Erhöhte Familienbeihilfe - dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wenn mehrjährige Tätigkeit in einer karitativen Einrichtung vorliegt?
Entscheidungstext
Berufungsentscheidung
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der VB , Wien, vertreten durch WR, Rechtsanwalt, W, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ab April 2001 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Die 1957 geborene Berufungswerberin (Bw.) ist seit 1976 in einem Altenwohnheim als Küchenhilfe tätig.
Laut fachärztlichem Gutachten vom wurde bei der Bw. auf Grund einer mentalen Retardation eine 50%-ige Behinderung diagnostiziert, wobei laut Sachverständigem die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung auf Grund der vorgelegten Befunde ab möglich war. Laut fachärztlichem Befund vom besteht das Leiden seit Geburt. Außerdem wurde bescheinigt, dass die Bw. voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Die Bw. beantragte im April 2006 durch ihren Sachwalter die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag - nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsgrundlagen - im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Bw. seit dem berufsätig sei, weshalb eine vor dem 27. Lebensjahr eingetretene dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege.
In der dagegen erhobenen Berufung führte der Sachwalter aus, bei der Erwerbstätigkeit der Bw. handle es sich um eine karitative Beschäftigung in einem Schwesternheim, die mit einer normalen Beschäftigung nicht vergleichbar sei. Die Bw. könne damit auch nicht ihre Lebensausgaben abdecken, sondern werde vom Heim ausgehalten. Zum Teil erhalte sie Naturalleistungen. Die Beschäftigung sei lediglich auf Grund des Entgegenkommens des Arbeitgebers möglich, der hintangestellt ließe, dass die Bw. an sich keiner Beschäftigung nachgehen könnte.
Außerdem liege ein Verfahrensmangel darin, dass bei der ärztlichen Begutachtung nicht hinterfragt worden sei, seit wann die Intelligenzminderung bei der Bw. gegeben sei. Diese sei angeboren. Der Verfahrensmangel sei wesentlich, da bei einer angeborenen Krankheit, die zur Erwerbsunfähigkeit führt, eine Gewährung der Familienbeihilfe vorzunehmen sei.
In der Folge wurde der Arbeitgeber der Bw., das Altersheim Heim, gem. § 143 BAO ersucht, folgende Fragen zu beantworten:
Die Bw. ist bei Ihnen als Küchenhilfe beschäftigt. Bitte um genaue Beschreibung ihres Tätigkeitsfeldes.
Werden die der Bw. zugeteilten Arbeiten zufriedenstellend erledigt?
Wie hoch ist ihre monatliche Entlohnung?
Welchen Betrag muss die Bw. für die Unterkunft (samt Essen) bezahlen?
Wird das "Unterkunftsentgelt" automatisch von der Entlohnung abgezogen?
In Beantwortung dieses Auskunftsersuchens wurde dem Finanzamt mitgeteilt, dass die Bw. als Küchenhilfe tätig sei und einer ständigen Kontrolle bedürfe, wobei dies eine hohe nervliche Belastung für die Küchenleitung und Heimleitung darstelle. Bei den ihr zugeteilten Arbeiten würden Ausfälle toleriert: Gleichzeitig wurde eine Lohn-/Gehaltsabrechnung betreffend den Zeitraum September 2006 sowie eine Arbeits- und Gehaltsbestätigung übermittelt, aus welcher hervorgeht, dass die Bw. im Altenheim in ungekündigter Stellung als Hausarbeiterin beschäftigt ist und einen Bruttolohn iHv 842,90 € erhält, wovon für Essen und Unterkunft insgesamt 170,05 € und gesetzliche Abzüge iHv 153,41 € in Abzug gebracht werden. Der Nettoauszahlungsbetrag beträgt 519,44 €.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und auf das fachärztliche Gutachten vom verwiesen, welches als Beilage zum Abweisungsbescheid ergagngen sei. Auf Grund dieses Gutachtens sei ein neuerliches Gutachten mit einer Korrektur des Beginnes der Erkrankung nicht notwendig gewesen und hätte zu keinem anderslautenden Bescheid geführt, da der Erkrankungsbeginn vor dem 21. Lebensjahr als glaubhaft angenommen worden sei und die Abweisung nicht wegen des Erkrankungsbeginnes erfolgt wäre.
Unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Zl. 96/14/0088, wurde weiters ausgeführt, dass eine mehrjährige berufliche Tätigkeit der Annahme entgegenstünde, die Bw. sei infolge ihrer Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Bw. sei seit als Küchenhilfe im Heim beschäftigt und beziehe auf Grund dieser Beschäftigung Einkünfte iHv 814,11 € brutto monatlich. Alleine die mehr als 30-jährige ununterbrochene Tätigkeit spreche gegen eine dauernde Erwerbsunfähigkeit.
Dem Einwand, dass die Tätigkeit nur aus karitativen Zwecken vergeben worden sei, wurde unter Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 90/13/0129, entgegengehalten, dass ein Entgegenkommen des Arbeitgebers nicht der Annahme entgegenstehe, eine Person sei auf Grund ihrer Arbeitsleistungen in der Lage, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Auch wenn die Tätigkeit als Küchenhilfe in einem Altenwohnheim keine hohen Anforderungen habe und die Bw. eventuell anderswo keine Beschäftigung finden würde, sei es ein Faktum, dass sie seit über 30 Jahren berufstätig sei und ganz offensichtlich die ihr übertragenen Aufgaben nach Maßgabe ihrer beschränkten Fähigkeiten erfülle und auch dementsprechend entlohnt werde.
Somit sei eine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht gegeben.
Mit Eingabe vom wurde die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz zur Entscheidung beantragt und ergänzend vorgebracht, dass die Arbeitsleistung der Bw., gleichgültig ob sie tatsächlich eine Geldzahlung dafür erhalte, nicht geeignet sei, ihr auf Dauer einen Unterhalt zu verschaffen. Darüber seien keine konkreten Erhebungen getroffen worden. Tatsache sei, dass die Bw. regelmäßig Ausfälle bei der Arbeit habe, die nur deshalb keine Auswirkung auf die Beschäftigung hätten, weil diese so zugeteilt werde, dass sie an sich entbehrlich sei. Die Beschäftigung solle das Selbstwertgefühl der Bw. unterstützen, habe aber keine weiter Außenwirkung. Dass dafür entgegen den sonstigen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt auch noch monatliche Geldzahlungen erfolgten, sei ein Glück für die Bw. Eine dauerhafte Eignung zum Erwerb könne daraus nicht abgeleitet werden. Tatsächlich sei sie ungeeignet, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Arbeitgeber, ein geistlicher Orden, zeige, dass er aus rein karitativen Zwecken die Bw. beherberge und ihr als Anerkennung Geld leiste. Von einer Erwartung einer Gegenleistung könne auf Grund der niederschwelligen und jederzeit ersetzbaren Tätigkeit der Bw. nicht gesprochen werden.
Über die Berufung wurde erwogen:
Fest steht im vorliegenden Fall, dass die Bw. seit der Geburt an einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung leidet und seit dem Jahre 1972 im Altenwohnheim Heim entgeltlich beschäftigt ist. Laut fachärztlichem Gutachten vom ist die Bw. auf Grund der mentalen Retardation zu 50% behindert und voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes stehe der Annahme entgegen, das Kind sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. das Erkenntnis vom , 96/14/0088, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Das Finanzamt hat den Antrag der Bw. mit der Begründung abgewiesen, dass sie seit 1976 berufsätig sei, weshalb eine vor dem 27. Lebensjahr eingetretene dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege.
Die Bw. behauptet nun, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um eine karitative Beschäftigung in einem Schwesternheim handle, die mit einer normalen Beschäftigung nicht vergleichbar sei. Sie könne damit auch nicht ihre Lebensausgaben abdecken, sondern werde vom Heim ausgehalten. Die Beschäftigung sei lediglich auf Grund des Entgegenkommens des Arbeitgebers möglich, der hintangestellt ließe, dass sie an sich keiner Beschäftigung nachgehen könnte.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , 95/14/0125, ausgeführt hat, kann von einer beruflichen Tätigkeit indes nicht gesprochen werden, wenn der "beruflich Tätige" keine (Arbeits)Leistungen erbringt, wenn also eine Einrichtung bereit ist, aus karitativen Überlegungen oder zu therapeutischen Zwecken eine Person ohne Erwartung einer Gegenleistung wie einen Dienstnehmer zu behandeln.
Im Erkenntnis vom , 90/13/0129 hat der Verwaltungsgerichtshof zwar ausgesprochen, es komme nicht darauf an, daß der Erwerb unter den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Bedingungen verschafft werden könne, er hat aber darauf abgestellt, ob sich die betreffende Person durch Arbeitsleistungen den Unterhalt verschaffen kann.
Im gegenständlichen Fall ist auf Grund der Beantwortung eines entsprechenden Auskunftsersuchens des Finanzamtes durch die Heimleitung des Altenwohnheimes davon auszugehen, dass die als Küchenhilfe tätige Bw. bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einer ständigen Kontrolle bedarf und dass bei den ihr zugeteilten Arbeiten "Ausfälle" toleriert werden.
Aus der Anfragenbeantwortung geht jedoch nicht hervor, daß die Bw. im Grunde keine (verwertbare) Arbeitsleistungen erbracht hat. Es ist daraus auch nicht erkennbar, dass der Arbeitgeber der Bw. von ihr keine dem Arbeitslohn entsprechende - wenn auch den eingeschränkten Fähigkeiten der Bw. angepasste - Arbeitsleistung erwartet hat.
Es entspricht der Lebenserfahrung, dass auch geistig nicht behinderte Personen mitunter bei der Ausübung ihrer Tätigkeit (ständig) kontrolliert oder beaufsichtigt werden, damit die ihnen zugewiesenen Arbeiten zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers erledigt werden. Die Notwendigkeit einer ständigen Kontrolle durch den Arbeitgeber bedeutet daher nach Auffassung des Unabhängigen Finanzsenates noch nicht, dass eine (verwertbare) Arbeitsleistung überhaupt nicht erbracht wird. Ebenso kann daraus nicht zwingend geschlossen werden, dass die Bw. ohne Erwartung einer Gegenleistung im Altenwohnheim beschäftigt wird.
Auch der Umstand, dass bei den der Bw. zugeteilten Arbeiten gelegentlich "Ausfälle" toleriert werden, führt noch nicht zur Unfähigkeit, am Arbeitsmarkt Einkünfte zu erzielen.
Dem Vorbringen, die Abgabenbehörde hätte keine konkreten Erhebungen hinsichtlich der von der Bw. erbrachten Arbeitsleistungen durchgeführt, ist entgegenzuhalten, dass das Finanzamt ohnehin ein diesbezügliches Auskunftsersuchen mit ganz konkreten Fragen an den Arbeitgeber der Bw. gerichtet hat.
Allerdings ist das Ergebnis des durchgeführten Beweisverfahrens nicht geeignet, die Behauptung der Bw., sie werde aus rein karitativen Erwägungen im Heim beschäftigt, weil ihre Arbeitsleistung nicht geeignet sei, ihr auf Dauer einen Unterhalt zu verschaffen, zu verifizieren.
Es mag vielleicht zutreffen, dass die Bw. auf dem freien Arbeitsmarkt nur schwer vermittelbar wäre und dass für ihre Anstellung im Heim (auch) karitative Überlegungen (mit)entscheidend gewesen sein mögen, doch ist in Anbetracht des Umstandes, dass die Bw. tatsächlich eine ihren Fähigkeiten entsprechende, durchaus verwertbare Arbeitsleistung erbringt (Gegenteiliges wurde jedenfalls von der Heimleitung nicht behauptet), nicht davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Allein die Tatsache, dass die Bw. in einer karitativen Einrichtung beschäftigt ist, spricht noch nicht gegen die Unfähigkeit, eine Erwerbstätigkeit iS der zitierten Bestimmungen des FLAG auszuüben.
Dass der Bw. lediglich zur Unterstützung ihres Selbstwertgefühles Arbeiten zugeteilt werden bzw. diese Arbeiten eine Art Beschäftigungstherapie sein sollen, wurde vom Arbeitgeber nicht bescheinigt. Ebenso wurde nicht bescheinigt, dass die Bezahlung nicht für die verrichteten Arbeiten erfolgt sei.
Dass die Bw. tatsächlich aus rein karitativen Überlegungen ohne Erwartung einer Gegenleistung wie eine Dienstnehmerin behandelt worden sei, ist dem Akteninhalt somit nicht zu entnehmen.
Die Behauptung, bei der von der Bw. ausgübten Tätigkeit handle es sich um eine "niederschwellige und jederzeit ersetzbare" Tätigkeit, ist gleichfalls nicht geeignet, die Annahme zu widerlegen, sie sei imstande, sich durch ihre Arbeitsleistungen den Unterhalt selbst zu verschaffen. Auch auf dem freien Arbeitsmarkt werden solche "niederschwelligen und jederzeit ersetzbaren" Tätigkeiten verrichtet.
Was die Höhe des der Bw. für ihre Hilfstätigkeiten ausbezahlten Lohnes betrifft, so ist davon auszugehen, dass ihr - nach Abzug für Unterkunft und Essen - ein Nettobetrag iHv rund 500,-- € monatlich zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse verbleibt, zumal die Bw. für niemanden sorgepflichtig ist.
Aus den angeführten Erwägungen gelangte der Unabhängige Finanzsenat zu der Überzeugung, dass die Bw. - nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten - durchaus in der Lage ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | |
betroffene Normen | § 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte | Erwerbsunfähigkeit Beschäftigungsverhältnis karitative Einrichtung |
Verweise |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at