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OGH vom 10.07.1991, 1Ob13/91

OGH vom 10.07.1991, 1Ob13/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei GEMEINNÜTZIGE BAU-, WOHN- UND SIEDLUNGSGENOSSENSCHAFT "A*****" reg. Genossenschaft m.b.H., ***** vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH (Bundesministerium für Finanzen), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 261.981,59 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 14 R 181/90-15, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 52 a Cg 1050/89-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 28.839,20 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.325,20 Umsatzsteuer und S 10.000,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei beantragte am beim Finanzamt ***** gemäß § 240 Abs 3 BAO die Rückerstattung der in den Jahren 1984 bis 1986 entrichteten Zinsertragssteuer im Gesamtbetrag von S 236.511,11. Diesen Antrag wies das Finanzamt mit Bescheid vom ab. Am beantragte die auch diesmal nicht vertretene klagende Partei die Rückerstattung eines weiteren Betrages von S 2.113,78 für das Jahr 1986. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom abgewiesen. Die klagende Partei erhob gegen beide Bescheide am 8. 1. bzw. Berufung, führte darin jeweils aus, die Zinsertragssteuer sei aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes entrichtet worden, und verzichtete in beiden Fällen auf eine Berufungsvorentscheidung. Die beiden Berufungsschriften wurden der Finanzlandesdirektion ***** mit einem am verfaßten und am reingeschriebenen Vorlagebericht vorgelegt und langten am bei der Berufungsbehörde ein.

Am erhob die klagende Partei durch den Klagevertreter beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde, weil die Berufungsbehörde die Pflicht zur Entscheidung über ihre am erhobene Berufung verletzt habe. Mit Verfügung vom erteilte der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde gemäß § 36 Abs 2 VwGG den Auftrag, den versäumten Bescheid innerhalb von drei Monaten zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege. Mit Bescheid vom wies die Abgabenbehörde zweiter Instanz die beiden Berufungen der klagenden Partei mit der Begründung ab, die erstinstanzlichen Bescheide entsprächen der geltenden Rechtslage; die Abgabenbehörden seien nicht berufen, die dabei anzuwendenden Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Dieser Bescheid wurde dem Wirtschaftstreuhänder der klagenden Partei am zugestellt. Darauf stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren über die Säumnisbeschwerde ein.

Mittlerweile hatte der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Abschnitt XIV des Bundesgesetzes über die Einführung einer Zinsertragssteuer, BGBl 587/1983, von Abschnitt X des Bundesgesetzes BGBl 531/1984 und von Abschnitt I des Bundesgesetzes BGBl 327/1986 eingeleitet und die öffentliche mündliche Verhandlung für den um 10 Uhr 30 anberaumt; dieser Termin wurde im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom bekanntgemacht.

Am erhob die klagende Partei gegen den Bescheid der Berufungsbehörde vom Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser und anderer Beschwerden mit Beschluß vom mit der Begründung abwies, daß sie angesichts seines Erkenntnisses vom , in dem auch die hier aufgeworfenen Rechtsfragen behandelt worden seien, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hätten und es sich auch um keine Angelegenheit handle, die von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossen sei.

Die klagende Partei begehrt die Verurteilung des beklagten Rechtsträgers zum Ersatz ihres mit ingesamt S 261.981,59 s.A. bezifferten Schadens mangels Erstattung der Zinsertragssteuer zuzüglich S 11.000,- an Kosten ihrer Verfassungsgerichtshofbeschwerde und S 12.556,70 an ihm zuerkannten Aufwandersatz nicht gedeckten Kosten ihrer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde. Hätte die Berufungsbehörde fristgerecht entschieden, hätte die klagende Partei diesen Bescheid - wie andere Abgabenpflichtige auch - gleichfalls fristgerecht beim Verfassungsgerichtshof anfechten können, ihre Angelegenheit wäre damit "Anlaßfall" geworden und sie hätte nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge die Erstattung der Zinsertragssteuer spätestens am erwarten können. Angesichts der erst am vormittags an ihren Wirtschaftstreuhänder erfolgten Zustellung des Berufungsbescheides, der noch am selben Tag an sie weitergeleitet worden sei, sei es ihr technisch nicht mehr möglich gewesen, die Beschwerde rechtzeitig beim Verfassungsgerichtshof einzubringen und damit einen "Anlaßfall" zu schaffen. Sie habe in Entsprechung ihrer Schadenminderungspflicht beim Verfassungsgerichtshof noch am um 12 Uhr 55 Beschwerde - als durchaus nicht aussichtslosen Schritt - erhoben; zu diesem Zeitpunkt sei dessen Entscheidung im Gesetzesprüfungsverfahren noch nicht ergangen.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, die Organe der Bundesfinanzverwaltung hätten die Bescheiderlassung keineswegs absichtlich verzögert, um die klagende Partei um den Vorteil der Anlaßfallwirkung im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG zu bringen; vielmehr seien deren Beamte, die die anfallenden Berufungssachen in der Reihenfolge ihres Einlangens zu erledigen hätten, überlastet gewesen. Eine frühere Erledigung sei jedenfalls nicht möglich gewesen. Im übrigen wäre die klagende Partei in der Lage gewesen, den behaupteten Schaden durch Rechtsmittel abzuwenden:

Sie hätte die Säumnis der Berufungsbehörde bereits am 10. 6. bzw. geltend machen können. In diesem Fall hätte der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde jeweils etwa 14 Tage danach eine höchstens dreimonatige Nachfrist zur Nachholung des Bescheides gesetzt. Selbst bei fruchtlosem Ablauf dieser Frist hätte er etwa ab dem 24. 9. bzw. in der Sache selbst entscheiden und bei Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG stellen müssen. Außerdem hätte die klagende Partei auch noch nach Zustellung des Berufungsbescheides ihre Verfassungsgerichtshofbeschwerde am bis 10 Uhr 30 einbringen können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 259.867,61 s.A. statt und wies das Mehrbegehren von S 2.113,78 s.A. ab. Es meinte rechtlich, die Berufungsbehörde habe dadurch, daß sie nicht innerhalb der im § 311 BAO bestimmten Frist von sechs Monaten über die von der klagenden Partei erhobenen Berufungen entschieden habe, in haftungsbegründender Weise ihre Entscheidungspflicht verletzt. Damit und infolge Zustellung der Berufungsentscheidung an den in diesem Verfahren nicht ausgewiesenen Wirtschaftstreuhänder wäre es der klagenden Partei, der der Berufungsbescheid erst am zugegangen sei, nicht mehr möglich gewesen, mit ihrer an diesem Tag erst nach 10 Uhr 30 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde einen Anlaßfall im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG zu schaffen. Die Einwendung im Sinne des § 2 Abs 2 AHG, die klagende Partei habe erst am beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde erhoben, sei nur soweit berechtigt, als diese die Beschwerde wegen Säumnis der Behörde bei Entscheidung über ihre zweite Berufung unterlassen habe. Im übrigen müsse ihr zugebilligt werden, dreieinhalb Monate nach Ablauf der Entscheidungsfrist zuzuwarten.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Parteien hätten im Verwaltungsverfahren Anspruch auf Erledigung ihrer Anträge durch Bescheid. Gemäß § 311 BAO hätten die Abgabenbehörden über Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub, jedenfalls innerhalb von sechs Monaten, zu entscheiden; diese Frist sei - wie hier - vom Einlangen des Anbringens an zu rechnen. Die Säumnis der Behörde über diese Sechsmonatsfrist hinaus begründe Rechtswidrigkeit des Organverhaltens. Die Schadenersatzpflicht trete allerdings nur dann ein, wenn die übertretene Vorschrift gerade (auch) den Sinn habe, den Geschädigten vor Nachteilen, wie sie eingetreten sind, zu schützen. Nach dieser Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang sei nur für jene Schäden zu haften, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte. Daran fehle es im vorliegenden Fall jedoch. Die Verpflichtung, über die in den Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub, längstens aber binnen sechs Monaten zu entscheiden, diene offensichtlich dem Zweck, die Partei vor Nachteilen zu bewahren, die mit einer verzögerten Erledigung "typischerweise unmittelbar" verbunden seien, so etwa für die möglichst rasche Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Abgabenbeträge zu sorgen oder den Abgabenpflichtigen in die Lage zu versetzen, "das definitive Ausscheiden solcher Beträge aus seinen Aktiven möglichst rasch zu erfahren und bei seinen wirtschaftlichen Dispositionen berücksichtigen zu können".

Keinesfalls sollten aber die genannten Bestimmungen sicherstellen, daß eine Partei "mit einer Beschwerde gemäß Art 140 Abs 1 B-VG nicht zu spät kommt" und damit nicht mehr zum "Anlaßfall" im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG werde, stehe doch die Behördensäumnis mit der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ebensowenig im Zusammenhang wie mit der verspäteten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof. Dabei sei zu berücksichtigen, daß das verfassungswidrige Gesetz auf vor Aufhebung verwirklichte Tatbestände außer dem "Anlaßfall" weiterhin anzuwenden sei; im übrigen erlange doch immer nur eine relativ kleine Anzahl von Personen den Vorteil, "Anlaßfall" zu werden, wogegen die Mehrheit der Normunterworfenen die nachteiligen Folgen eines solchen Gesetzes gegen sich gelten lassen müsse. Daß aber die eine zügige Erledigung der Verwaltungsangelegenheiten regelnden Vorschriften gerade die Schaffung von "Anlaßfällen" gewährleisten sollten, sei eine zu "entlegene" Möglichkeit, um noch im Bereich des Schutzzweckes der Norm liegen zu können.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist teilweise berechtigt. Die Rechtsmittelwerberin leitet ihre Amtshaftungsansprüche aus der Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz ab; durch diese Säumnis sei sie außerstande gesetzt worden, deren Bescheid rechtzeitig beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und so in den Genuß der Anlaßfallwirkung im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG zu gelangen. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit 1984 (VfSlg 10.067/1984) die Auffassung, daß dem Anlaßfall i.e.S., anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, jene Fälle gleichzuhalten sind, die bei Beginn der mündlichen Verhandlung oder, wenn eine solche unterbleibt, bei Beginn der nichtöffentlichen Beratung des Gerichtshofes im Normprüfungsverfahren anhängig sind (insbesondere

VfSlg 10.616/1985; vgl hiezu auch Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht6 Rz 1170).

In der Revision wendet sich die klagende Partei in erster Linie gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, zwischen der Verletzung der abgabenbehördlichen Entscheidungspflicht und dem von der klagenden Partei geltend gemachten Vermögensnachteil bestehe kein Rechtswidrigkeitszusammenhang. Den Revisionsausführungen ist im wesentlichen beizupflichten:

Auch die beklagte Partei bestreitet letztlich die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ihrer zur möglichst raschen Erledigung der Berufungen der klagenden Partei berufenen Organe nicht. Das rechtswidrige Organverhalten kann auch in einer Unterlassung liegen, sofern das Organ zum Handeln verpflichtet war und pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (SZ 62/73 und 98 uva; Schragel, AHG2 Rz 130). Die - für den Bereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in dessen § 73

geregelte - Entscheidungspflicht der Abgabenbehörden ordnet § 311 Abs 1 BAO an; diese Behörden sind danach verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen

(§ 85 BAO - demnach auch über Berufungen) ohne unnötigen Aufschub - also ehestmöglich (1 Ob 19/91) - zu entscheiden. Diese Pflicht trifft auch die Abgabenbehörden zweiter Instanz.

Dagegen ist die Devolution als administrativer Rechtsbehelf nur bei Untätigkeit der erstinstanzlichen Behörden (Finanz- bzw Zollämter) vorgesehen. Verletzt die Abgabenbehörde zweiter Instanz - gleichviel ob sie als Rechtsmittel- oder als funktionell erstinstanzliche Behörde einschreitet, - ihre Entscheidungspflicht, kann ihre Untätigkeit nicht mehr im Verwaltungsverfahren, sondern nur mehr mit Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Art 132 B-VG) bekämpft werden (Stoll, BAO, HdB, 748), weil die Abgabenbehörde zweiter Instanz jene oberste Behörde im Sinne des § 27 VwGG ist, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden kann. Die zur Wahrnehmung der Entscheidungspflicht in der soeben genannten Bestimmung vorgesehene sechsmonatige Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Berufung gegen den Bescheid vom langte am , jene gegen den Bescheid vom am bei der Abgabenbehörde erster Instanz ein: Die Berufungsbehörde hätte deshalb zur Vermeidung einer Verletzung ihrer Entscheidungspflicht über die beiden Berufungen spätestens am 9. 7. bzw. entscheiden müssen (vgl VwSlgNF 8304 A); tatsächlich entschied die Abgabenbehörde zweiter Instanz aber erst mit dem dem - nicht ausgewiesenen - Wirtschaftstreuhänder der klagenden Partei am zugestellten Bescheid vom über beide Berufungen, nachdem ihr der Verwaltungsgerichtshof über Säumnisbeschwerde der klagenden Partei in bezug auf die Berufung gegen den Bescheid vom gemäß § 36 Abs 2 VwGG eine dreimonatige Frist zur Nachholung der Entscheidung über dieses Rechtsmittel erteilt hatte. An der Rechtswidrigkeit des von der klagenden Partei beanstandeten Organverhaltens kann somit kein Zweifel bestehen.

Aber auch der zur Haftung des beklagten Rechtsträgers erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang ist entgegen der Auffassung des Gerichtes zweiter Instanz zu bejahen. Die Schadenersatzpflicht des Rechtsträgers wird nur ausgelöst, wenn die von dessen Organ übertretene Vorschrift - gerade oder auch - den Schutz des Geschädigten vor Nachteilen, wie sie tatsächlich eingetreten sind, bezweckt (1 Ob 1/91 ua; Schragel aaO Rz 121 mwN). Nun mag es - wie das Gericht zweiter Instanz meint - durchaus zutreffen, daß die Bestimmung des § 311 Abs 1 BAO, die die Entscheidungspflicht der Abgabenbehörden statuiert, vor allem auf die möglichst rasche Erstattung zu Unrecht eingehobener Abgabenbeträge sichern bzw - bei Abweisung des Parteienantrages - den Antragsteller ehestmöglich in die Lage versetzen soll, die Entscheidung bei weiteren wirtschaftlichen Vorkehrungen entsprechend zu berücksichtigen. Damit ist der Schutzzweck dieser Norm jedoch keineswegs ausgeschöpft: Die Entscheidungspflicht soll die Parteien des Verfahrens vielmehr vor allem denkbaren Nachteilen bewahren, die an Verzögerungen bei der Verfahrenserledigung geknüpft sein können. Soweit das Gericht zweiter Instanz den Schutzzweck der Vorschriften über die behördliche Entscheidungspflicht auf die Verhinderung solcher Nachteile einschränken will, die mit der verzögerten Erledigung "typischerweise unmittelbar" verbunden sind, und meint, die Säumnis der Abgabenbehörde stehe mit der Verfassungswidrigkeit des von ihr anzuwendenden Gesetzes und deshalb auch mit der verspäteten Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof - abgesehen von einem "rein zufälligen Zusammentreffen" - in keinem Zusammenhang, läßt es sich von einer zu engen Sicht des vom Gesetz mit der Entscheidungspflicht verfolgten Schutzzweckes leiten:

Wie die klagende Partei zu Recht hervorhebt, beweist gerade der vorliegende Fall, daß auch die "rechtzeitige" Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof im Sinne dessen schon erörterten Rechtsprechung vom Schutzzweck der Normen über die behördliche Entscheidungspflicht umfaßt wird: Ist - wie hier - Gegenstand der Entscheidungspflicht die Erledigung einer Berufung, der aufgrund der einfachgesetzlichen Rechtslage ganz augenscheinlich kein Erfolg beschieden sein kann, sondern die erkennbar bloß zur Ausschöpfung des Instanzenzuges ergriffen wurde, um danach im Rahmen einer auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde die von der Verwaltungsbehörde angewendeten Gesetzesbestimmungen als verfassungswidrig zu bekämpfen, so kommt es dem Berufungswerber gerade darauf an, daß die Berufungsbehörde möglichst rasch entscheidet. Hätte die Abgabenbehörde zweiter Instanz im vorliegenden Fall ihre Entscheidungspflicht auch nur innerhalb von sechs Monaten von der Einbringung ihrer Berufung beim zuständigen Finanzamt an (vgl § 27 zweiter Satz VwGG) wahrgenommen, hätte die klagende Partei ihre Beschwerde rechtzeitig beim Verfassungsgerichtshof anbringen können und wäre dann - im Hinblick auf dessen Entscheidung vom , VfSlg 11.666/1988, - ebenso wie die dort genannten Beschwerdeführer in den Genuß der Anlaßfallwirkung gemäß Art 140 Abs 7 B-VG gelangt. Dann hätte der Verfassungsgerichtshof aber wohl auch den Bescheid der Berufungsbehörde aufgehoben, so daß diese im fortgesetzten Verfahren dem Antrag der klagenden Partei auf Erstattung der Zinsertragssteuerbeträge hätte stattgeben müssen.

Die beklagte Partei hat zwar behauptet, ihre Organe hätten infolge "Überlastung" nicht schuldhaft gehandelt, es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß die Erledigung der Berufungen im Hinblick auf die eindeutige einfach gesetzliche Rechtslage - an den Verfassungsgerichtshof heranzutreten, ist den Abgabengehörden ohnehin verwehrt - keiner aufwendigen Sachverhaltsermittlung bedurfte und auf keine rechtlichen Schwierigkeiten stieß. Waren auch möglicherweise zahlreiche Rechtsmittel dieser Art zu behandeln, so waren sie doch allesamt mit einfacher, standardisierter Begründung zu erledigen.

Die beklagte Partei erblickt aber nach wie vor insbesondere ein Mitverschulden der klagenden Partei darin, daß diese die Säumnisbeschwerde nicht unverzüglich nach Verstreichen der sechsmonatigen Frist einbrachte. Dem ist entgegenzuhalten, daß die klagende Partei aus der Untätigkeit der Berufungsbehörde - zumindest in den ersten Monaten nach Verstreichen der Frist - nicht unbedingt schließen mußte, daß diese auch weiterhin untätig bleiben werde, zumal schließlich auch mit der Erhebung der Säumnisbeschwerde naturgemäß eine nicht unbeträchtliche Verzögerung in Kauf genommen werden muß. Ein meßbares Mitverschulden fällt der klagenden Partei aus diesem Grund jedenfalls nicht zur Last. Noch viel weniger kann von einem Mitverschulden deshalb die Rede sein, daß die klagende Partei die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht doch noch vor Beginn der öffentlichen Verhandlung eingebracht hat. War der Berufungsbescheid dem Wirtschaftstreuhänder erst am zugestellt worden und begann die öffentliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof bereits am folgenden Tag um 10 Uhr 30, so stand der klagenden Partei fraglos kein ausreichender Zeitraum zur Verfassung einer erfolgversprechenden Beschwerde zur Verfügung.

Zutreffend haben die Vorinstanzen jedoch das Begehren auf Ersatz des mit S 2.113,78 bezifferten Schadens abgewiesen, weil die klagende Partei in diesem Umfang keine Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben hat. Eine haftungsbegründende Verletzung der Entscheidungspflicht der Abgabenbehörde zweiter Instanz hätte aber nur dann angenommen werden können, wenn die klagende Partei auch insoweit die Beschwerde gemäß Art 132 B-VG erhoben hätte (§ 2 Abs 2 AHG; 1 Ob 41/83; Schragel aaO Rz 130). Den Beweis, daß der Schaden auch dadurch nicht hätte abgewendet werden können (vgl Schragel aaO Rz 187), hat die klagende Partei aber nicht angetreten.

Die Schadenshöhe ist nicht strittig; in teilweiser Stattgebung der Revision der klagenden Partei ist daher das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 43 Abs. 1 und 2 ZPO. Im Berufungsverfahren sind beide Parteien nach dem Streitausgang mit ihren Rechtsmitteln nicht durchgedrungen, sodaß der klagenden Partei der Ersatz der Differenz der Kosten der Berufungsbeantwortungen gebührt; im Revisionsverfahren ist dagegen die klagende Partei nur mit einem ganz geringfügigen Teil ihres Begehrens unterlegen, sodaß ihr die gesamten Kosten dieses Verfahrensabschnitts auf der Basis des ersiegten Betrages zu ersetzen sind.