Keine sachliche Unbilligkeit im Falle einer Fahrzeugeinzelbesteuerung, wenn nachträglich keine Umsatzsteuerbefreiung im anderen Mitgliedstaat mehr gewährt wird
Rechtssätze
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RV/0475-I/11-RS1 | Es liegt keine sachliche Unbilligkeit vor, wenn im Rahmen der Fahrzeugeinzelbesteuerung die Umsatzsteuer für den Erwerb eines neuen Fahrzeuges durch eine Person mit gewöhnlichem Wohnsitz im Inland festgesetzt wird, das im anderen Mitgliedstaat zum Verkehr zugelassen worden ist, wenn dieser Mitgliedstaat nachträglich keine Befreiung von Umsatzsteuer mehr gewährt. |
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, Adr, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Nachsicht gemäß § 236 BAO entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Mit Eingabe vom beantragte der Berufungswerber (im Folgenden kurz als Bw bezeichnet) die Nachsicht der mit Bescheid vom (zugestellt am ) vorgeschriebenen Umsatzsteuer für den Erwerb des Fahrzeuges der Marke Skoda Fabia, Fahrgestell-Nr. xxxxxnnxnxnnnnnnn, in Höhe von € 2.080,00.
Begründend brachte der Bw vor, dass er das Fahrzeug im September 2009 in Italien erworben habe und dabei vom Händler auch die italienische Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden sei. Da er das Fahrzeug zumindest gelegentlich auch in Italien verwende, sei er als italienischer Staatsbürger davon ausgegangen, dass alles in Ordnung sei. Nach Vorschreibung der österreichischen Umsatzsteuer habe er mit dem italienischen Finanzamt Kontakt aufgenommen, dort jedoch die Auskunft erhalten, dass eine Rückerstattung der italienischen Umsatzsteuer nicht mehr möglich sei.
Im Ergebnis sei er somit doppelt mit der Umsatzsteuer belastet. Seines Erachtens sei ein solches Ergebnis unbillig und würde zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führen. Es liege eine besondere Härte im Einzelfall vor, weil jeder andere Käufer eines PKW ja nur einmal mit der Umsatzsteuer belastet sei. Dies würde zu einer völlig untypischen, viel höheren als der eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigten Steuerbelastung führen.
Er wisse, dass er sich gleich von Anfang an besser erkundigen hätte müssen und so eventuell die italienische Umsatzsteuer vermieden werden hätte können. Es handle sich dabei aber um ein Versehen, dass auch einem gewissenhaften Menschen einmal passieren könne. Zu dieser Zeit sei auch seine erste Tochter zur Welt gekommen und es sei viel zu organisieren gewesen. Es hätte auch sein können, dass die Familie bald wieder nach Italien ziehen würde. So habe er gedacht, dass sich in Österreich keine steuerlichen Folgen ergäben.
Sollte eine gänzliche Nachsicht nicht möglich sein, beantrage er eine teilweise Nachsicht um ¾ oder um die Hälfte. Er habe sich in seinem ganzen Leben bisher immer zu 100% "steuerehrlich" verhalten, immer rechtzeitig bezahlt und alles beigebracht. Dies solle bei der Entscheidung berücksichtigt werden.
Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab. Es liege keine sachliche Unbilligkeit vor. Aufgrund der Rechtslage gelte bei Lieferungen von neuen Fahrzeugen ausschließlich das Bestimmungslandprinzip. Demzufolge stehe Österreich das alleinige Besteuerungsrecht zu. Die Belastung des Fahrzeugkaufes mit österreichischer Umsatzsteuer sei daher ein offenbar vom Gesetzgeber beabsichtigtes Ergebnis. Es sei zwar eine vom Gemeinschaftsrecht nicht beabsichtigte Doppelbelastung eingetreten, diese wäre aber in einem allfälligen Verfahren vor den italienischen Behörden geltend zu machen gewesen.
Dagegen richtet sich die nach Verlängerung der Frist am erhobenen Berufung.
Das Finanzamt habe die von ihm vorgebrachen Argumente nicht entkräften können. Die einfache Schlussfolgerung des Finanzamtes, dass Österreich das alleinige Besteuerungsrecht habe und die Belastung mit der österreichischen Umsatzsteuer ein vom Gesetzgeber beabsichtigtes Ergebnis darstelle, sei nicht gerechtfertigt.
Im konkreten Fall müssten die Vorgeschichte und die konkreten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden, nämlich, dass das Fahrzeug bereits 2009 mit italienischer Umsatzsteuer belastet worden sei.
Streng nach dem Gesetzeswortlaut könne Österreich wohl auch in einem solchen Fall nochmals die Umsatzsteuer erheben, doch genau für einen solches, in Summe wohl unbeabsichtigtes Ergebnis sei die Möglichkeit vorgesehen, Nachsicht zu gewähren. Es liege sachliche Unbilligkeit vor, wenn innerhalb der EU für einen "Konsum" zweimal die Umsatzsteuer anfallen würde.
Nach der Rechtsprechung des VwGH sei "Zweck der Bestimmung des § 236 BAO in jenen Fällen, in denen die Einhebung einer Abgabe nach der Lage des Einzelfalles unbillig sei, die Strenge des Gesetzes nach Ermessen der Behörde durch Billigkeitsmaßnahmen zu mildern" Genau das treffe auf ihn zu. Streng nach dem Gesetz könne Österreich die Umsatzsteuer einheben, doch wäre das im konkreten Einzelfall unbillig. Der VwGH erwähne auch ausdrücklich einen solchen Fall einer Doppelbesteuerung: "Eine sachliche Unbilligkeit kann vorliegen, wenn eine vom Gesetz objektiv nicht gewollte Doppelbesteuerung eintritt; dies wäre etwa der Fall, wenn derselbe Vorgang der Gesellschaftssteuer und der Umsatzsteuer unterworfen wird." Im vorliegenden Fall wäre derselbe Vorgang zweimal der Umsatzsteuer unterworfen.
Im Weiteren weist der Bw nochmals auf die Unmöglichkeit der USt-Rückvergütung in Italien hin und bringt in Bezug auf das von der Behörde zu übende Ermessen vor, dass er seit vielen Jahren seinen Hauptwohnsitz in Österreich habe, hier berufstätig sei und hier auch seine Abgaben leiste. Er würde es schon als "Verpflichtung/Aufgabe" Österreichs ansehen, diese unbeabsichtigte Doppelbesteuerung durch eine (teilweise) Nachsicht zu mildern.
Über die Berufung wurde erwogen:
Nach § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles kann eine persönliche oder sachliche sein und ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für das in § 236 BAO vorgesehene Ermessen.
Der Bw sieht in der Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb seines Fahrzeuges gemäß Art. 1 Abs. 7 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) eine sachliche Unbilligkeit darin, dass das von ihm im Jahr 2009 in Italien erworbene Fahrzeug auch mit der italienischen Umsatzsteuer belastet sei. Eine persönliche Unbilligkeit wird nicht behauptet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine sachliche Billigkeit anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat (vgl. zB ).
Mit dem Argument, dass die italienische Umsatzsteuer nachträglich nicht mehr zurückerstattet wird, vermag der Bw das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit der Erwerbsbesteuerung in Österreich nicht aufzuzeigen.
Der Erwerb eines neuen Fahrzeuges unterliegt unabhängig davon, ob im anderen EU-Mitgliedstaat die Umsatzsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch genommen oder gewährt wird, der Umsatzsteuer (Erwerbsteuer). Weder der MehrwertsteuersystemRL 2006/112/EG vom noch dem Umsatzsteuergesetz 1994 ist zu entnehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann eine Erwerbsbesteuerung vorgenommen werden solle, wenn tatsächlich die Steuerbefreiung in Anspruch genommen bzw. gewährt wird. Hinzu kommt, dass es im vorliegenden Fall der Bw in der Hand gehabt hätte, die Steuerbefreiung anlässlich des Kaufes in Anspruch zu nehmen. Es war die freie Entscheidung des Bw, den Kauf des Fahrzeuges in Italien nicht als innergemeinschaftliche Lieferung zu tätigen und es auch in Italien zum Verkehr zuzulassen. Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf, der vom Bw nicht beeinflusst werden konnte, liegt daher nicht vor.
Im Ergebnis ist die Festsetzung der Umsatzsteuer im gegenständlichen Fall nur die Auswirkung einer generellen Norm, die jeden anderen in der gleichen Situation in gleicher Weise trifft.
Aus diesem Grund ist für den Bw auch nichts mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des VwGH zu gewinnen, wonach eine Unbilligkeit vorliegen könne, wenn eine vom Gesetz objektiv nicht gewollte Doppelbesteuerung eintritt (). In diesem Zusammenhang handelte es sich um einen Fall, in dem für ein und denselben Vorgang rechtskräftig, aber wohl aufgrund eines Rechtsirrtums, weshalb keine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig war, Gesellschaftssteuer und Umsatzsteuer vorgeschrieben worden ist, was vom Gesetzgeber objektiv nicht gewollt ist.
Hier handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Vorgänge, nämlich einmal um einen Inlandsverkauf in Italien, der zwar bei Vorliegen der Voraussetzungen und entsprechender Abwicklung als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei behandelt werden hätte können, und einem innergemeinschaftlichen Erwerb eines neuen Fahrzeuges im Inland, welcher (jedenfalls) der österreichischen Umsatzsteuer unterliegt.
Mangels Vorliegens einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Einhebung bleibt für eine Ermessensentscheidung deshalb kein Raum. Das diesbezügliche Vorbringen geht daher ins Leere.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen | § 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Art. 1 Abs. 7 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at