Zurückweisung wegen bereits entschiedener Sache
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, SP., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten, vom betreffend Zurückweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum August 2003 bis April 2004 für die Kinder A. und B. entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Am brachte der Bw. einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für seine beiden Kinder A., geb. 1999, und B., geb. 2003, beim Finanzamt Lilienfeld St. Pölten ein. Beigelegt wurde eine schriftliche Ausfertigung des am mündlich verkündeten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom mit dem dem Bw., seiner Gattin und seinen drei Kindern A., B. und CF. geb. 2005, gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt wurde. Gemäß § 12 leg.cit. wurde in dem Bescheid festgestellt, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dieser Bescheid erging auf Grund einer Berufung vom gegen vom Bundesasylamt abgewiesene Asylanträge vom und .
Das Finanzamt erließ einen Bescheid, mit dem der Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Kinder A., und B., vom 08/2003-04/2004 abgewiesen wurde.
Begründend wurde ausgeführt, dass maßgebend für die Gewährung der Familienbeihilfe für Kinder von Flüchtlingen das Datum des letzten, das Asylverfahren positiv abschließenden Bescheides sei. Ergeht dieser Bescheid vor dem bzw. am (Datum der Kundmachung der neuen "Flüchtlingsregelung" des § 3 Abs.2 FLAG 1967), sei die "alte" Rechtslage anzuwenden; ergehe er nach dem , gelte die neue Rechtslage.
Gegen den Bescheid brachte der Bw. Berufung mit der Begründung ein, dass er am nach Österreich eingereist sei. Flüchtlinge bekämen, unabhängig vom Zeitpunkt der Asylgewährung Familienbeihilfe bis , danach erst wieder ab Asylgewährung.
Das Finanzamt erließ am eine abweisende Berufungsvorentscheidung, da der für Gewährung von Familienbeihilfe maßgebliche rechtskräftige Asylbescheid erst am (mündliche Verkündung des Bescheides) ergangen sei. Die Familienbeihilfe sei daher erst ab November 2005 zu gewähren.
Am brachte der Bw. neuerlich einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe und zwar für den Zeitraum ab 08/03 für seine Kinder A., B. und CF. ein.
Das Finanzamt erließ am einen Bescheid mit dem der Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum August 2003 bis Oktober 2005 zurückgewiesen wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für den oben genannte Zeitraum mit Berufungsvorentscheidung vom bereits rechtskräftig abgewiesen worden sei.
Am stellte der Bw. neuerlich einen Antrag auf Nachzahlung von Familienbeihilfe ab Einreise am rückwirkend vom bis für seine zwei Kinder A. und B.:
"Die Änderung lt. BGBl. 2004 Nr. I/142 vom trat rückwirkend mit in Kraft; somit gilt bis die alte Rechtslage, ab die neue. Daher bekommen Flüchtlinge unabhängig vom Zeitpunkt der Asylgewährung Familienbeihilfe bis , danach erst wieder ab Asylgewährung. Ich bin am eingereist und habe daher ab diesem Tag Anspruch auf Familienbeihilfe bis . Ab Asylgewährung habe ich bereits einen Antrag auf Familienbeihilfe gestellt."
Das Finanzamt erließ einen Bescheid mit dem die Eingabe vom auf Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum August 2003 bis April 2004 für die Kinder A. und B. zurückgewiesen wurde.
Begründend wurde ausgeführt, dass für den Zeitraum August 2003 bis April 2004 bereits eine rechtskräftige Berufungsvorentscheidung vom vorläge. Der Antrag für diesen Zeitraum sei daher wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid wurde Berufung erhoben. Angeführt wurden die Verwaltungsgerichtshoferkenntnisse Zl. 2006/15/0098 vom , Zl. 2006/15/0261 vom , 2006/15/0298 vom und 2007/15/0111 vom , die ausführten, dass sich für vor dem Zeitraum 2004 liegende Zeiträume der Beihilfenanspruch nach § 3 FLAG 1967 in der Fassung vor der durch das Pensionsharmonisierungsgesetz vorgenommenen Änderung richte, was zur Folge hat, dass auf die Eigenschaft als Flüchtlinge im Sinne des Art 1 des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge vom , BGBl. Nr. 55/1955, und des Protokolls über die Rechtstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, abzustellen ist.
Das Finanzamt erließ eine Berufungsvorentscheidung mit der es die Berufung vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom betreffend Nachzahlung von Familienbeihilfe für den Zeitraum August 2003 bis April 2004 für die Kinder A. und B. abwies. Wegen des Vorliegens eines formell und materiell rechtskräftigen und damit unanfechtbar und unwiderrufbar gewordenen Bescheides (Berufungsvorentscheidung vom ), sei es dem Finanzamt verwehrt in ein und derselben Sache, ob ein Anspruch auf Familienbeihilfe für diesen Zeitraum bestehe oder nicht, nochmals zu entscheiden.
Der Bw. stellte einen Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
Folgende Bescheide sind ergangen:
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Verfahrensschritte | Erledigung | Datum |
Antrag auf FB ab 8/2003 | ||
Abweisungsbescheid | Abweisung 8/2003-4/2004,
Stattgabe ab 11/2005 | |
Berufung gegen Abweisung für
08/03-04/04 | ||
BVE über
die Berufung vom | Abweisung der Berufung | |
Antrag
auf FB vom ab 8/2003 für 3 Kinder | ||
Zurückweisungsbescheid
| wegen
entschiedener Sache | |
Neuerlicher
Antrag auf Nachzahlung FB 8/2003-4/2004 für 2 Kinder | ||
Zurückweisungsbescheid | für Zeitraum August 2003
bis April 2004 für A. und B. bereits entschieden
() | |
Berufung gegen Zurückweisungsbescheid
| Nachzahlung von
bis für die zwei Kinder | |
Abweisend BVE | wegen bereits entschiedener
Sache, BVE vom | |
Vorlageantrag |
Der Unabhängige Berufungssenat hat über die Berufung vom gegen den Zurückweisungsbescheid betreffend "Nachzahlung von Familienbeihilfe vom (Tag der Einreise) bis für die zwei Kinder A. und B. zu entscheiden.
Wie aus der vorstehenden Tabelle zu erkennen, hat das Finanzamt bereits in der Sache "Antrag auf Familienbeihilfe für seine Kinder A. und B. für den Zeitraum 08/2003- 04/2004" mit der Berufungsvorentscheidung vom entschieden.
Der Grundsatz "ne bis in idem" besagt, dass eine Abgabenbehörde in ein und derselben Sache nicht zweimal entscheiden darf (Unwiederholbarkeit, Einmaligkeitswirkung). Dieser in der Bundesabgabenordnung nicht ausdrücklich verankerte Grundsatz, gehört aber zu den grundlegenden Pfeilern der Verfahrensordnung (siehe , ) und ist mit dem Begriff "Rechtskraftwirkung von Bescheiden" untrennbar verbunden. Die formelle Rechtskraft ist ausschließlich prozessualer Natur und bedeutet die Unanfechtbarkeit eines Bescheides im ordentlichen Rechtsmittelverfahren. Die materielle Rechtskraft eines Bescheides (sie setzt die formelle Rechtskraft des Bescheides voraus), steht der Erlassung weiterer Bescheide in derselben Sache entgegen, dh das Verbot des "ne bis in idem" ist eine Folge der materiellen Rechtskraft (siehe Bichler, "Ne bis in idem", Das Problem der Rechtskraft im Abgabenverfahren, ÖStZ 1995, 233).
Nach herrschender Lehre bedeutet materielle Rechtskraft im Verwaltungsverfahren die Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und die Verbindlichkeit von Bescheiden. Im Vordergrund dieser Lehre steht die mit Bescheiden verbundene Wirkung, dass diese nicht nur für die Partei unanfechtbar sind und dass über eine Sache ein für allemal entschieden ist, sondern dass der Abspruch über eine bestimmte Sache auch für die Behörden verbindlich, unwiederholbar, unwiderrufbar und unabänderbar ist. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich auf den bescheidmäßigen Willensakt der Behörde, also auf den Spruch des Bescheides, als den Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit auf Grund des von der Behörde angenommenen Sachverhaltes und der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltenden Rechtslage. Die Rechtskraftwirkung (damit das Wiederholungsverbot) bezieht sich somit auf den Gegenstand des Sachbegehrens beziehungsweise des Sachanspruches und erfasst folglich den (damit verknüpften) Inhalt und Entstehungsgrund des rechtskräftig festgelegten öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses (vgl. 86/17/0202f).
Aus dem Wesen der materiellen Rechtskraft entwickelte sich die Lehre von der "Identität der Sache". Anbringen, die etwa auf Abänderung oder Aufhebung eines nicht mehr mit Berufung unterliegenden Bescheides gerichtet seien, sind (wenn dies vor allem im § 273 BAO auch anders gesagt ist als im § 68 Abs. 1 AVG) "wegen entschiedener Sache" zurückzuweisen. Ebenso wie gegenüber der Partei (aus der Rechtskraft heraus in Bezug auf die entschiedene Sache) Eingriff-, (Wiederholungs-) Schranken errichtet seien, bestünden solche auch gegenüber den Behörden. Eine neuerliche Entscheidung, eine Wiederholung, Abänderung wäre unzulässig und anfechtbar, wenn die Behörde in die Rechtskraft ohne ausdrückliche Ermächtigung, wie insbesondere die §§ 293 ff BAO dies vorsehen, eingreife (Stoll, BAO-Kommentar, Seite 944ff).
Weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend (siehe unter Hinweis auf das Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 3874/A) ist die Behörde nicht berechtigt, über einen Antrag eine Sachentscheidung zu fällen, wenn ein gleiches Ansuchen bereits einmal abgewiesen worden ist und seither keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes behauptet worden ist, mögen auch verschiedene Elemente des ursprünglich bestandenen Sachverhaltes nachträglich anders dargestellt werden bzw. erhoben worden sein. Identität der Sache im Sinne der Verfahrensordnung liegt auch dann vor, wenn sich das neue Parteibegehren von den mit rechtskräftigem Bescheid abgewiesenen Parteibegehren nur dadurch unterscheidet, dass es in für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unwesentlichen Nebenumständen modifiziert worden ist (siehe ). Ist ein Bescheid unanfechtbar und unwiderrufbar geworden, so entfaltet er die Wirkung, dass die mit ihm erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann; diese Rechtswirkung wird Unwiederholbarkeit genannt (, , ).
Im gegenständlichen Verfahren hat das Finanzamt bereits am abweisend darüber entschieden, dass für die zwei Kinder A. und B. des Bw. für den Zeitraum August 2003 bis April 2004 keine Familienbeihilfe zu gewähren sei. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen, somit unanfechtbar und unwiderrufbar, sodass die Abgabenbehörde in der durch diesen Bescheid erledigten "Sache" nicht neuerlich entscheiden könne.
Eine wesentliche Änderungen des Sachverhaltes ist in diesem Zeitraum nicht eingetreten und auch nicht behauptet worden.
Das Finanzamt hat daher den Antrag vom betreffend Nachzahlung der Familienbeihilfe für August 2003 bis April 2004 in Anwendung des Grundsatzes von "ne bis in idem" zur Recht zurückgewiesen.
Die Berufung war daher abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | |
betroffene Normen | § 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 273 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte | Familienbeihilfe "ne bis in idem" entschiedene Sache Unwiederholbarkeit |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at