der das Kind betreut, dadurch seinen Unterhaltsbeitrag, während der andere Elternteil, mit dem das Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, geldunterhaltspflichtig ist. Kinderbetreuung im eigenen Haushalt – wie hier bei der Mutter – wird vom Gesetz grundsätzlich als voller Beitrag des betreffenden Elternteils gewertet und der Leistung von Geldunterhalt gleichgestellt (RS0116443 [T6]).

[13] 5.2. Die elterliche Unterhaltspflicht entfällt grundsätzlich erst mit Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes (§ 231 Abs 3 ABGB). Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts (RS0047554). Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind somit dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (RS0047567; RS0047602) und zudem weder Wohnungsgewährung noch elterliche Betreuung benötigt (RS0047554). Der Vater geht ebenso wie das Rekursgericht davon aus, dass sein 22 Jahre alter Sohn aufgrund diverser Erkrankungen nicht selbsterhaltungsfähig ist und auch in absehbarer Zukunft nicht sein wird. Er leitet daraus zutreffend ab, dass dieser nicht auf die Erzielung eines Arbeitseinkommens angespannt werden kann. Dass er Unterstützung durch seine Mutter benötigt (und bekommt), ergibt sich aus dem Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem von der Bestellung eines Erwachsenenvertreters Abstand genommen wurde. Damit ist allein der Vater geldunterhaltspflichtig (vgl RS0048380 [T2]).

[14] 5.3. Ein nach § 231 Abs 1 ABGB unterhaltsberechtigtes Kind, das Anspruch auf öffentlich-rechtliche Leistungen hat, die unterhaltsrechtlich als Eigeneinkommen zu qualifizieren sind, trifft im Verhältnis zum Unterhaltspflichtigen in der Regel die Obliegenheit, derartige Leistungen zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, widrigenfalls es (in Anwendung des „Anspannungsgrundsatzes“) so zu behandeln ist, als würde es die ihm zustehenden und ohne weiteres verfügbaren Leistungen beziehen (1 Ob 29/16w).

[15] Das Rekursgericht hat der Rechtsprechung folgend, wonach sich bei einfachen und durchschnittlichen Verhältnissen die Prüfung der Selbsterhaltungsfähigkeit an der sozialversicherungsrechtlichen „Mindestpension“, das ist der Richtsatz für die Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG (RS0047578 [T5, T7]), orientiert, dargelegt, dass nach der „Richtsatzformel“ der Restgeldunterhaltsanspruch des Sohnes bis zu einem Eigeneinkommen von rund 550 EUR monatlich weiterhin den 2001 vereinbarten Betrag von 290,69 EUR betragen würde. Eine Unterhaltsherabsetzung käme erst ab einem darüber liegenden monatlichen Eigeneinkommen in Frage. Sozialleistungen in dieser Höhe, die unterhaltsrechtlich als Eigeneinkommen anrechenbar wären, könnte der Sohn jedoch nicht beziehen. Mit der bloßen Behauptung, das Rekursgericht habe sich mit diesen rechtlichen Überlegungen „von den erstrichterlichen Feststellungen“ entfernt, zeigt der Vater keine Fehlbeurteilung auf.

[16] Wenn der Vater ganz allgemein behauptet, sein Sohn habe gemäß § 1 NÖ Sozialhilfegesetz 2000 (LGBl 9200/13 idgF; kurz: NÖ SHG) Anspruch auf Sozialhilfe, berücksichtigt er nicht den Grundsatz in § 2 Z 1 leg cit, wonach die Hilfe nur so weit zu leisten ist, als der jeweilige Bedarf nicht durch eigene Mittel oder durch Leistungen Dritter tatsächlich gedeckt wird (Subsidiaritätsprinzip). Dass – wovon die Vorinstanzen ausgingen – zu diesen Leistungen Dritter auch Zahlungen aufgrund der Unterhaltsverpflichtung des Vaters zählen, bestreitet er im Revisionsrekurs nicht. Er kann seine Unterhaltspflicht nicht dadurch mindern, dass er den dem Sohn gebührenden Unterhalt nicht leistet und sich darauf beruft, dieser solle Sozialleistungen in Anspruch nehmen, weil sein Bedarf nun tatsächlich nicht mehr gedeckt sei.

[17] Dem Sohn wurde mit Bescheid vom Juni 2019 der Aufenthalt in einer Tagesstätte eines Vereins zur Berufsintegration für die Dauer von drei Jahren bewilligt. Auf die Argumente des Rekursgerichts, die damit gewährte „Sozialhilfe“ zur beruflichen Eingliederung (§ 30 NÖ SHG) umfasse einen Zuschuss zu den Kosten für die Berufsorientierung und die berufliche Ausbildung, der Verein zur Berufsintegration biete Hilfe für junge Menschen mit dem Ziel, durch begleitete Praktika langsam in die Arbeitswelt hineinzuwachsen und auch praktische Fertigkeiten zu üben, um ihnen einen guten Start ins Berufsleben zu ermöglichen und damit ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, mit dieser Hilfe werde jedenfalls der allgemeine Unterhaltsbedarf des Sohnes nicht verringert, geht der Vater nicht ein und zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[18] Der Revisionsrekurswerber legt auch nicht näher dar, welches anrechenbare Eigeneinkommen sein Sohn erzielen hätte können, wenn er (welche?) ihm zustehende öffentlich-rechtliche Leistungen beantragt hätte. Mit seiner allgemein gehaltenen Behauptung, dieser hätte solche Leistungen in Anspruch nehmen müssen, zeigt er keine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf.

[19] 6. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[20] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 erster Satz AußStrG. Der volljährige Sohn hat auf die fehlende Zulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, sodass ihm die Kosten seiner Rechtsmittelbeantwortung zustehen. Seine Ausführungen zur Zulassungsvorstellung sind mangels gesetzlicher Grundlage jedoch nicht gesondert zu honorieren. Die Unterhaltsbemessungsgrundlage entspricht gemäß § 9 Abs 3 RATG – auch im vorliegenden Fall einer Unterhaltsverminderung – der einfachen Jahresleistung, hier also (290,69 EUR x 12 =) 3.488,28 EUR. Rückstände haben keinen Einfluss auf die Bemessungsgrundlage (1 Ob 57/16p mwN; RS0121989).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers W***** B*****, vertreten durch Dr. Herbert Rabitsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner R***** P*****, geboren ***** 1998, *****, vertreten durch Dr. Philipp Zöllner und Mag. Stephanie Zöllner, Rechtsanwälte in Mödling, wegen Unterhalts, im Verfahren über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 198/20m-41, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 Fam 78/19i-31, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekursbeantwortung vom wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Nachdem der Antragsgegner bereits am eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet hatte, brachte er am eine weitere ein. Abgesehen davon, dass die zweite Rechtsmittelbeantwortung erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist zur Beantwortung des Revisionsrekurses des Antragstellers überreicht wurde (vgl § 68 Abs 1 und 3 Z 2 AußStrG), steht dem Antragsgegner auch im Außerstreitverfahren nur eine Rechtsmittelgegenschrift zu (vgl RIS-Justiz RS0041666 [T9]).

[2] Die Revisionsrekursbeantwortung vom ist daher zurückzuweisen, zumal das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof bereits mit dem Beschluss vom beendet wurde.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00049.21V.0323.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAD-03495