OGH vom 17.09.2015, 1Ob24/15h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinksi, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** R*****,*****, 2. M***** R*****, 3. H***** A***** H*****, 4. A***** M*****, 5. I***** F*****, 6. W***** O*****, 7. M*****, 8. B***** F*****, 9. J***** O*****, 10. H***** O*****, außer 3. alle ohne Beschäftigungsangabe, vertreten durch tusch.flatz.dejaco Rechtsanwälte GmbH, Feldkirch, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17 19, wegen jeweils 18.538,67 EUR (erst bis fünftklagende Parteien) und jeweils 3.707,73 EUR (sechst bis zehntklagende Parteien), je sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 184/14m 23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 17 Cg 11/14f 17, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die erst bis fünftklagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei jeweils 503,09 EUR an Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die sechst bis zehntklagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei jeweils 103,05 EUR an Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Erst bis Fünftkläger sind die Geschwister des am verstorbenen Ernst R*****. Die Sechst bis Zehntkläger sind die eingeantworteten (gesetzlichen) Erben einer weiteren Schwester des Verstorbenen. Die Erst bis Fünfkläger und deren verstorbene Schwester gehörten zu den Opfern der sogenannten „Vorarlberger Testamentsaffäre“.
Die Erst bis Fünfkläger begehrten von der beklagten Republik (Bund) je 18.528,67 EUR sA, die Sechst bis Zehntkläger je 3.707,73 EUR sA (in Summe 111.232,05 EUR sA) aus dem Titel der Amtshaftung. Ihnen seien aufgrund von Testamentsmanipulationen Anwalts und andere Kosten entstanden, weil sie sich in den Verlassenschaftverfahren nach Ernst R***** und Wilfrieda R***** rechtsanwaltlich vertreten hätten lassen müssen. Ohne die Manipulationen hätten sie im Verlassenschaftsverfahren nach Wilfrieda R***** überhaupt keine Kosten gehabt; die Bestellung eines Verlassenschaftskurators in diesem Verfahren hätte sich erübrigt. Von den Gesamtkosten hätten die Erst bis Fünftkläger sowie die Rechtsvorgängerin der Sechst bis Zehntkläger jeweils ein Sechstel getragen.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, an die Erst bis Fünftkläger jeweils 17.338,60 EUR sA und an die Sechst bis Zehntkläger jeweils 3.467,72 EUR sA zu zahlen; das Mehrbegehren wies es rechtskräftig ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Unter Berufung auf die zur „Vorarlberger Testamentsaffäre“ ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 208/12p verneinte es einen inneren Zusammenhang zwischen der hoheitlichen Funktion eines Grundbuchsrechtspflegers mit dessen Tathandlungen in Bezug auf die Fälschung von Testamenten des Rechtsvorgängers der Kläger. Der dadurch verursachte Schaden sei vom Organ „bei Gelegenheit“ der Ausführung von dessen Verpflichtungen verursacht worden, wofür die Beklagte als Rechtsträger nicht zu haften habe. Bereits mit den Malversationen von Testamenten des Ernst R***** sei es zur „Verschiebung“ dessen Nachlassvermögens in den Nachlass nach Wilfrieda R***** und damit zum nunmehr geltend gemachten Schaden der Kläger als der gesetzlichen Erben nach Ernst R***** gekommen. Die nachfolgenden Manipulationen des ab mit der Funktion eines Vorstehers der Geschäftsstelle betrauten Organs seien für den geltend gemachten Schaden nicht mehr kausal gewesen.
Der Umstand, dass die Kläger im ebenfalls gefälschten Testament der Wilfrieda R***** vom (als Rechtsnachfolger des Ernst R*****) bedacht gewesen seien, habe zwar dazu geführt, dass sie in diesem Verlassenschaftsverfahren bedingte Erbserklärungen abgegeben hätten und ihnen im Sinne des mit Miterben abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleichs insgesamt 9 % dieses Nachlasses eingeantwortet worden seien. Die nunmehr geltend gemachten Schäden stünden aber damit in keinem kausalen Zusammenhang, weil ihre Beteiligung an diesem Nachlassverfahren auf einem selbständigen Willensentschluss beruhe. Auch der Umstand, dass der damalige Grundbuchsrechtspfleger unter Ausnützung seiner Funktion als bestellter Verlassenschaftskurator gehandelt habe, begründe keine Haftung der Beklagten, weil er dabei keine hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen gehabt habe.
Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag der Beklagten gemäß § 508 ZPO für zulässig, weil darin Fragen der (juristischen und psychischen) Kausalität angesprochen würden, die eine von jener des Berufungsgerichts abweichende Beurteilung als nicht ausgeschlossen erscheinen ließen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Kläger im Revisionsverfahren eine Haftung der Beklagten aus Beschlüssen des Verlassenschaftsgerichts, mit welchen ein Kurator im Abhandlungsverfahren nach Ernst R***** bestellt wurde bzw Anträge auf dessen Enthebung abgewiesen wurden, nicht mehr geltend machen. Darauf muss daher aus Anlass ihrer Revision nicht eingegangen werden.
2. Die Kläger machen als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend, dass das Berufungsgericht von der Entscheidung 1 Ob 208/12p (=SZ 2012/137) abgewichen sei.
In dieser Entscheidung hatte der Oberste Gerichtshof die Frage zu klären, inwieweit die Beklagte für die auch hier relevanten Malversationen eines Grundbuchsrechtspflegers und späteren Vorstehers der Geschäftsstelle eines Bezirksgerichts aus dem Titel der Amtshaftung einzustehen hat. Darin wurde ausgesprochen, dass der Rechtsträger für unerlaubtes Verhalten seiner Organe hafte, das mit ihren hoheitlichen Aufgaben in einem inneren Zusammenhang stünde; auch rechtswidrige Akte der Vollziehung seien in der Regel nicht Nichtakte, sondern dem Rechtsträger, für den sie gesetzt worden seien, zuzurechnen, ebenso Unterlassungen, wenn gehandelt hätte werden müssen; der Rechtsträger hafte nach dem AHG, wenn durch das rechtswidrige und schuldhafte Organverhalten ein Schaden entstand sei, der bei rechtmäßiger Vollziehung der in Betracht kommenden Gesetze vermieden worden wäre. Der Rechtsträger hafte hingegen nicht, wenn seine Organe einen Schaden nur „bei Gelegenheit“ der Ausführung seiner Verpflichtungen verursachten ( Schragel , AHG 3 Rz 124 mwN).
3. Die Fälschungen des Testaments von Ernst R***** und die erste Fälschung des Testaments von Wilfrieda R***** erfolgten vor dem und damit zu einem Zeitpunkt, als der vormalige Rechtspfleger noch nicht die Funktion eines Vorstehers der Geschäftsstelle des Bezirksgerichts inne hatte. Bereits in der Entscheidung 1 Ob 208/12p wurde dazu klargestellt, dass die Fälschungen von Testamenten in keinem „inneren Zusammenhang“ mit der hoheitlichen Funktion als Grundbuchsrechtspfleger standen. Ausdrücklich wurde daher festgehalten, dass keine Amtshaftungsansprüche der Klägerinnen des Verfahrens 1 Ob 208/12p gegenüber der Beklagten aus dem in Rede stehenden Fehlverhalten, das dieser in Ausübung seiner Funktion als Grundbuchsrechtspfleger (bis ) gesetzt habe, bestehen.
4. Die Kläger ziehen in ihrer Revision die Grundsätze der Entscheidung 1 Ob 208/12p nicht in Zweifel und berufen sich auch auf keine von dieser Entscheidung abweichenden tatsächlichen Umstände, sondern gehen unter Berufung auf diese Entscheidung davon aus, dass die von ihnen geltend gemachten Schäden auf die zweite Fälschung eines Testaments der Wilfrieda R*****, die nach dem erfolgte, zurückzuführen seien. Dabei übersehen sie, dass sie nicht erst durch die zweite, sondern bereits durch die erste Fälschung eines Testaments der Wilfrieda R***** zu (scheinbaren) Miterben berufen worden waren, sodass ihre Beteiligung am Verlassenschaftsverfahren nach ihr bereits auf die erste diesbezügliche Testamentsfälschung zurückzuführen ist. Auch die Bestellung eines Kurators im Verlassenschaftsverfahren nach Wilfrieda R***** erfolgte bereits aufgrund der ersten Testamentsfälschung, sodass die zweite Testamentsfälschung für die von den Klägern aus der Bestellung eines Kurators abgeleiteten Schäden nicht mehr kausal wirksam werden konnte. Soweit sie geltend machen, dass sie Grundstücke aus der Verlassenschaft nach Wilfrieda R***** „herauskaufen“ hätten müssen, lassen sie wiederum außer Acht, dass die Einantwortung des Nachlassvermögens nach Ernst R***** an den ruhenden Nachlass nach der Wilfrieda R***** auf die Fälschung von Testamenten des Ernst R***** zurückzuführen ist, sodass die zweite Fälschung eines Testaments der Wilfrieda R***** für die von ihnen daraus abgeleiteten Schäden ebenfalls nicht mehr kausal war. Gleiches gilt für die von ihnen geltend gemachten Vertretungskosten im Zusammenhang mit der Rückforderung von den Scheinerben eingeantworteten Vermögensteilen aus dem Nachlass nach Ernst R*****. Auch hier steht die zweite Fälschung des Testaments nach der Wilfrieda R***** in keinem kausalen Zusammenhang mit den geltend gemachten Kosten. Inwieweit Kosten der Räumung der Liegenschaft des Ernst R***** auf die zweite Fälschung des Testaments der Wilfrieda R***** zurückzuführen sein sollten, versucht die Revision erst gar nicht darzulegen. Soweit sie sich dazu auf Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 1 Ob 208/12b berufen, nach denen den damaligen Klägerinnen im Zusammenhang mit der Bewertung des Vermögens von Wilfrieda R***** sowie nach Bekanntwerden der Fälschungen durch die Rückabwicklung des Vermögens Kosten entstanden seien, übersehen sie, dass es sich dabei nicht um rechtliche Ausführungen, sondern um die Wiedergabe des im dortigen Verfahren festgestellten Sachverhalts handelt.
5. Bereits das Berufungsgericht hat unter Berufung auf Judikatur des Obersten Gerichtshofs zutreffend ausgeführt, dass der nach § 78 AußStrG 1854 bestellte Verlassenschaftskurator keine hoheitlichen Aufgaben zu erfüllen hatte (zum Verlassenschaftskurator: 5 Ob 515/87 mwN; vgl auch, zum Abwesenheitskurator, RIS-Justiz RS0049179). Ob der Umstand, dass die Bestellung des Grundbuchsrechtspflegers zum Kurator im Verlassenschaftsverfahren nach Ernst R***** mit dem gerichtlichen Auftrag verbunden war, das Wohnhaus des Verstorbenen nach einem Testament zu durchsuchen, daran etwas zu ändern vermöchte, muss nicht näher untersucht werden. Es steht nämlich zwar fest, dass der Verlassenschaftskurator die Nachschau auf der Liegenschaft zum Anlass nahm, Urkunden des Verstorbenen an sich zu nehmen, die in weiterer Folge als Vorlage für die Fälschung von Testamenten des Erblassers dienten. Selbst wenn man also davon ausgehen wollte, dass die Durchsuchung der Liegenschaft des Erblassers in Ausführung einer Weisung des Verlassenschaftsgerichts eine hoheitliche Tätigkeit darstellte, läge eine Tathandlung „bei Gelegenheit“ der Ausführung einer derart überbundenen Verpflichtung und damit kein innerer Zusammenhang mit einer allfälligen hoheitlichen Tätigkeit vor, wie sie für eine Haftung der Beklagten nach dem AHG erforderlich wäre (RIS Justiz RS0050075 [T3]).
6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Wegen der erheblichen Verschiedenheit ihrer Beteiligung (vgl Fucik in Rechberger , ZPO 4 § 41 ZPO Rz 7) sind die Kosten der Revisionsbeantwortung im Verhältnis 83 % zu 17 % auf die Erst- bis Fünftkläger bzw Sechst- bis Zehntkläger aufzuteilen. Innerhalb dieser Gruppen haben die Kläger diese Kosten nach Kopfteilen zu tragen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00024.15H.0917.000
Fundstelle(n):
EAAAC-98197