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OGH 06.05.2008, 1Ob16/08x

OGH 06.05.2008, 1Ob16/08x

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. Vera P*****, und 2. Marko P*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Milan P*****, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 260/07a-S48, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit der angefochtenen Entscheidung haben die Vorinstanzen die alleinige Obsorge über die beiden Minderjährigen der Mutter übertragen.

Die Minderjährigen und ihre Eltern sind serbische Staatsangehörige und haben ihren ständigen Aufenthalt in Österreich. Die Vorinstanzen haben das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes Minderjähriger vom , BGBl 1975/446 (MSA) unter Hinweis darauf angewendet, dass nach dessen Art 1 primär die Behörden des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder auch für endgültige Maßnahmen - wie die Zuweisung der Obsorge - zuständig seien. Ein Gewaltverhältnis nach Art 3 MSA liege nicht vor, weil nach dem insoweit maßgeblichen serbischen Recht (Art 75 ff des Familiengesetzes der Republik Serbien vom , insbesondere dessen Art 77 Abs 3), die Ausübung des Elternrechts einer gerichtlichen Entscheidung bedürfe, wenn die Eltern getrennt leben und keine Vereinbarung über die Ausübung dieses Rechts geschlossen haben. Damit stünde einer Obsorgeregelung nach österreichischem Recht nichts im Wege.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Entscheidung hält der Revisionsrekurs zwei als erheblich bezeichnete Rechtsfragen entgegen:

1. Zwar gebe es zu den anzuwendenden unbestimmten Rechtsbegriffen allgemein durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelte Leitsätze, die konkrete Lösung des Einzelfalls ergebe sich daraus aber nicht ohne weiteres. Mangels Vorentscheidung mit weitgehend gleichgelagertem Sachverhalt sei ein Vergleich mit nur ähnlichen, bisher entschiedenen Fällen möglich.

Das MSA ist nach der Judikatur auf alle Minderjährigen anzuwenden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, auf die Staatsangehörigkeit kommt es dabei nicht an (EFSlg 105.382 = 7 Ob 43/03d; 1 Ob 174/03z; 1 Ob 17/02k; RIS-Justiz RS0074335 und RS0074240). Die zuständigen Behörden haben nach ihrem innerstaatlichen Recht zu entscheiden, österreichische Gerichte daher nach österreichischem Recht (EFSlg 105.382 = 7 Ob 43/03d; 1 Ob 174/03z). Hauptanknüpfungspunkt für die Zuständigkeit nach dem MSA ist im Gegensatz zu den Rechtsmittelausführungen der „gewöhnliche Aufenthalt" der Minderjährigen (RIS-Justiz RS0074198). Zu diesen Themenbereichen besteht ausreichende Judikatur des Obersten Gerichtshofs.

Dass sich die „konkrete Lösung des Einzelfalls" nicht aus der höchstgerichtlichen Judikatur ergibt, liegt in der Natur der Sache und bildet gerade keine über den Einzelfall hinausgehende relevante Frage.

2. Der Schutz der Minderjährigen sei durch die rechtskräftige Zuerkennung der einstweiligen Obsorge an die Mutter ausreichend gewahrt. Darüber hinaus habe das Zweite Gemeindegericht in Belgrad die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts der Republik Serbien für eine Klage des Rechtsmittelwerbers wegen Ehescheidung und Ausübung der Obsorge angenommen. Die österreichischen Gerichte dürften lediglich über die vorläufige Obsorge im Sinne des MSA entscheiden, jedenfalls hätten aber Entscheidungen serbischer Gerichte Vorrang. Zwischen den Eltern sei ein Scheidungsverfahren in Belgrad anhängig. Das Verfahren über die endgültige Obsorge sei Teil dieses in Serbien anhängigen Scheidungsverfahrens und richte sich nach serbischem Recht.

In den Sachanwendungsbereich des MSA fallen Regelungen der Obsorge über Kinder nach Scheidung der Ehe der Eltern (RIS-Justiz RS0047773, insb 8 Ob 559/77) und während eines anhängigen Scheidungsverfahrens (2 Ob 617/88), sowohl durch vorläufige Anordnung (3 Ob 538/92) als auch bei endgültigen Obsorgeentscheidungen (6 Ob 178/06d; 4 Ob 63/03y).

Was die Anhängigkeit des Scheidungs- und des damit verbundenen Obsorgeverfahrens in Serbien betrifft, sind nach Art 4 MSA die Behörden des Staats, dem der Minderjährige angehört, berechtigt, Maßnahmen zu treffen, nachdem sie die Behörden des Staats verständigt haben, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Alleine die im Rechtsmittel relevierte Tatsache, dass in Serbien ein Scheidungsverfahren anhängig ist, hat demnach keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte als Aufenthaltsgerichte und berührt daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage.

Auch die nunmehr - nach Entscheidung der Vorinstanzen - eingelangte Verständigung des serbischen Gerichts hat auf die österreichische Entscheidung keinen Einfluss, weil nur die nach Art 4 MSA getroffenen Maßnahmen des Staats, dem der Minderjährige angehört, an die Stelle von Maßnahmen treten, die die Behörden des Aufenthaltsstaats getroffen haben. Alleine die Verständigung über die Anhängigkeit eines Verfahrens ist dagegen nicht von Bedeutung.

Dass ein nach serbischem Recht bestehendes „Gewaltverhältnis", das nach Art 3 MSA anzuerkennen wäre, nicht vorliegt, wird vom Revisionsrekurswerber nicht in Zweifel gezogen.

Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. Vera P*****, geboren am *****, und 2. Marko P*****, geboren am *****, über die Eingabe des Vaters Milan P*****, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, vom , und über die Eingabe der beiden Minderjährigen, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, vom , in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Eingaben werden zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

In der vorliegenden Pflegschaftssache wurde der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom zurückgewiesen. Seine danach eingebrachte Urkundenvorlage und die - überdies im Rahmen eines Verfahrens über einen außerordentlichen Revisionsrekurs nicht vorgesehene - Äußerung der Minderjährigen (bzw der Mutter) sind daher zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2008:0010OB00016.08X.0506.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAC-96617