zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 27.03.2014, 1Ob41/14g

OGH vom 27.03.2014, 1Ob41/14g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. R***** K*****, vertreten durch Mag. Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien 20, Webergasse 4, 3. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, St. Pölten, Kremser Landstraße 3, 4. Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Niederösterreich, St. Pölten, Kremser Landstraße 5, alle vertreten durch Dr. Harald Kirchlechner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. T***** T 2. F***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Alois Autherith, Mag. Rainer Samek, Rechtsanwälte in Krems, 3. M***** E*****, 4. T***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Manfred Ainedter, Mag. Klaus Ainedter, Rechtsanwälte in Wien, 5. J***** W*****, 6. A***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Christoph Brenner, Mag. Severin Perschl, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wegen 1.) 122.159,76 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR) [zu 3 Cg 17/12f und zu 3 Cg 104/12z], 2.) 183.254,22 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), 3.) 272.887,15 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), 4.) 17.615,82 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR) [jeweils zu 6 Cg 163/12y], über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 194/13d 57, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom , GZ 3 Cg 17/12f 46, 3 Cg 104/12z und 6 Cg 163/12y, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. Das Gerüst auf der Baustelle wurde vom Fünftbeklagten gemeinsam mit weiteren Mitarbeitern der Sechstbeklagten ohne Verständigung der übrigen auf der Baustelle Beschäftigten aufgestockt. Diese Aufstockung war insofern nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden, als keine Seitenwehren hergestellt wurden und auch die Fußwehr fehlte. Obwohl der Erstkläger für die von ihm durchgeführten Dachdeckerarbeiten das Gerüst nicht benötigte und die allgemeine Anweisung bestand, dass die Baustelle nur über einen Stiegenturm betreten werden darf, stieg er aus einem nicht feststellbaren Grund vom Dach über die Schutzwehr auf die Plattform der Aufstockung. Als er dabei mit seinem Gewicht die äußere Brustwehr der Plattform belastete, drehte sich diese wegen nicht ausreichender Verankerung nach außen, was zu einem Absturz des Erstklägers führte. Zum Nachgeben der Brustwehr war es deshalb gekommen, weil ein Unbekannter diese am Vormittag des Unfalltags (unbemerkt) ausgehängt hatte. Wäre die Aufstockung in jenem Zustand verblieben, den der Fünftbeklagte hergestellt hatte, hätte die Brustwehr einem Anlehnen standgehalten.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Kläger begründen ihre erhobenen Schadenersatzansprüche mit der Verletzung eines Schutzgesetzes durch die Beklagten, nämlich einem Verstoß gegen § 60 Abs 7 BauV (BGBl 1994/340 idgF). Danach dürfen Gerüste weder unvollständig errichtet noch teilweise abgetragen und so belassen werden, dass eine Verwendung derselben möglich ist, wenn der bereits aufgestellte oder noch stehenbleibende Teil den Anforderungen an Gerüste nicht voll entspricht.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerber wird den für das Gerüst Verantwortlichen damit keineswegs die Verpflichtung auferlegt, ein solches „unvollständig errichtetes“ Gerüst bzw einen unvollständigen Teil davon abzubauen. Wie die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben, kann den durch die Unvollständigkeit hervorgerufenen Gefahren auch dadurch begegnet werden, dass die Unvollständigkeit saniert und das Gerüst in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt wird. Dies wäre im vorliegenden Fall durch Anbringen der Seiten und Fußwehren möglich gewesen.

3. Die Revisionswerber ziehen die Auffassung der Vorinstanzen nicht in Zweifel, dass die Manipulation, die zum Unfall geführt hat, auch bei einem von vornherein ordnungsgemäßen Gerüst bzw einer nachträglich sanierten Aufstockung möglich gewesen wäre. Ihre Behauptung, das unveränderte Belassen der nicht ordnungsgemäßen Aufstockung sei geradezu eine Einladung für andere Professionisten gewesen, weitere Manipulationen, etwa durch Aushängen und bloßes Anlehnen der Brust und Mittelwehr dieses hat ja letztlich zum Unfall geführt vorzunehmen, ist nicht nachvollziehbar und wird auch nicht näher erklärt. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, warum andere Professionisten ein Interesse daran gehabt haben könnten, das aufgestockte Gerüst in diesem Sinne zu verändern, wird mit diesem Vorbringen nicht einmal eine rechtswidrige Gefahrenerhöhung behauptet, wäre eine solche Manipulation ja ebenso bei einem vollständigen und ordnungsgemäß errichteten Gerüst möglich gewesen.

Die Vorinstanzen haben den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Fehlverhalten der für das Gerüst Verantwortlichen und dem Unfall mit dem Argument verneint, dass sich nicht jene Gefahr verwirklicht habe, die durch die Fehlerhaftigkeit der Aufstockung begründet worden war. Das Fehlen von Fußwehr und Seitenwehren habe auf den Unfall keinen Einfluss gehabt; Brust und Mittelwehr seien ordnungsgemäß hergestellt worden und hätten ohne die Manipulation Dritter dem Gewicht des Klägers standgehalten. In dieser Rechtsauffassung kann eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste, nicht gesehen werden. Das dargelegte Schutzgesetz soll ersichtlich gerade jene Unfälle verhindern, die auf die Unvollständigkeit eines Gerüsts zurückzuführen sind, wogegen der vorliegende Unfall mit den fehlenden Sicherungen durch Fußwehr und Seitenwehren nichts zu tun hatte.

Mit ihren allgemeinen Erwägungen, der Schutzzweck der Norm dürfe nicht zu eng verstanden werden und der Unfall wäre unterblieben, wenn die gesamte Aufstockung gar nicht vorgenommen oder rechtzeitig entfernt worden wäre, entfernen sich die Revisionswerber von der Argumentation des Berufungsgerichts, die sie damit auch nicht erschüttern können. Die Auffassung, es mangle am Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil der Unfall auch geschehen wäre, wenn die Aufstockung ordnungsgemäß vorgenommen worden wäre, ist nicht zu beanstanden, hat sich dann eben das konkrete in der unvollständigen Absicherung liegende Risiko, das durch § 60 Abs 7 BauV verhindert werden soll, gar nicht verwirklicht (vgl nur RIS Justiz RS0022933; RS0027553 ua). Scheitert eine Haftung bereits am Rechtswidrigkeitszusammenhang, kommt es auf Fragen der Adäquanz nicht an.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).