Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 26.05.2008, RV/3673-W/07

Vorliegen einer Berufsausbildung bei Fernstudium.

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3673-W/07-RS1
In zeitlicher Hinsicht kann bei einem Fernstudium das Vorliegen einer Berufsausbildung nicht verneint wer­den, wenn der Unterricht zwar nur 10 Wochenstunden dauert, aber offenkundig ein Gutteil des Lernstoffes im Selbststudium erarbeitet wird.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., W., gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 6/7/15 vom betreffend Abweisung eines Antrags auf Familienbeihilfe ab entschieden:

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird insoweit abgeändert, als der Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum bis abgewiesen wird.

Für Zeiträume ab wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw.), geb. 1977, stellte am einen Eigenantrag auf Familienbeihilfe, und zwar von Jänner 2002 bis Dezember 2003. Vom bis zum hat er seinen Präsenzdienst abgeleistet.

Im Streitzeitraum arbeitete der Bw. teilzeitbeschäftigt als Vertragsbediensteter bei einem Gericht. Im Wintersemester 2000/2001 begann er als ordentlicher Studierender mit dem Besuch einer AHS für Berufstätige (Schuldauer 9 Semester). Die Einkommensgrenze des § 6 Abs. 3 FLAG ist nicht überschritten.

Im Sommersemester 2002 fand der Unterricht von Montag bis Freitag im Ausmaß von 20 Wochenstunden statt. Ab dem Wintersemester 2002/03 besuchte er die Fernstudienklasse der AHS für Berufstätige. Der Unterricht fand an zwei Tagen pro Woche im Gesamtausmaß von 10 Wochenstunden statt.

Bis zum Sommersemester 2002 hat er jeweils vier bis sechs Gegenstände positiv absolviert, im Wintersemester 2002/03 zwei Gegenstände, im Sommersemester 2003 einen Gegenstand und im Wintersemester 2003/04 vier Gegenstände.

Das Finanzamt erließ über den Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe ab einen Abweisungsbescheid mit folgender Begründung:

"Gemäß § 10 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 wird Familienbeihilfe höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Der Zeitraum von - wird daher wegen Verjährung zurückgewiesen.

Gemäß § 6 Abs. 5 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn ein Kind in Berufsausbildung steht und diese ernsthaft und zielstrebig betreibt.

Sie haben keine Zeugnisse vorgelegt und somit keine Nachweis über die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit erbracht. Daher war gemäß obiger Bestimmungen der Antrag ab- bzw. zurückzuweisen."

Der Bw. erhob gegen den Bescheid fristgerecht Berufung und führte dazu Folgendes aus:

"In dem Bescheid wird angeführt, es wurden keine Zeugnisse vorgelegt. Dies ist eindeutig falsch. Mit Schreiben vom wurde dem Finanzamt eine Ergänzung übermittelt, welche auch gegenständliche Zeugnisse sowie eine Schulbesuchsbestätigung beinhaltet hat.

Da nicht näher darauf eingegangen wurde, ob die vorgelegten Zeugnisse unzureichend seien oder überhaupt gesehen wurden, ist somit ein Verfahrensmangel entstanden. Auf Grund der Darstellung in dem angefochtenen Bescheid ist für den Berufungswerber davon auszugehen, dass die vorgelegten Zeugnisse nicht zur Beurteilung über den Anspruch herangezogen wurden. Daher ist es für die Behörde erster Instanz auch nicht möglich gewesen festzustellen, ob der Abweisungsgrund, nämlich ob ein Schulbesuch bzw. Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde, tatsächlich vorliegt.

Sollten die Zeugnisse jedoch in die Beurteilung des Sachverhaltes eingeflossen sein, liegt eine falsche Begründung vor. Die Begründung, die Zeugnisse wurden nicht beigelegt, wäre in so einem Fall schlicht falsch.

Auch für den Fall, dass eine Ausbildung abgebrochen wird, bedeutet dies noch lange nicht, dass diese nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde. Ich habe alles unternommen, um diese Ausbildung abzuschließen.

Die Verjährung wird bezweifelt und angefochten."

Der Bw. stellte den Antrag, seine Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen.

Im Ergänzungsschreiben vom gab der Bw. Folgendes bekannt:

"...Reifeprüfung wurde bislang noch nicht abgelegt. Das Studium (der Schulbesuch) wird derzeit fortgesetzt. Dabei ist zu beachten, dass es einen Lehrplanwechsel gegeben hat und mit der "alten" Form nicht mehr ident ist. Es sind auch mehrere Differenzprüfungen (zB Informatik, Lern- und Präsentationstechnik, vermutlich Psychologie) zusätzlich zu den laufenden Leistungen abzulegen. Ein Erfolg ist daher noch nicht absehbar. Meine Beschäftigung hat sich nicht geändert...

An dieser Bildungseinrichtung wurden bislang ausschließlich Semesterzeugnisse ausgestellt."

Aus der Homepage der Schule, die der Bw. besucht hat, sind zum Fernstudium folgende entscheidungsrelevante Umstände zu entnehmen:

"AHS-Matura im Fernstudium - der erfolgreiche neue Weg

Für Studierende, die aus familiären, beruflichen oder verkehrsgeografischen Gründen nicht regelmäßig am Abendunterricht teilnehmen können, besteht die Möglichkeit eines - ebenfalls kostenlosen - Fernstudiums.

Das Fernstudium ist analog zum Abendunterricht aufgebaut und wird ab dem 7. Semester als Wirtschaftskundliches Realgymnasium geführt. Auch im Fernstudium entspricht das Schuljahr (einschließlich der Ferienordnung) völlig dem der Tagesschulen.

Das Fernstudium am Abendgymnasium ist kein reines Fernstudium, sondern eine Mischform: Zweimal wöchentlich (Freitag von 16:00 bis 21:05 sowie an einem weiteren Wochentag ab 17:45) kommen die Studierenden in der so genannten Sozialphase zusammen, um gemeinsam zu lernen. Ein Teil des Lernstoffes wird im Selbststudium erarbeitet (Individualphase).

Das Fernstudium wird durch E-Learning unterstützt. Eine Lernplattform ermöglicht jederzeit die Kommunikation von Studierenden und Lehrern. Während und am Ende des Semesters finden Schularbeiten und Tests statt. Die Lehrer, die die Studierenden im Unterricht betreuen, führen auch die Prüfungen durch."

Über die Berufung wurde erwogen:

1. Zeitraum Jänner bis Juli 2002

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG wird Familienbeihilfe höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Der Bw. hat unbestrittenermaßen am einen Eigenantrag auf Familienbeihilfe rückwirkend ab eingebracht. Wie das Finanzamt richtig festgestellt hat, ist somit der Zeitraum Jänner bis Juli 2002 verjährt. Der Antrag war ungeachtet dessen zulässig, weshalb der Spruch des angefochtenen Bescheides, dass der Antrag abgewiesen wird, zutreffend ist. Daran ändert auch nichts, dass das Finanzamt in der Begründung ausgesprochen hat, der Antrag werde zurückgewiesen, wobei hinzuzufügen ist, dass der Bw. durch ein Vergreifen im Ausdruck nicht beschwert sein kann.

2. Zeitraum ab August 2002

Gemäß § 2 Abs. 1 lit b erster und zweiter Satz FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. § 6 Abs. 2 lit. a FLAG enthält eine analoge Bestimmung für den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe.

Im Erkenntnis vom , 95/14/0119, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Frage, ob für einen bestimmten (in der Vergangenheit gelegenen) Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, - will man den Beihilfenanspruch nicht von zufälligen (behördlicher Entscheidungszeitpunkt) oder willkürlich beeinflussbaren Umständen (Zeitpunkt der Antragstellung) abhängig machen - anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten, wie sie bei der Tatbestandsverwirklichung bestanden haben, zu beantworten ist. Ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe erfüllt sind oder nicht, bestimmt sich somit - unabhängig vom Zeitpunkt der behördlichen "Beurteilung" - nach den Verhältnissen im Anspruchszeitraum.

Das Gesetz enthält keine nähere Umschreibung des Begriffes "Berufsausbildung". Diesem Begriff sind sicher alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung zuzuordnen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (, , 93/14/0100, , 87/14/0031, , 2000/14/0192).

Ziel einer Berufsausbildung bzw. einer Berufsfortbildung im Sinne des § 2 Abs1 lit b FLAG ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehört regelmäßig auch der Nachweis der Qualifikation. Das Ablegen der vorgesehenen Prüfungen ist somit wesentlicher Bestandteil der Berufsausbildung bzw. Berufsfortbildung ( und vom , 97/15/0111). Würde aber von vornherein die Absicht bestehen, keine der vorgeschriebenen Prüfungen abzulegen, kann jedenfalls nicht von einer angestrebten Berufsausbildung (Berufsfortbildung) gesprochen werden.

Als Zeiten der Berufsausbildung werden nur solche Zeiten gelten können, in denen aus den objektiv erkennbaren Umständen darauf geschlossen werden kann, dass eine Ausbildung für den Beruf auch tatsächlich erfolgt ist. Das Vorliegen rein formaler Erfordernisse wird daher nicht genügen. Daher ist nur eine Ausbildung, die für einen Beruf spezifisch ist, als Berufsausbildung anzusehen. Das Sammeln von Erfahrungen, Aneignen von Fertigkeiten oder eines bestimmen Wissensstandes stellt für sich allein keine Berufsausbildung dar.

Das Finanzamt verneinte den Familienbeihilfenanspruch mit der Begründung, dass der Bw. das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben habe. Wie allerdings aus einer Bestätigung der Schule ersichtlich ist, ist der Bw. im Streitzeitraum regelmäßig zu Prüfungen angetreten und hat diese auch überwiegend positiv absolviert. Bei fortlaufendem Aufstieg in das nächsthöhere Semester kann nach Ansicht der Berufungsbehörde davon ausgegangen werden, dass die Ausbildung tatsächlich ernsthaft und zielstrebig erfolgt. Auch in zeitlicher Hinsicht kann bei einem Fernstudium das Vorliegen einer Berufsausbildung nicht verneint werden, wenn der Unterricht zwar nur 10 Wochenstunden dauert, aber offenkundig ein Gutteil des Lernstoffes im Selbststudium erarbeitet wird (sh. auch ). Daran ändert auch nichts, dass die Ausbildung nunmehr möglicherweise abgebrochen wurde, da - wie oben angeführt - von den Verhältnissen im Anspruchszeitraum auszugehen ist.

Somit ist für Zeiträume ab August 2002 ein Anspruch auf Familienbeihilfe gegeben. Da der Bw. vor Vollendung seines 26. Lebensjahres den Präsenzdienst geleistet hat, verlängert sich die potentielle Anspruchsberechtigung nach § 6 Abs. 2 lit. f FLAG bis zur Vollendung seines 27. Lebensjahres.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
ernsthafte und zielstrebige Ausbildung
Verhältnisse im Anspruchszeitraum
Verweise

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at