Sonstiger Bescheid, UFSI vom 07.03.2012, RV/0477-I/10

1) Zulässigkeit endgültiger Bescheide nach unbegründeten (jedoch rechtskräftigen) vorläufigen Bescheiden 2) Liebhaberei bei einem Warenpräsentator


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Miterledigte GZ:
RV/0478-I/10

Entscheidungstext

Bescheid

Der Unabhängige Finanzsenat hat durch die Vorsitzende Dr. Johanna Lanser und die weiteren Mitglieder Dr. Walter Auer, Dr. Reinhold Lexer und Mag. Klaus Schönach über die Berufung des Bw. gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 entschieden:

Die angefochtenen Bescheide und die Berufungsvorentscheidungen werden gemäß § 289 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl Nr. 1961/194 idgF, unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz aufgehoben.

Begründung

1) Im Fragebogen vom teilte der Berufungswerber (Bw.) dem Finanzamt mit, er habe im Jahr 2003 eine Tätigkeit als Warenpräsentator für Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen. Der voraussichtliche Jahresumsatz betrage im Eröffnungsjahr 1.000 € und im Folgejahr 3.000 €. Für das Eröffnungsjahr werde sich ein (nicht näher bezifferter) Verlust ergeben. Die Frage nach dem voraussichtlichen Gewinn des Folgejahres blieb unbeantwortet.

Bei der Gewerbebehörde hatte der Bw. am das freie Gewerbe eines Warenpräsentators angemeldet. Am meldete der Bw. der Gewerbebehörde das Ruhen seines Gewerbes.

2) Am gingen beim Finanzamt die Umsatz- und Einkommensteuererklärungen des Bw. für die Jahre 2003 und 2004 ein. Danach hatten die Umsätze 42,54 € im Jahr 2003 und 47,29 € im Jahr 2004 betragen; die Vorsteuern beliefen sich auf 736,95 € (2003) und 782,07 € (2004). Für beide Jahre wurden Verluste aus Gewerbebetrieb (2003: -5.288,14 €; 2004: -4.243,45 €) erklärt, die mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (2003: 83.346,19 €; 2004: 43.112,65 €) ausgeglichen wurden.

Die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 ergingen am erklärungsgemäß, jedoch gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig. Eine Begründung der Vorläufigkeit enthielten die Bescheide nicht.

3) Am erließ das Finanzamt gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültige Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2003 und 2004, in denen die Tätigkeit des Bw. als Warenpräsentator als Liebhaberei beurteilt wurde. In der Berufung gegen diese Bescheide brachte der Bw. vor, er habe im Jahr 2003 begonnen, das Gewerbe aufzubauen. Er habe in dieser Zeit eine zeitintensive Position als Herstellungsleiter (Anmerkung: beim Pharmaunternehmen X.GmbH) innegehabt. Um mehr Zeit für die Ausübung seines Gewerbes zu haben, habe er Anfang 2004 eine Stelle in einer Apotheke angenommen. Durch die gewonnenen Zeitressourcen sei er zuversichtlich gewesen, dass das Gewerbe Gewinne erbringen werde. Der Bw. habe in Werbung investiert, Fortbildungsveranstaltungen besucht und Verkaufsveranstaltungen durchgeführt, bei denen er potentielle Kunden über A.-Produkte informiert habe. Die Situation in der Apotheke habe sich unerwartet geändert, als der studierende Sohn in das Unternehmen "eingestiegen" sei. In der Folge sei der Bw. gezwungen gewesen, sich eine neue Beschäftigung zu suchen. Er habe eine Stelle in der globalen Qualitätssicherung (Anmerkung: des Pharmaunternehmens X.GmbH) angenommen, die mit einer hohen Reisetätigkeit verbunden gewesen sei. Deshalb habe der Bw. beschlossen, das Gewerbe ruhend zu melden, weil er gemerkt habe, dass "Einiges an Zeitaufwand notwendig" sei, um darin erfolgreich zu sein. Diese unerwarteten Umstände hätten allerdings nichts an der ursprünglichen Absicht des Bw. geändert, mit dem Gewerbe eines Warenpräsentators Gewinne zu erzielen. Umsatzsteuerlich könne Liebhaberei nicht vorliegen, weil der Bw. eine Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO ausgeübt habe.

4) In den abweislichen Berufungsvorentscheidungen hielt das Finanzamt dem Bw. vor, die von ihm getätigten Ausgaben bei seiner nebenberuflichen Tätigkeit als A.-Vertreter seien um ein Vielfaches höher als die erzielten Umsätze. Bei einer Tätigkeit als A.-Vertreter fielen im Allgemeinen hohe Kosten für Schulungen, Seminare, Reisespesen, Vorführwaren und Telefonate an. Unter derartigen Voraussetzungen sei die Tätigkeit eines A.-Vertreters objektiv gesehen nicht geeignet, Gewinne zu erbringen. Die Tätigkeit des Bw. sei vom Finanzamt gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 LVO als Liebhaberei eingestuft worden und stelle somit auch keine unternehmerische Tätigkeit dar.

5) Im Vorlageantrag wendete der steuerliche Vertreter des Bw. (unter Hinweis auf GZ. RV/0146-L/05, sowie Ritz, BAO, 3. Auflage, Tz 11 zu § 200) zunächst ein, § 200 Abs. 2 BAO sei zu Unrecht als Verfahrenstitel für die Neufestsetzung der Abgaben herangezogen worden, weil die Bescheide vom hinsichtlich der Vorläufigkeit keine Begründung enthielten. Sei eine Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO nicht vorgelegen oder im Bescheid nicht bezeichnet worden, stelle § 200 Abs. 2 BAO keine Rechtsgrundlage für eine Endgültigerklärung bzw. für ein Ersetzen des vorläufigen Bescheides durch einen endgültigen Bescheid dar. Weiters treffe die Argumentation des Finanzamtes zum Vorliegen von Liebhaberei bei Verlusten aus Betätigungen gemäß § 1 Abs. 2 LVO auf den Berufungsfall nicht zu. Die Tätigkeit als Warenpräsentator sei, abstrakt gesehen, eine erwerbswirtschaftliche Betätigung und somit eine Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO. Auch wenn sie verlustbringend sei, wandle sich eine solche Betätigung nicht in eine typische Hobbytätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 LVO. Umsatzsteuerlich liege bei einer Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO keine Liebhaberei vor (§ 6 LVO). Ertragsteuerlich seien Verluste im Anlaufzeitraum jedenfalls anzuerkennen (§ 2 Abs. 2 LVO). Es sei keineswegs mit einem vorzeitigen Einstellen der Betätigung zu rechnen gewesen. Wie in der Berufungsschrift bereits dargelegt, habe der Bw. gänzlich unerwartete berufliche Veränderungen durchlebt und seine Tätigkeit als Warenpräsentator aus Gründen, die zu Beginn der Betätigung nicht absehbar gewesen seien, beendet.

6) Gemäß § 200 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde die Abgabe vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist. Wenn die Ungewissheit (Abs. 1) beseitigt ist, ist die vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen (§ 200 Abs. 2 erster Satz BAO). Zwar ist den Bescheiden vom betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2003 und 2004 nicht zu entnehmen, worin nach Ansicht des Finanzamtes die Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO gelegen war. Diese Bescheide sind jedoch in Rechtskraft erwachsen. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer Ungewissheit zur Zeit der Bescheiderlassung auszugehen. Somit kann ein endgültiger Bescheid gemäß § 200 Abs. 2 BAO auch dann ergehen, wenn die Erlassung des vorläufigen Bescheides zu Unrecht erfolgt sein sollte (vgl. aus jüngerer Zeit ; ; ). Der im Vorlageantrag dargelegten, gegenteiligen Ansicht steht die angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen.

7) Gemäß § 1 Abs. 1 der Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993 in der anzuwendenden Fassung (LVO), liegen Einkünfte vor bei einer Betätigung (einer Tätigkeit oder einem Rechtsverhältnis), die durch die Absicht veranlasst ist, einen Gesamtgewinn zu erzielen, und die nicht unter Abs. 2 fällt. Voraussetzung ist, dass die Absicht anhand objektiver Umstände (§ 2 Abs. 1 und 3) nachvollziehbar ist. § 2 Abs. 2 LVO bestimmt, dass innerhalb der ersten drei Kalenderjahre ab Beginn einer Betätigung (zB Eröffnung eines Betriebes) im Sinn des § 1 Abs. 1, längstens jedoch innerhalb der ersten fünf Kalenderjahre ab dem erstmaligen Anfallen von Aufwendungen (Ausgaben) für diese Betätigung, jedenfalls Einkünfte vorliegen (Anlaufzeitraum). Ein Anlaufzeitraum darf nicht angenommen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass die Betätigung vor dem Erzielen eines Gesamtgewinnes beendet wird.

Gemäß § 1 Abs. 2 Z 2 LVO ist Liebhaberei bei einer Betätigung anzunehmen, wenn Verluste aus Tätigkeiten entstehen, die typischerweise auf eine besondere in der Lebensführung begründete Neigung zurückzuführen sind. Bei Betätigungen gemäß § 1 Abs. 2 liegt Liebhaberei dann nicht vor, wenn die Art der Bewirtschaftung oder der Tätigkeit in einem absehbaren Zeitraum einen Gesamtgewinn erwarten lässt (§ 2 Abs. 4 LVO).

Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG 1994 ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Nach § 2 Abs. 5 Z 2 UStG 1994 gilt eine Tätigkeit, die auf Dauer gesehen Gewinne nicht erwarten lässt (Liebhaberei), nicht als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit. Nach § 6 LVO kann Liebhaberei im umsatzsteuerlichen Sinn nur bei Betätigungen im Sinne des § 1 Abs. 2, nicht hingegen bei anderen Betätigungen vorliegen.

8) Gemäß § 289 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde zweiter Instanz eine Berufung durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides (und allfälliger Berufungsvorentscheidungen) unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz erledigen, wenn Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden können.

9) In den Erkenntnissen vom , 96/14/0117 und 96/14/0095, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Tätigkeit eines Privatgeschäftsvermittlers (Warenpräsentators) erwerbswirtschaftlich und nicht typischerweise in der Lebensführung begründet ist. Von Betätigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO ist der Verwaltungsgerichtshof auch in den gleichfalls Warenpräsentatoren betreffenden Erkenntnissen vom , 2005/15/0097, vom , 2006/15/0187, vom , 2008/15/0198, und vom , 2008/13/0052, ausgegangen. Ob der Bw. im Streitzeitraum tatsächlich, wie in der Berufung behauptet wird, den Aufbau einer solchen Betätigung betrieben hat, ist vom Finanzamt nicht festgestellt worden. Zwar hat der Bw. für die Jahre 2003 und 2004 hohe Ausgaben und Vorsteuern geltend gemacht, denen lediglich Bagatellbeträge an Einnahmen gegenüber standen. Dies berechtigte das Finanzamt aber nicht dazu, die behauptete Betätigung (als Warenpräsentator) vorab als Liebhaberei im Sinne des § 1 Abs. 2 LVO einzustufen. Das Finanzamt hätte die eingereichten Abgabenerklärungen vielmehr zum Anlass nehmen müssen, Ermittlungen darüber anzustellen, ob der Bw. erkennbar auf den Aufbau einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung gerichtete Maßnahmen gesetzt hat. Ein bloßes gelegentliches Weitergeben einiger (preisgünstiger) Artikel des täglichen Bedarfs im engen Angehörigen- und Freundeskreis etwa wäre wohl nicht ausreichend, um von einer wirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 UStG 1994) sprechen zu können.

10) Wäre - auf Basis entsprechender Sachverhaltsfeststellungen - von Beginn an damit zu rechnen gewesen, dass der Bw. seine Tätigkeit vor dem Erzielen eines Gesamtgewinnes beenden wird, so müsste ein Anlaufzeitraum selbst bei Vorliegen einer Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 1 LVO versagt werden (siehe nochmals , zu einem Privatgeschäftsvermittler). Dazu ist jedenfalls eine Analyse von Vertriebsstruktur und Preisgestaltungsmöglichkeiten sowie der - belegmäßig nachzuweisenden - Einnahmen und Ausgaben des Bw. notwendig. Das Sachverhaltsvorbringen des Bw. reicht aber auch nicht aus, um im Sinne der Berufung überhaupt eine wirtschaftliche Betätigung als Warenpräsentator bzw. zielstrebige Vorbereitungen für eine solche Tätigkeit als erwiesen anzunehmen. So wird es Sache des Bw. sein, nachvollziehbar darzulegen, von welchen Einnahmen und Ausgaben und welchen zeitlichen Ressourcen er zu Beginn seiner Betätigung - deren genauer Zeitpunkt auch nicht aktenkundig ist - ausging. Ein bloßes "Wunschdenken" ohne entsprechende Plandaten spräche nicht für die ernsthafte Vorbereitung einer (zweiten) Einkunftsquelle. Der Bw. wird weiters Nachweise betreffend die behauptete Fortbildung und Werbung sowie die Verkaufsveranstaltungen zu erbringen und Auskunft über den von ihm angesprochenen Kundenkreis, das Zustandekommen der (geringfügigen) Einnahmen sowie die tatsächlich für seine Nebentätigkeit aufgewendete Zeit zu geben haben. Auffällig ist jedenfalls, dass der Bw. auch nach dem zu Beginn des Jahres 2004 erfolgten Berufswechsel (zu einer Apotheke) keine nennenswerten Einnahmen aus einer nebenberuflichen Tätigkeit als Warenpräsentator aufweisen konnte. Dass er seinen Hauptberuf als Herstellungsleiter beim Pharmaunternehmen X.GmbH nur deshalb aufgegeben haben will, um neben seinem neuen Hauptberuf als Apotheker mehr Zeit für eine Nebentätigkeit aufwenden zu können, aus der er (laut Fragebogen vom ) Jahreseinnahmen von zunächst 1.000 € bzw. im Folgejahr 3.000 € erwartete, erscheint ohnedies wenig glaubwürdig.

11) Eine Ermittlungstätigkeit erstmals vorzunehmen, ist nicht Aufgabe des Unabhängigen Finanzsenates in seiner Funktion als Kontroll- und Rechtsschutzorgan, sondern jene des Finanzamtes. Im Rahmen des durch § 289 Abs. 1 BAO eingeräumten Ermessens werden die angefochtenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide daher aufgehoben und die Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz zurückverwiesen.

Innsbruck, am

Ergeht auch an: Finanzamt als Amtspartei

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 200 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Abs. 1 Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993
§ 1 Abs. 2 Z 2 Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993
§ 6 Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993
Verweise
Anmerkung
hinsichtlich 1) wie RV/0260-I/10 ua.; abweichend RV/0146-L/05 ua.

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at