TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 07.05.2008, RV/0610-W/08

Erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des A. B., M., vertreten durch Sachwalterin, gegen den Bescheid des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Der durch eine Sachwalterin vertretene Berufungswerber (Bw.), geb. 1940, stellte am den Antrag auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe.

Dem Antrag wurde ein Schreiben folgenden Inhaltes beigelegt:

"Herr B. lebt seit im LPPH Melk (= NÖ Landes-Pensionisten- und Pflegeheim Melk). Zuvor gab es einige Aufenthalte im NÖ. Landeskrankenhaus Mauer. Seine Diagnose lautete "Debilität mit Anpassungsschwierigkeiten bei Alkoholabusus". Laut Erzählungen von seinen Schwestern war Herr B. schon von Geburt an "ein bisschen behindert und komisch"; seit seiner Kindheit hat er immer wieder epileptische Anfälle.

Herr B. besuchte die Sonderschule, wobei er eine Klasse mehrere Male wiederholen musste. Seine Mutter kümmerte sich um ihn; mit ihrer Hilfe bekam er eine Arbeit als Hilfsarbeiter bei der Firma X in K.

1967 verstarb die Mutter. Von da an ging es - laut seinen Schwestern - mit "A. bergab". Nun erhielt er von seiner Schwester XX Unterstützung. Sie stellte den Antrag auf Aufnahme im Pflegeheim, da ihr Bruder unmöglich alleine leben konnte.

Meiner Meinung nach hat Herr B. Anspruch auf die erhöhte Familienbeihilfe, da er schon sehr früh eine Behinderung zeigte (Im Beschluss vom BG Melk, in dem Frau XXV zur Sachwalterin bestellt wird, wird seine geistige Behinderung thematisiert;...). Nur durch die große Unterstützung durch seine Mutter konnten viele Defizite kompensiert werden und er schaffte es, einige Zeit als Hilfsarbeiter zu arbeiten. Aus dieser Zeit erhält er auch eine Pension, wovon 80 % für die Heimkosten herangezogen werden..."

Das Finanzamt erließ am einen Bescheid und wies den Antrag vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Laut Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung war Herr B. sowohl vor als auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres erwerbstätig, sodass die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist."

Die Sachwalterin brachte gegen den Bescheid fristgerecht Berufung ein und begründete diese wie folgt:

"Bei Herrn B. besteht lt. SV-Gutachten von Dr. J. eine primäre Minderbegabung. Später kam eine psychische Erkrankung hinzu, die mehrere Krankenhausaufenthalte in der LNK Mauer zur Folge hatte, sodass das Beschäftigungsverhältnis nur durch massive Interventionen der Mutter, die mit dem Dienstgeber bekannt war, aufrechterhalten werden konnte. Mit dem Tod der Mutter endete auch das Arbeitsverhältnis von Herrn B. . Die Debilität besteht seit Geburt, die psychische Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr.

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom , 95/14/0125, zwar darauf hingewiesen, dass er wiederholt ausgesprochen habe, dass eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme widerlege, dass das Kind infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen sei sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, allerdings auch in diesem Erkenntnis ausgesprochen, dass von einer beruflichen Tätigkeit dann nicht gesprochen werden kann, wenn der "beruflich Tätige" keine Arbeitsleistung erbringe und daher die Tätigkeit nicht als Arbeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens betrachtet werden könne.

Herr B. war aufgrund seiner angeborenen geistigen Behinderung sowie der psychischen Erkrankung bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht mehr imstande einer auf dem Arbeitsmarkt bewertbaren Beschäftigung nachzugehen und war das Beschäftigungsverhältnis über das 21. Lebensjahr hinaus aus caritativen Zwecken aufrecht.

Es wäre daher der Beurteilung durch die belangte Behörde nicht nur der Versicherungsdatenauszug der Pensionsversicherungsanstalt, sondern auch ein entsprechendes Sachverständigengutachten zu Grunde zu legen gewesen, welches im weiteren Verfahren einzuholen sein wird."

Dem Schreiben beigelegt war ein "Psychiatrischer Befund und Gutachten", erstellt von Dr. med. D. J. am .

Über Ersuchen des Finanzamtes wurde seitens des Bundessozialamtes folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten

Betr.: B.A.

Vers.Nr.: XYZ

Aktengutachten erstellt am 2007-12-12

Anamnese:

Lt. den Unterlagen ( Krankengeschichte Mauer Psychiatrie ) lagen stat. Aufenthalte 9/ 66, 12/ 67 und 2/ 68 vor. Diagnose Alkoholmissbrauch bei Debilität mit Erregungszuständen und Anpassungsschwierigkeiten. Lt. den Unterlagen als Arbeiter berufstätig bis 1986, seit 1971 Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit. Ein Gutachten FA Dr. J. 4/ 2003beschreibt eine primäre Minderbegabung und befürwortet die Bestellung eines Sachwalters, vermerkt ist, dass der Pat. seit 1974 mit der Diagnose Debilität mit Anpassungsschwierigkeiten bei Alkoholabusus im Pflegeheim ist. Ein Gutachten FA Dr. J. beschreibt den Pat. deutlich in der Vigilanz herabgesetzt, erhebliche Einschränkung der Kontakt und Rapportfähigkeit und eine massive Verschlechterung ggü. Vorgutachten, das Setzten einer PEG Sonde wird befürwortet.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): aktenmäßig

Untersuchungsbefund: aktenmäßig

Status psychicus / Entwicklungsstand: aktenmäßig

Relevante vorgelegte Befunde:

2007-02-13 Dr. J. FA PSYCHIATRIE NEUROLOGIE

siehe Anamnese

Diagnose(n):

deutliche cerebrale Beeinträchtigung der höheren Hirnleistungen und Schluckstörung, Minderbegabung, Alkoholabusus

Richtsatzposition: 585 Gdb: 100% ICD: F07.9

Rahmensatzbegründung:

Oberer Rahmensatz, da stationäre laufende Betreuung und PEG Sonde notwendig

Gesamtgrad der Behinderung: 100 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1968-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Lt. den Unterlagen liegt primär eine Minderbegabung ( " Debilität")vor mit Alkoholabusus und Anpassungsstörung, eine Arbeitsfähigkeit war bis 1968 möglich, die deutliche Verschlechterung nachfolgend dokumentiert.

erstellt am 2007-12-12 von K.C.

Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

zugestimmt am 2007-12-12

Leitender Arzt: S.G.

Das Finanzamt wies mit Berufungsvorentscheidung vom die Berufung vom mit folgender Begründung ab:

"Für volljährige behinderte Kinder besteht dann Anspruch auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Sowohl die Behinderung als auch die dauernde Erwerbsunfähigkeit müssen demnach vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sein. Aus dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom geht hervor, dass bei Herrn B. primär eine Minderbegabung (Debilität) mit Alkoholabusus und Anpassungsstörung vorliegt, eine Arbeitsfähigkeit jedoch bis 1968 möglich war.

Herr B. war sowohl vor als auch nach dem 21. Lebensjahr berufstätig. Laut Versicherungsdatenauszug war er vom bis beschäftigt. Dazwischen bezog er Krankengeld. Aufgrund seiner Beschäftigung hat er einen Anspruch auf eine eigene Pension erworben und bezieht seit eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht eine mehrjährige berufliche Tätigkeit der Annahme entgegen, das Kind sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Unerheblich ist, unter welchen Umständen eine Beschäftigung zustande kommt, wie etwa durch das Intervenieren der Mutter. Auch ein "Entgegenkommen des Arbeitgebers" steht nicht der Annahme entgegen, eine Person sei aufgrund ihrer Arbeitsleistungen in der Lage, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Ausschlaggebend ist, ob sich die betreffende Person über das 21. Lebensjahr hinaus selbst den Unterhalt verschaffen konnte. Und dies war Herrn B. möglich. Er konnte sich aufgrund seiner zehn Jahre andauernden Erwerbstätigkeit noch über das 21. Lebensjahr hinaus den Unterhalt verschaffen. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit ist somit erst nach dem 21. Lebensjahr eingetreten, wodurch die Voraussetzungen für den Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung nicht vorliegen."

Die Sachwalterin stellte fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Über die Berufung wurde erwogen:

Folgender Sachverhalt steht fest.

  • Der Bw. ist besachwaltet (Beschluss des BG Melk vom ).

  • Im September 1966 erfolgte erstmals ein stationärer Aufenthalt in der Psychiatrie des Landeskrankenhauses Mauer. Weitere Aufenthalte gab es im Dezember 1967 und Februar 1968; Diagnose: "Alkoholmissbrauch bei Debilität mit Erregungszuständen und Anpassungsschwierigkeiten";

  • Berufstätigkeit von September 1957 bis Anfang Februar 1968;

  • seit Bezug von Pflegegeld;

  • seit 1971 Pensionsbezug wegen geminderter Arbeitsfähigkeit;

  • ständiger Aufenthalt im LPPH Melk seit .

  • vom Bundessozialamt erstelltes fachärztliches Sachverständigengutachten vom : Beim Bw. besteht eine 100%ige Behinderung. Die rückwirkende Einschätzung des Grades der Behinderung wurde mit vorgenommen und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt. Weiters wurde Folgendes festgehalten: "Lt. den Unterlagen liegt primär eine Minderbegabung ("Debilität") vor mit Alkoholabusus und Anpassungsstörung, eine Arbeitsfähigkeit war bis 1968 möglich, die deutliche Verschlechterung nachfolgend dokumentiert."

  • Versicherungsdatenauszug vom :


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
Arbeiter
5 Tage
-
Arbeiter
1 ½ Monate
-
Arbeiter
14 Tage
-
Arbeiter
4 ½ Monate
-
Arbeiter
18 Tage
-
Arbeiter
ungef.8 Monate
-
Arbeiter
11 Tage
-
Arbeiter
12 Tage
-
Arbeiter
ca. 3 Monate
-
Arbeiter
ca. 3 Monate
-
Arbeiter
ca. 2 ½ Monate
-
Arbeiter
21 Tage
-
Arbeiter
ca. 3 Wochen
-
Arbeiter
4 Tage
-
Arbeiter
ca. 7 Monate
-
Arbeiter
ca. 1 ½ Monate
-
Arbeiter
ca. 4 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca.5 Monate
-
Arbeiter
ca. 1 ½ Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca. 2 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca. 1 Monat
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca. 5 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca. 9 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
ca. 8 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
2 Tage
-
Arbeiter
1 Tag
-
Arbeiter
1 Tag
-
Arbeiter
2 Tage
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
4 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
6 Monate
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
1 Tag
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
12 Tage
-
Krankengeldbezug
-
Arbeiter
3 Tage
-
Krankengeldbezug
laufend
Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit
laufend
Krankenvers. bei Pension

Beitragspflichtiges Einkommen inklusive der Sonderzahlungen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Jahr
Beitragsgrundlagen inkl. Sonderzahlung in ATS
1957
393,1
1958
10.672,3
1959
17.062,66
1960
16.549,16
1961
16.933,51
1962
29.120,26
1963
24.407,26
1964
28.818,93
1965
38.103,96
1966
23.626,6
1967
34.950,11
1968
1.347,13 (keine Sonderzahlungen)

Der Bw. war - wie aus dem obigen Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung (Stand ) zu ersehen ist - als Arbeiter von September 1957 (17. Lebensjahr) bis Anfang Februar 1968 (28. Lebensjahr), insgesamt somit ungefähr sieben Jahre, beschäftigt. Die längsten ununterbrochenen Beschäftigungszeiträume dauerten zwischen 7 und 9 Monaten; ab 1963 gab es häufige Unterbrechungen durch Krankenstände.

Im Jahr 1967 arbeitete der Bw. vom bis (4 Monate), vom bis (6 Monate) und am (1 Tag). Im Jahr 1968 arbeitete er insgesamt nur mehr 15 Tage.

Die Berufungsbehörde nimmt es als erwiesen an, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit erst seit 1968, somit 7 Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahres, vorliegt.

Diese in freier Beweiswürdigung getroffene Beurteilung gründet sich auf folgende Beweismittel:

  • das im Wege des Bundessozialamtes erstellte fachärztliche Sachverständigengutachten vom mit der eindeutigen Aussage, dass der Bw. bis zum Jahr 1968 arbeitsfähig war; dem widerspricht auch das von Seiten des Bw. vorgelegte Gutachten des Dr. J. nicht, denn in diesem wird Befund und Gutachten für das BG Melk zur Frage erstellt, ob der Bw. im Zeitpunkt der Untersuchung (Februar 2007) Einsicht und Urteilsfähigkeit besitzt, die Vergangenheit wird nicht beleuchtet bzw. wird lediglich darauf hingewiesen, dass im Vergleich zur Begutachtung im Sachwalterschaftsverfahren im Jahr 2003 eine deutliche Verschlechterung des Zustands des Bw. eingetreten ist; das SV-Gutachten des Bundessozialamtes wurde auch unter Berücksichtigung und in Kenntnis der Gutachten des Dr. J. erstellt;

  • Beschluss des BG Melk vom über die Bestellung eines Sachwalters;

  • Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung vom ;

  • Bezug einer Pension wegen geminderten Arbeitsfähigkeit ab 1971

  • ständiger Aufenthalt im LPPH Melk (erst) seit

Aus rechtlicher Sicht ist auszuführen wie folgt.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Volljährige Vollwaisen haben nach § 6 Abs. 2 FLAG Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und die Voraussetzungen des Abs. 2 lit. a bis h erfüllt sind.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs 5 FLAG, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG in der Fassung BGBl I Nr. 105/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Im vorliegenden Fall besteht grundsätzlich ein Eigenanspruch des Bw. auf Gewährung von Familienbeihilfe.

In dem im Wege des Bundessozialamtes von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie erstellten Sachverständigengutachten vom wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 100 v.H. ab festgestellt. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde ebenfalls erst ab diesem Zeitpunkt attestiert. Somit trat die Erwerbsunfähigkeit aber erst mit dem 28. Lebensjahr ein. Bemerkt wird, dass der erste stationäre Aufenthalt ebenfalls erst im September 1966 erfolgte.

Aus dem Sozialversicherungsauszug ergibt sich, dass die Berufstätigkeit des Bw. ab 1963 zwar immer wieder durch Krankenstände unterbrochen war, er aber immerhin im Jahr 1967 noch ungefähr 10 Monate gearbeitet hat und erst im Jahr 1968 nur mehr insgesamt 15 Tage einer Beschäftigung nachging. Im Jahr 1968 befand sich der Bw. aber bereits im 28. Lebensjahr.

Auch die im Schreiben der Sachwalterin vom wiedergegebene Äußerung der Schwester des Bw. -"... 1967 verstarb die Mutter. Von da an ging es mit A. bergab" - spricht dafür, dass der Bw. erst ab diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig wurde.

Somit kann schon aufgrund dieser Unterlagen bedenkenlos davon ausgegangen werden, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bw. erst im Jahr 1968, also im Alter von 28 Jahren, eingetreten ist.

Hinzu kommt noch, dass der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen zum Ausdruck gebracht hat, dass eine mehrjährige Berufstätigkeit der Annahme entgegensteht, das "Kind" sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. ; , 91/14/0197; , 90/13/0129 und , 82/13/0222).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall mit Erkenntnis vom , 96/14/0159, wie folgt entschieden:

"Die am geborene Beschwerdeführerin beantragte am durch ihren Sachwalter die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführerin infolge ihrer seit 1989 erzielten eigenen Einkünfte in der Lage sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Sachwalter aus, die Beschwerdeführerin sei tatsächlich nicht in der Lage, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen. Dies ergebe sich daraus, dass ihr Pflegegeld zuerkannt worden sei und sie nunmehr im Wohnheim des Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte (ÖHTB) in einer betreuten Wohngemeinschaft lebe und auf einem geschützten Arbeitsplatz beschäftigt sei. Eine allfällige Beschäftigung der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit habe auf einem Entgegenkommen der Arbeitgeber beruht...

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Von streitentscheidender Bedeutung sei im Beschwerdefall, ob die Beschwerdeführerin bereits vor der Vollendung ihres 21. Lebensjahres zufolge ihres Leidens dauernd außerstande gewesen sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach der vorgelegten amtsärztlichen Bestätigung vom , in der ein Behinderungsgrad von 80 % festgestellt werde, liege bei der Beschwerdeführerin eine Geistesschwäche ab Geburt vor. In dem im Zuge des Berufungsverfahrens ergänzten amtsärztlichen Zeugnis werde zusätzlich bescheinigt, dass die Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht eine mehrjährige berufliche Tätigkeit der Annahme entgegen, das Kind sei infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/14/0088, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Bereits von der Abgabenbehörde erster Instanz wurde der Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung abgewiesen, sie habe sich seit 1989, somit nach Vollendung des 21. Lebensjahres, durch eigene Einkünfte selbst den Lebensunterhalt verschafft. Die Beschwerdeführerin ist, vertreten durch ihren Sachwalter, dieser Feststellung lediglich mit dem allgemeinen Hinweis entgegengetreten, eine "allfällige Beschäftigung in der Vergangenheit" habe auf einem außerordentlichen Entgegenkommen der Arbeitgeber beruht. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , 90/13/0129, ausgeführt hat, steht ein "Entgegenkommen der Arbeitgeber" nicht der Annahme entgegen, eine Person sei auf Grund ihrer Arbeitsleistungen in der Lage, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dass die Beschwerdeführerin keine Arbeitsleistungen erbracht habe, sondern etwa aus caritativen Überlegungen oder zu therapeutischen Zwecken ohne Erwartung einer Gegenleistung wie eine Dienstnehmerin behandelt worden sei, behauptet selbst die Beschwerde nicht (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , 95/14/0125)."

Bemerkt wird, dass die Sachwalterin in keiner ihrer Eingaben behauptet hat, dass es sich bei den Arbeitsplätzen des Bw. um so genannte "geschützte" Arbeitsplätze gehandelt hat. Sie führte in ihrem Schreiben vom zum Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe lediglich an, dass der Bw. mit Hilfe seiner (im Jahr 1967) verstorbenen Mutter eine Arbeit als Hilfsarbeiter bei einer Firma in K bekommen hätte.

Hinzuweisen ist ferner darauf, dass es zahlreiche Erkrankungen aus dem psychotischen Formenkreis, aber auch Geisteskrankungen gibt, die den betroffenen Personen die Ausübung ihres Berufes zwar erschweren, aber nicht unmöglich machen. Die Praxis zeigt, dass Personen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen durchwegs eine ihrer Erkrankung adäquate Leistung erbringen, wenn sie auch hierzu häufig die Unterstützung des Dienstgebers benötigen.

Dass sich Erkrankungen im Allgemeinen mit zunehmendem Alter verschlechtern und im Besonderen Erkrankungen psychischer Natur einen schleichenden Verlauf nehmen, womit häufige Krankenstände und in der Folge Frühpensionierungen verbunden sein können, entspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens und ist auch mit dem von Seiten des Bw. vorgelegten, für das BG Melk erstellten psychiatrischen Befund und Gutachten kongruent.

Das vorliegende Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes ist schlüssig und nachvollziehbar und wurde auch von Seiten des Bw. nicht in Zweifel gezogen. In der Berufungsvorentscheidung bezog sich das FA auf das Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes und war dieses der Entscheidung beigelegt. Im Vorlageantrag wurde das Gutachten nicht bekämpft; es wurde nämlich ohne weitere Begründung "aus den in der Berufung angeführten Gründen" der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt.

Siehe zur grundsätzlichen Bedeutung des SV-Gutachtens des Bundessozialamtes das Erkenntnis des Zl B 700/07, in dem ua ausgeführt wird wie folgt:

"Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Norm ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt hat, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden kann. Damit kann auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein werden. Der Gesetzgeber hat daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen ist. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen. Ob der zeitweilige Einkommensbezug zum - zeitweiligen - Entfall der Familienbeihilfe führt, ist eine davon zu unterscheidende Frage, die nach den allgemeinen Regeln des FLAG zu lösen ist."

Da im ggstdl Fall kein Grund besteht, vom vorliegenden im Wege des Bundessozialamtes erstellten schlüssigen fachärztlichen Gutachten abzuweichen, ist es der Entscheidung zu Grunde zu legen. (S vorletzter Satz zit VfGH Erkenntnis).

Aus all diesen Gründen ist es somit als erwiesen anzunehmen, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bw. erst nach seinem 21. Lebensjahr eingetreten ist und somit die erhöhte Familienbeihilfe nicht zusteht.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
Schlagworte
Erhöhte Familienbeihilfe

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at