OGH vom 31.03.2009, 1Ob43/09v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach der am verstorbenen Antonia L*****, zuletzt *****, vertreten durch Mag. Thomas di Vora, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Katharina M*****, vertreten durch Dr. Siegfried Rack und Mag. Gottfried Tazol, Rechtsanwälte in Völkermarkt, wegen Herausgabe (Streitwert 12.100 EUR), in eventu Zahlung von 12.100 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 187/08x-24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 25 Cg 98/07m-18, hinsichtlich des Eventualbegehrens abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 836,28 EUR (darin enthalten 139,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe :
Die Beklagte verwahrte für ihre (in der Folge am verstorbene) Mutter einen Geldbetrag von 12.100 EUR, den sie später auf ein Sparbuch erlegte. In dem 2003 eingeleiteten Verlassenschaftsverfahren wurde der Testamentserbin, einer anderen Tochter der Erblasserin, am die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen. Diese Erbin forderte durch ihren Rechtsvertreter mit Schreiben vom von der Beklagten die Herausgabe des Sparbuchs. Der Vertreter der Beklagten lehnte dies mit Schreiben vom ab, weil der Pflichtteilsanspruch der Beklagten höher sei als das Sparguthaben.
Am (ON 41 des Verlassenschaftsakts) wurde die Errichtung des Inventars und die Absonderung der Verlassenschaft gemäß § 812 ABGB angeordnet; ein Separationskurator wurde bestellt. Anlass war die von einer weiteren Tochter der Erblasserin aufgestellte Behauptung, die Testamentserbin habe 2004 mit Schlägerungsarbeiten auf der Liegenschaft der Erblasserin begonnen.
Am folgte die Beklagte ihrer Schwester (nicht der Testamentserbin) in der Kanzlei des Gerichtskommissärs das Sparbuch aus. Anwesend war der Notarsubstitut des Gerichtskommissärs. Die Übergabe wurde in einem Protokoll festgehalten. Bereits am hatte die Beklagte den Notarsubstituten auf die Verwahrung des Sparbuchs hingewiesen und dessen Kopie übergeben (ON 10 des Verlassenschaftsakts). Anlässlich der Übergabe des Sparbuchs am erklärte die Beklagte, auf ihre Ansprüche aus dem Verlassenschaftsverfahren zu verzichten und diese auf ihre Schwester zu übertragen.
Feststellungen, ob dieses Sparbuch - wie von der Beklagten behauptet - in der Folge an den Gerichtskommissär übergeben wurde, wurden nicht getroffen.
In der am eingebrachten Klage begehrte die klagende Verlassenschaft die - mangels Besitzes rechtskräftig abgewiesene - Herausgabe des Sparbuchs, in eventu die Zahlung von 12.100 EUR sA zu Handen des Separationskurators. Die Beklagte könne sich von ihrer Herausgabepflicht nicht durch die Übergabe des Sparbuchs an Dritte befreien.
Die Beklagte wendete - soweit noch relevant - ein, die Zahlung zu Handen des Separationskurators sei unzulässig, was die Klage unschlüssig mache. Sie habe das Sparbuch, das ihre Schwester ohnehin während des erstinstanzlichen Verfahrens dem Verlassenschaftskurator (aufgrund der namentlichen Bezeichnung eindeutig gemeint Gerichtskommissär) übergeben habe, mit Zustimmung des Gerichtskommissärs und damit auch des Gerichts verwahrt.
Das Erstgericht wies sowohl das Hauptbegehren als auch das - im Revisionsverfahren noch allein strittige - Eventualbegehren ab. Mangels Aufforderung zur Herausgabe durch die Verlassenschaft, den Gerichtskommissär oder das Gericht habe die Beklagte den - vor Klagseinbringung beendeten - Verwahrungsvertrag nicht verletzt.
Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens, gab aber dem Eventualbegehren statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Die Übergabe des Sparbuchs an die Schwester der Beklagten habe den mit der Verlassenschaft aufrecht bestehenden Verwahrungsvertrag nicht beendet. Vertretungsbefugt für den Nachlass sei nicht der Gerichtskommissär, sondern aufgrund der Überlassung der Besorgung und Verwaltung nur die Testamentserbin gewesen, weshalb die Übergabe des Sparbuchs an die Schwester der Beklagten keinen neuen Verwahrungsvertrag zwischen der Verlassenschaft und der nunmehrigen Inhaberin begründet habe. Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zu der Frage, ob der Verwahrer nach einem mit dem Erblasser geschlossenen Verwahrungsvertrag von seiner Rückstellungsverpflichtung befreit werde, wenn der verwahrte Gegenstand (oder dessen Surrogat) im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens des Hinterlegers in den Besitz des Gerichtskommissärs gelange.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Stattgebung des Eventualbegehrens gerichtete Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
2. Auf das vor dem eingeleitete Verlassenschaftsverfahren sind nach § 205 AußStrG neu die Bestimmungen des AußStrG 1854 über das Verlassenschaftsverfahren weiter anzuwenden.
3. Zwischen der Beklagten als Verwahrerin und ihrer Mutter als Hinterlegerin wurde ein Verwahrungsvertrag geschlossen, der nach dem Tod der Hinterlegerin zu Gunsten der Verlassenschaft aufrecht blieb. Die erbserklärte Testamentserbin, der die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses nach § 145 AußStrG 1854, § 810 ABGB aF überlassen wurde, war berechtigt, schon während des Verlassenschaftsverfahrens ohne Befassung des Verlassenschaftsgerichts alle Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung vorzunehmen und den Nachlass bei allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten zu vertreten (5 Ob 108/08f mwN; Welser in Rummel³ § 810 ABGB Rz 13). Sie war daher dazu befugt, im Namen der Verlassenschaft von der Beklagten unabhängig von einer allenfalls vereinbarten (hier nicht festgestellten) Verwahrungszeit jederzeit (Schubert in Rummel³ § 962 ABGB Rz 1; Griss in KBB² §§ 962 - 963 ABGB Rz 1) die Herausgabe des verwahrten Gegenstands (bzw dessen Surrogats in Form des Sparbuchs) zu verlangen (RIS-Justiz RS0008178). Die Herausgabeklage scheiterte daran, dass die Beklagte schon zum Zeitpunkt der Klagszustellung das Sparbuch weitergegeben hatte (RIS-Justiz RS0004645; Eccher in KBB² § 369 ABGB Rz 2). Zu prüfen bleibt die Berechtigung des Evenutalbegehrens.
4. § 368 EO begründet keinen eigenen materiellrechtlichen Anspruch, sondern setzt das Bestehen eines Anspruchs voraus (RIS-Justiz RS0004748; RS0004674). Grundlage ist hier der Anspruch des Eigentümers und Hinterlegers auf Herausgabe des verwahrten Guts (vgl 6 Ob 139/00k). Die Beklagte war nicht berechtigt, das verwahrte Gut unter Hinweis auf Pflichtteilsansprüche zurückzubehalten (§ 1440 Satz 2 ABGB). Mit der im Juni 2005 (vor Klagseinbringung) ausgesprochenen Weigerung der Beklagten, der Forderung der Testamentserbin nachzukommen, hat sie ihre Pflicht zur Herausgabe des verwahrten Guts (bzw dessen Surrogats) schuldhaft verletzt. Ab diesem Zeitpunkt war die Verlassenschaft berechtigt, das Wahlrecht des Gläubigers auszuüben und anstelle des Anspruchs auf Erfüllung (Herausgabe) das Interesse zu fordern (6 Ob 139/00k; 2 Ob 274/01k; 7 Ob 50/06p mwN). Im konkreten Fall hat sie dieses Interesse als Eventualbegehren zu dem Hauptbegehren auf Herausgabe geltend gemacht, was zulässig war (vgl 1 Ob 891/51 = SZ 24/344). Aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des Hauptbegehrens steht fest, dass der Erfüllungsanspruch mangels Innehabung schon zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage nicht berechtigt war. Das Recht der Klägerin, anstelle der Erfüllung den Ersatz des Interesses zu fordern, hätte zu diesem Zeitpunkt nur dann nicht aufrecht bestanden, wenn der Hauptanspruch bereits durch Erfüllung erloschen gewesen wäre. Damit ist nur relevant, ob die Übergabe des Sparbuchs am den Herausgabeanspruch erfüllt hat, nicht aber eine während des erstinstanzlichen Verfahrens (laut Revision am ) erfolgte Weiterleitung an den Gerichtskommissär.
5. Die am angeordnete Nachlassseparation (§ 812 ABGB) führte zur Verpflichtung des Gerichts, das Verlassenschaftsvermögen sicherzustellen („Versiegelung" im Sinn der §§ 43, 44 AußStrG 1854). Zu dem zu sichernden Nachlassvermögen gehörte auch das Sparguthaben (1 Ob 2309/96g = SZ 70/46). Im Fall der Versiegelung waren nach § 45 Satz 1 AußStrG 1854 unter anderem Sparbücher (Einlagebücher) mit einem Einlagestand von über 1.000 EUR bei Gericht zu erlegen und nicht mehr im Sinn des § 43 Satz 1 AußStrG 1854 bei den Erben zu belassen. Die Vornahme dieser Sicherungsmaßnahme oblag dem Gerichtskommissär (10 Ob 138/99p = RIS-Justiz RS0059328). Bei Besorgung dieser Sicherungsmaßnahme handelte der Notar als Organ des Gerichts (vgl § 1 Abs 3 GKoärG idF vor dem AußStrG neu).
6. Die - hier nicht anzuwendende - Rechtslage nach dem AußStrG neu bietet dem Gerichtskommissär mehr Spielraum bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen. Eine zwingende Verpflichtung zur Hinterlegung von unter anderem Sparbüchern mit einem Einlagestand von mehr als 1.000 EUR ist nicht mehr vorgesehen. § 147 AußStrG neu überlässt dem Gerichtskommissär die Anordnung geeigneter Sicherungsmaßnahmen. In Betracht kommt nach Abs 2 insbesondere die Verwahrung beim Gerichtskommissär oder einem (dritten) Verwahrer. Im letzteren Fall wird zwischen der Verlassenschaft, vertreten durch den Gerichtskommissär, und dem Verwahrer ein privatrechtlicher Verwahrungsvertrag geschlossen (ErlRV 224 BlgNR 21. GP 96; Fucik/Kloiber, AußStrG § 147 Rz 2). Diese Möglichkeit bestand nach der alten Rechtslage eben nicht. Die vom Vertreter des Gerichtskommissärs gebilligte Übergabe des Sparbuchs am begründete daher keinen neuen Verwahrungsvertrag zwischen der Schwester der Beklagten und der Verlassenschaft, weshalb diese Übergabe die Beklagte nicht von ihrer Herausgabepflicht aus dem nach wie vor bestehenden Verwahrungsvertrag befreien konnte.
7. Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ist das Eventualbegehren nicht unschlüssig. Die vermisste Bemessung der Höhe des Schadens ist nicht notwendig, weil der geforderte Betrag der Höhe des übergebenen Betrags bzw der Einlage des Sparbuchs entspricht. Die geforderte Zahlung an den Separationskurator berücksichtigt den Zweck einer bewilligten Nachlassseparation: Sämtliche Gefahren, die sich aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt der Erben ergeben, insbesondere die Vermengung der Nachlassaktiva mit dem Vermögen des Erben, sollen verhindert werden (Sailer in KBB² § 812 ABGB Rz 2; 8 Ob 27/01f). Die Nachlassseparation beseitigt aber nicht die Legitimation der Testamentserbin, zur Vermehrung des Nachlasses eine Forderung im Namen der Verlassenschaft geltend zu machen (2 Ob 103/98f = SZ 71/73). Diese Legitimation der erbserklärten Erbin bestreitet die Revisionswerberin auch nicht mehr.
8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.