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OGH vom 11.06.2002, 1Ob38/02y

OGH vom 11.06.2002, 1Ob38/02y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Max S*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 37 R 30/01s-95, womit infolge Rekurses des Bundes der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 2 P 53/96p-88, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 2 P 53/96p-88, und des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 37 R 30/01s-95, wirkungslos sind, soweit die dem Minderjährigen für den Zeitraum vom bis zum zuerkannten Unterhaltsvorschüsse 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich übersteigen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom - kundgemacht am - wurde über das Vermögen des Vaters der Konkurs eröffnet. Bereits mit Beschluss vom hatte das Landesgericht St. Pölten als Rekursgericht u. a. den einstweiligen Unterhalt des Minderjährigen Max, geboren am , mit 6.075 S monatlich ab festgesetzt (ON 33). Auf dessen Grundlage beantragte der Minderjährige am Unterhaltsvorschüsse von 6.075 S monatlich gemäß § 3 und § 4 Z 1 UVG. Er brachte vor, dass exekutive Maßnahmen gegen den Vater als Unterhaltsschuldner wegen des anhängigen Insolvenzverfahrens aussichtslos seien.

Das Erstgericht erkannte dem Minderjährigen mit Beschluss vom antragsgemäß 6.075 S (= 441,49 EUR) monatlich vom bis zum an Unterhaltsvorschüssen zu. Nach Zustellung dieses Beschlusses, aber noch vor Ergehen der zweitinstanzlichen Entscheidung über den am zur Post gegebenen Rekurs des Bundes (ON 90) schränkte der Minderjährige das Vorschussbegehren im Schriftsatz vom (Einlangen) auf 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich ab ein (ON 92).

Das Rekursgericht setzte die Unterhaltsvorschüsse auf 4.000 S monatlich herab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Nach dessen Ansicht trat mit Konkurseröffnung über das väterliche Vermögen "eine ganz augenfällige Verminderung" der Leistungsfähigkeit des Vaters ein. Darauf sei schon im Bewilligungsverfahren Bedacht zu nehmen. Daher seien Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG wegen begründeter Bedenken am Weiterbestehen der bisherigen Unterhaltspflicht nicht mehr in titelgemäßer Höhe zu gewähren. Der Vater sei ab Konkurseröffnung außerstande, das Vermögen seines Unternehmens durch Privatentnahmen zu belasten. Der bevorschusste Unterhaltstitel beruhe überwiegend auf hohen Privatentnahmen, obgleich das tatsächliche Einkommen des Vaters 1993 und 1995 "negativ gewesen" sei und die Privatentnahmen bloß 1994 überstiegen habe. Der Vater habe auch 1996 bis 1998 "durchwegs Verluste gemacht, sich durch hohe Privatentnahmen aber einen bequemen Lebensstandard verschafft". Selbst bei Weiterführung des Unternehmens im Konkurs dienten alle künftigen Einkünfte der Gläubigerbefriedigung. Es sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich die Leistungsfähigkeit des Vaters durch den Entfall der Möglichkeit, Privatentnahmen zu tätigen, "entscheidend verschlechtert" habe. Diese Beurteilung stütze sich nicht nur auf objektiv gerechtfertigte Zweifel, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für eine (teilweise) Versagung von Unterhaltsvorschüssen nicht genügten. Eine Kürzung der Vorschüsse auf 2.800 S monatlich komme allerdings nicht in Betracht. Mangels gegenteiliger aktenkundiger Tatsachen sei von der Arbeitsfähigkeit des 36-jährigen Vaters auszugehen. Er könne nach seinem Scheitern als Unternehmer aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zumindest ein durchschnittliches Einkommen erzielen. Auf dieser Basis wäre er aber in der Lage, seinen Sohn Max in der Höhe des Regelbedarfs gleichaltriger Kinder von 3.962,97 S (= 288 EUR) monatlich zu alimentieren. Gegen das Weiterbestehen der väterlichen Unterhaltspflicht bis zu einem gerundeten Betrag von 4.000 S (= 290,69 EUR) monatlich bestünden somit keine Bedenken. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht "im Sinne einer Ausnahme von der Regel", wonach die Konkurseröffnung über das Vermögen des Unterhaltsschuldners keinen Einfluss auf danach fällig werdende Unterhaltsansprüche habe, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.

Der Oberste Gerichtshof ermöglichte dem Minderjährigen, eine Äußerung zum Revisionsrekurs des Bundes binnen 14 Tagen. Eine solche Äußerung ist nicht eingelangt. Aus Anlass des Revisionsrekurses des Bundes ist die Wirkungslosigkeit der Beschlüsse der Vorinstanzen im spruchgemäßen Umfang auszusprechen.

1. Konkurseröffnung über das Vermögen des Unterhaltsschuldners

Rechtliche Beurteilung

1. 1. Der erkennende Senat sprach in der Entscheidung 1 Ob 191/01x aus, dass der in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vertretenen Ansicht, dem Unterhaltsschuldner sei es ohne weiteres zumutbar, auch nach Konkurseröffnung über sein Vermögen weiterhin das Einkommen zu erzielen, das er schon vorher gehabt habe, - gerade nach den für eine Anspannung maßgebenden Grundsätzen - nicht beizutreten sei.

Müsse in Auslegung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zufolge nach der Sachlage (nur) eine "hohe Wahrscheinlichkeit" vorliegen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe oder der Leistungspflicht des Schuldners nicht mehr entspreche, so setze eine Herabsetzung bzw die Einstellung gewährter Unterhaltsvorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG iVm § 19 Abs 1 bzw § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG nicht jedenfalls ein Ermittlungsverfahren zur Feststellung von Tatsachen über die aktuelle Leistungsfähigkeit des Schuldners und die Arbeitsmarktlage wie in einem Titelverfahren voraus. "Begründete Bedenken" nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dahin, dass die titulierte Unterhaltsschuld von der gesetzlichen Unterhaltspflicht zufolge einer wesentlichen Änderung der Umstände abweiche, könnten nach der Aktenlage auch ohne die Ergebnisse eines solchen Ermittlungsverfahrens bestehen, weil derartige Bedenken schon allein durch die Tatsache der Konkurseröffnung über das Vermögen des Unterhaltsschuldners erweckt werden könnten. Umgekehrt sei aber auch nach Konkurseröffnung eine nach typischen - also für den Regelfall geltenden - Voraussetzungen beurteilbare Sachlage denkbar, bei der "begründete Bedenken" gegen das gänzliche bzw teilweise Weiterbestehen der titulierten Unterhaltsschuld nach materiellrechtlichen Kriterien im Allgemeinen (noch) nicht aufgeworfen würden. Demnach sei, solange der Akteninhalt nichts Gegenteiliges nahelege, zu unterstellen, dass einem Unternehmer, über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden sei, wie jedem anderen der allgemeine Arbeitsmarkt offen stehe, soweit dessen Arbeitskraft nicht mehr notwendigerweise im Unternehmen gebunden sei. Es sei ferner anzunehmen, dass ein solcher Arbeitssuchender eine Beschäftigung im Regelfall zumindest als Arbeiter finden und damit ein solches Nettoeinkommen erzielen könne, das dem mittleren Einkommen von Arbeitern in Österreich entspreche. Das mittlere Jahresnettoeinkommen eines Arbeiters habe 1999 aufgrund der jüngsten verfügbaren Statistik nach dem als Durchschnittswert berechneten "Median" 202.988 S betragen, was einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 16.915,66 S entspreche. Von dieser Zahl könne als Richtwert und Berechnungsgrundlage bis zum Vorliegen einer neueren Statistik auch in den Folgejahren ausgegangen werden, weil insoweit geringfügige statistische Schwankungen im Jahresabstand zu vernachlässigen seien.

Eine solcherart objektivierte Beurteilung der Verdienstmöglichkeiten des Titelschuldners nach Konkurseröffnung über dessen Vermögen auf niedrigem Niveau überfordere den Rechtsträger, der die Unterhaltsvorschüsse zu finanzieren habe, nicht, solle doch § 7 Abs 1 UVG nur der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen. Diesem Gesetzeszweck trage auch die erläuterte Betrachtungsweise Rechnung.

Erziele der Gemeinschuldner eigenes Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, so falle das nur eine bescheidene Lebensführung ermöglichende Existenzminimum gar nicht in die Konkursmasse, in die jedoch das den unpfändbaren Freibetrag übersteigende Nettoeinkommen einzubeziehen sei. Die Tilgung von Unterhaltsschulden sei daher nur aus der jeweiligen Differenz der Existenzminima nach § 291b Abs 2 EO und § 291a EO möglich, also aus jener Einkommensportion, die dem Zugriff der Unterhaltsgläubiger vorbehalten sei, habe doch der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch auf Gewährung des laufenden Unterhalts aus der Konkursmasse. Die Unterhaltsansprüche für die Zeit nach der Konkurseröffnung seien auch nicht Konkursforderungen.

1. 2. Dem angefochtenen Beschluss liegt im Kern bereits jene Ansicht zugrunde, von der sich der erkennende Senats in der unter 1. 1. referierten Entscheidung leiten ließ. An diesen Erwägungen ist festzuhalten. Hier ist jedoch aus den noch auszuführenden Gründen nicht zu beurteilen, welche Unterhaltsvorschüsse dem Minderjährigen nach den Leitlinien der Entscheidung 1 Ob 191/01x zu gewähren wären.

2. Einschränkung des Vorschussbegehrens

2. 1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Klageeinschränkung im Zivilprozess in analoger Anwendung des § 483 Abs 3 ZPO auch noch im Rechtsmittelverfahren möglich (7 Ob 279/01g; EvBl 1992/149), ohne dass diese Prozesshandlung an die Voraussetzungen der Klagezurücknahme gebunden wäre (EvBl 1992/149). Soweit Kodek (in Rechberger, ZPO² § 483 Rz 4) begründungslos bezweifelt, ob diese Ansicht "den Interessen des Beklagten gerecht" werde, ist ihm der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 279/01g nicht gefolgt, wird er doch dort - offenkundig in Ermangelung begründeter Zweifel - als Vertreter der die Zulässigkeit der Klageeinschränkung im Rechtsmittelverfahren befürwortenden Lehre zitiert. Der erkennende Senat erläuterte bereits in der die Zurückziehung eines Antrags auf Unterhaltserhöhung betreffenden Entscheidung 1 Ob 270/00p, dass die sinngemäße Anwendung des § 483 Abs 3 ZPO im Verfahren außer Streitsachen geboten und auch im Revisionsrekursverfahren anzuwenden sei. Daran ist festzuhalten. Was aber für die Antragszurückziehung gilt, muss in gleicher Weise für die Einschränkung eines im Verfahren außer Streitsachen zu verfolgenden Begehrens im Zuge des Rechtsmittelverfahrens gelten, weil § 483 Abs 3 ZPO - wie im Zivilprozess - auch insoweit als Analogiegrundlage heranzuziehen ist.

2. 2. Der Minderjährige schränkte sein Vorschussbegehren im Schriftsatz vom auf 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich ab ein. In diesem Zeitpunkt war der Rekurs des Bundes gegen die vom Erstgericht zuerkannten Beträge bereits anhängig. Darin bekämpfte der Bund den Zuspruch nur soweit, als die Unterhaltsvorschüsse 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich übersteigen. Der angefochtene Beschluss erwuchs daher im Umfang von 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich ab in Rechtskraft.

Das Rekursgericht nahm bei seiner Entscheidung auf die Einschränkung des Vorschussbegehrens nicht Bedacht. Im Lichte der unter 2. 1. erörterten Rechtslage hätte diese Einschränkung jedoch zum Anlass genommen werden müssen, die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Beschlusses, soweit damit 2.800 S (= 203,48 EUR) übersteigende monatliche Vorschüsse ab zuerkannt wurden, festzustellen. Dieser Ausspruch ist aus Anlass des gemäß § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG zugelassenen Revisionsrekurses nachzuholen. Ein solcher Ausspruch ist aber auch auf die zweitinstanzliche Entscheidung zu beziehen, weil das Rekursgericht dem Minderjährigen ebenso noch Vorschüsse zubilligte, die 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich ab übersteigen. Nach allen bisherigen Erwägungen ist somit auf die im Revisionsrekurs für die Herabsetzung der gewährten Unterhaltsvorschüsse auf 2.800 S (= 203,48 EUR) monatlich ab ins Treffen geführten Sachargumente nicht einzugehen, sondern spruchgemäß zu entscheiden. Soweit sich durch die teilweise Wirkungslosigkeit der Sachentscheidungen der Vorinstanzen auch die Pauschalgebühr nach § 24 UVG, für die nur der Unterhaltsschuldner zahlungspflichtig ist, ändert, wird das Erstgericht die nach § 13 Abs 1 Z 6 UVG erforderliche (modifizierte) Zahlungsanordnung zu treffen haben.