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OGH vom 12.01.1951, 1Ob1/51

OGH vom 12.01.1951, 1Ob1/51

Norm

ABGB § 367;

ABGB § 1396;

ZPO § 276;

Kopf

SZ 24/13

Spruch

Weitergabe eines Ausfolgescheines, eines bloßen Legitimationspapieres, wirkt wie eine Zession.

Unanwendbarkeit des § 367 ABGB., wenn ein eine Anweisung zur Ausfolgung einer Sache enthaltender Ausfolgeschein anvertraut oder weiter übergeben worden ist.

Unzulässigkeit der indirekten Beweisführung durch Verlesung von Vorakten, in denen für das Prozeßergebnis relevante Behauptungen aufgestellt und Beweise durchgeführt wurden.

Entscheidung vom , 1 Ob 1/51.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Beklagte verkaufte am der Lagerhausgenossenschaft E. 11.908 kg Baueisen um 31.156.20 S, das die Käuferin sofort bezahlte. Mit der quittierten Faktura übergab der Beklagte der Käuferin einen "Ausfolgeschein" an seinen Lagerplatz Wien XII., S.gasse 46, in dem er bittet, dem Reicher dieses Schreibens 11.908 kg Torstahl gegen Empfangsbestätigung ausfolgen zu wollen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes hat die Käuferin diese Papiere einem gewissen Franz H. zur Beschaffung der Ausfuhrgenehmigung übergeben.

Franz H. hat aber die Ausfuhrbewilligung über die Enns nicht besorgt, sondern sich gegenüber dem Nebenintervenienten Sch. als Beauftragter der Lagerhausgenossenschaft bezeichnet und ihm die gegenständlichen Papiere im Zusammenhang mit einem Zellwollegeschäft aus dem Rechtsgrund der Abstattung eines Schadenersatzanspruches überlassen. Sch. hat, bevor er diese Vereinbarung mit Franz H. traf, beim Beklagten angefragt und von der beklagten Firma die Auskunft erhalten, daß das Material gegen Vorlage des Ausfolgescheines jederzeit abgeholt werden könne. Nachträglich verweigerte der Beklagte aber die Ausfolgung der Ware - Sch. hatte seine Rechte inzwischen auf den Kläger übertragen -, weil er inzwischen erfahren hatte, daß Franz H. die Ware, ohne dazu berechtigt zu sein, an Sch. veräußert habe.

Das Erstgericht hat die Klage auf Ausfolgung abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat ohne Beweiswiederholung in anderer rechtlicher Wertung des angeführten Sachverhaltes der Klage stattgegeben.

Der Oberste Gerichtshof stellte das erstrichterliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird darin erblickt, daß das Berufungsgericht, obwohl es in der Frage der Redlichkeit des Erwerbers Sch. einen vom Erstgericht abweichenden Rechtsstandpunkt eingenommen habe, es unterlassen habe, dem vom Beklagten zum Nachweis der Unredlichkeit des Erwerbes beantragten Beweisantrag auf Requisition der Strafakten H.-Sch. stattzugeben, obwohl es unbedingt erforderlich gewesen wäre, die Ergebnisse des Strafverfahrens einer Prüfung zu unterziehen und die bezüglichen Beweise aufzunehmen.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor. Beweise sind unmittelbar vom erkennenden Gericht abzuführen; indirekte Beweisführung durch Verlesung von Vorakten, in denen für das Prozeßergebnis relevante Behauptungen aufgestellt und Beweise durchgeführt wurden, ist unzulässig: auch geht es nicht an, dem erkennenden Gericht zuzumuten, sich aus dem fremden Akt den maßgebenden Tatbestand zu rekonstruieren. Es ist Sache der Parteien, unmittelbar vor dem erkennenden Gericht diejenigen Behauptungen konkretisiert aufzustellen, von denen ihrer Meinung nach das Prozeßergebnis abhängig ist, und die erforderlichen unmittelbaren Beweisanträge zu stellen. Eine Beischaffung von Akten ist nur zu dem Zwecke zulässig, um den Beweis zu erbringen, daß eine Parteibehauptung oder Aussage mit einer Behauptung oder Aussage in einem anderen Rechtsstreit in Widerspruch stehe; in diesem Fall muß im einzelnen Beweis darüber angeboten werden, welcher bestimmte Umstand und durch welche Umstände durch den fremden Akt bewiesen oder widerlegt werden soll. Es gibt keine Aktenbeischaffung als Beweismittel; das Gesetz kennt nur den Urkundenbeweis, der nur unter Anführung des genauen Beweisthemas beantragt werden kann.

Da sich der Beklagte in den Unterinstanzen darauf beschränkt hat, Einholung der Strafakten zu begehren, so ist dieser Beweisantrag als dem Gesetz nicht entsprechend mit Recht abgewiesen worden.

Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist demnach zu verneinen.

Dagegen ist die Rechtsrüge begrundet.

Da der Kreis der gesetzlich anerkannten Inhaberpapiere geschlossen ist, so kann ein Ausfolgeschein kein Inhaberpapier im technischen Sinne sein, sondern nur ein sogenanntes Legitimationspapier, dessen Wirkungen sich darauf beschränken, den Schuldner zu ermächtigen, ohne weitere Legitimationsprüfung den Ausfolgeschein zu honorieren. Dagegen kommt dem Ausfolgeschein, da er kein Wertpapier im technischen Sinne ist, nicht die Wirkung zu, daß der Schuldner auf die Einwendungen aus dem Papier und seine unmittelbaren Beziehungen zum Präsentanten beschränkt wäre. Dem Schuldner gegenüber wirkt die Weitergabe der Papiere demnach nur wie eine Zession. Er ist daher berechtigt, geltend zu machen, daß der Zessionsnexus dadurch unterbrochen sei, daß Franz H. von der Lagerhausgenossenschaft nicht ermächtigt war, die Ausfolgungsansprüche an Sch. abzutreten. Der Ausfolgungsschein vertritt - da er kein technisches Inhaberpapier ist - im Rechtsverkehr nicht die auszufolgende Sache, sondern gibt nur ein obligatorisches Recht auf Ausfolgung. Nur die Übertragung eines Traditionspapieres gewährt Rechtsschutz nach § 367 ABGB., nicht aber die eines Legitimationspapieres. Dieser Rechtssatz steht seit der Entscheidung SZ. VIII/285 fest. Damals wurde ausgesprochen, daß die Übergabe eines Pfandscheines zum Umsetzen kein Anvertrauen der verpfändeten Sache sei, weil die Sache selbst anvertraut sein müsse; es genügt nicht die Gewährung der Möglichkeit, sich die Sache durch Mißbrauch eines übergebenen Legitimationspapieres zu verschaffen. Der Oberste Gerichtshof führte in seinen Gründen damals ausdrücklich aus, daß § 367 ABGB. die Eigentumsklage gegen den redlichen Besitzer nur dann ausschließe, wenn er beweise, daß er diese Sache, also die Sache selbst, von jemanden an sich gebracht habe, dem sie der Eigentümer selbst zur Verwahrung oder in was immer für einer anderen Absicht anvertraut habe. Das sei aber nicht der Fall, wenn nur ein Pfandschein anvertraut wurde, weil der Pfandschein im Rechtsverkehr die versetzte Sache nicht vertrete. Auch die Berufung auf den äußeren Tatbestand versage, da der äußere Tatbestand nur das Anvertrauen des Pfandscheines, nicht denjenigen der Sache selbst ergebe.

Der Oberste Gerichtshof findet keinen Anlaß, von dieser Rechtsauffassung abzugehen. Sie entspricht auch allein den Bedürfnissen des Verkehrs. Ausfolgungsscheine sind keine Traditionspapiere, die zum Umsetzen der Ware bestimmt sind. Wer einen Ausfolgeschein erwirbt, kann sich daher nicht darauf verlassen, daß ihm, wie bei einem Traditionspapier die Ware schon deshalb ausgefolgt werden wird, weil er den Schein gutgläubig erworben hat. Die Vorlage des Scheines ermächtigt wohl den Schuldner ohne weiterer Prüfung, die Ware auszufolgen; hat dieser aber Bedenken, ob der Präsentant der Berechtigte ist, so muß dieser den Nachweis erbringen, daß er von seinem Vormann, und dieser von seinem und zurück bis auf den Ersterwerber im lückenlosen Zessionswege den Ausfolgeschein erworben habe. Da diese Zessionsreihe diesmal unterbrochen ist, so kann Kläger nicht als berechtigter Zessionar angesehen werden.

Mit Unrecht beruft sich endlich das Berufungsgericht auf § 1396 ABGB. Die Anerkennung der Forderung gegenüber dem Zessionar bedeutet nur, daß diese Forderung an sich aufrecht besteht, nicht aber auch das Zugeständnis, daß die rechtsgeschäftliche Übertragung, die Kette der Zessionen, in Ordnung geht. Die gegenteilige, von vereinzelten Schriftstellern vertretene Lehrmeinung lehnt der Oberste Gerichtshof ab. Wenn der Beklagte auf Anfrage Schs. bzw. des Klägers mitgeteilt hat, der Ausfolgeschein bestehe zu Recht, gegen Vorlage desselben könne die Ware behoben werden, so konnte er damit nichts anderes haben sagen wollen, als daß seine Firma anerkenne, daß sie einen Ausfolgeschein ausgestellt habe, daß die Ware bisher nicht behoben worden sei und daher abgeholt werden könne. Der Kläger konnte vom Beklagten nicht mehr als diese Auskunft verlangen, da der Beklagte gar nicht wissen konnte, ob der Ausfolgeschein nicht etwa auf unrechte Weise in die Hand des Vormannes Sch. gelangt ist. Auch Kläger bzw. Sch. konnten daher dieses Anerkenntnis im Sinne des § 1396 ABGB. nur dahin verstehen, daß der aufrechte Bestand der Forderung selbst als richtig erkannt werde, nicht aber annehmen, daß Beklagter damit zum Ausdruck bringen wollte, er anerkenne den Kläger als den Forderungsberechtigten. Beklagter war demnach berechtigt, trotz Anerkennung der Richtigkeit der Forderung die Herausgabe zu verweigern, wenn er nachträglich in Erfahrung brachte, daß Kläger die Herausgabeforderung nicht erworben habe. Kläger ist dadurch auch nicht benachteiligt, weil er im Falle der Honorierung des Ausfolgescheines im Sinne der Entscheidung SZ. VIII/285 verpflichtet wäre, dem wahren Berechtigten die Ware zu überlassen.