OGH vom 25.09.2019, 1Ob26/19h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. R*****, vertreten durch Dr. Monika Morscher-Spießberger, Rechtsanwältin in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei Mag. M*****, Deutschland, vertreten durch die Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH, Wien, wegen 142.401.39 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 45 R 67/18p-86, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 2 C 49/13k-58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.529,90 EUR (darin 421,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Auch bei Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0102059 [T2, T 3, T 9, T 13], RS0048272). Dies ist hier der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
2. Das Berufungsgericht hat das Prozesshindernis der materiellen Rechtskraft (und eine Bindung an rechtskräftige Entscheidungen in einem Vorprozess) „für das nunmehr gegenständliche Verfahren“ – wenn auch in den Entscheidungsgründen – eindeutig verneint. Soweit die Revisionswerberin weiterhin das Vorliegen des genannten Prozesshindernisses behauptet, übersieht sie, dass nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung vorliegt (RS0042917; RS0042981 [T29]; 2 Ob 178/14m; 6 Ob 74/01b, 3 Ob 318/04t; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 Rz 49 mwN; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5§ 503 Rz 2 mwN). Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage „einer materiellen Rechtskraft eines Vorprozesses“ kann demnach keiner weiteren Prüfung durch das Höchstgericht unterzogen werden. Daran kann auch der (gegenteilige) Ausspruch des Berufungsgerichts, die Revision sei deswegen zulässig, nichts ändern.
3. Es besteht bereits umfangreiche Rechtsprechung zu § 74 EheG (s nur RS0057381; RS0123713; RS0078153; RS0057383; RS0128684; weitere Nachweise etwa bei Zankl/Mondel in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4§ 74 EheG Rz 7). Ob eine ausreichend schwerwiegende Verfehlung im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, ist regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0078153; RS0078152 [T1]; RS0009766 [T1]; RS0047080 [T7]). Dafür steht dem Gericht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zur Verfügung (4 Ob 15/19p).
Die Revisionswerberin kann nicht darlegen, warum die im Vorprozess zwischen denselben Parteien und aufgrund desselben Rechtsverhältnisses (nur mit umgekehrten Parteirollen) bereits beantwortete Rechtsfrage zu den Voraussetzungen des Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs einer (neuerlichen) Überprüfung durch das Höchstgericht bedürfte. Der Oberste Gerichtshof billigte in seiner zu 3 Ob 139/13g ergangenen Entscheidung den von den Vorinstanzen auch in diesem Verfahren eingenommenen Standpunkt. Welche seither eingetretenen Veränderungen eine andere Beurteilung notwendig machen könnten, kann die Revisionswerberin nicht aufzeigen. Es wurde ihr (auch in diesem Verfahren in gleicher Weise zu Tage getretenes) Verhalten bei der Entgegennahme der Zahlungen von allen drei Instanzen als unredlich qualifiziert. In Kenntnis dieser Beurteilung durch die Gerichte setzte sie es dennoch fort, wobei das Ausmaß ihrer Verschleierungen und die Unrichtigkeit ihrer Angaben überhaupt erst in diesem Prozess sichtbar zu Tage traten. Die Beurteilung durch die Vorinstanzen, dass der Unterhaltsanspruch verwirkt ist, ist daher in der konkreten Konstellation nicht bedenklich, zumal die Beklagte bereits zeigte, dass sie dauerhaft nicht gewillt ist, ihren nachehelichen (Informations-)Verpflichtungen nachzukommen. In der Rechtsprechung ist längst anerkannt, dass sowohl für die Geltendmachung als auch für die Abwehr von Unterhaltsansprüchen zwischen geschiedenen Ehegatten wechselseitige Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche über alle unterhaltsrelevanten Umstände bestehen (RS0122058). Anders als im Fall der Entscheidung zu 4 Ob 15/19p können der Beklagten schwer überschaubare Entwicklungen oder Details nicht zugute gehalten werden. Der Kläger hat durch ihr Verhalten bereits eine schwerwiegende Vermögenseinbuße von mehr als 140.000 EUR erleiden müssen. Die Behauptung, eine umfangreiche Offenlegung wäre eine „schlechte Prozesstaktik“ vermag ihre wahrheits- und pflichtwidrigen Angaben nicht zu rechtfertigen. Mit im Ergebnis gegenteiligen Behauptungen dazu versucht die Revisionswerberin in unzulässiger Weise, sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu wenden.
4. Der Sache nach kann der vom Kläger vorgetragene (und festgestellte) Sachverhalt sowohl bereicherungsrechtliche als auch schadenersatzrechtliche Ansprüche auslösen. Eine Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen ist im Zweifel nicht anzunehmen (RS0037610 [T36]).
Das Berufungsgericht legte auf der Sachverhaltsebene zugrunde, dass der Kläger frühestens im Dezember 2010 (aufgrund des Detektivberichts) Kenntnis von der wahren Sachlage erlangte, also weniger als drei Jahre vor Klagseinbringung. Die Ausführungen der Revisionswerberin dazu, dass es nicht auf die tatsächliche, sondern auf eine mögliche Kenntnis ankomme und der Kläger bereits längst Kenntnis von den maßgeblichen Umständen gehabt habe (dazu, dass es bei der Verjährung um die Frage ausreichender Kenntnis für die Prozessführung geht, wofür eine Behauptung oder Vermutung nicht ausreicht s etwa 1 Ob 85/19k), lassen dies außer Acht und ignorieren, die (gegenteiligen) Feststellungen, nach denen die Beklagte ihre Lebensverhältnisse zu keinem Zeitpunkt offenlegte (sondern diese nach wie vor abstreitet) und dem Kläger (der seit Jahren im Ausland lebt) keine Handlungsalternativen zu deren Abklärung als durch einen Detektiv zur Verfügung standen, zumal die Parteien keinen gemeinsamen Freundes- oder Bekanntenkreis hatten bzw haben, aus dem er verlässliche Informationen erhalten hätte können. Welche Maßnahmen der Kläger in welchem früheren Zeitpunkt hätte ergreifen können, um bereits zuvor verlässliche Kenntnis über die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen zu erlangen, legt sie nicht dar.
Durch die Verstöße gegen ihre Auskunftspflichten hat die Beklagte den Kläger schuldhaft dazu veranlasst, nicht mehr berechtigte Zahlungen zu leisten und diese auch angenommen, wiewohl sie wusste, dass ihr diese Leistungen nicht mehr zustehen. Dass ein schuldhafter Verstoß gegen die aus dem nachehelichen „Abwicklungsverhältnis“ entspringenden Mitteilungspflichten Schadenersatzansprüche (für den durch zu Unrecht geforderte und entgegengenommene Unterhaltsbeiträge verursachten Schaden) auslöst, wurde zuletzt in der Entscheidung zu 4 Ob 15/19p bekräftigt (vgl auch 3 Ob 227/13y mwN). Darauf, ob die Zahlungsansprüche nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen verjährt wären, ist damit nicht mehr einzugehen.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00026.19H.0925.000 |
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